PLEASURE DOME

Foto© by Joshua Wood

Therapiestunde auf Vinyl

In den 1990er Jahren stand Bristol für düstereren TripHop-Sound mit Akteuren wie MASSIVE ATTACK, PORTISHEAD oder Tricky. Inzwischen haben die Gitarren in der Stadt das Kommando übernommen. Allen voran IDLES, die vor acht Jahren den Post-Punk-Hype gezündet haben. Inzwischen bekommt eine andere Band aus der englischen Hafenstadt immer mehr Aufmerksamkeit: THE PLEASURE DOME. Schroffe Sounds wie IDLES, kaputte Melodien wie NIRVANA. Sehr persönliche Songs, in denen Sänger Bobby Spender seine Hörer mitnimmt auf eine Reise durch die Höhen und Tiefen seines Lebens. Den bitteren Alltag als Straßenkind, Probleme mit Sucht und unglückliche Beziehungskisten. Gerade einmal sechs Monate nach dem hochgelobten Debütalbum „Equinox“ erschien jetzt via Hound Gawd! eine neue EP namens „Liminal Space“.

Bei euch geht es Schlag auf Schlag. Album und EP sind nur ein halbes Jahr auseinander. Haben die Songs eine Verbindung?

Die Songs sind getrennt voneinander entstanden, aber es gibt trotzdem eine Verbindung. „Equinox“ haben wir im Februar 2023 aufgenommen. Veröffentlicht wurde das Album im September 2023. In diesem Zeitraum sind die Songs für die EP entstanden. Als wir mit „Equinox“ auf Tour gegangen sind, waren alle Songs von „Liminal Space“ schon Teil unseres Sets. Dann gab es einen Wechsel im Line-up, weil unser alter Drummer beschlossen hat, die Band zu verlassen. Es hat sich deshalb so angefühlt, als würden diese Songs für sich allein stehen und nicht als ein Anfang für das zweite Album. Ich betrachte diese Stücke eher als Ergänzung zum Debütalbum. Wie eine Reaktion auf „Equinox“. Sie haben mehr Melodie, sind teilweise heavier, aber auch ausgefeilter. Die EP klingt also ganz anders als das Album, aber sie haben eine gemeinsame Entstehungsgeschichte.

Deine Texte sind sehr persönlich. Du hast eine harte Zeit durchgemacht, als die Songs entstanden sind. Kannst du mir einen kleinen Einblick geben?
Die Band hat sich komplett verändert. Ich bin durch eine Zwangsräumung aus meiner Wohnung geflogen, in der ich sechs oder sieben Jahre lang gelebt habe. Gleichzeitig ist eine Beziehung in die Brüche gegangen. All diese Dinge sind in kürzester Zeit passiert. Es gab also viele Veränderungen in meinem Leben und es fühlte sich wie das Ende eines Kapitels an. Deshalb habe ich die EP auch „Liminal Space“ genannt. Also der Lebensabschnitt, der damit zu Ende gegangen ist. Die Veröffentlichung war wie ein Neustart für die Band und für mich. Mit dem letzten Song „Suicide“ gibt es einen sehr persönlichen Song auf der EP, der sich auf ein Gespräch mit meiner Partnerin bezieht, die einen Selbstmordversuch unternommen hat. Ich habe das selbst schon einige Male durchgemacht. Zum ersten Mal habe ich im Alter von neun Jahren versucht, mich umzubringen. Deshalb beschreibe ich in dem Song die Verbindung zu einem Menschen, der Ähnliches durchgemacht hat. Als eine Art Botschaft der Unterstützung. Jeder Song auf der EP ist extrem persönlich. Vor ein paar Jahren habe ich die bewusste Entscheidung getroffen, keine politischen Texte mehr zu schreiben. Ich hatte einfach das Gefühl, dass ich meine linken und sozialistischen Überzeugungen nur mit Menschen teile, die sowieso der gleichen Meinung sind. Ich hatte nicht das Gefühl, dass meine Texte irgendetwas bewirken. Deshalb habe ich mir überlegt, dass ich von den Schwierigkeiten in meinem Privatleben berichte. Vielleicht können sich die Menschen da draußen damit besser identifizieren, anstatt ihnen zu erzählen, dass die Regierung schlecht ist, das weiß sowieso schon jeder. Damit erzähle ich nichts Neues. Meine persönlichen Geschichten können vielleicht jemandem helfen, der Probleme mit der psychischen Gesundheit oder Drogenmissbrauch hat.

