Ein wichtiger Grund für mich, das Rebellion Festival 2023 keinesfalls zu verpassen, war der Auftritt der Chicago-Punklegende PEGBOY. Und Larry Damore (voc, gt), Joe Haggerty (dr), John Haggerty (gt) von der Urbesetzung der 1990 gegründeten Band sowie ihr neuer Bassist Herb Rosen haben mich weggeblasen! Larry ist ein unglaublicher Frontmann, der Gitarrensound so markant wie eh und je und wie man ihn seit dem Debüt „Strong Reaction“ von 1991 schätzt. Nein, eigentlich noch länger, denn PEGBOY waren damals die Fortsetzung einer in den Achtzigern begründeten Chicago-Punkrock-Tradition.
Drummer Joe (Jahrgang 1967) spielte zuvor bei EFFIGIES und BLOODSPORT, sein älterer Bruder John (Jahrgang 1960) war von 1983 bis 1989 bei NAKED RAYGUN, wie auch Pierre Kezdy, der wiederum von 1994 bis 2007 bei PEGBOY Bass spielte (und der jüngere Bruder von EFFIGIES-Frontmann John Kezdy war). An der Bassposition half einst 1993 auch ein gewisser Steve Albini aus. Man sieht, die Musikerfamilie in Chicago war inzestuös, es gab und gibt unzählige Verbindungen, von denen mir auch Joe Haggerty Ende Oktober erzählt – an einem Sonntag, bei ihm ist es gerade sieben Uhr morgens.
Joe, bist du immer so früh wach?
Ja. Normalerweise stehe ich um fünf Uhr morgens auf, um zur Arbeit zu gehen. Ich bin Klempner, Handwerker fangen alle früh an. Ich bin schon seit 35 Jahren Klempner, ich habe also angefangen, als ich noch sehr jung war. Mittlerweile bin ich Klempnerinspektor für die Stadt Chicago.
Du kontrollierst, ob andere Klempner ihre Arbeit richtig machen?
Genau. Es ist der einfachste Job der Welt für einen Klempner. Ich darf jetzt andere Klempner anschreien, haha. Keine verstopften Toiletten mehr für mich. 35 Jahre waren in dieser Hinsicht auch genug. Unser Sänger Larry ist Bauarbeiter und mein Bruder John macht auch was in der Richtung, wir machen alle was Handwerkliches.
Ist dieser Arbeiterhintergrund typisch für viele deiner Zeitgenossen aus der Chicagoer Punk-Szene der Achtziger Jahre?
Ja, da gibt es eine ganze Menge. In Chicago waren die Leute schon immer stark gewerkschaftlich organisiert, hier sind die Unterstützer der Demokratischen Partei in der Mehrzahl, es gibt hier viele Handwerker und die Demokraten unterstützen die Gewerkschaften. Das soll nicht heißen, dass an gewerkschaftsfreien Betrieben etwas auszusetzen ist, aber die Qualität der Arbeit scheint einfach besser zu sein, wenn die Gewerkschaft im Spiel ist. Und ja, viele der Punkrocker hier waren oder sind Handwerker.
So was höre ich häufiger. Es scheint bei diesem Job einfacher zu sein, mal ein paar Tage oder Wochen auf Tour zu gehen und dafür freizubekommen.
Das ist richtig. Früher waren wir auch mal zwei Monate am Stück auf Tour, aber in so einer großen Stadt gibt es immer etwas zu tun, es gibt immer Arbeit, also war es nie ein Problem, nach der Tour wieder Geld zu verdienen. Für Klempner gilt das Motto: „Jeder kackt.“ Klempner ist also ein rezessionssicherer Job, weil jeder scheißen muss.
„Gas, Wasser, Scheiße“ lautet die wenig charmante Jobbeschreibung hierzulande.
Das ist genau richtig. Das ist es, was wir tun: Gas, Wasser und Scheiße.
Woher kommt der musikalische Teil deiner Biografie? Von deinen Eltern oder wie bist du zum Musiker geworden?
Unsere Eltern waren nicht musikalisch. Das hat mit meinem Bruder John zu tun, der sechs Jahre älter ist. Er hat schon früh Gitarre gespielt und war immer auf der Suche nach anderen Dingen. Als die Punkrock-Szene in Chicago aufkam, nahm er mich zu meiner ersten Show mit, als ich 15 oder 16 war. Und ich wusste, das ist mein Ding. Ich war so überwältigt und begeistert, weil ich so etwas noch nie gesehen hatte. Das hat mich wirklich beeindruckt. Mein Bruder hatte gesagt: „Das wird dir gefallen.“ Und er hatte recht. Es war das Coolste, was ich in den ersten 15 Jahren meines Lebens gesehen habe.
