Punk & Religion Teil 7

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Christpunk und Christcore

Christlicher Rock wird christlicher Punk/Hardcore?
Was genau ist Christpunk respektive Christcore? Schwer zu sagen. Punk/Hardcore mit Beteiligung von Christen? Oder mit christlichen Inhalten? Als Hilfsdefinition kann man festhalten: Christlicher Punk ist entweder eine Form der christlichen Musik oder ein Untergenre des Punkrock mit einem gewissen Grad an christlichem Inhalt. Die Zuordnung variiert von Band zu Band. Teilweise suchen Bands die Nähe zu christlich-evangelikalen Kirchen oder Organisationen wie die CCM (Christian Contemporary Music) oder den Jesus People (JPUSA). Die JPUSA belebten die CCM, um sich in zeitgenössischeren Musikstilen auszudrücken als in den damals in der Kirche vorherrschenden Gospels. Darunter fielen Pop, Rock oder textliche Lobpreisungs- und Anbetungsformen. Als Vater des christlichen Rock wird Larry Norman bezeichnet, weil er schon vor der JPUSA-Bewegung Rock mit christlichen Botschaften produzierte. Sein in einem Song verarbeitetes Credo „Why should the devil have all the good music?“ ist auch für Punk- und Hardcore-Bands sinnstiftend. Andere Punks sehen sich als subversiver Bestandteil innerhalb der Christenheit und lehnen sowohl die CCM als Teil der Musikindustrie als auch kirchliche Strukturen komplett ab, so wie die JCHC-Punks, kurz für Jesus Christ Hardcore. Seitens der christlichen Kirchen/Organisationen sieht es ähnlich aus. JCHC-Punks vertreten häufig den Standpunkt, dass ein kritischer und nicht dogmatischer religiöser Glaube mit dem Individualismus des Punk absolut vereinbar ist. OFFICER NEGATIVE und HEADNOISE sind bekanntere bekennende JCHC-Bands. Das Rütteln der Christenpunks an gesetzten Traditionen und Dogmen wird als Glaubensverwässerung betrachtet. Andererseits haben Punk- und Hardcore-Konzerte von christlichen Bands großen Zulauf, bringen neue Gesichter in den Kontext von Glaubensinhalten und nicht zuletzt Geld in die Kassen der Veranstalter*innen. Die Absatzzahlen mancher Punk- und Hardcore-Bands übertreffen das bisher Erreichte anderer christlicher Pop- und Rock-Combos.

Von wem man schon mal gehört haben könnte
Die Ursprünge des christlichen Punk kann man in die Achtziger Jahre datieren. Die Jesus People USA (JPUSA) veranstalteten Shows in der Chuck Smith’s Calvary Chapel in Orange County, Kalifornien und organisierten regelmäßig mehrtägige Festivals – unter anderem das Cornerstone Festival in Illinois – auf denen auch christliche Bands modernerer härterer Genres gefördert wurden. Zudem wurde im Dunstkreis der JPUSA ein eigenes Label namens Grrr Records betrieben. CRASHDOG (die sich im Song „Voice of defiance“ explizit gegen die Trennung von Staat und Kirche aussprechen), ALTAR BOYS und THE CRUCIFIED sind die bekanntesten Punkbands aus dieser Zeit, von denen auch Otto Normalirokese schon einmal etwas gehört haben könnte. Der Punk-Boom der frühen Neunziger ging an der christlichen Szene auch nicht vorbei und der Schwerpunkt verschob sich in Richtung Skate- und Pop-Punk. MXPX dürften hier die bekannteste und kommerziell erfolgreichste (inklusive Goldener Schallplatte) sein. Ihnen waren sogar Releases auf Fat Wreck beschert, obwohl Fat Mike sich ansonsten gegenüber Religion eher sehr distanziert zeigt. Geld stinkt aber bekanntermaßen nicht. THE HUNTINGTONS und SLICK SHOES kennt man vielleicht als RAMONES-Epigonen von dem einen oder anderen Sampler. Beide sind bis heute aktiv.
DOGWOOD trafen den typischen Epitaph- oder Fat Wreck-Sound und machten sich auch außerhalb der christlichen Szene einen Namen. Auch noch aktiv sind HEADNOISE, die klassischen Cali-Punk der Marke T.S.O.L. und INSAINTS spielen. Die bereits länger aufgelösten OFFICER NEGATIVE sind so etwas wie die Straßenköterpunks der Christenszene und erfreuen sich bis heute eines Kultstatus. Sie lieferten mit dem Song „JCHC“ (Jesus Christ Hardcore) quasi den Titeltrack zu einer gleichnamigen Strömung christlicher Punks in den USA, die organisierte Formen von Religion ablehnen. Er hat in der christlichen Szene einen ähnlichen Stellenwert wie der Song „Straight edge“ von MINOR THREAT für die Straight-Edge-Szene. Im wahren Christentum soll es demnach nicht um Rituale und Regeln gehen, sondern um eine persönliche Beziehung zu Jesus Christus. In den Nuller Jahren gewannen einige Pop-Punk-Bands an Popularität. FM STATIC, RELIENT K und STELLAR KART mit ihrem Hit „Me and Jesus“. Die mir präsenteste aktuelle christliche Band sind FLATFOOT 56, die so etwas wie der Chicago-Version der DROPKICK MURPHYS sind. Gemanaget von Johnny Rioux (STREET DOGS) veröffentlichten sie ihre Platten mittlerweile auch auf nicht explizit christlichen Labels wie das deutsche People Like You oder Paper + Plastick Records aus Gainesville, Florida, das personell mit LESS THAN JAKE verbandelt ist.

