Vor zehn Jahren waren THE PICTUREBOOKS noch eine Indie-Band wie viele andere auch. Über Noisolution haben die Jungs aus dem westfälischen Gütersloh mit „List Of People To Kill“ (2009) und „Artificial Tears“ (2010) zwei blitzsaubere Alben veröffentlicht. Dann kam aber der Bruch: Bassist Tim Bohlmann stieg aus und die Band erfand sich völlig neu. Zwangsweise. Völlig anderer Sound, ganz neues Publikum, mit Blickrichtung auf einen anderen Kontinent. Jetzt erscheint mit „The Hands Of Time“ schon Album Nummer drei im neuen Gewand und das neue Kostüm scheint immer besser zu passen, wie Sänger und Gitarrist Fynn Grabke bestätigt.
Bedeutete der Entschluss, ohne Bassisten weiterzumachen, eine Art Wiedergeburt für euch als Band?
Kann man so sagen. Unser Ex-Bassist Tim wollte ein anderes Leben führen und das haben wir ihm auch gegönnt. Zum Glück haben wir uns 2010 entschieden, ohne ihn weiterzumachen, sonst wäre die Freundschaft kaputtgegangen. So ist er heute einer unserer größten Fans. Aber der Entschluss war natürlich schon erst mal ein Schock für uns. Wir haben damals den Draht zur Musik fast verloren und angefangen, Motorräder zu bauen. In der folgenden Zeit haben wir in der Garage wahnsinnig viel über Musik geredet und dann den Weg zurückgefunden. Wir haben uns selbst verboten, Musik zu hören, um einen komplett eigenen Sound zu entwickeln. Wir haben damals auch schon viel Zeit in Kalifornien verbracht. Von amerikanischen Ureinwohnern aus Reservaten, mit denen wir sehr gut befreundet sind, haben wir viele Percussion-Instrumente bekommen und das hat uns gezeigt, dass man sich Musik auch ganz anders annähern kann. Vor allem natürlich, was Rhythmus betrifft. Wir haben uns in dieser Zeit also ganz neu erfunden und „Imaginary Horse“ wurde quasi unser zweites Debütalbum.
Was war damals noch ausschlaggebend für euren neuen Sound? Und woher kommt diese total reduzierte WHITE STRIPES-Gitarre?
Wir haben nie Blues gehört, eigentlich sind wir sogar Blues-Hasser. Wir halten das für todlangweilig. Das ist für uns die ganze Zeit das Gleiche. Philipp und ich beherrschen bis heute unsere Instrumente nicht richtig. Ich kann bis heute keinen Akkord spielen. Wir nehmen unsere Instrumente nur als Werkzeug, um zu übersetzen, was in unseren Herzen vorgeht. Und diese Bluesriffs sind irgendwann einfach ganz natürlich aus uns herausgekommen. Das ist einfach so passiert. Und weil ich keinen Akkord spielen kann, habe ich angefangen, die Gitarre schon in einem Akkord zu stimmen und habe viel Slide damit gespielt. Wie es in den USA üblich ist. Auf einmal hatten unsere Songs diesen bluesigen Touch. Das war aber null so geplant, eher das Ergebnis eines ganz natürlichen Prozesses.
Was ist aktuell eure Homebase? Kalifornien oder Nordrhein-Westfalen?
Unser Studio ist nach wie vor in Gütersloh. Ich bin dort geboren und Philipp lebt auch schon viele Jahre dort. 2005 haben wir da auch die PICTUREBOOKS gegründet. Wir bezeichnen aber inzwischen Kalifornien genauso als unser Zuhause. Wir haben da inzwischen auch so enge Freunde, dass wir sie Familie nennen. Seit Jahren lebe ich halb in Deutschland, halb in Amerika. Der genaue Ort hat schon ein paar Mal gewechselt, aber vor allem im Bereich Orange County und Los Angeles. Aktuell haben wir uns in Long Beach niedergelassen. Wir hatten lange eine kleine Wohnung in Newport Beach, inzwischen organisieren wir uns für unsere Aufenthalte immer ein Airbnb. Niemand muss auf dein Haus aufpassen, wenn du nicht da bist. Keine Probleme mit dem Vermieter. Wir spielen etwa 200 Konzerte im Jahr, da kannst du an einer Hand abzählen, wie viele Tage wir am Stück an einem Ort verbringen. Und in Gütersloh ist eben unser Familienhaus, in dem wir alle gemeinsam wohnen.
Welche Rolle spielt dein Vater Claus Grabke für die PICTUREBOOKS? Den kennt man ja als erfolgreichen Skateboarder und Frontmann von Bands wie THUMB oder ALTERNATIVE ALLSTARS.
