PETER MUFFIN

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Eine Ode an die Ambivalenz

„Ich und meine 1000 Freunde“ heißt das Album von PETER MUFFIN. Eingespielt hat Julian Knoth aber alles ganz alleine, die ersten Songs schon 2010 und die letzten 2014. Das Material blieb liegen und konnte reifen, bis er sich Ende 2017 mit seinem Bandkollegen Max Rieger von DIE NERVEN nochmals an die Arbeit machte. Wie bei einem Puzzle wurden alle Versatzstücke neu zusammengesteckt, Loops und frische Sequenzen hinzugefügt und danach nahm sich Julian auch die Zeit, um noch etwas an den Texten zu feilen.

Julian, man hört „Ich und meine 1000 Freunde“ an, dass mehrere Schichten aufeinander gesetzt und unterschiedliche Stimmungen verknüpft wurden. Der Begriff Puzzle trifft es gut.

Einige Jahre lang wusste ich nicht, was es sein soll. Erst nachdem Max das ganze Material zu Ende gemischt hatte, war ich total zufrieden damit und plötzlich ging es auf. Manche schreiben, dass die Musik so durchläuft und die Texte über der Musik stehen. Mir war sehr wichtig, dass der Text eine große und besondere Rolle auf der Platte einnimmt.

Jeder Song hat einen prägnanten Satz, den du immer wieder drehst und anders intonierst, so dass er unterschiedliche Bedeutungen annimmt. Die tausend Freunde stehen sicher für erweiterte Persönlichkeiten und deine künstlerischen Facetten, oder?
Ja, das hast du eigentlich richtig gesagt, die tausend Freunde stehen für die verschiedenen Facetten, die ich in mir selbst sehe, und es ist eine Art Reflexionsplatte über mich. Dass ich manchmal eben nicht genau weiß, was ich will. Das steckt da alles so mit drin, und dieses auf den Texten rumkauen kommt daher, dass ich ein ziemlicher Kopfmensch bin. Da schwirren so viele Gedanken und Fetzen herum, die ich aufschnappe und dann wieder verarbeite. Die Musik und besonders die Texte sind meine Art, damit umzugehen. Ich mache Theater, male Bilder und alles, was ich mache, hat einen konzeptionellen Hintergrund. Es sind meine Gedanken, die ich irgendwie ausleben muss, weil ich sonst noch mehr durchdrehen würde.

Es geht also um „Ich“ auf der Platte. Befassen sich die Leute zu wenig oder zu viel mit ihrem eigenen Ich?
Vielleicht beides. Einfach alles trägt eine Ambivalenz in sich. Es gibt nicht immer die eine Meinung, es gibt nicht die eine Persönlichkeit. Der eine oder andere ist vielschichtiger, eigentlich ist es eher eine kleine Ode an die Ambivalenz. Ich will nicht werten, wenn sich ein Mensch viel mit der eigenen Persönlichkeit beschäftigt oder eben nicht. Manchmal führe ich PETER MUFFIN raus aus diesem Persönlichkeits-Kopfplatten-Ding und es gibt plötzlich Wuttiraden. Ich habe es mir so vorgestellt, dass jeder Mensch auf der Straße herumläuft und man nie weiß, was in den Köpfen vorgeht. Niemand sagt dir das. Und was wäre los, wenn die Leute wüssten, was in deinem Kopf vorgeht? Auch die Zeile „Sie schauen aus dem Fenster und was sie nicht sehen, ist, dass auch sie gesehen werden“ ist eine Beschäftigung mit der direkten Umwelt. Das ist das typisch schwäbisch-spießige Ding, dass die Omis hinter der Gardine gucken und mich beobachten, aber ich sie ja auch sehe.

Es geht also eher um das Spähen und Beäugen im klassischen Sinne und nicht um Überwachung von öffentlichen Plätzen?
Digitale Überwachung, alles wird aufgezeichnet und die Daten werden erfasst, so was sehe ich natürlich auch kritisch. Aber auf eine bestimmte Art und Weise ist das auch seit Jahrhunderten auf den Dörfern schon immer so gewesen. Es ist nicht so, dass das neu erfunden wurde durch Big Data.