Wie bringen Christen Punk/Hardcore und Glauben zusammen?
Einige Protagonist*innen sehen eine Verbindung im Hinterfragen der unkritischen Akzeptanz von sozialen Normen in der Kirche beziehungsweise der Gemeinde. Begründet wird dieser Antiautoritarismus aus der christlichen Lehre des Römerbriefs, der dazu aufruft, sich nicht den gegebenen Regeln dieser Welt anzupassen, sondern sie zu verändern. Damit einher geht der Antikommerzialismus, der auch sinnstiftend für den säkularen Punk/Hardcore ist. In christlicher Lesart geht es dabei aber um den Vorrang geistlicher Gefühle vor finanziellem Erfolg. Hierbei taucht häufiger der Begriff „Anticonformity“ auf, dem Krystal Meyers – eine Art Avril Lavigne des christlichen Pop Punks – sogar einen Song gewidmet hat. Wieder andere verneinen komplett einen Bezug zur säkularen Punk/Hardcore-Szene, da sie diese als zu antireligiös ablehnen. Das Etikett „christlicher Punk“ wird als Widerspruch gesehen. Es handele sich lediglich um eine aggressive Form des christlichen Rock, der sich lediglich in Sound und Habitus an Punkrock anlehnt, aber komplett andere Ursprünge hat.

DIY – Do It Yourself ... mit Gottes Hilfe: Theorie
Insbesondere der Teil der christlichen Punks, der sich von Strukturen wie der CCM abgrenzt, legt Wert auf die gegenseitige Hilfe bei der Selbstorganisation der Szene und dem Aufbau eigener Strukturen wie Labels und Konzertorte. Eine ihrer Hauptgrundsätze ist die Ablehnung des Mainstreams, der Massenkultur der Unternehmen und ihrer Werte. Als Mainstream wird im Gegensatz zur säkularen Szene teilweise auch der politische Liberalismus gezählt. Pro-Life-Statements von Abtreibungsgegner*innen etwa werden in diesem Sinne gegenüber einem liberalen Mainstream genauso gerechtfertigt wie antirassistische und antisexistische Statements gegenüber einem konservativen Mainstream. Ähnlich wie bei den Säkularen gilt DIY als Weg des Widerstands gegen den Ausverkauf des eigenen Musikstils und der eigenen Werte an eine radiofreundliche Musikindustrie. Authentizität, Anti-Establishment – das führt zwangsläufig zu einer eigenen Infrastruktur, um Veröffentlichungen, Vertrieb und Verbreitung des eigenen Outputs an Gleichgesinnte voranzubringen. So entstehen unter anderem christliche Labels.

