Sie sind die Unverwüstlichsten unter den britischen Punkrockbands. Denn auch wenn sie nie Szene-Ikonen waren und ihre Karriere nicht allzu viele Hits abwarf – einer davon war „The Jinx“, das DIE TOTEN HOSEN zuletzt auf ihrer zweiten „Learning English“-Platte coverten –, existieren PETER AND THE TEST TUBE BABIES doch schon seit nunmehr fast 42 Jahren. Eines der Gründungsmitglieder sowie Songschreiber der Band neben Frontmann Peter Bywaters war und ist Gitarrist Derek Greening. Im Gespräch erzählt er, was er von Weihnachten, Wortspielen und den staatsmännischen Wirrungen dieser Welt hält – und warum Facebook etwas für Verlierer ist.
Derek, wie lief die alljährliche Tour durch Deutschland kurz vor Weihnachten diesmal?
Wunderbar. Viele Konzerte waren ausverkauft. Und offenbar wecken wir das Interesse der Deutschen an unserer Musik immer wieder.
Warum ist das deiner Meinung nach so?
Ich denke, weil wir seit über 20 Jahren immer dieselben Läden bespielen. Und immer kurz vor Weihnachten. Und mittlerweile kommen nicht immer nur dieselben Leute, die schon am Anfang dabei waren, sondern auch deren Kinder. Es ist Tradition.
Angesichts dieser offenbar nicht zu leugnenden Beziehung von PETER AND THE TEST TUBE BABIES zur Weihnachtszeit: Habt ihr jemals daran gedacht, ein Weihnachtsalbum aufzunehmen? Macht ja mittlerweile fast jeder.
So richtig mit Coverversionen klassischer Weihnachtssongs und so?! Nein. Niemals! So was ist grausam. Billy Idol hat doch mal eins gemacht, soweit ich mich erinnere ...
Ja. Oder BAD RELIGION ...
Richtig. Und die sind beide schrecklich! Wir haben dagegen mit GBH nur mal ein Duett aufgenommen namens „I’m getting pissed for Christmas!“ Das war in Ordnung. Das war cool. Aber mehr wird es nicht geben in dieser Richtung, haha. Es wäre schon toll, mal ein Lied zu schreiben, das die Menschen wirklich jedes Jahr hören. Mit Glöckchen und allem Drum und Dran. Aber die Chancen stehen da bei uns eher schlecht, haha.
Welche Musik hörst du denn daheim an Weihnachten?
Glamrock von SLADE oder so. „Merry X’mas everybody“ ist ein fantastischer Song.
Was hältst du als Punkrocker denn von einem Stück wie „Last Christmas“ von WHAM? In Deutschland läuft dieser Song zur Weihnachtszeit ja gefühlt rund um die Uhr. Den müsst ihr ja im Tourbus im Radio ständig gehört haben.
Haben wir, haha. Aber wenn es um Weihnachtsmusik geht, bin ich eher der Traditionalist.
Dann kommen wir mal zu eurem neuen Album. Es heißt „Fuctifano“. Was bitteschön soll das bedeuten?
Haha, das ist ein schottischer Slang-Ausdruck. Wenn du zum Beispiel in Glasgow jemanden ansprichst und, sagen wir mal, nach dem Weg zum Bahnhof fragst, dann wirst du in vielen Fällen „Fuctifano“ als Antwort bekommen. „Fucked if I know“ also. Und das lässt sich wunderbar auf jeden Sachverhalt anwenden. „Wie wär’s mal mit einem Weihnachtsalbum?“ „Fuctifano.“ „Wie ist eure neue Platte?“ „Fuctifano.“ „Wie läuft die Tour?“ „Fuctifano“. Es ist die Antwort auf jede Frage. Es ist ein Ausdruck für: „Ich habe keine Ahnung!“
Ich merke: Ihr steht auf Wortspiele. Eure letzte Platte hieß „That Shallot“. „Shallot“ ist die Schalotte. Und so eine war auch auf dem Cover. Aber eigentlich war das ein Verweis auf „That’s yer lot.“ Was soviel bedeutet wie „Das ist dein Los.“
So ist es. Wir experimentieren gerne mit Worten. Und „Fuctifano“ haben wir irgendwann mal in Schottland gehört – und fanden das super!
Eine richtige Aussage im Sinne eines Themas für ein Album ist das ja nun nicht gerade ...
Das stimmt, haha. Wir hatten eben keine Lust, lange über einen Namen nachzudenken. Wir sind eine sehr faule Band, deshalb gibt es uns auch noch. Wir sind sogar zu faul, uns aufzulösen und machen einfach immer weiter, haha. Dieses Mal kamen wir von einer Sommertour, die unser Label Arising Empire organisiert hatte, wieder heim und schlossen uns im Proberaum ein. Und sind irgendwann mit dem neuen Album wieder dort herausgekommen. Immerhin hat es jetzt keine zwölf Jahre mehr bis zur nächsten Platte gedauert wie im Falle von „That Shallot“.
