Mein erstes POTHEAD-Konzert sah ich Anfang der Neunziger in einem besetzten Haus in Kreuzberg: Langhaarige Typen spielten in einer von Hasch-Schwaden vernebelten Bruchbude unglaublich brachialen, fetten Rock und faselten zwischendurch irgendwas von Seattle. Da kommen Jeff Dope und Brad auch her, aber irgendwie waren sie in der frisch von der Mauer befreiten, zukünftigen Hauptstadt gestrandet, und der Grunge-Orkan war auch noch nicht über ihre Heimatstadt hinweggefegt. Über zehn Jahre (und bald zehn Alben!) später, in denen sich unsere Wege immer wieder kreuzten, haben sich Jeff und Brad nebst ihrem Ex-Sauerländer Drummer Sebastian auf Dauer in Berlin eingerichtet, und es war längst mal wieder an der Zeit, mit den Jungs ein paar Takte zu plaudern. So geschehen Anfang Oktober im Kreuzberger Band-HQ – Studio und Janitor Records-Labelbüro in einem –, denn nach diversen schmerzhaften Erfahrungen mit der Musikindustrie sind POTHEAD heute vor allem eines: D.I.Y. as fuck. Anwesend: Jeff Dope, Brad und Band-Mama/Managerin Siggi.
Gebt mir mal ein kleines Update, was die letzten Jahre so passiert ist. Als wir das letzte Mal sprachen, wart ihr beispielsweise noch bei einem großen Label unter Vertrag.
Brad: „Na ja, als wir von unserem zweiten Label gekickt worden waren, haben wir einfach überlegt, was wir für Möglichkeiten haben, und da die Labels auch nicht gerade Schlange standen, entschieden wir uns dafür, es alleine zu versuchen. Ein paar Labeltypen zeigten noch Interesse, aber da kam dann ein Kommentar, wie dass wir ja froh sein könnten, dass unser Publikum besoffen sei. Wir hielten das für ein nettes Kompliment und fühlten uns in unserer ‚Fuck You!‘-Attitüde nur bestätigt. Wir hatten vorher ja schon Orangehaus als unser eigenes Label, aber wegen rechtlicher Probleme bekam das neue Ding den Namen Janitor. Das ist ja schon ein paar Jahre her, das Internet wurde gerade erst populär, und wir dachten uns, wir sollten unsere Erfahrung irgendwie nutzen. Und so fingen wir an, unsere erste Website zu bauen, brachten uns alles selbst bei, richteten unseren Webshop ein und merkten schnell, dass das ganz schön viel Arbeit bedeutet, die wir am Besten selbst aus dem eigenen Büro erledigen. Und so kam eins zum anderen und wir haben heute hier unser Studio und unser Büro – und die Post um die Ecke.“
Das klingt, als ob ihr ein Buch zum Thema „How to successfully promote your band over the internet“ schreiben könntet.
Brad: „Oh ja, diese Bücher sind grandios. Ich schätze, wir wären nicht die schlechtesten Autoren für so was.“
Jeff: „Als wir vor ein paar Jahren unser eigenes Label gründeten, wunderte es mich, dass nicht jede Band so verfuhr. Denn jede Band, die sich etwas anstrengt, kann so zehnmal so viel an ihrer Musik verdienen – und vor allem die lästigen Musikindustrie-Typen loswerden, über die seit Ewigkeiten gemeckert wird.“
Brad: „Alle meckern immer über diese großen Labels, die Musiker, die Fans, doch keiner zieht die Konsequenzen. Man bekommt sie doch ständig mit, Geschichten wie die der ISLEY BROTHERS, die kaum mal einen Dollar für ihre Musik gesehen haben, weil sie so abgezockt wurden. Oder lies mal, was Steve Albini so über die Musikindustrie erzählt, das ist höchst interessant. Der sagt unter anderem, dass ein Vertrag immer die stärkere Partei bevorteilt.“
So ein Vertrag hat doch nur Gültigkeit, so lange sich beide Seiten daran gebunden fühlen, und danach ist es eine Frage des Geldes: Wer kann einen Anwalt bezahlen und einen Prozess riskieren?
Brad: „Exakt. Bei uns war das so, dass die uns den vertraglich zugesagten Tour-Support nicht geben wollten, und als wir auf den Vertrag verwiesen, hieß es nur ‚Ja, und ...?‘ Mich erinnert das an dieses alte Video von DEVO, wo der Sänger mit dem klischeehaften Plattenboss diskutiert und argumentiert, man hätte doch schon tausende Platten verkauft und so. Worauf der Plattenboss antwortet: ‚Thousands? We don‘t deal in thousands, we deal in tonnage.‘ Das sagt so ungefähr alles.“
Bislang klingt das ja alles super, so mit dem eigenen Studio und so. Gibt es auch eine negative Seite?