DIY – Do It Yourself ... mit Gottes Hilfe: Praxis
Tooth & Nail Records aus Seattle entstand Anfang der Neunziger Jahre und stellten sich musikalisch breit auf. Metal, Hardcore und der sich im Entstehen befindende Metalcore christlicher Prägung fanden hier eine Plattform und einen Multiplikator. Mehrere Tooth & Nail-Veröffentlichungen wurden zu Klassikern ihrer Genres und Bands wie LIVING SACRIFICE, STRONGARM, FOCAL POINT und insbesondere ZAO erreichten auch eine größere Aufmerksamkeit und Fanbase außerhalb der christlichen Community. Dieser Erfolg mündete in die Gründung von Solid State Records, die sich mit ihren Veröffentlichungen gänzlich einem Metal(core)-Publikum öffneten. Die ersten Signs auf Solid State erwiesen sich direkt als kommerzielle Zugpferde. UNDEROATH, NORMA JEAN, DEMON HUNTER und AUGUST BURNS RED bespielten bald Festivals aller Art, inklusive der Vans Warped Tour. Charterfolge und Musikpreise folgten. Thumper Punk Records dagegen fokussierte sich ausschließlich auf christliche Punk- und Hardcore-Bands, ohne auf den kommerziellen Durchbruch einiger Zugpferde zu setzen. Der Austausch von Glaubensinhalten stand im Vordergrund. Der Name des Labels kommt von dem abwertenden Begriff „Bible Thumper“ (Bibelfreund) und man verschrieb sich dem Leitsatz „Fight like a man, scriptures in hand!“. Als deutsches Label ist das 1993 gegründete und noch aktive evangelikal ausgerichtete Label Guideline Records aus Karlsruhe zu nennen. Guideline supportet christliche Musik jeglicher Couleur und hat keinen Punk/Hardcore-Schwerpunkt, aber einige dieser Bands im Programm. Die große aktive Zeit der christlichen Punklabels scheint aber ihren Zenit überschritten zu haben. Christliche Bands sind auf sie zugeschnittene Kanäle weniger angewiesen. Je weniger offen der Glaube Thema in der Musik ist, desto mehr wird man auch von nicht christlichen Hörer*innen toleriert und in die Szene integriert. Man kann sich auch auf das Verwenden christlicher Bilder und Symboliken beschränken, was Bands aus dem nicht christlichen Spektrum auch tun. Zudem lösen sich christliche Bands auch teilweise durch Besetzungswechsel von ihrem Markenkern, nicht jeder Posten lässt sich mit einem/einer Glaubensbruder oder -schwester besetzen. Aus christlichen Bands werden dann Bands mit Christ*innen.

Der Überbau: Ideologische Überschneidungen zwischen Christentum und Punk
Wenige christliche Punk- und Hardcore-Bands äußern sich offen politisch in ihren Texten. Insbesondere die kommerziell erfolgreichen Pop-Punk-Bands wie RELIENT K, FM STATIC und MXPX singen (jedoch genretypisch?) wenig über politische Themen. Eine harte Trennlinie zwischen christlichen und nicht-christlichen Bands verläuft entlang von konservativen Ideen und Forderungen. Ein Teil der christlichen so genannten Pro-Life-Bands spricht sich in Songs etwa gegen Abtreibung aus, darunter auch Größen wie DOGWOOD, FLATFOOD 56 und RELIENT K. Andere beziehen sich auf die gleichen ideologischen Grundsätze wie ihre säkularen Pendants.

