PRETTY GIRLS MAKE GRAVES

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Something bigger, something brighter

Schwer zu sagen, ob nun "The New Romance" der große Wurf war oder "Élan Vital". Ersteres Album aus dem Jahr 2003 markierte in betörend intelligenter Manier die Abkehr vom wüsten Sound, der sich durch die Vergangenheit einzelner Mitglieder bei Bands wie den MURDER CITY DEVILS oder den DEATH WISH KIDS erklärte. Die Entwicklung hin zu Letzterem wiederum war eher subtil. Einerseits lässt sie sich sicher durch den Ausstieg von Gitarrist Nathan Thelen begründen, schließlich ersetzt durch ein anderes Instrument, nämlich ein Keyboard, gespielt von Leona Marrs, ex-HINT HINT. Andererseits ist es womöglich die altersbedingt eher gesetzte Weiterentwicklung, die naturgemäß nicht mehr ganz so offensichtlich ausgefallen ist. Die Pretty Girls haben sich nämlich tatsächlich eine eigene Schublade geschaffen. Durch ihre Auffassung von Musik, ihre eigenwilligen Rhythmen und Melodien sind sie unverwechselbar und unkopierbar, wobei sie ihren Stil eigentlich von Album zu Album nur noch verfeinern können. PRETTY GIRLS MAKE GRAVES müssten eine große Rockband sein, werden aber wohl ihres Anspruchs wegen immer der hoch gelobte Geheimtipp bleiben. Nachdem sich die Band in Deutschland lange Zeit rar gemacht hatte, war ich froh, dass sie sich mal wieder in meiner Nähe blicken ließ. Trotz der auffälligen Ungeduld des Veranstalters, einem namhaften Musikmagazin, im Umgang mit Interviewern von der Konkurrenz, konnte ich mich im Dortmunder Soundgarden mit Schlagzeuger Nick Dewitt und Keyboarderin Leona im üppigen Backstagebereich unterhalten. Unter der Voraussetzung, dass ich die Finger vom Catering lasse ...


Warum habt ihr, nachdem euer letztes Album "The New Romance" so erfolgreich war, dann nicht schneller ein neues nachgeschoben?

Nick: Wir mochten die erste Version nicht, wir fanden, dass wir besser nichts veröffentlichen, was wir selbst nicht mögen. Der größte Faktor war allerdings Leona, die neu zur Band gestoßen ist. Wir haben sie in diese wirklich beschissene Position gebracht, indem wir sagten, hier sind die fertigen Songs, jetzt schreib mal deine Parts dazu.

Leona: Die Band gab mir eine CD mit ihren Songs, kurz bevor sie für einen Monat auf Tour ging. Das hörte sich für mich nach einer Menge Spaß an. Bei manchen der Songs allerdings war ich mir wirklich nicht sicher, was ich daraus machen sollte, das hat die Sache sehr verzögert. Dazu kamen die üblichen Probleme, im Studio zum Beispiel ...

Was könnt ihr mir über das Artwork sagen und über den Titel "Élan Vital"? Das Cover zumindest fand ich ähnlich merkwürdig wie das Pferdeauge, das ihr für den Vorgänger verwendet habt ...

Leona: Der Titel stammt von mir. Ich habe ihn aus dem Buch "Don't Be Nice, Be Real" von Kelly Bryson, das solltest du wirklich mal lesen. Jedenfalls lässt Bryson diesen Ausdruck gelegentlich fallen im Zusammenhang mit dem Unterschied zwischen leblosen und lebenden Objekten. Ich habe mich weiter damit beschäftigt und konnte dann rechtfertigen, warum ich diese Wendung als Titel für das Album haben wollte. Für mich hat er eine besondere Bedeutung, ich finde, das, was dahinter steckt, lässt sich gut übertragen auf die Arbeit in der Band, den Aufnahmeprozess. Auf der anderen Seite bleibt er natürlich sehr vage und jeder kann sich seine eigenen Gedanken drüber machen.