Brad: „Eigentlich nicht. Wir haben keine große Veränderung festgestellt, außer dass alles etwas besser geworden ist – und vor allem keine blöden Diskussionen mehr mit irgendwelchen Labels über so Details wie ein Foto-Shooting auf Malta, das 70.000 Mark kosten soll. Das Licht sei da besser ...“
Jeff: „Das waren die gleichen Leute, die sich verweigerten, als es um 20.000 Mark als Tour-Support ging, was doch viel mehr Sinn macht. Die fingen dann an, das persönlich zu nehmen, und dann ging es los mit gegenseitigen Drohungen auf dem Anrufbeantworter, und das war es dann.“
Siggi: „Es gab da einen Vorfall mit der Person, die für uns zuständig war. Die sollte sich neue Aufnahmen anhören, übers Wochenende, es musste schnell gehen. Und dann kam da der Satz ‚Was? Ich soll mir in meiner Freizeit Musik anhören? Ich hasse es, am Wochenende Musik hören zu müssen!‘ Dazu fiel uns dann nichts mehr ein.“
Wie schafft man es denn, als auf sich alleine gestellte Bands auf sich aufmerksam zu machen? Ein großes Label hat da doch ganz andere Möglichkeiten.
Brad: „Wir hatten von Anfang an ein sehr treues Publikum, von daher war das nie ein Problem von uns. Es gibt für mich zwei Modelle, wie eine Band erfolgreich sein kann: Stell dir eine Pyramide vor, die hat eine ganz breite Basis, und so muss man sich seinen Erfolg aufbauen, langsam und Stück für Stück, und dann ist die ganze Sache auch sehr stabil. Das Gegenmodell ist eine auf der Spitze stehende Pyramide – völlig instabil, das kippt ganz schnell. Dazu kommt, dass es für größere Labels schwer ist, auf Dauer den ganzen Apparat zu finanzieren. Wir haben weniger Geld und Arbeitskraft zur Verfügung, also geht alles etwas langsamer, wir können es uns nicht leisten, ein Video zu drehen und so, aber egal, wir tun unser Bestes, spielen viel live und werden sie durch Mund-zu-Mund-Propaganda bekannter. Wo vor ein paar Jahren nur 20 Leute zu den Konzerten kamen, sind es heute hunderte, und wir buchen die Shows selbst, so müssen wir niemand dafür bezahlen.“
Jeff: „Wer immer für dich arbeitet, achtet darauf, dass er erstmal seinen Schnitt macht. Das läuft immer nach dem Prinzip ‚Ich brauche meinen Anteil, ich habe Frau und Kind zu ernähren. Ihr seid doch nur ein paar faule Musiker, seid froh, dass ihr mich habt.‘ Und dann gehst du mal wieder leer aus.“
Kam euch mal die Idee, mit eurer Erfahrung aus Janitor ein richtiges Label zu machen und auch andere Bands zu veröffentlichen?
Brad: „Ja, wir arbeiten derzeit im Studio mit einer coolen Berliner Band namens ABEUEDA – der Name ist übrigens zusammengesetzt aus denen von zwei japanischen Motorrad-Rennfahrern. Das wird die erste Nicht-POTHEAD-Veröffentlichung auf Janitor, und wenn das läuft und wir das Geld dafür haben, wollen wir auch mit anderen Bands was machen. ABEUDA haben so ein bisschen Stoner-Rock im Sound, aber auch punkige Elemente, etwas KYUSS trifft auf poppige Elemente, aber dabei sind sie rauh und nicht poliert.“
Apropos Stoner-Rock: Ihr habt Grunge überlebt, ihr habt Stoner-Rock überlebt, obwohl man eure Musik zur Hoch-Zeit des jeweiligen Genres auch in diese Kategorie hätte packen können, wobei ihr aber immer nur euren eigenen Sound gemacht habt.
Brad: „Aus irgendeiner Szene irgendwo wird sicher ein neuer Begriff auftauchen, so viel ist sicher. Dabei war schon der Begriff ‚Stoner-Rock‘ sehr witzig, wenn auch nicht so witzig wie ‚Grunge‘. Irgendwie mögen die uns aber nie in diesen Szenen, wir durften nie zur Stoner-Rock-Szene dazugehören. Ich dachte ja auch, diese ganze Hanf-Szene, dazu würden wir doch perfekt passen ... Aber die mögen wohl eine Band nicht, die POTHEAD heißt, warum auch immer. Vielleicht ist der Name zu offensichtlich, haha.“
Wie sieht‘s mit einer neuen Platte aus?