Sechs Jahre Altersunterschied sind eine Menge, wenn du ein Teenager bist.
Ja, aber er war mein Idol, also habe ich alles gemacht, was er auch gemacht hat. Ich war ihm einfach dankbar, dass er mich zu dieser Show mitgenommen hat. Bis dahin waren wir uns nicht wirklich nahe. Der Altersunterschied war groß, und das spielt eine Rolle, wenn man jung ist. Er hatte seine eigenen Freunde, und dann hat uns der Punkrock wieder zusammengebracht und den Altersunterschied überbrückt, denn im Punkrock gab es keinen Altersunterschied. Wir haben zwar in verschiedenen Bands gespielt, aber wir haben immer viel zusammen gemacht. Und als wir mit PEGBOY anfingen, waren wir die ganze Zeit zusammen. Bis heute sind wir beste Freunde.
Du warst also zuerst ein Fan der musikalischen Aktivitäten deines Bruders, der Gitarrist bei NAKED RAYGUN war, bevor du selbst ein Instrument in die Hand genommen hast? Oder wie bist du Schlagzeuger geworden?
Er war mein Idol und er ist es auch jetzt noch. Ich liebte NAKED RAYGUN. Die haben mich umgehauen. Ich hörte die und all die anderen alten Chicagoer Punkrock-Bands. Ich fing an, Schlagzeug zu spielen, als ich etwa 16 Jahre alt war, und es war alles auf Punkrock ausgerichtet. Das war alles, was ich hörte. Ich liebte die BUZZCOCKS, ich mochte Jimi Hendrix, und ARTICLES OF FAITH, EFFIGIES und die ganzen anderen Chicagoer Bands. Solche Musik wollte ich von Anfang an spielen.
Hat dich dein Bruder dazu gedrängt, Schlagzeuger zu werden? So in der Art: „Okay, du musst Schlagzeug lernen, weil ich einen Drummer für eine Band brauche.“
Nein, ganz und gar nicht. Schlagzeug war schon mein Ding, schon als ich noch jünger war. Meine Mutter besorgte mir mein erstes Schlagzeug für 200 Dollar und das hatte ich dann zehn Jahre lang. Ich spielte damit in meiner ersten Band BLOODSPORT, es war eine Punkrock-Band, also war es okay, wenn ich wirklich beschissenes Equipment hatte. Später habe ich mir ein besseres Schlagzeug gekauft und darauf spiele ich bis heute. Bei mir hat bis heute keine Schlagzeugfirma angeklopft, um mich zu endorsen, das ist kein Thema. Ich habe 1984 ein wirklich schönes Schlagzeug gefunden, das hat sich bis heute gut gehalten. Es besteht aus massivem Ahorn und ist besser als die meisten Schlagzeugsets von heute.
Das erste PEGBOY-Album „Strong Reaction“ erschien 1991 auf dem Touch & Go-Sublabel Quarterstick und war wegen guter Vertriebsstrukturen auch in Deutschland ein Erfolg, wo euch all jene feierten, die den damals inaktiven NAKED RAYGUN nachtrauerten, bei denen dein Bruder John Gitarre gespielt hatte. Und euer Sound war ja durchaus ähnlich. Wie kam es zur Gründung von PEGBOY?
Wir haben angefangen, als die Band, in der ich spielte, die EFFIGIES, eine lange Pause machten. Und John hatte gerade NAKED RAYGUN verlassen. Mein Bruder und ich kannten Larry Damore und Steve Saylors von den BHOPAL STIFFS, die sich auch gerade aufgelöst hatten, also hatten sie nichts mehr zu tun. John meinte, wir sollten versuchen, mit diesen Jungs zusammenzukommen. Wir übten im Keller unserer Eltern ungefähr zwei Jahre lang, bis sie uns klarmachten, dass wir uns einen Proberaum suchen müssen.
Heutzutage sind die Promo-Leute der Labels sehr schnell mit dem Begriff Supergroup, sobald ein paar Leute zumindest auf eine halbwegs bekannte Ex-Band verweisen können. Ihr hättet euch locker für diese Beschreibung qualifiziert. Habt ihr euch aktiv an den Sound der vorherigen Bands angelehnt, wolltet ihr etwas Neues schaffen oder was war die Idee für PEGBOY?