Nick: Das Artwork wiederum kommt von einem Bild, das ich in einem Ramschladen in den Staaten gekauft habe. Derek, unser Bassist, hat es irgendwann gesehen und wollte es als Cover haben. Wir haben den Typen ausfindig gemacht, der es gemalt hat, und ihm die Rechte abgekauft. Es sticht einfach ins Auge, man schaut es an und ist sofort gefangen. Das ist der Grund, weshalb wir es genommen haben, über seine Bedeutung machen wir uns keine Gedanken.

Vor ein paar Jahren habe ich euch gefragt, warum ihr meint, dass euer neues Album das bisher beste ist. Ich finde diese Frage auch diesmal wieder angemessen, gerade nachdem ihr meintet, die erste Version habe euch nicht gefallen.

Nick: Wir hatten Zeit, um uns an das Arbeiten miteinander zu gewöhnen, an das neue aufregende Klangelement, die völlig neue Persönlichkeit und an die Möglichkeiten, die uns dadurch geboten wurden. Natürlich sind wir alle älter geworden, unsere Geschmäcker haben sich verändert ...

Leona: Ich denke, man empfindet wahrscheinlich jedes neue Album als das beste bisher, so sollte es ja auch sein.

Nick: Richtig, aber es dauert eben ein paar Monate, in denen man die neuen Songs spielt, damit man auf sie zurückblicken und sie richtig einschätzen kann. Erst dann ist man richtig vertraut mit ihnen, ist richtig begeistert und möchte daraufhin wieder neue Songs schreiben.

Nick, du hast damals erzählt, die Arbeit an "The New Romance" hätte viele Konflikte innerhalb der Band verursacht. Jetzt ist die Zusammenstellung anders. Hat sich dadurch eure Arbeit verändert?

Nick: Diesmal war es sehr entspannt.

Leona: Ja, keine Kämpfe.

Nick: Möglicherweise hätten wir uns gestritten, wenn Leona nicht da gewesen wäre. Es ist merkwürdig. Ich habe einfach zuviel Respekt vor ihr, um mich in ihrer Gegenwart unmöglich aufzuführen.

Leona: Stimmt, ihr Leute habt eine lange Beziehung zueinander, aber wahrscheinlich habt ihr euch ein paar Dinge verkniffen, die ihr einander normalerweise gesagt hättet, einfach weil ihr mich noch nicht so gut kanntet. Vielleicht hat das geholfen, ich hoffe es.

Nick: Ja, aber beim nächsten Mal legen wir wieder los. Schließlich kennen wir uns dann, haha.

Okay, ich frag dann wieder nach ... Was die bisherigen Alben angeht, habe ich den Eindruck, dass sie immer ruhiger werden. Eine Frage des Alters?

Nick: Als wir die Band gestartet haben, war ich 22. Die Musik, die wir damals gemacht haben, fühlte sich so an, als hätte sie seit Jahren in uns geschlummert. Rückblickend bin ich aber doch überrascht von der Energie, denn die Songs hörten sich so an, als wären wir noch viel jünger gewesen. Mittlerweile gibt es so viele andere Möglichkeiten, wie ich Musik spielen will, vermutlich hat es sich eben einfach auf diese Weise auf unsere Musik niedergeschlagen. Es ist wahr, man beruhigt sich ein wenig im Alter. Das heißt nicht unbedingt, dass man leiser wird. Gerade auf der Bühne sieht man, dass es nicht so sein muss, da sind wir immer noch ziemlich laut, wenn auch nicht mehr ganz so chaotisch. Wir versuchen einfach nicht mehr, uns gegenseitig zu übertrumpfen, sondern nehmen uns auch mal zurück.

Seid ihr denn möglicherweise auch auf der Suche nach einer neuen Zielgruppe?

Leona: Nein, das war nicht beabsichtigt.

Nick: Wir haben uns nie hingesetzt und gesagt, wir bräuchten ein neues Publikum ...

Leona: ... und scheiß aufs alte, haha.

Nick: Im Ernst, ich denke, das ist der natürliche Gang.

Leona: Und wir sind uns auch bewusst, dass sich die Dinge verändern.

Wie genau bist du in die Band gekommen, Leona?