Einer der neuen Songs auf „Fuctifano“ – die erste Single – heißt „Facebook looser“. Wer ist das bei euch?
Unser Schlagzeuger, haha. Er ist süchtig nach Facebook. Er postet dort einfach alles. Sobald er irgendwen halbwegs Berühmtes sieht, macht er Fotos. Bei Konzerten, auf der Straße, überall. Und er ist damit ja nicht der einzige. Das machen ja viele. Und solche Menschen leben nicht im Moment. Sie genießen den Moment nicht. Als wir in New York waren, setzte sich unser Schlagzeuger beispielsweise in die U-Bahn, fuhr zum Times Square, stieg aus, machte ein Selfie, setzte sich wieder in die Bahn und kam nach zwei Stunden zurück ins unser Hotel. Ich meine: Er hatte dort gestanden – und anstatt sich einfach umzusehen und den Anblick des Times Square zu genießen, schoss er ein Foto, das er bei Facebook einstellte. Und rauschte wieder ab. Er wollte also einfach nur allen zeigen: „Seht her! Ich bin in New York!“ Und das ist generell ein Problem der Gesellschaft heutzutage: Keiner nimmt mehr bewusst und intensiv etwas wahr. Und jedem ist es wichtiger, was die Menschen über die eigenen Beiträge in den sozialen Netzwerken denken, als was sie über einen persönlich denken. Darüber, wie man als Mensch ist.
Andererseits ist so gut wie jeder Künstler auch irgendwie abhängig von Netzwerken wie Facebook. Ihr auch.
Da ist richtig. Wir nutzen es ja auch, um Konzerte anzukündigen und viele Fans sagen uns, dass sie vor allem auf diese Art ihre Infos zu uns beziehen. Dennoch ist es meine Meinung, dass man um Social Media am besten einen weiten Bogen macht. Ich meine: Leute schauen sich dort an, was andere zum Frühstück essen. Was soll das denn bitte? Und: Es ist leicht, dort in sinnlose Streitereien und niveaulose Diskussionen zu geraten, bei denen sich die meisten in der Anonymität verstecken.
Vor 30, 40 Jahren liefen Diskussionen und Streits noch anders ab.
Ja. Du hast die Sache gleich klargestellt. Am besten vor dem Pub, haha. Heute verstecken sich die Leute hinter einer Computertastatur.
Hast du selbst je schlechte Erfahrungen gemacht mit sozialen Netzwerken?
Ich selber noch nicht. Zum Glück. Es gab nur ein paar – zugegebenermaßen – gute Geschichten. Wir wurden beispielsweise einmal auf einer sozialen Plattform darauf aufmerksam gemacht, dass wir für ein Festival gebucht waren, bei dem auch eine umstrittene Band spielen sollte. Es tauchten nämlich Bilder im Netz auf, auf denen eines der Bandmitglieder ein SKREWDRIVER-Shirt trug. Also haben wir die Show abgesagt. Genauso wie einen Auftritt in Schweden – weil wir übers Internet herausfanden, dass dort eine rechte Band vor uns spielen sollte.
Wie du schon sagtest: In diesem Fall war es gut, dass es Social Media gibt.
Ja. Aber man sollte dennoch immer lieber auf persönlichen Kontakt setzen. Menschen direkt kennenlernen. Mit ihnen direkt sprechen und sich ein Urteil erlauben. Wir haben uns mal in den USA in der Mitte vom Nirgendwo – es gab kein Internet, haha – mit ein paar Leuten über eine bevorstehende Show unterhalten. Bei der trat auch vor uns eine andere Band auf, die wir nicht kannten. Und die Leute sagten uns ganz aufgeregt: „Das könnt ihr nicht machen! Das sind alles Rassisten!“ Ich erinnere mich zwar wirklich nicht mehr an den Namen der Band. Und wir konnten da nichts mehr im Internet recherchieren vor dem Konzert. Aber ich weiß noch: Am Ende stellten sie sich als total nette Typen heraus, die mit Rassismus nie etwas am Hut gehabt hatten. Und: Die Band bestand aus drei Mexikanern und einem jüdischen Schlagzeuger, haha.
Apropos USA: Kurz vor der Veröffentlichung von „That Shallot“ wart ihr damals in den USA – und euer Sänger Peter Bywaters durfte angeblich deshalb nicht einreisen, weil man bei der Einreisekontrolle am Flughafen seinen Namen überprüfte, im Internet recherchierte und Videos fand, auf denen er Donald Trump auf der Bühne verunglimpfte.
Wir haben dann notgedrungen Gastsänger genommen, die wir im Motel kennenlernten. Den ersten traf ich im Pool. Er sollte mit seiner Band beim gleichen Festival wie wir spielen und sagte, er könne „Banned from the pubs“ singen. Zudem habe er ein paar Kumpels, die andere Songs von uns draufhätten. Es war am Ende so, dass später, als ich wieder im Hotelzimmer war, mehrere Leute an die Tür klopften, reinkamen und fragten, ob sie dieses oder jenes Lied für uns singen könnten. Es war fantastisch!
