Leider betreten immer seltener wirklich überzeugende Newcomer das Rampenlicht, und noch seltener sind es Formationen, die neben musikalischer Extravaganz auch eine Menge zu sagen haben. Lobenswerte Ausnahme sind da THE_PYRO_TALE und 5 YEAR DIARY, die beide den früheren MY HERO DIED TODAY-Musiker Robert in ihren Reihen haben. Während im Frühling das gemeinsam mit Ex-ANTHEM OF THE CENTURY-Mitglied Ricky ins Leben gerufene Akustik-Projekt 5 YEAR DIARY seine erste CD veröffentlichte, legt Robert nun seine volle Konzentration auf THE_PYRO_TALE, mit denen er uns in den nächsten Tagen eine großartige Veröffentlichung bescheren wird. Mindestens zwei gute Gründe also, um sich den überaus sympathischen Wahl-Berliner mal zur Brust zu nehmen.
Erzähl doch zuerst mal, wie du dich als Musiker mit HC-Background zu ruhigeren Tönen gewandelt hast. Ähnliches gilt ja auch für deinen 5 YEAR DIARY-Mitstreiter Ricky Robinson.
Ich stand eigentlich schon immer auf viele verschiedene Arten von Musik. Ich habe also nie eine Richtung durch eine andere ersetzt, aber lustigerweise kam während meiner MY HERO DIED TODAY-Zeit ein ernsteres Interesse an ruhigerer Musik auf. Wir spielten damals wirklich fast jedes Wochenende, und somit war ich in Sachen „härtere Musik“ echt ausgelastet, haha. Ich hörte im Van oder nach den Konzerten mehr und mehr ruhigere Sachen: Johnny Cash, John Frusciante, Natalie Merchant, Billy Bragg. Das wiederum spornte mich an, auf der Akustikgitarre besser zu werden, woraus dann zwangsläufig Songfragmente entstanden. Bei Ricky war es ähnlich; wir sprachen sowieso viel über Musik, und dann kam eines Tages der Gedanke auf, die schon bestehenden Songs doch einfach mal – eigentlich nur für uns – aufzunehmen. Unter dem Namen 5 YEAR DIARY haben wir vor kurzem eine Full Length namens „From City To Shore¡ auf dem englischen Label Seismic Records rausgebracht. Ich hatte einfach das Gefühl, dass intensive Musik nicht immer hart sein muss, also war es interessant zu versuchen, auch mit Stille oder eben folkigeren Klängen Atmosphäre zu erzeugen.
Wie kam der Kontakt zu Ricky überhaupt zustande?
Als wir mit MHDT unsere erste Show in Wales spielten, war da dieser furchtbar nette Typ, der bei der Supportband ANTHEM OF THE CENTURY spielte und mit dem man durchaus ein bis acht Bier trinken konnte. Der Kontakt ist seither nie wieder abgerissen. Mittlerweile ist Ricky wie ein Bruder für mich, selbst meine Familie in München fragt schon, wann er denn endlich wieder zu Besuch käme. Wir haben einen ähnlichen Background; er ist eine sehr ehrliche, coole Person, und die Chemie stimmte einfach von Anfang an. Außerdem ist Musik für ihn nicht nur ein weiteres Hobby, sondern er würde alles dafür tun. Bis auf seine Leidenschaft für furchtbaren Collegerock ist er also ganz in Ordnung, haha... Außerdem ist er – genau wie ich – großer Fußballfan!
Du spielst vorzugsweise vor HC-Publikum. Wie nimmt die HC-Hörerschaft die Sounds auf?
Ich bin selbst überrascht, dass es bisher gerade live so gut läuft. Die Leute freuen sich, glaube ich, wenn der übliche Band-Einheitsbrei etwas aufgelockert wird; selbst wenn es sich dann um Musik handelt, die viele Zuschauer nicht wirklich privat hören. Aber gerade das ist es, was mir wirklich viel bedeutet. Es kamen schon Leute nach einem Gig und sagten, sie wären nie wirklich zu einem Singer/Songwriter-Konzert gegangen, es aber sehr kraftvoll fanden, das ist dann echt befriedigend. Sicherlich gibt es auf den HC/Punk-Shows aber auch Leute, die mich gerne mit meiner Gitarre foltern würden, die habe ich nur noch nicht persönlich getroffen. Nein, im Ernst: Ich bin froh, dass die Szenen mittlerweile offener sind, und das ist gut so. Sollte ich daran einen kleinen Beitrag haben, umso besser.