Anarchismus:
Einige Bands wie die PSALTERS zeigen eine ideologische Nähe zu befreiungstheologischen Grundsätzen und Ideen des Anarcho-Primitivismus. Dabei wird davon ausgegangen, dass der Anarchismus dem Christentum und den Evangelien inhärent ist. Der christliche Anarchismus, der allgemeinhin Autoritäten und Hierarchien ablehnt, erkennt Gott als die einzig wahre Autorität an. Abgeleitet wird der christliche Anarchismus aus der Bergpredigt und der Schrift „Das Reich Gottes ist in euch“ des russischen Schriftstellers Leo Tolstoi. Von Menschen gewählte Regierungen haben daher keine Autorität. Christliche Anarchisten prangern den Staat an, weil sie glauben, er sei gewalttätig, betrügerisch und seine Verherrlichung götzendienerisch. Unter der Herrschaft Gottes seien die menschlichen Beziehungen durch geteilte Autorität, dienende Führung und universelles Mitgefühl gekennzeichnet – nicht durch die hierarchischen, autoritären Strukturen, die normalerweise der religiösen Gesellschaftsordnung zugeschrieben werden. Die meisten christlichen Anarchisten sind Pazifisten und lehnen Krieg und Gewaltanwendung ab, ebenso die offene Konfrontation mit der Staatsgewalt. Wie Tolstoi beruft sich der katholische US-Aktivist Ammon Hennacy etwa auf den christlichen Grundsatz des die andere Wange Hinhaltens. Der christliche Anarchist Alexandre Christoyannopoulos (Loughborough University, UK) empfiehlt zur Schwächung der Staatsgewalt ein Leben in selbstgewählter Armut und damit einhergehenden Senkung seines steuerpflichtigen Einkommens. Damit vermeidet man zugleich, dem schnöden Mammon zu dienen, wie es im Lukas-Evangelium gefordert wird. Der französische Soziologe und Theologe Jacques Ellul sprach sich auch für eine möglichst geringe Teilhabe am Staat aus, um diesen zu schwächen. Auch in guten Zeiten sollte man staatliche Institutionen möglichst wenig unterstützen, um in schlechteren nicht in die Verlegenheit zu kommen, Teil eines Unrechtssystems zu werden. Umstürzlerische Aktivitäten lehnte er aber ab, weil sie den christlichen Grundsätzen der Güte und Vergebung widersprechen. Wenn Gott eine staatliche Autorität zulasse und ertrage, müsse das auch der/die einzelne Christ*in. Andere wie Hennacy oder auch der international tätige Ciaron O’Reilly befürworten im Gegensatz dazu gewaltlosen zivilen Ungehorsam, um staatlicher Unterdrückung entgegenzutreten.

Sozialismus:
Sozialistische Ansätze findet man ebenfalls. CRASHDOG beispielsweise unterstützten auf ihrer Website den späteren Präsidentschaftskandidaten der Grünen Partei der Vereinigten Staaten, Ralph Nader, und verschiedene Menschenrechtsanliegen. Auch ihre Nachfolgeband BALLYDOWSE setzte sich später für Menschenrechte ein. Woher kommt diese Idee? Der christliche Sozialismus proklamiert für sich, linke Wirtschaftsideen mit den Grundlagen der Bibel und der Lehren von Jesus zu verbinden. Viele christliche Sozialisten, unter anderem Frederick James Furnivall (Mitbegründer des Oxford English Dictionary), sind der Ansicht, dass der Kapitalismus götzendienerisch und Ausdruck von menschlicher Gier ist. Beides sind in der christlichen Lehre Todsünden. Daher ist der Kapitalismus per se abzulehnen. Das Prinzip von Angebot und Nachfrage soll zugunsten einer Deckung der Grundbedürfnisse aller Bürger*innen aufgegeben werden. Mittelstandsförderung, Mitbestimmung und Gemeineigentum sind Grundsätze staatlicher Planung und wirtschaftsdemokratischer Lenkung. Die Wirtschafts- und Sozialordnung ist dem Allgemeinwohl verpflichtet, wobei als letztes Mittel auch die Sozialisierung von Großbetrieben in Betracht gezogen wird. Marx und Engels als theoretische Mitbegründer des Kommunismus betrachteten diese Gesellschaftsauffassung übrigens als feudalistischen reaktionären Sozialismus. Aber das dürfte den meisten sozialistischen Punks – auch im Engels-Jubiläumsjahr 2020 – gepflegt am Iro vorbeigehen.

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„JCHC“-Lyrics
von OFFICER NEGATIVE

Living for Christ is what we do
That’s the definition of our hardcore
We don’t need drugs or booze
Christian punks we wont loose
JCHC – Jesus Christ Hardcore
Kick satan in the face
With our steel toe boots
We are in the army of God
With salvation as our roots
JCHC – Jesus Christ Hardcore
We all stand together
Unified by Jesus Christ
Defeating Satan spew
With the word of Jesus Christ