Es ging nicht darum, etwas völlig Neues zu schaffen. Weißt du, damals war alles, was du im Punkkontext an Songs geschrieben hast, ziemlich neu. Punkrock bedeutete, man kann tun, was man will. Es gibt keine Richtlinien. Und als Musiker in einer Punkband war klar, dass du sowieso nie eine Stadiontournee spielen wirst. Du wirst nie einen großen Tourbus haben. Mach einfach, was du willst, und die Leute werden es mögen, wenn es gut ist. Wir wollten einfach nur das tun, was uns Spaß macht, und es war uns scheißegal, was andere darüber denken: Ihr könnt es mögen oder nicht, es ist uns egal. Das war unsere Attitüde. Wir machen einfach nur unsere Musik. Und das ist so ziemlich das, was Punkrock sein sollte.
Was war euer musikalischer Hintergrund? Du erwähntest vorhin die BUZZCOCKS.
Wir hatten nichts Spezielles im Sinn, es hat sich einfach so ergeben. Da war keine Überlegung, wie BUZZCOCKS oder STIFF LITTLE FINGERS klingen zu wollen. Aber wir waren so stark von den frühen Punkrock-Bands beeinflusst, dass es einfach so passiert ist. Wenn man von jemandem so sehr beeinflusst ist, dann wird sich das unweigerlich in dem Song zeigen, den du schreibst. Und wir hatten alle schon in anderen Bands gespielt, die zwar klar Punkrock waren, aber doch irgendwie anders klangen. Es gab keine Vision, keine Erwartungen. Wir waren einfach nur vier Jungs mit einer Band.
Chicagoer Bands aus der Zeit, also etwa BHOPAL STIFFS, ARTICLES OF FAITH, NAKED RAYGUN, EFFIGIES oder BIG BLACK, sind einerseits alle unterschiedlich, aber irgendwie ist da doch so ein „Chicago-Sound“. Gibt es etwas, das du als spezifischen Chicago-Sound bezeichnen würdest?
Ich denke schon. Lass mich vorweg sagen, dass ARTICLES OF FAITH bis heute eine meiner Lieblingsbands sind. Ich liebe diese verdammte Band! Was nun den „Chicago-Sound“ angeht ... Nun, jeder sagt, es gibt einen Eastcoast-Sound, einen Midwest-Sound, California-Sound, einen New-York-Sound. Ich weiß nicht, wie sich dieser Sound entwickelt hat, der ist einfach „passiert“. Es ist wie ein Mittelding zwischen New York Hardcore und California-Hardcore, irgendwie. Die Gitarren sind sehr stark und melodisch, während in Kalifornien fast nur Melodien zu hören waren. In New York gab es fast nur Gitarren. Vielleicht liege ich ja völlig falsch, aber so sehe ich das. Und dazu viele Gesangsharmonien, das ist definitiv der Einfluss der BUZZCOCKS.
Als euer erstes Album 1991 herauskam, begann gerade der Höhenflug von NIRVANA, in dem Jahr erschien „Nevermind“. Die Musikwelt veränderte sich damals komplett, alle wollten harte Gitarrenmusik hören. Hat euch das geholfen, oder hattet ihr vielleicht sogar die Hoffnung, dass auch ihr erfolgreich sein könntet?
Es war eine aufregende Zeit. Wir sind aber eine ganz andere Band als NIRVANA. Ich bezeichne sie nicht als Mainstream, denn sie waren definitiv Pioniere in dem, was sie taten, wie die ganze Grunge-Sache. Sie haben für viele andere Bands Türen geöffnet, nach dem Motto: Wenn diese Idioten damit Geld verdienen, vielleicht können wir Idioten das auch. Aber wir haben uns auch nicht bemüht, wir haben uns nicht beeinflussen lassen. Wir haben uns gefreut zu sehen, dass Musiker auf unserem Niveau damit Geld verdienen können, das war großartig. Und sie waren nette Jungs, wir kamen gut mit ihnen aus. Es gab uns allen Hoffnung. Aber die Hoffnung schwand mit der Zeit. Ich freue mich für alle Bands, die es damals geschafft haben. Na ja, außer für ein paar Bands, die ich nicht ausstehen kann und die ihr Geld auf dem Rücken von richtigem Punkrock gemacht haben. Sie halten sich für eine Punkrock-Band, sind aber keine. They can all go fuck themselves.