Kinder lernen auch, indem sie sich das Verhalten von anderen abgucken. Andere beobachten auch, um das eigene Tun zu reflektieren, das ist grundsätzlich eine wichtige Eigenschaft in einer Gesellschaft.
Ja, das kann gut oder schlecht sein. Aber eben auch einengend. Ich bin in einer mittelgroßen schwäbischen Gemeinde aufgewachsen. Es war nicht so, dass jeder jeden kannte. In einem kleinen Dorf kann es wirklich einengend sein, wenn du anders bist als die anderen und die Leute über dich reden, als wärst du ein Alien.

Und in der Großstadt kann es isolieren, wenn du nicht beobachtet, sondern ignoriert wirst. Zumindest ist „Ich und meine 1000 Freunde“ eine gute Möglichkeit, dich als Künstler zu erfassen.
Ich bin aber auch sehr glücklich, dass ich mir so lange damit Zeit gelassen habe. 2015/16 habe ich sehr wenig abseits von DIE NERVEN gemacht und mich sogar ganz kurz mal künstlerisch verloren. Ich dachte, ich kann gar nichts anderes mehr machen, die Inspiration war weg. Es war eine heftige, aber auch lehrreiche Zeit, dadurch dass wir so viel gespielt haben. Vielleicht hat mich das auch einfach überfordert. Dann kam ich zu dem Entschluss, dass ich nicht immer traurig oder frustriert sein darf, wenn über die tollen Nebenprojekte der beiden anderen geredet wird. Mir war klar, dass ich mich positionieren und wieder etwas Eigenes machen will.

PETER MUFFIN verfolgt einen ganz anderen Ansatz deiner Kunst, der sonst auch verloren gegangen wäre.
Genau, und es zeigt letztendlich auch, wie vielschichtig DIE NERVEN sind. Drei total unterschiedliche Persönlichkeiten, die gemeinsam Musik machen. Aber es war in der Außenwahrnehmung gar nicht so klar, was ich eigentlich mache und was mein Anteil ist. Mir selbst wurde das dadurch auch wieder klarer. Es fällt mir jetzt leichter einzuschätzen, was ich gut und noch nicht so gut kann, wo ich besser werden kann oder nicht.

In „Hier bleibe ich“ sagst du sinngemäß, dass du dir wünschst, eine Sprache zu lernen, die jeder versteht. Ist das nicht die Musik?
Musik ist für mich auf jeden Fall eine Sprache, die jeder versteht. Der eine mehr und der andere eben weniger. Das würde ich vollkommen wertfrei sehen, jeder darf Musik so rezipieren, wie er will. Die Leute dürfen meine Musik auch ruhig scheiße finden, damit habe ich kein Problem. Prinzipiell finde ich es eigentlich auch gut, wenn es jemand nicht gut findet. Eigentlich weiß ich nicht, was ich mir bei dem Satz gedacht habe.

Es hätte auch in Richtung Esperanto gehen könnte oder eben dem grundsätzlichen Wunsch entsprechen, immer verstanden zu werden.
Musik findet ja in unterschiedlichen Sprachen statt. Ich glaube auch, dass nicht jeder versteht, was ich mit meiner Musik meine. Aber eigentlich finde ich es auch gut, eigentlich will ich gar nicht von jedem verstanden werden, bin ich stolz auf das, was ich habe, und auch darauf, dass es nicht von jedem verstanden wird. Wahrscheinlich muss man da schon früher ansetzen, als ich noch zu Schulzeiten Musik gemacht habe. Da gab es auch schon diejenigen, die es gut fanden, und die anderen. Die anderen sind ja dann aber auch nicht so wie ich. Aus unserem Außenseitertum etwas zu schaffen, das ist es eigentlich, was wir mit DIE NERVEN gemacht haben.

Warum hast du Damien Hirst auf „Ich und meine 1000 Freunde“ ins Spiel gebracht? Wegen der abstrusen Erlöse oder als konkrete Kritik an seinen Kunstobjekten?
Manche Sachen von ihm gefallen mir gut. Aber auf der anderen Seite ist er auch ein Paradebeispiel dafür, was für eine Blase und wie überladen der Kunstmarkt ist. Im Grunde führt er das vor und genau darin ist er wiederum genial. Vielleicht wäre es auch mein Traum, so zu sein wie er. Er hat viele gute Ideen, macht ja aber letztlich nichts mehr selber, vieles wird von Assistenten vorbereitet. Eigentlich ist er ja irgendwie nur ein Fabrikant, der etwas herstellt. Das ist entlarvend, und irgendwie finde ich es gleichzeitig gut und auch pervers. Ich bin ihm gegenüber unentschlossen und finde das auch gut, manchmal unentschlossen zu sein. Kontroversen mag ich. Damien Hirst ist nicht das beste Beispiel, aber wir brauchen Kontroversen in Kunst und Musik, über die man sich streiten kann.