Du machst dich dadurch sehr verletzlich. Ist das kein Problem für dich?
Damit komme ich gut klar. Ich habe lange damit zu kämpfen gehabt, wie sich das anfühlt. Es gibt immer noch Dinge, die mir passiert sind, bei denen mir bisher die Kraft dazu fehlt, sie in Songs zu verarbeiten. Das wird aber noch kommen, wenn ich genug Selbstvertrauen dazu habe. Manche Leute fragen mich, ob es Teil des Heilungsprozesses ist, wenn ich diese Songs singe. Das ist es nicht. Ich werde daran erinnert, jeden Abend, wenn ich auf die Bühne gehe. Ich mache das, weil ich glaube, dass Musik eine wichtige Botschaft transportieren kann. Der Ausdruck meiner Verletzlichkeit ist meine Botschaft an die Leute, die sich damit identifizieren können. Wenn ich eine Geschichte in einen Song packe, erreiche ich damit Menschen in anderen Ländern, übers Radio hören das sogar Leute an Orten, an denen ich niemals war. Deshalb ist es so wichtig, über die Schwierigkeiten zu sprechen, die wir alle im Leben haben. Damit viele andere aus diesen schlechten Erfahrungen lernen können.

Bekommst du direktes Feedback auf deine Songs?
Mich sprechen immer wieder Leute an, die selbst oder deren Freunde psychische Probleme haben. Die sind für jeden Ratschlag dankbar und strecken ihre Hände nach jeder Hilfestellung aus. Jeder interpretiert meine Texte auf seine eigene Art. Manchmal geht die eigentliche Botschaft auch dadurch verloren, aber die Leute finden dann oft eine andere Bedeutung in meinen Worten und das ist auch okay für mich. Einige Zeilen sind einfach auch zu mysteriös, um voll verstanden zu werden, denke ich, haha.

Lass uns über die erste Single der EP reden. Die heißt „Your fucking smile“. Wessen Lächeln nervt dich so?
Das beschreibt eine Frau, mit der ich ausgegangen bin, die ein bezauberndes Lächeln hat. Aber wir haben einfach nicht gut zusammengepasst. Sie hat mich immer runtergezogen, wenn wir betrunken waren. Sie war dann ziemlich gemein zu mir, weil sie selbst viele eigene Probleme verarbeiten musste. Der Song handelt also von einer Person, die man wirklich mag und von der man sich angezogen fühlt, die aber nicht gut für einen ist, so dass man sich schlecht fühlt.

Kennt diese Frau deinen Song über sie? Hast du ihr davon erzählt?
Ich glaube schon. Direkt habe ich es ihr nicht gesagt. Ich denke, es gibt ein gewisses Maß an literarischer Freiheit. Es umfasst nicht die ganze Geschichte einer Beziehung, wenn man einen Drei-Minuten-Song schreibt. Man macht vielmehr eine Momentaufnahme und friert die dann ein. Auf jeden Fall mache ich das so. Ich denke, sie weiß, dass es in dem Song um sie geht, wir haben aber nie explizit darüber gesprochen. Wir sind immer noch befreundet und reden miteinander.

Du hast zwei Songs über die Kneipe geschrieben, in der du arbeitest: The Old Duke in Bristol. Welche Bedeutung hat dieser Pub für dich und die Band?
Das ist ein sehr wichtiger Ort für mich. Dort habe ich die Musiker für meine Band kennen gelernt. In der Musikszene von Bristol ist der Laden eine wichtige Anlaufstelle, weil dort jeden Abend Bands spielen. Die IDLES sind dort auch immer wieder aufgetreten und haben im Obergeschoss geprobt. Dieser Ort ist eine Heimat für viele verschiedene Bands. Ich könnte dir mindestens zehn Bands aufzählen, die diesem Pub viel zu verdanken haben. Wenn nicht sogar mehr. Der Chef dort hat mich immer unterstützt und mir einen Platz zum Pennen gegeben, als ich keine Wohnung hatte. In meinem Song singe ich darüber, wie es ist, anderen Leuten Bier zu servieren, während man große Probleme mit sich selbst hat. Das ist manchmal sehr schwer, vor allem wenn es Leute sind, die man nicht leiden kann.

Wie ist die Musikszene in Bristol? Ich kenne die Stadt vor allem durch TripHop-Acts aus den 1990er Jahren wie MASSIVE ATTACK oder PORTISHEAD. Wächst das gerade was Neues?
Ich weiß nicht so genau. Ich bin hergezogen, weil ich großer Fan von PORTISHEAD war. Damals habe ich auch in einer Band gespielt, die einen ähnlichen Sound gemacht hat. Das ist aber schon eine Weile her. Als ich dann hier war, habe ich einen Eindruck davon bekommen, was IDLES machen. Ich kannte die schon, bevor ihr erstes Album herausgekommen ist. Das hat mich in Verbindung gebracht mit Bands, die ich jetzt heiß und innig liebe. Bands wie THE CLASH oder LIBERTINES. Das hat mich dazu gebracht, nicht mehr so viel nachzudenken und diesen rohen Sound zu schätzen. Ich kenne viele Leute hier, aber es ist nicht so, dass wir alle Freunde sind. Es gibt in Bristol aber eine Menge talentierter Musiker und eine sehr lebendige Szene. Es ist eine sehr liberale Stadt, ähnlich wie Berlin. Bristol ist so ein bisschen das Berlin von Großbritannien.