Wie hat sich eure Karriere damals entwickelt? Hier in Europa feierten wir all die Bands auf Touch & Go, wir dachten, dass das alles wirklich erfolgreiche Bands in den USA sein müssen. Wie sah eure Realität aus?
Unser Leben hat sich nicht verändert. Wir mussten alle nach jeder Tour zurück nach Hause und zurück zur Arbeit. Wir haben auf Tour kein Geld verdient. Ein gebrauchtes Auto war alles, was wir uns leisten konnten. Wir waren viel auf Tour, teilweise zwei Monate am Stück. Wir tourten wie verrückt, denn das machte man damals, um ein Album zu unterstützen. Und wir haben es geliebt zu spielen, es hat Spaß gemacht und wir haben auf Tour jede Menge dummes Zeug gemacht. Es waren mit die besten Zeiten meines Lebens. Aber die Realität war, dass wir irgendwann zurück nach Hause mussten. Ich musste meine Latzhose wieder anziehen, John musste seinen Werkzeuggürtel wieder anlegen, alle gingen wieder an die Arbeit. Und abends nach der Arbeit probten wir, genau so wie heute auch.
Wie wurde damals getourt? Habt ihr in billigen Motels gepennt oder in eurem Van?
Wir haben im Van geschlafen. Wir schliefen bei irgendwem auf dem Boden. Wir haben in einigen der schlimmsten Dreckslöchern der Welt übernachtet. Wenn mir Leute die Frage stellen, wie es damals auf Tournee war, fällt mir immer ein, dass ich einmal auf dem Küchenboden von jemandem mit dem Kopf neben dem Katzenklo aufgewacht bin. Und ich dachte mir nur: Mann, schlimmer kann es nicht werden. Und dann wurde es natürlich noch schlimmer, denn die Katze tauchte auf und kackte.
Und heute?
Wir haben keinen Tourvan mehr. Und wir sind viel zu alt für diesen Quatsch. Also fliegen wir und übernachten im Hotel. Wir wissen, wie das Touren damals war, und wir wollen das nicht mehr so machen. Wir lieben es immer noch, Musik zu machen, aber es gibt auch Grenzen.
Wie sind deine Erinnerungen an Europa in den Neunzigern?
Das war vor etwa dreißig Jahren. 1993? Genau kann ich mich nicht mehr erinnern ... Europa war großartig. Ich glaube, wir waren ein bisschen zu früh da auf Tour, weil unsere Platte gerade herausgekommen war, also war das eine typische Tour, bei der wir auf den Fußböden der Leute geschlafen haben. Und wir waren in zig verschiedenen Ländern. Wir hatten also einen Fahrer und Übersetzer, aber keinen Tourmanager. Es war super interessant. Ich bin so froh, dass wir diese Gelegenheit hatten, denn als Handwerker aus Chicago kommt man sonst nicht wirklich raus aus dem Land. Ich hatte durch die Band die Möglichkeit, um die ganze Welt zu reisen und unzählige tolle Menschen kennen zu lernen. Das schätze ich an der Banderfahrung wirklich mehr als alles andere. Ich weiß es zu schätzen, dass ich wegen und mit der Band reisen kann, obwohl ich kein reicher Mensch bin. Und wir haben überall Leute getroffen, mit denen wir eine Menge gemeinsam haben. Wo auch immer wir hinkamen, hatten wir etwas mit den Leuten gemeinsam. Und das war, dass sie wie wir Punkrock liebten. Wenn du in eine Stadt kamst, wusstest du genau, dass all deine dir noch nicht bekannten Freunde an diesem Abend da sein würden.
Das „Hauptquartier“ für diese Erfahrung ist einmal im Jahr das Rebellion Festival in Blackpool.
Ich war dieses Jahr zum ersten Mal dort, es war großartig. Ich hatte keine Ahnung, dass es in Europa noch so viele Punkrocker gibt. Und wir waren überrascht, dass die Leute überhaupt wussten, wer wir sind. Es war also großartig. Ich habe dort viele meiner Idole aus der europäischen Punkrock-Szene getroffen.
Und ihr habt echt abgeräumt! Larry, euer Sänger, ging unglaublich ab ... Wie hast du den Auftritt in Erinnerung?
