PANTEÓN ROCOCÓ

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Rebellion ohne Führer

Seit 1995, kurz nach dem Beginn des zapatistischen Aufstandes in Mexiko, fungiert die zwölfköpfige Latin-Ska-(Punk)Band PANTEÓN ROCOCÓ quasi als musikalischer Arm der Bewegung. Als „Compañeros Musicales“ singen sie über die zapatistische Bewegung und die politische und soziale Situation in ihrem Land. Vor dem Konzert in der Hamburger Fabrik sprach ich mit Darío Espinosa (Bass), Missael (Saxofon) und Paco Barajas (Posaune).

Anfang Mai wurde Galeano ermordet, ein zapatistischer Lehrer. Daraufhin gab der Subkommandante Marcos, der ja auch auf euren Alben zu hören ist, sein „Verschwinden“ bekannt. Was steckt dahinter?

Paco: Der Subkommandante Marcos änderte vor einem Monat seinen Namen in Galeano. Dies geschah im Andenken an die Person, die ermordet wurde. Wir wissen aber nicht, ob hinter diesem Anschlag das Militär oder eine paramilitärische Gruppe steckt.

Missael: Es gibt in diesem Gebiet wieder sehr viel Militärpräsenz und die Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung/EZLN muss sich wieder verteidigen. In diesem Zusammenhang ist von großer Bedeutung, was die Zapatisten zu Anfang geprägt hat: Wir alle sind Marcos. Die Zapatisten bestehen nicht aus einer Person, sondern es sind ganz viele. Es war eher ein Zufall, dass sich die Medien gerade Marcos ausgesucht haben um der Bewegung quasi ein Gesicht zu geben. Für eine Rebellion braucht man keine Führer.

Warum geht die mexikanische Regierung gegen die Unabhängigkeitsbestrebungen vor?

Paco: Das Gebiet der Chiapas gehört zu den Gegenden mit der größten Biodiversität auf der ganzen Welt. Es gibt darüber aber sehr viele verschiedene Theorien, was in Chiapas los ist.

Darío: Abgesehen von den biologischen Reichtümern, ist es eine Region, die auch sehr reich ist an Kultur und, wie man sieht, auch an Rebellion und das ist natürlich etwas, was die Regierung beunruhigt beziehungsweise erzürnt, nämlich der Aufstand.

Paco: Das ist in Chiapas schon eine sehr alte Geschichte. In den Regionen, in denen es einen großen Naturreichtum gab, war es eigentlich schon immer so, dass es nur sehr wenige Leute waren, die über diese Naturreichtümer geherrscht haben. Nachdem die Spanier da waren, und auch schon davor, gab es immer welche, die sich die Reichtümer angeeigneten. Jetzt ist es so, dass die ursprünglichen Völker, also die Leute die schon immer dort gewohnt haben, gesagt haben, es reicht und damit begonnen haben, sich zurückzuholen, was ihnen gehört.

Habt ihr als Band mit Auftrittsverboten, Zensur oder Repressionen von Seiten der mexikanischen Regierung zu kämpfen?

Missael: Nein, wir haben bisher noch keine Zensur erlebt. Durch die großen Medien werden aber unsere Lieder, zumindest jene, die einen sozialen oder politischen Inhalt haben, nicht weiterverbreitet, und ebenso unsere sozialen und politischen Aussagen. Wir haben aber eine sehr große Bandbreite an Stücken, sowohl textlich als auch musikalisch. Wir haben natürlich auch Liebeslieder wie „Arreglame el alma“ und von daher ist es uns möglich, die Öffentlichkeit genau durch diese Lieder zu erobern und zum Beispiel mit Rock auch die großen Medien zu besetzen.

Paco: Von 2000 bis 2012 war es in Mexiko so, dass es das erste Mal eine rechte Regierung gab. Aus dieser Zeit stammt unser berühmtestes Lied, das auch im Radio gespielt wurde, und zwar „La carencia“. Das heißt soviel wie „der Mangel“ oder „das Fehlen“. Es ist ein Lied mit einer klaren sozialen und politischen Aussage. Die rechte Regierung ist eben auch ein bisschen dumm gewesen, ihr Horizont ist nicht sehr weit. Sie haben überhaupt nicht verstanden, was dieses Lied aussagt, deshalb wurde es auch nicht zensiert und immer bekannter. Jetzt ist die alte Regierung zurückgekommen, und die haben schon so etwas wie eine „schwarze Liste“ und es ist ganz klar, dass wir auf bestimmten Regierungsveranstaltungen nicht mehr spielen und auch nicht mehr zu Konzerten eingeladen werden.