Was ich eigentlich fragen wollte: Das ging damals durch zig Medien, vor allem den Boulevard, und war eine fantastische Werbung für eure neue Platte. Was habt ihr euch für „Fuctifano“ diesbezüglich einfallen lassen?
Ja, damals kam sogar die BBC an. Unsere Videos wurden plötzlich eine halbe Million Mal am Tag geklickt. Das war super. Aber dieses Mal? Da musst du Peter fragen. Vielleicht macht er das noch mal, haha. Wobei er derzeit irgendwie noch ein wenig unsicher ist, ob er es mal wieder mit den USA versuchen sollte.
Und wie sieht es bei euch als Engländer mit der Ausreise aus, wenn der Brexit kommt?
Gute Frage. Wir haben 40 Jahre lang ganz Europa betourt und haben überall Freunde. Immerhin: Ich habe aufgrund meiner Mutter, die Irin ist, einen irischen Pass. Das heißt: Ich darf überall bleiben und besitze das Recht auf medizinische Erstversorgung. Aber niemand kann sagen, was da kommt. Und das alles, weil die Leute, die das angeleiert haben, aus irgendwelchen Gründen Angst davor haben, dass andere Menschen nach Großbritannien kommen. Eine verdammte Island Monkey Mentality ist das.
Was für ein wunderbarer Name für einen Song oder gar ein nächstes Album!
Island Monkey Mentality? Hmmm. Stimmt! Das ist gut. Du kannst dieses Interview so betiteln! Und wenn wir so ein Lied mal aufnehmen sollten, dann wirst du in die Credits gepackt, haha.
Verrate mir angesichts eures neuen Songs „Wanker“ doch bitte noch, wer derzeit für dich der größte Wichser ist.
Ich denke, das ist derzeit ganz klar ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Donald Trump und Boris Johnson. Und wenn das so weitergeht, wird bald jedes Land seinen Trump oder Johnson haben.
Seltsamerweise wird seit Trumps Amtseinführung von allen Seiten ja immer wieder gesagt, er mache es nicht mehr lange – und er ist trotzdem immer noch da.
Das ist ein guter und richtiger Punkt. Ich dachte auch, er dürfe gar nichts. Aber leider sieht es danach aus, dass er alles darf, was er will. Er könnte Sex mit einem kleinen Jungen mitten im Central Park haben – und es würde trotzdem nichts gegen ihn unternommen. Und was Großbritannien angeht: Das ist derzeit nichts anderes als Comedy. Und zwar jeden Tag eine andere Art. Eine neue Folge. Man könnte sich – wäre es nicht so traurig – einen Tüte Popcorn nehmen und zuschauen. „Brexit – The Movie“ oder so.
Habt ihr bei den Aufnahmen zu „Fuctifano“ eigentlich etwas anders gemacht als bei „That Shallot“?
Ja, wir haben uns mehr Zeit genommen. „That Shallot“ mussten wir am Ende ein wenig durchjagen. Das ging meines Erachtens nach ein wenig zu Lasten der Qualität der Songs. Dieses Mal ist das Songwriting besser. Wir hatten mehr Zeit, sie zu schreiben. Die Stücke auf „Fuctifano“ sind also besser geworden. Nur mal zur Veranschaulichung: Bei „That Shallot“ bekamen wir die letzten Teile des letzten Tracks wirklich kurz vor knapp. Kurz vor Mitternacht. Am nächsten Morgen musste alles bei der Plattenfirma liegen und fertig sein.
Dir gefallen die Songs auf „That Shallot“ nicht?
Die Platte könnte besser sein. Aber es ist bei mir ohnehin so: Wenn ein Album einmal fertig ist, höre ich es mir nicht mehr an. Und entsprechend habe ich mir „That Shallot“ auch nicht wieder angehört. Das werde ich irgendwann mal im Kreise meiner Enkel machen. Frühestens, haha. Ich zeige ihnen dann, was ihr Großvater da so Tolles auf die Beine gestellt hat. Mein Vermächtnis, haha.
An was denkst du als erstes, wenn du auf den Beginn von PETER AND THE TEST TUBE BABIES zurückblickst?
Chaos. Denn wir konnten nicht wirklich spielen damals und wollten eigentlich nur auftreten und Musik machen, um bei Gigs umsonst Bier trinken zu können. Entsprechend war das eher ein Albtraum. Aber dann kam eine Platte. Und dann noch eine. Und noch eine. Und irgendwie ging es immer weiter. Bis heute.
Was würdest du deinem jungen Ich denn heute raten, wenn du mit ihm sprechen könntest?
Geh’ zur Schule, lerne und ergreife hinterher einen vernünftigen Job. Musiker ist zwar cool, aber nicht vernünftig.
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