Wenn ich Schlagzeug spiele, dann ist das für mich eine große Befreiung. Ich liebe es immer noch, unsere Songs zu spielen, was ja fast schon seltsam ist nach 35 Jahren. Ich mag unsere Lieder einfach und dann gehe ich ab. Und Larry ... also wenn er nicht gerade Gitarre spielt, springt er meistens vor der Bühne herum. Wir lieben das, weil es die Leute mitreißt und wir keine Superstars da oben auf der Bühne sind – ein Eindruck, den wir vermeiden wollen. Wir sind auch nur ein paar Idioten, wir fahren nach der Show zurück nach Hause und arbeiten wieder auf dem Bau. Ich habe mein erstes Haus erst vor sieben Jahren gekauft, davor habe ich zur Miete gewohnt. Wir sind keine verdammten Rockstars und das wollen wir auch gar nicht sein. Das ist ja der Sinn von Punkrock: Es gibt keine Distanz zwischen Band und Publikum und die Hälfte der Leute sind deine Freunde. Und die großen Rockstar-Punkbands, die können mich am Arsch lecken. Ich rede von den Poser-Rockbands, die alte Punkrock-Songs imitieren und damit ihr Geld verdienen: „Oh ja, das ist mein Einfluss, und das auch.“ Ich sage: „Fuck you, ihr verkauft T-Shirts für verdammte 40 Dollar und eure Tickets kosten 300 Dollar. Go fuck yourself, ihr habt die Punkrock-Welt schon vor langer Zeit verlassen.“ Das ist meine Meinung, das ist meine kleine Schimpftirade.
Kein Grund sich zu entschuldigen, ich bin da ganz deiner Meinung. Du hast immer wieder mal auch in anderen Bandprojekten gespielt. Da war zum Beispiel das Industrial-Punk-Projekt JOY THIEVES, unter anderem mit Chris Connelly.
Dan Milligan hat meinen Bruder und mich mal gefragt, ob wir mitspielen wollen. Letztlich hat er mich gebeten, bei einem Song mitzuspielen. Ich weiß nicht, bei wie vielen Songs mein Bruder mitgemacht hat, aber das war nur eine kleine Nebensache. Wir haben mit den JOY THIEVES nie live gespielt oder so. Das Projekt gab es schon vor der Pandemie, wir waren da mitten in der Corona-Sache beteiligt, im Studio waren nur ich und der Tontechniker und wir trugen Masken. Es war wirklich schwer, mit einer Maske Schlagzeug zu spielen. Das war für mich eher etwas, das man während der Pandemie machen konnte, weil alle so verdammt gelangweilt waren, alle vermissten die menschliche Interaktion.
Und was ist mit NEFARIOUS FAT CATS, wo neben deinem Bruder John Haggerty und Jake Burns von STIFF LITTLE FINGERS noch diverse Chicagoer Punkmusiker beteiligt sind?
Wir machen das jedes Jahr. Es ist eine Band, die gegründet wurde, um auf einer Benefizveranstaltung für eine Stiftung namens KT’s Kids zu spielen. Die kümmern sich um Kinder mit besonderen Bedürfnissen aus einkommensschwachen Familien. Ich glaube, es war vor 18 Jahren, als wir mit dieser Benefizsache kurz vor Weihnachten anfingen, bei der die Leute Spielzeug für die Kinder oder eine Jacke oder Handschuhe oder so etwas mitbringen mussten, um reinzukommen. So hat das angefangen. Es wurde dann immer größer und größer. Die Band, das sind mein Bruder und ich sowie Jake von STIFF LITTLE FINGERS und die beiden Jungs von LOCAL H, Scott und Ryan, sowie Herb, unser Bassist. Wir veranstalten es immer in seiner Punkrock-Bar in Chicago, immer Ende November. Wir machen das seit der Pandemie auch über Zoom, die Leute spenden tonnenweise Geld für diese Kinder. Das ist eine echt gute Sache. Die Kinder sind toll und mittlerweile sind wir noch stärker in die Sache involviert, unternehmen mal was mit den Kids, nehmen sie mit zum Angeln oder gehen mit ihnen in den Zoo. Ein Junge liebt Football, also nehme ich ihn zu einem Spiel der „Bären“ mit und er ist einfach überglücklich. Es ist so einfach, etwas Gutes zu tun.
Ganz anderes Thema: Sind die PEGBOY-Platten noch zu haben? Touch & Go ist ja nicht mehr wirklich aktiv.
Ja, die machen keine neuen Releases mehr, aber die Sachen sind noch zu haben. Wir hatten immer mal die Option, zu einem anderen Label zu wechseln, aber heute bin ich froh, dass wir bei Touch & Go geblieben sind. Corey, der Inhaber, ist ein guter Mensch und ehrlich, der erzählt uns keinen Scheiß.