Brad: „Wir arbeiten dran. An Nummer 10 – die Live-CD zählt ja nicht so richtig. Zumindest habe ich das festgestellt, wenn ich auf die Websites anderer Bands gegangen bin und dort die Biographien durchgelesen habe. Und noch was ist mir da aufgefallen: Nur bei wenigen Bands findest du auf der Website wirklich Musik, dabei geht es doch genau darum. Und so haben wir uns bewusst dafür entschieden, auf unserer Website möglichst viele Songs – über 50 – zum kostenlosen Download anzubieten. Wir finden es gut, dass die Leute uns so kennen lernen können.“
Siggi: „Und die kaufen trotzdem noch unsere CDs!“
Es gibt genug Leute im Musik-Biz, die das bezweifeln.
Brad: „Also ich finde es erstaunlich, dass Menschen für Downloads pro Song 99 Cent bezahlen – das ist bizarr. Meiner Meinung nach sollte Rockmusik wie traditionelle Volksmusik auch Allgemeingut sein, an dem niemand Rechte hat. Und ich denke, wir werden an den Punkt kommen, an dem nur noch ein paar Traditionalisten wirklich Musik physisch in Form von Vinyl-Schallplatten besitzen. Aber es ist schwer, da eine Vorhersage zu machen.“
Jeff: „Ich sehe das ähnlich. Mit dem CD-Verkauf kannst du nicht viel Geld verdienen, das weiß ich heute aus eigener Erfahrung. Es sind die Konzerte, die dir das Überleben sichern.“
Wie viele Marshalls habt ihr derzeit auf der Bühne? Ich erinnere mich an eine obszöne Wand von Verstärkern ...
Brad: „Haha, das war mal: Wir sind in letzter Zeit nicht mehr mit so einer großen Crew unterwegs und müssen jetzt alles selbst schleppen, so dass wir jetzt jeder nur noch einen Verstärker haben. Die Dinger sind ja doch ganz schön schwer, wenn man sie jeden Tag ein- und ausladen muss, hahaha. Ich hatte zuvor drei dicke Dinger, und das hatte was damit zu tun, dass bei einem frühen Konzert mir Freunde sagten, der Sound sei schrecklich gewesen. Und so baute ich mir meinen eigenen Sound, der war so laut, da spielte es keine Rolle, was der Typ am Mischpult anstellte. Ich merkte aber auch, dass sich direkt vor mir bis zum hinteren Ende des Clubs regelmäßig eine Gasse bildete ... Da stellte ich mir dann die Frage, ob ich vielleicht etwas zu laut bin.“
Jeff: „Es war auf Dauer einfach unangenehm, während des ganzen Auftritts zu vibrieren: Meine Zähne, meine Knochen, alles vibrierte, so laut waren wir.“
Brad: „Oder einmal in Salzwedel: Sebastian beim Kickdrum-Soundscheck. Bei jedem Kick blies er eine Scheibe raus! Und von der Decke lösten sich Verkleidungsplatten, hahaha.“
Euer letztes Album fiel etwas anders aus als die davor. Ganz klar POTHEAD, aber doch irgendwie reduzierter. Wie kam das?
Brad: „Wir wollten mehr so klingen, wie wir live spielen. Wir sind eben nur ein Trio, und im Studio wurde da vorher viel mit Overdubs gearbeitet, was sich live nicht umsetzen ließ. Also fiel das letzte Album etwas roher aus als die davor. Wir haben einfach viel gelernt, was Aufnahmen und Produzieren anbelangt.“
Jeff: „Wir hatten das zuvor schon mehrfach versucht, ließen uns dann von den Möglichkeiten im Studio immer wieder verführen.“
Brad: „Das ist im Studio wie beim Töpfern: Wenn du da den Lehmbatzen falsch auf die Scheibe wirfst, dann bekommst du nie ein schönes Gefäß hin und musst mit Dekor und Glasur versuchen, noch was zu retten. So ist das auch beim Aufnehmen. Ganz früher war ich mal ein begeisterter Töpfer, hatte sogar eine eigene Scheibe.“
DAHER kommt also der Name POTHEAD!
Brad: „Natürlich! Deshalb ärgert es mich auch immer so, wenn uns Leute mit diesem teuflischen Kraut in Verbindung bringen.“
Und dann ist das sicher auch ein Missverständnis mit Jeffs Nachname: Woher kommt Dope?
Jeff: „Meine Vorfahren kommen aus Frankreich und hießen Le Dopier – was die Amerikaner nicht aussprechen konnten. Und so wurde Dope daraus.“
Brad, Jeff, Siggi – ich danke euch für das Interview.
Foto: Andreas Torneberg
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