Kannst du mir ein paar aktuell wichtige Bands aus Bristol nennen?
Da gibt es die fantastische Songwriterin Katy J. Pearson. Ich bin großer Fan von ihr und wir kennen uns auch. Außerdem gibt es eine unglaublich gute Band namens BINGO FURY. Und natürlich KNIVES, die auch einen Vertrag bei Hound Gawd! Records unterschrieben haben. Jung, talentiert und kaum zu stoppen, haha.

Lass uns über den Sound deiner Band reden. Für mich klingt es wie eine Mischung aus IDLES und NIRVANA. Zwischen Krach und Melodie. Woher kommt dieser Sound?
Meine ewige Lieblingsband sind immer noch die BEATLES. Daher kommt wahrscheinlich meine Vorliebe für Melodien. Ich liebe aber auch LED ZEPPELIN und NIRVANA. Ich bin aber auch großer Fan von King Krule. Ich liebe einfach die Idee einer Band, die auf einem Songwriter basiert, wie zum Beispiel die LIBERTINES. Ich finde, viele Songs von diesen erfolgreichen Post-Punk-Bands kann man nicht am Lagerfeuer spielen. Ich will aber, dass sogar ein Kind die Songs von THE PLEASURE DOME lernen und selbst spielen kann. Bei uns geht es nicht nur um Riffs, sondern eher um Songs. Wir sind vielleicht weniger tanzbar, dafür versuchen wir die reinste Form von Rock’n’Roll zu liefern. Unsere Herangehensweise ist traditioneller als bei vielen anderen Bands.

Euer Debütalbum „Equinox“ war sehr erfolgreich in Großbritannien. Was ist im letzten halben Jahr passiert?
Die Reaktionen waren großartig, es kamen viele Leute zu den Konzerten und wir haben viele Platten verkauft. Aber irgendwie ist der Live-Sektor gerade übersättigt. Deshalb ist es hart, wieder auf Tour zu gehen, die Konkurrenz unter den Bands ist aktuell riesig. Wir müssen lange warten, bis wir wieder live spielen können. Ich mache alles selbst, wir haben keinen Manager oder eine Booking-Agentur. Mein ganzes Leben lang habe ich mir gewünscht, einen Plattenvertrag zu bekommen, und jetzt weiß ich nicht so recht weiter. Es gibt kein Handbuch, wie man das alles macht. Wie versuchen also, Ideen für neue Songs zu sammeln und gleichzeitig Konzerte überall in Europa zu spielen. Das Album lief gut, aber jetzt ist es Zeit für den nächsten Schritt.

Würdest du THE PLEASURE DOME als echte Band bezeichnen? Oder verwirklichen die anderen Musiker letztendlich nur deine Ideen?
Die Band war schon immer mein Projekt. Ich schreibe alle Songs, nehme Demos auf und spiele sie der Band vor. Die besteht nur aus Freunden von mir. Das ist ein großes Glück für mich. Die haben viel mehr Talent am Bass oder am Schlagzeug als ich. Sie setzen meine Ideen viel besser um, als ich das könnte. Ich war schon immer das kreative Zentrum der Band. Aber natürlich sind THE PLEASURE DOME eine echte Band. Ich könnte das nicht allein machen. Es bleibt also eine gemeinsame Leistung.

Wie ist es für die anderen, derart persönliche Songs zu performen?
Ich erzähle ihnen immer, worum es in den Stücken geht. Der erste Song, den ich für unser Debütalbum geschrieben habe, heißt „Down the alley“. Der handelt von einem traumatischen Erlebnis mit meinen Eltern, als ich noch ein Kind war. Ich wurde rausgeschmissen, mir wurde ein Fünf-Pfund-Schein ins Gesicht geworfen und gesagt, ich solle verschwinden. Am Ende schlief ich eine Zeit lang im Freien. Die Jungs aus meiner Band waren schockiert von der Geschichte, weil ich ihnen nie davon erzählt hatte. Da war einfach diese toxische, maskuline Eigenart, dass Männer nicht über ihre Gefühle reden. Seitdem diskutieren wir immer viel über die Inhalte der Songs. Ich glaube nicht, dass es ihnen etwas ausmacht, diese Songs zu spielen. Ich denke, sie packen noch einmal mehr Emotionen in ein Stück, wenn sie wissen, worum es geht. Ich habe tatsächlich nie darüber nachgedacht, wie es für die anderen in der Band ist, Lieder über sehr spezielle Momente in meinem Leben zu spielen. Bei der nächsten Probe spreche ich es mal an.

Wo habt ihr das Album eigentlich aufgenommen?
Das war in Bristol, im J&J-Studio von PORTISHEAD-Bassist Jim Barr. Das war wirklich cool für mich als Fan. Wir haben auch schon ein paar Songs im Invada-Studio von Geoff Barrow aufgenommen, dem Kopf von PORTISHEAD. Das war völlig surreal für mich. Ihn hat so eine Aura der Ruhe und Gelassenheit umgeben. Das hat mich wirklich beeindruckt.