Euer Freund John Kezdy von THE EFFIGIES ist am 26. August 2023 bei einem Unfall ums Leben gekommen ...
Ja, das ist verdammt schrecklich. Seine Beerdigung war erst letztes Wochenende. Es ist eine Tragödie mit dieser Familie ... Sein Bruder Pierre Kezdy war lange Jahre unser Bassist. Er ist 2020 an einem inoperablen Tumor an seiner Wirbelsäule gestorben. Das hat mir das Herz gebrochen. Pierre war auf Tour mein Bruder, wir waren die besten Kumpel. Der Horror mit John ist, dass es am 4. Juli 2023 eine Massenschießerei in einem Vorort von Chicago gab. Ein Idiot mit einer AR-15 tötete 31 Menschen. Auch John Kezdy und seine Frau wurden bei dieser Schießerei angeschossen. John wurde am Arm getroffen, seine Frau Erica von Schrapnellen verletzt. Die ganze Sache war ein Albtraum, es war einfach nur sinnlos. Die Leute waren auf einer Parade zum Nationalfeiertag. Jedenfalls passierte John erst das ... und dann dieser Fahrradunfall! Die arme Familie ... die sind am Boden zerstört.
2010 war ich in Chicago beim Riot Fest, vor allem um ARTICLES OF FAITH sehen zu können, die da zwei oder drei Auftritte hatten. Einer davon war die beste Hardcore-Show, die ich je gesehen habe.
Sie waren eine tolle Band, einfach unglaublich. Ich durfte sogar mal eine Show mit ihnen spielen, weil ihr Schlagzeuger nicht konnte. Ich dachte nur, das ist das Beste auf der Welt! Ich war immer ein großer Fan, sie sind eine große Band für mich.
Ihr habt rund um das Rebellion Festival ein paar Shows in Großbritannien gespielt, es dieses Mal aber nicht auf das europäische Festland geschafft. Habt ihr Pläne, das nachzuholen?
Es hätte nicht funktioniert diesen Sommer, weil wir zwischen den Shows zu viele Offdays gehabt hätten. Anderthalb Wochen ohne Auftritte hätte bedeutet, dass wir anderthalb Wochen lang kein Geld verdienen und Hotels und Essen bezahlen müssen. Es ist eine Frage des Geldes, wir können uns keinen zweiwöchigen Urlaub in Europa leisten. Wir waren wirklich sehr enttäuscht. Und ja, hoffentlich können wir noch mal nach Europa kommen, denn damals, in den Neunzigern, war das eine gute Erfahrung. Alle meine Erinnerungen an Deutschland damals sind fantastisch. Das steht also definitiv auf der Liste.
Wie sieht es mit neuen Songs, einer neuen Platte aus?
Wir haben gerade erst darüber gesprochen, weil wir ja mit Herb einen neuen Bassisten haben und es wirklich gut mit ihm läuft. England war eine Art Test, ob wir auf den Füßen oder auf dem Kopf landen – und wir sind auf den Füßen gelandet. Alles läuft super. Nächstes Wochenende spielen wir zwei, drei Shows an der Ostküste. Wir sind also wieder richtig aktiv und es sieht aktuell so aus, als ob wir dabei bleiben werden, bis wir im Rollstuhl sitzen.
Wie du gesehen hast, kannst du im Rollstuhl sogar in Blackpool beim Rebellion dabei sein ...
Ja, ich habe einen Typen in einem Elektro-Rollstuhl gesehen, der hatte einen riesigen lilafarbenen Irokesenschnitt. Ich schätze, wir waren nicht die ältesten Punkrock-Leute da, haha. So, es war schön, mit dir zu reden, aber ich muss jetzt los, einen Klempnerjob für meinen Vater erledigen ...
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Diskografie
„Three-Chord Monte EP“ (12“, Quarterstick, 1990)
• „Field Of Darkness/Walk On By“ (7“, Quarterstick, 1991)
• „Strong Reaction“ (LP/CD, Quarterstick, 1991)
• „Fore EP“ (12“/CD, Quarterstick, 1993)
• „Earwig“ (LP/CD, Quarterstick, 1994)
• „Dangermare“ (Split-7“ w/ KEPONE, Quarterstick, 1996)
• „Cha Cha Damore“ (LP/CD, Quarterstick, 1997)
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