PROPAGANDHI

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Mehr als nur ein Potemkin’sches Dorf

Wer PROPAGANDHI schon etwas länger hört, der weiß, dass man sich zwischen ihren Veröffentlichungen immer auf lange Wartezeiten einstellen kann. Fünf Jahre lagen zwischen „Less Talk, More Rock“ und „Today’s Empires, Tomorrow’s Ashes“, und jetzt, nach weiteren vier Jahren, legen sie mit „Potemkin City Limits“ ihr neuestes Album vor. Man kann aber nicht sagen, dass es in der Zwischenzeit ruhig um die Kanadier gewesen ist. Als Fat Mike 2004 mit seiner „Rock Against Bush“ (und damit Pro-John Kerry)-Compilation und der Website punkvoter.com in den amerikanischen Wahlkampf eingriff, und PROPAGANDHI sich nicht zuletzt wegen der Beteiligung des Multimilliardärs George Soros von dem Projekt ihres Labelchefs distanzierten, schien der Haussegen eine Weile schief zu hängen. Doch am Ende war wohl alles halb so wild, und „Potemkin City Limits“ erscheint wie gewohnt auf Fat Wreck Chords, und es zeigt einmal mehr, warum PROPAGANDHI seit mehr als zehn Jahren als die Protagonisten des politischen Rock gelten. Aus diesem Anlass rief ich Bassisten und Sänger Todd Kowalski im schon winterlichen Winnipeg an, denn PROPAGANDHI haben nach wie vor etwas zu sagen.

Beim ersten Hören hatte ich den Eindruck, dass „Potemkin City Limits“, obwohl melodischer, doch aggressiver als „Today’s Empires, Tomorrow’s Ashes“ klingt, so beispielsweise bei „Rock for sustainable capitalism“. Was für Reaktionen habt ihr speziell auf diesen Song erhalten, vor allem von Mike?

Mike mochte das Lied, aber nicht, dass er darin vorkommt. Vor allem, weil er in einem Atemzug mit RANCID genannt wird. Er sieht NOFX als eine Independent-Band an, aber für uns ist es eine Band, mit der er eine Menge Geld macht, wenn sie auf der Warped Tour auftreten. Im Grunde genommen geht es da um die zitierte NOFX-Textzeile „When did punk rock become so safe?“. Es ist ein wenig seltsam, wenn solch eine Zeile von jemandem kommt, der auf der Warped Tour die safest show spielt, die es jemals gegeben hat. Aber es gibt schon noch einen Unterschied zwischen NOFX und RANCID.

Nun ist Mike ja auch der Inhaber von Fat Wreck Chords, dem Label, bei dem PROPAGANDHI als Gründungsmitglieder bezeichnet werden können. Stand es während der ganzen Geschichte mit der „Rock Against Bush“-Compilation irgendwann einmal zu Disposition, dass ihr weiterhin bei Fat Wreck Chords bleiben werdet?
Eigentlich nicht. Wir kommen gut mit den Leuten von Fat Wreck Chords aus, und sie sind alle sehr nett zu uns und machen einen guten Job. Was die „Rock Against Bush“-Sache angeht: Als wir gesehen haben, welchen Weg die ganze Geschichte genommen hatte, war uns klar geworden, dass wir uns daran nicht beteiligen wollten. Du kannst dir aber sicher sein, dass jetzt alles, was wir auf unserem Album sagen, auch genauso gemeint ist.

Jedenfalls habt ihr im Booklet von „Potemkin City Limits“ das „This record not brought to you by George Soros“ untergebracht. So habt ihr dann doch noch das letzte Wort gehabt.
Ganz genau.