Gilt das auch für Politik?
Das kann man allgemein sehen. Ich bin großer Fan von Christoph Schlingensief, so jemand fehlt irgendwie. Mich hätte interessiert, wie er mit der AfD umgegangen wäre. Es ist eine Hypothese, aber eventuell wäre die Partei auch nicht so stark geworden, wenn jemand wie er aktionär dagegen vorgegangen wäre, auf seine ganz eigene Art und Weise.

Oder jemand wie Roger Willemsen?
Ja, die beiden sind für mich die wichtigsten Sprachrohre gewesen. Ich kannte Schlingensief gar nicht, aber schon seit meiner Kindheit tauchte er auf, war immer eine Erscheinung für mich. Selbst wenn ich gar nicht verstanden habe, was er macht, und erst mal nur fasziniert davon war, wie wütend er oft war. Dahinter steckte bei ihm ja auch eine krasse Verletzlichkeit und Empathie für jeden Menschen. Er wurde aber immer nur als Rebell dargestellt. Da steckte aber viel Nächstenliebe drin. Auch bei Roger Willemsen war Nächstenliebe ein wichtiger Aspekt.

Was ist mit Helge Schneider, der eine enge Verbindung zu Christoph Schlingensief hatte?
Das ist für mich schon eher ein Vorbild, ich werde niemals ein so guter Musiker werden wie er. Man kann schon sagen, dass er ein Idol ist für mich, aber eher in der Art und Weise, wie er Dinge tut. Sein Weg gibt mir Mut, dranzubleiben und mein Ding zu machen, auch wenn die Dinge, die man tut, nicht jedem gefallen. Wenn du das lange genug machst, dann haben die Leute Respekt davor und finden eventuell doch was Gutes an dir. Man muss dazu stehen, wer man selbst ist. Natürlich mit einer gewissen Reflexion und ohne asozial dabei zu sein. Aber es geht um die Standfestigkeit in den Belangen, die man hat, und um das Zelebrieren dessen, wofür man steht.

PETER MUFFIN treten auch live auf. Wie hast du die Band dafür zusammengestellt?
Da spielt es mir auch die Hände, dass ich die Platte, auch bedingt durch eine gewisse Unsicherheit, erst jetzt umgesetzt habe. Vor einem oder zwei Jahren hätte ich die Live-Besetzung, die ich jetzt für PETER MUFFIN gefunden habe, noch gar nicht gekannt. Das war eine Art Experiment, denn ich habe Leute in die Band geholt, die sich gegenseitig nicht kannten und die ich selbst teilweise noch nicht so gut kannte. Und es ist gut aufgegangen, da bin total glücklich darüber.

In der Band sind Cali, Leon, Paul und Philip. Philip ist dein Bruder, den kennst du natürlich gut. Und die anderen Bandmitglieder?
Paul kenne ich schon länger, mit den beiden habe ich ein Rap- und HipHop-Projekt, da spielen wir im Raum Stuttgart immer halb improvisierte Sets. Die waren also eine sichere Bank und ich wusste, dass ich mich auf die beiden verlassen kann. Leon kannte ich nicht so gut, wir haben einige Male Musik zusammen gemacht. Cali ist mir quasi auf die Bühne gesprungen. Als ich eine Improsache mit meinem Bruder gemacht habe, hat sie gefragt, ob sie Bass dazu spielen kann. In meiner Vorstellung wollte ich für die neue Besetzung von PETER MUFFIN auch eine Frau in der Band haben, weil es mich nervt, dass in Stuttgart in der Szene so wenige Frauen in Bands spielen. Das ist leichter gesagt als getan, man muss die Richtigen treffen. Cali kennen zu lernen war also ein Glücksgriff. Vor der Releasetour haben wir angefangen zu proben und mir war wichtig, dass sich etwas entwickelt und eine Band daraus entsteht. Die Songs sollten nicht 1:1 wie auf der Platte klingen. Dieses Gefühl zu vermitteln, das war entscheidend. Wir haben tatsächlich geschafft, jeden einzelnen Song live noch intensiver und besser zu spielen. Die Band stützt mich, macht mich freier in meinem Vortrag und dadurch kann ich sie mitziehen. Jeder profitiert von jedem.