Zielst du bewusst diese Szene an, um dich vom pseudo-intellektuellen „Cordjacken-Publikum“ zu distanzieren?
Weißt du, ich glaube nicht, dass ich Leute ausgrenzen oder mich von irgendjemand distanzieren will. Der Punkt ist nur: Ich komme eben aus der Punk/HC-Szene und wollte gerade bei den ersten Akustikgigs auch ein Statement abgeben. Ich wollte eben nicht plötzlich vor komplett anderen Personen spielen, sondern vielmehr eine andere Art meiner Definition von Punk. Somit war es mir schon wichtig, da zu starten, wo ich mit MHDT aufgehört hatte. In Zukunft könnte ich mir aber durchaus auch vorstellen, in anderen Clubs zu spielen. Ich versuche halt, es für mich ehrlich, aber auch interessant zu halten.
Die 5 YEAR DIARY-EP war eher ein akustisches Einzelgänger-Werk, wogegen du dir bei THE_PYRO_TALE Verstärkung an Bord geholt hast. Erzähl doch bitte ein bisschen über die musikalische Ausrichtung und die anderen Mitglieder.
Es war eigentlich immer klar, dass ich nicht nur akustische Musik machen will, weshalb ich parallel weiterhin Songs für eine, im weitesten Sinne als „Rockband“ zu bezeichnende Formation geschrieben habe. Es sind also zwei wirklich verschiedene Projekte, die allerdings beide parallel weiterlaufen werden. THE_PYRO_TALE besteht aus drei Personen: Mirjam am Bass, Simon am Schlagzeug, und ich singe und spiele Gitarre. Mit Simon habe ich bereits in einer anderen Band gespielt, und mit Mirjam hänge ich sowieso die meiste Zeit rum, also war es irgendwie logisch, die beiden an Bord zu holen. Bisher passt es sehr, sehr gut. Die eigene musikalische Ausrichtung ist immer schwer zu beschreiben, und diese ganzen Bandvergleiche ziehen ja meist nicht so wirklich... Der Sound ist bisher sehr Lo-Fi, aber doch mit dem nötigen Druck. Wir versuchen uns selbst nicht zu limitieren, wodurch ich wieder nur von meiner/unserer eigenen Definition von Punk/Rock sprechen kann. Es ist irgendwie schon progressivere Rockmusik, also genau das, was ich auch über die DANDY WARHOLS, QUICKSAND, GET UP KIDS oder FUGAZI sagen würde. Nur hoffentlich eigen. Eine Full Length kommt erst Anfang nächsten Jahres. Vorher steht das an, was anstehen sollte: Viele, viele Konzerte, damit wir auch als Band die Chance haben, zu wachsen, zu lernen, zusammen zu touren und gemeinsam etwas aufzubauen. Ich muss das nach der extrem relaxten Solo-Erfahrung erst mal wieder lernen, haha. Eine Split wird unser erstes Lebenszeichen als Band sein. Auf der Scheibe findest du neben uns mit LÁ PAR FORCE eine Band aus Regensburg, die ich sehr schätze. Des Weiteren ist Rickys englische Band STEEL RULES DIE dabei, die musikalisch eher in die HOT WATER MUSIC/AVAIL-Richtung gehen. Es wird also eine Split mit drei sehr unterschiedlichen Bands, die gut befreundet sind, wodurch sich das Ganze einfach richtig gut anfühlt. Sie wird Ende September auf Dancing In The Dark Records erscheinen, worauf wir mit LÁ PAR FORCE Anfang Oktober auch eine zehntägige Tour durch Deutschland machen werden. Mir ist wichtig, gerade die ersten Schritte in einem sehr familiären Umfeld zu tun.
Interessant finde ich, dass deine Projekte – egal, welche musikalische Richtung sie bedienen – kontinuierlich Wert auf intelligente, nachdenkliche und politische Lyrics legen. Woher kommt dein großer politischer Background?