In „Cut into the earth“, einem der Lieder auf der Platte, das du geschrieben und gesungen hast, geht es um Flüchtlinge, die sich auf den gefährlichen Weg ins ersehnte Paradies der westlichen Welt machen. Du schreibst ja auch im Booklet, dass dich Afrika sehr beschäftigt. Verfolgst du im Moment dahingehend irgendwelche Projekte?
Jord arbeitet mit Menschen aus Haiti zusammen, und ich werde in nächster Zeit auch mehr in die Richtung machen. In Winnipeg und Umgebung gibt es viele Menschen aus Somalia, Äthiopien und auch dem Sudan, und mit vielen von ihnen lebe ich im selben Viertel. Ich möchte ihnen bei der Einreise helfen, wenn sie nach Kanada kommen wollen. Viele unserer Mitmenschen reagieren ausfallend und verständnislos, wenn jemand beispielsweise bei uns das erste Mal in einem öffentlichen Bus sitzt und nicht direkt weiß, dass man die gelbe Kordel ziehen muss, damit der Fahrer anhält. Die Menschen können schon sehr intolerant und einfach gemein sein. Wenn sich ein Jugendlicher auf diese Weise von der Gesellschaft ausgeschlossen fühlt, dann empfindet er letzten Endes irgendeine Gang als sein einziges Zuhause. So etwas darf es nicht als einzigen Ausweg für einen Menschen geben. Im Allgemeinen habe ich mir, als ich „Cut into the earth“ geschrieben habe, nur vergegenwärtigt, dass die Europäer mehr Emigranten als alle anderen in die ganze Welt hinausgeschickt haben. Und jetzt regt man sich auf, wenn Menschen aus anderen Ländern zu uns kommen wollen.

Kanada schmückt sich damit, eine multikulturelle Gesellschaft zu sein, und viele bezeichnen sich nicht nur als Kanadier, sondern beispielsweise als Schwedisch-Kanadier oder Holländisch-Kanadier. Hast du den Eindruck, dass das eher oberflächlich gemeint ist?
Ich denke, das kommt unter anderem auch darauf an, wo man lebt. In einem weißen Suburb wird das Multikulturelle natürlich ganz anders wahrgenommen als in den Zentren der Großstädte. Aber die Einzigen, die wirklich schon immer hier waren, sind die Ureinwohner, die so genannten „Aboriginal Canadians“. Außer denen ist jeder irgendwie ein Immigrant, und das vergessen die Menschen schnell. Wenn sich die Europäer Kanada vorstellen, dann denken sie auch an die Ureinwohner, aber hier werden diese und deren Angelegenheiten oft verdrängt.

Was war dein Eindruck während dieser ganzen Live-Aid-Konzertreihe, die vor einiger Zeit laut den Veranstaltern zugunsten Afrikas weltweit veranstaltet wurde?
Ich finde es befremdlich, dass so etwas passiert. Es ist traurig, dass die Bands, und es waren ja eine ganze Menge, die dabei sind, die ganze Thematik zwei Sekunden später wieder vergessen haben. Ich verstehe nicht, wie Leute vorgeben können, bei etwas mit ganzer Leidenschaft dabei zu sein, die dann nur für einen Tag anhält. Und dasselbe gilt für die Zuschauer, die zu diesen Shows hingehen. Dass man so eine Menge Berühmtheiten zusammentrommeln muss, damit man sich die Menschen mal über etwas Gedanken machen, gibt ein armseliges Bild von unserer Kultur ab.

2001 wart ihr auf der „Humanitarian Intervention Tour“ und mit „America’s army“ habt ihr einen Song auf der Platte, der sich auch mit Militarismus beschäftigt. Gleichzeitig erwähnst du Romeo Dalaire und den Völkermord in Ruanda in deinen Linernotes. Was hältst du von Interventionen mit humanitärem Anspruch?
Das ist eine schwierige Frage. Wenn es eine einzige Friedensarmee auf der Welt gäbe, dann würde das Sinn ergeben. Ich denke, dass sich Staaten verteidigen müssen – aber jedes Mal wird irgendeine Fassade aufgebaut, und es werden irgendwelche Gründe für eine Intervention erfunden, dass es so etwas wie die Idee einer humanitären Intervention in der Praxis gar nicht gibt. Wenn ein Staat einen anderen aus legitimen Friedensgründen um Hilfe anruft, dann vielleicht. Doch so etwas passiert ja in Wirklichkeit nicht. Ein Problem ist auch, dass in der Armee des intervenierenden Landes mitunter Leute sind, die sich falsch verhalten. So haben beispielsweise irgendwelche Nazis in der kanadischen Armee während ihrer Friedensmission in Somalia einheimische Kinder gefoltert. Solche Leute auf eine humanitäre Mission zu schicken, macht wohl wenig Sinn.