Mein Papa hat mich schon immer unterstützt, egal was ich in meinem Leben gemacht habe. Er hat aber nie versucht, mich in irgendeine Richtung zu drängen. Irgendwie habe ich aber ganz ähnliche Dinge gemacht wie er. Ich war lange Skateboardfahrer, bin dabei auch gesponsort worden. Jetzt mache ich schon lange Musik. Er lässt uns einfach machen und ist dabei sehr wichtig für uns. Er produziert unsere Platten, dreht die Videos, ist für alle visuellen Angelegenheiten zuständig. Er ist unser Manager und er ist auch der einzige Mensch, dem ich in diesem Business vertraue. Im Musikgeschäft vertraue ich niemandem sonst. Und mein Papa hat da natürlich wahnsinnig viel Erfahrung. PICTUREBOOKS sind eine hundertprozentige Familienangelegenheit. In unserem Haus in Gütersloh ist zum Beispiel auch das Lager für unseren Online-Store. Die ganze Familie arbeitet quasi an dieser Band mit.
Für das neue Album habt ihr auch viele Instrumente selbst gebaut. Was habt ihr da so gebastelt?
Es hat uns total inspiriert, selbst Dinge zu entwerfen. Wir reden hier von verschiedensten Arten von Rasseln und Percussion-Instrumenten. Wir nennen das dann zum Beispiel Chick Chick. Das ist ein langer Stab mit Schellen dran. Philipp benutzt das mit seiner freien Hand. Philipp und ich sind ja beide Skateboardfahrer und haben uns auch beim Skaten kennen gelernt. Und als Skater fängst du an, die Welt anders zu sehen. Da sind nicht nur Treppen oder Geländer. Du fängst an zu überlegen: Was kannst du mit diesen Treppen machen? Welche Tricks sind da möglich? Wie fahre ich da runter oder sogar rauf? Und diese Denkweise, Dinge anders zu interpretieren oder anders zu nutzen, haben wir auf unsere Musik übertragen. Egal ob beim Motorradbau, beim Skaten oder bei der Musik versuchen wir Pfade zu gehen, die manchen Leuten vielleicht merkwürdig erscheinen. Aber für uns ist es schlicht der beste Weg.
Für mich klingt das neue Album „The Hands Of Time“ ausgereifter, fast radiotauglicher als seine Vorgänger. Seht ihr das auch so?
Das hoffe ich doch. Wir haben überhaupt kein Interesse daran stehenzubleiben. Wir sind Menschen, die im Moment leben, wir schauen weder nach hinten noch nach vorne. Wenn es sich richtig anfühlt weiterzugehen, dann machen wir das. Wenn sich die nächsten Schritte, wie auf diesem Album, richtig anfühlen, dann gehen wir sie. Es ist aber immer schwer für uns selbst zu sagen, wir wären gereift. Ich finde, das müssen immer andere tun. Die Veränderungen sind aber auf jeden Fall alle mit Absicht passiert.
Wie setzt ihr das alles live um? Ihr seid ja nur zu zweit und habt zusammen vier Arme und vier Beine. Wird das vorher eingespielt oder habt ihr Gastmusiker auf der Bühne?
Auf der Bühne sind immer nur Philipp und ich. Und das soll auch so bleiben. Für die Konzerte müssen wir bestimmt den einen oder anderen Song umarrangieren, aber das haben wir schon immer gemacht. Wer schon mal bei einem unserer Konzerte war, der weiß, man kriegt die Songs live nie so serviert wie auf dem Album. Es wird viel improvisiert, es passiert jedes Mal was Neues. Wer das Album hören möchte, kann es sich sehr gerne zu Hause oder im Auto anhören. Aber das Konzert ist immer eine Momentaufnahme des jeweiligen Abends. Das hört sich immer anders an als am Abend zuvor. Ich verspreche also: keine Tricks und kein Playback.
Wofür steht der Albumtitel „The Hands Of Time“? Übersetzt heißt das ja so viel wie „das Rad der Zeit“.
Der gleichnamige Song beschreibt unsere Philosophie, immer im Jetzt zu sein. Das ist etwas, das wir alle zu wenig machen. Du bist geboren, um zu leben, und lebst, um zu sterben. Man kann die Zeiger nicht zurückdrehen. Für mich ist das eine sehr wichtige Erkenntnis. Als ich das akzeptiert habe, hat sich mein ganzes Leben verändert. Zu akzeptieren, dass es jetzt so ist, wie es ist, darum geht es in dem Song. Das ist unsere Philosophie, nach der wir leben. Das ist auch das Thema des ganzen Albums, es handelt davon, sich der Wahrheit zu stellen. Das heißt nicht, dass das immer schlecht ist, es kann ja auch gut sein. Je ehrlicher man lebt, desto mehr merkt man, wie viel schöner und einfacher das Leben ist. Es gibt zum Beispiel Songs wie „Like my world explodes“ oder „You can’t let go“, den wir zusammen mit Chrissie Hynde aufgenommen haben, die das Thema auch behandeln.