Weißt du, ich sehe mich wirklich nicht als großen politischen Denker. Allerdings versuche ich schon viel zu lesen, weil es meiner Meinung nach gefährlich ist, sich zu sehr auf die Mainstream-Medien zu verlassen. Das hat ja auch der 11. September wieder gezeigt. Politik ist einfach ein Teil von unserem Leben, genau wie Sex, Liebe, Spiritualität und der Wunsch, Spaß zu haben. Es ist nur so, dass mich immer besonders Kunst bewegt hat, die als Plattform für wichtige Dinge genutzt wurde. Insofern versuche ich, in meinen Songs Themen aufzugreifen, die ich für wichtig halte. Dass es viele Leute gibt, die davon wiederum viel mehr verstehen, steht außer Frage, nur fühle ich mich verpflichtet, eben nicht die Klappe zu halten, sondern zu sagen, was mich bewegt. Um ehrlich zu sein: Ob man sich jetzt für den großen Politkämpfer hält oder nicht, wenn Kriege für Öl geführt werden und Leute sterben, weil andere verdammt noch mal nicht genug kriegen, ist das schon ein Teil unseres Lebens. Alles dreht sich um Geld; Regime werden gestürzt oder am Leben gehalten von Regierungen, die wiederum nur aus Marionetten bestehen, immer zum Besten der Wirtschaft. Wenngleich ich nichts dagegen tun kann, ist es, so denke ich, schon in Ordnung, Stellung zu beziehen. Es ist allerdings auf keinen Fall so, dass ich über nichts Anderes nachdächte. Viele unserer Songs handeln auch von ganz anderen Sachen.
Ist dein momentaner Wohnort Berlin in dieser Hinsicht eine weitere Inspiration?
Ich wohne in Neukölln, ein Viertel mit großer Arbeitslosenquote. Insofern war es für mich schon ein Schock, zu sehen, wie viele Menschen in diesem Land tatsächlich unter echt harten Bedingungen leben, was sich mir als Münchner Junge vom Land bis dato natürlich in diesem Maß nicht erschlossen hatte. Berlin ist schon eine große Inspiration, wenngleich ich glaube, dass ich nicht für ewig hier bleiben könnte. Dafür bin ich zu wenig interessiert an dem Nachtleben im Allgemeinen und zu sehr an Natur. Ich vermisse wohl die bayrischen Berge, doch auch Schweden könnte ich mir bald mal sehr gut vorstellen. Gerade in sozial-politischen Themen ist Berlin aber einfach wahnsinnig lebendig und interessant. Es passiert viel um einen herum, und vieles davon bekommt man in diesem Umfang in anderen deutschen Städten nicht mit.
Macht man sich als nachdenklicher Mensch das Leben schwerer, als es ohnehin schon ist?
Es wird wohl nicht einfacher, aber das ist wohl auch Defini-tionssache. Bestimmte Themen werden immer komplexer, je mehr man darüber erfährt. Nach dem Lesen eines Chomsky-Buchs weißt du zwar mehr als vorher, der Verwirrungsgrad hat sich aber auch gesteigert – zumindest manchmal. Ich finde es schon gut, wenn Leute nachdenken, aber der Spaß sollte gerade bei Musik nicht zu kurz kommen. Inhaltlicher Gehalt in allen Ehren, aber wenn man keinen Spaß an einer Gemeinschaft hat und an Kunst bzw. Musik im Allgemeinen, sollte man es vielleicht lassen. Das Leben ist schon verwirrend genug, da sollte man sich fast zwingen, das Beste rauszuholen, und in meinem Fall ist das eben diese Band.
Kannst du dir vorstellen, irgendwann wieder einer Hardcore-Band beizutreten?
Klar, wenn es eine gute Band ist. Ich höre ja immer noch Hardcore, wenngleich eher aus Nostalgie. Im Moment käme das allerdings eher nicht in Frage, weil ich mich bei THE_PYRO_TALE sehr wohl fühle. Fakt ist: Ich werde weiterhin Gitarre spielen und versuchen, ein besserer Sänger zu werden – ob in einer Alternative-Country-Band oder in einer Punkband, ist zweitrangig, weil mich viele dieser Musikformen wirklich faszinieren. Solange es ehrlich ist und nicht stumpf, könnte ich mir vorstellen, dabei zu sein. Nur das mit dem Beitritt in eine Reggaeband überleg ich mir noch mal...
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #48 September/Oktober/November 2002 und Dominik Winter