In „Speculative fiction“ erwähnt ihr die Schlacht von 1812, in der die amerikanischen Truppen von der britischen Armee, die zu einem großen Teil aus kanadischen Milizen bestand, geschlagen wurden. Ist es manchmal ein Reflex, Imperialismus mit einer Art „counter-nationalism“ zu begegnen?
Nun, der Song ist aus dem Blickwinkel eines Kanadiers geschrieben, der die amerikanische Übermacht ablehnt und irgendwie bekriegt, aber gleichzeitig an all den falschen Nationalismus glaubt, den Kanada die ganze Zeit produziert. Aber ich stimme dir zu, es ist ein Dilemma, einerseits mit anzusehen, dass in Kanada alles von den USA überrannt wird, und gleichzeitig Nationalismus abzulehnen. Wenn die Amerikaner wollen, dann können sie unter dem Deckmantel des freien Handels mit Kanada machen, was ihnen gerade einfällt, beispielsweise bei der gesamten Wasserproblematik.

Denkst du, dass die Politik, so wie wir sie aus unserem System kennen, in der Lage ist, etwas zum Positiven zu verändern? Die Green Party in Kanada, beispielsweise, ist ja momentan ein wenig im Aufwind, und einige Menschen haben die Hoffnung, dass man so etwas bewegen könnte.
Meiner Meinung nach muss man versuchen, in vielen kleinen Schritten etwas zu bewegen. Die Mechanismen, die unsere Welt am Laufen halten, sind unvorstellbar, und jeder ist in ihnen gefangen. Man möchte ja nicht den totalen Kollaps, der zwar eine Option ist, aber eine sehr gefährliche, wenn man sich anschaut, wie bedrohlich die Lage in den „failed states“ wie Somalia und Ruanda ist. Die Welt ist so grässlich, dass es einem manchmal Angst macht.

In deinen Linernotes schreibst du, dass man niemals aufgeben soll, so hoffnungslos die Situation auch manchmal ist.
Man muss immer die Menschen im Hinterkopf behalten, denen es nicht so gut geht wie uns. Es wäre leicht für mich, hier auf meiner Couch zu sitzen, mich mit dir zu unterhalten und zu sagen: „Das war’s, ich gebe auf und mach nur noch, was mir Spaß macht.“ Ich bin nicht in der Situation, dass ich unendlicher Hitze ausgeliefert bin, mein Körper vor Durst austrocknet und ich jeden Augenblick sterben werde.

Was denkst du ist der beste Weg, den man gehen kann, um die Welt zum Besseren zu verändern?
Es gibt eine Menge Mittel und Wege. Ich tue einfach das Beste, was ich kann in meinem eigenen Leben und Umfeld. So kann man beispielsweise sein Geld nur dort ausgeben, wo man auch denkt, dass es hingehen sollte. Ich stelle immer sicher, dass ich meine Meinung immer öffentlich vertrete, und das Mittel dazu ist die Musik. Dadurch habe ich die Möglichkeit, mich vielen Menschen mitzuteilen, und dadurch dass du mich anrufst und wir darüber sprechen, können wir unseren Teil dazu beitragen.

Auf eurer Homepage finden sich unter „Real News“ die Nachrichten aus den Krisengebieten. Was hältst du von der Berichterstattung in den kanadischen Medien?
Ich finde CBC, die Canadian Broadcast Corporation, ist ein ganz guter Sender. Ansonsten denke ich, dass wir in Nordamerika auf einer Insel leben. Die schlimmsten Sachen geschehen auf der Welt, und keinen interessiert es. Gerade habe ich wieder im Radio gehört, dass das Leben von mehreren Millionen Menschen in Afrika durch Hunger bedroht ist. Das sind verdammt viel mehr Menschen als im World Trade Center waren, und das wird noch nicht mal irgendwo in den Nachrichten registriert.

Was macht ihr, wenn ihr nicht gerade im Studio oder auf Tour seid?
Chris kümmert sich um sein Label G7 und Jord arbeitet beim Haiti Action Network. Wir beteiligen uns auch an politischen Protesten und machen Benefizveranstaltungen. Ich habe in der Vergangenheit die meiste Zeit viel gemalt und gezeichnet und Kampfsport gemacht.

Im Booklet und auf eurer Homepage steht, dass Chris Hannah von einem gewissen Glen Lambert in der Band abgelöst wurde. Allerdings merkt man schon beim ersten Lied, dass es nach wie vor Chris ist, der da singt.
Nun, Chris beschreibt es als „die kleinen Sachen im Leben, die ihn glücklich machen“. Er wollte wohl nur ein paar Leute verwirren.