Leona: Seattle ist klein, jeder kennt jeden. Meine alte Band HINT HINT war auf Dereks Plattenlabel namens Cold Crush Records, irgendwann habe ich auch mit Andrea Zollo, der Sängerin, zusammengearbeitet und sie besser kennen gelernt, danach die ganze Band. Unsere Bands haben sich angefreundet, wir sind zusammen getourt und so weiter. HINT HINT haben sich dann vor einiger Zeit aufgelöst, und so kommt es, dass ich nun bei den Pretty Girls spiele.

Ihr wart in den letzten Jahren ständig auf Tour, kaum zu Hause. Könnt ihr euch gegenseitig überhaupt noch ausstehen?

Leona: Wir hassen uns, haha.

Nick: Man lebt halt zusammen wie in einer Familie, nur dass wir in einem kleinen Van aufeinander hocken. Es war lange Zeit nicht leicht, gerade am Anfang, als wir die Band gerade erst gegründet hatten und uns noch nicht so gut kannten. Wenn sich zum Beispiel jemand die Fußnägel direkt neben dir schneidet, dann kann das schon nerven, derjenige versteht es aber nicht und so weiter. Das braucht dann seine Zeit, bis man sich aufeinander eingestellt hat. Mittlerweile läuft es aber super. Leona ist eine großartige Vermittlerin, sehr umgänglich und sie bezeichnet sich selbst als Kapitän der Band.

Leona: Ich bin eher die gute Seele.

Nick: Oder so. Und nur deshalb ist sie dabei, haha.

Und was hat sich für euch dadurch verändert, dass ihr im Laufe der Jahre auf immer größeren Labels gelandet seid?

Nick: Matador ist ja keines von den ganz großen Labels, technisch gesehen, und meinem Verständnis nach führen sie sich auch nicht auf wie ein Majorlabel. Wir hängen mit ihnen rum, sie behandeln uns nicht wie ein Produkt beziehungsweise die Schöpfer eines Produktes. Sie sind eben Fans, sogar Freunde. Ich meine, wenn PGMG sich auflösen würden und ich in New York vor ihrer Tür stehen würde, dann würden sie mich sofort auf einen Burger einladen. Ich würde sagen, sie sind ein Major-Indielabel.

Leona: Das ist ein wichtiger Unterschied.

Na gut, darauf können wir uns einigen. Nathan, der Gitarrist und ein Gründungsmitglied, hat die Band verlassen. Warum?

Nick: Er hat jetzt ein Kind. Es hat ihn sehr geschmerzt, dass er nicht bei ihm sein konnte, ganz besonders in den ersten Monaten nach der Geburt. Nathan hat sich auf Tour miserabel gefühlt, nachdem seine Tochter geboren wurde, und deshalb konnte er nicht weitermachen.

Was ist in der Band passiert, nachdem er gegangen ist? Habt ihr ans Aufhören gedacht?

Nick: Nein. Wir haben sofort angefangen, mit anderen Leuten zu spielen, Seth Jabour von LES SAVY FAV hat zum Beispiel an der zweiten Gitarre ausgeholfen, was sehr gut funktioniert hat. Nach einer Weile haben wir aber beschlossen, dass wir nicht mehr mit zwei Gitarristen spielen, sondern eine neue Richtung einschlagen wollten, unserem Sound einen neuen Anstrich geben. Wir haben uns dann sofort nach jemandem umgeschaut, der Keyboard spielt. Die Entscheidung, die Gitarre gegen ein Keyboard zu tauschen, war tatsächlich eine bewusste.

Ihr habt mal gesagt, der Song "Parade" sei anders als alles, was ihr bisher gemacht habt. Wie war das gemeint?

Nick: Wie ich eben sagte, stoßen in der Band so viele Ideen aufeinander, so viele Dinge, die wir mal ausprobieren wollen. Davon geht viel daneben, aber das ist unsere Arbeitsweise - Versuch und Irrtum. Gleichzeitig versuchen wir immer, normale Schemata und Rhythmen aufzubrechen, und bei diesem Song ist uns das besonders gut gelungen.

Leona: Da spielen wir mit zwei Schlagzeugern und ohne Gitarre. Derek spielt nämlich auch ziemlich gut Schlagzeug.