Wie habt ihr Chrissie Hynde von den PRETENDERS überhaupt dazu gebracht, bei einem eurer Songs mitzusingen?
Wir selbst sind schon lange riesige PRETENDERS-Fans. Eines Tages haben wir bei einem Harley Davidson-Event am Strand von St. Tropez gespielt. Wo sonst? Haha. Und da haben die PRETENDERS eben auch gespielt. Die Leute hinter den Kulissen meinten alle, die wären super kompliziert. Aber Chrissie war die netteste Person überhaupt und hat sich unseren kompletten Soundcheck angehört. Sie hat total headgebangt und kam danach zu uns und meinte: Ich liebe eure Musik! Dann hingen wir den ganzen Tag zusammen ab und haben über Veganismus gequatscht. Und abends hat sie mir dann einen Zettel mit ihrer Nummer in die Hand gedrückt und gesagt: Ruf mich an, wenn du in London bist. Und ein paar Wochen später haben wir uns Gedanken über eine Frauenstimme zu einem Song gemacht und ich habe sie spontan angeschrieben. Zwei Minuten später kam die Antwort: Bin dabei! Dann sind wir aus dieser Situation heraus ins Studio gegangen, haben die Songidee finalisiert und ihr den Track geschickt. Eine Woche später war „You can’t let go“ fertig.
Ihr seid wahnsinnig viel unterwegs und spielt Konzerte überall auf der Welt. Wie schafft ihr es, dass ihr keinen Lagerkoller bekommt?
Viele Bands da draußen verstehen da was falsch. Wir glauben nicht so richtig an diese Rock’n’Roll-Welt. Jeden Abend saufen, Drogen einfahren und verkatert durch die Gegend taumeln. Wir haben uns nicht 14 Jahre lang den Arsch aufgerissen, um am Ende davon nur noch die Hälfte wissen, weil wir einfach zu besoffen waren. Wir arbeiten jeden Tag hart an dieser Band. Wir geben nichts aus der Hand. Ich sehe auch nicht ein, warum ich irgendjemanden dafür bezahlen soll. Wir haben auch nie eine Crew dabei und bauen immer selbst auf. Ich tue das gern und mache auch gern meinen eigenen Soundcheck. Wir ernähren uns sehr gesund. Es gibt nur ganz selten Alkohol auf der Tour. Wir glauben daran, dass man fit sein sollte, um den Leuten, die Eintritt gezahlt haben, eine Show bieten zu können. Kein Mensch gibt gerne 30 Euro aus, um irgendeinen Besoffenen auf der Bühne zu sehen. Mich jedenfalls würde das aufregen.
Das ist euer Lebenswandel, aber wie bekämpft ihr die tödliche Langeweile auf Tour?
Wir warten nie. Nicht eine Sekunde. Wir sitzen immer am Laptop oder am Handy, um Dinge zu regeln. Wir reparieren Sachen, die kaputtgegangen sind, geben Interviews oder pflegen die sozialen Netzwerke. Wir nehmen das alles sehr ernst und arbeiten von früh bis spät daran. Das geht gar nicht anders, als internationale Band mit vielen Zeitverschiebungen. Inzwischen haben wir sogar im Flugzeug W-LAN, das finden wir fast ein bisschen schade. Haha. Früher war das der Ort, an dem man sich einfach mal zurücklehnen konnte. Aus Langeweile entstehen einfach viele Gedanken und Streitigkeiten, die nicht sein müssen. Wir sind da einfach auch total straight. Wenn irgendwas scheiße ist oder wenn einen irgendwas aufregt, dann sagen wir uns das direkt ins Gesicht. Die Wahrheit muss einfach raus. Ich glaube, die PICTUREBOOKS funktionieren aber auch nur in der Konstellation, in der wir jetzt schon seit Jahren unterwegs sind. Anders kann ich mir das gar nicht vorstellen.
Was passiert jetzt mit den alten PICTUREBOOKS-Songs aus Trio-Zeiten? Sind die für immer begraben? Gespielt werden sie ja aktuell nicht.
Es gibt da mehrere Ideen, was wir mit denen machen können. Diese Songs sind also nicht tot. Wir stehen immer noch absolut zu diesen Songs. Ich habe damals mit 17 Jahren meinen ersten Plattenvertrag bei Noisolution unterschrieben und Labelchef Arne Gesemann war auch der erste Mensch, der an uns geglaubt hat. Dafür bin ich ihm immer noch dankbar. Deshalb weiß er bis heute immer noch über alles Bescheid, was bei uns passiert. Das ist also nicht das Ende dieser Songs, da passiert bestimmt noch was. Wir wollen die Leute jetzt aber auch nicht durcheinanderbringen. Vielleicht machen wir irgendwann mal eine kleine Tour zu dritt. Das wäre nicht schlecht. Da ist aber noch nichts spruchreif.
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