Darío: Gerade im letzten Jahr ist es passiert, dass von den Regierungen der Bundesstaaten, zum Beispiel auch von der von Mexiko-Stadt, vermehrt Festivals abgesagt wurden, auch internationale Heavy Metal-Festivals. Die Begründung war immer die mangelnde Sicherheit. Für uns ist das ein ganz absurdes Argument, denn das ist einer der Gründe, die sie seit dreißig Jahren benutzen. Es gibt zwar viele Konzerte und Festivals, aber die Veranstaltungen, die dem Interesse der Regierung entgegenstehen, werden abgesagt.

Songs wie „Democracia fecal“ sind da wohl auch nicht gerade förderlich. Wie entstand dieses Stück?

Missael: 2006 gab es in Mexiko Wahlen, die von vielen Unregelmäßigkeiten begleitet waren. Das Ergebnis war sehr knapp und es gab sehr viele Leute, die davon überzeugt waren, dass eigentlich Andrés Manuel López Obrador die meisten Stimmen gewonnen hatte. Zum Sieger wurde aber Calderón, der Kandidat der Rechten, erklärt. In dem Moment, als dieser wahrscheinliche Wahlbetrug offenbar wurde, haben die Leute angefangen, ihn eben Fecal, also Scheiße, zu nennen. Der Song dreht sich darum, dass diese Demokratie, so wie sie da ist, eine Scheiße ist. Auf unserer neuen Platte „Ni Carne Ni Pescado“ [„Weder Fisch, noch Fleisch“] gibt es jetzt mit „Hostilidades“ ein neues Lied, das sich auf die Wahlen vor anderthalb Jahren bezieht. Auch hier geht es um einen Betrug. Wir beginnen damit unsere Konzerte, aber es versteht sich von selbst, dass es von den großen Medien ignoriert wird.

In euren Songs gibt es zwar einige Bezüge zur deutschen Sprache, etwa das „nach oben, nach unten“ in „La carencia“, aber wie entstand eure Beziehung zum FC St. Pauli?

Darío: Das mit „La carencia“ war sogar hier in Hamburg, in der Roten Flora: Da haben wir einen Freund gefragt, was das auf Deutsch heißt und haben mit dem „nach oben, nach unten“ springen angefangen. Und als wir 2000 das erste Mal hier waren, da waren wir 18 Tage lang in Altona und St. Pauli untergebracht. Wir haben das Alltagsleben kennen gelernt und auch all die Leute mit den St. Pauli-T-Shirts gesehen. Diese Leute waren alle sehr zufrieden, weil St. Pauli in diesem Jahr nicht in die dritte Liga abgestiegen ist. Vor dem Keyboard haben wir dann die Fahne von St. Pauli benutzt und die T-Shirts getragen. Der Club hat dann angefangen zu fragen, wer diese mexikanische Band ist, die hier mit dem St. Pauli-Zeug herumläuft. Sie haben uns zu einigen Spielen einzuladen. Schließlich hatten sogar wir die Möglichkeit, beim hundertjährigen Jubiläum vom FC St. Pauli zu spielen. Da haben wir „Das Herz von St. Pauli“ auf Deutsch gesungen.

Missael: Für uns ist es wichtig, dass die Philosophie des Clubs ähnlich ist, also was die Leute angeht. Bei uns, und auch für die Zapatisten, sind das definitiv Antirassismus, Antifaschismus und Antihomophobie.

2003 wurdet ihr während einer Tour nachts in Brandenburg auf einer Autobahnraststätte von Rechtsradikalen angegriffen. In der Presse tauchte dies recht lapidar als „eine Auseinandersetzung zwischen zwei Reisegruppen“ auf.

Darío: Die Wahrheit war natürlich, dass uns Neonazis angegriffen haben. Das war eine direkte Attacke. Wir waren 18 Personen und die waren zu acht. Es war für uns eine sehr schreckliche Erfahrung, auf der anderen Seite hat es uns einmal mehr von der Notwendigkeit des antifaschistischen Kampfes überzeugt. Es gab sogar eine Gerichtsverhandlung, die wir gewonnen haben. Das war uns sehr wichtig, in dieser Gerichtsverhandlung zu zeigen, dass es ein faschistischer Angriff war, damit es in die Statistik nicht als unpolitische Auseinandersetzung zwischen Reisegruppen eingeht. Das war ein rassistischer Angriff!

Paco: Die Polizei sagte uns damals, wir sollten nicht gegen die Beamten oder die Angreifer klagen, sondern in unser Land zurückkehren. Sie sahen uns eher als Täter denn als Opfer.

Missael: Das ist sehr wichtig, denn zwei Wochen vor diesem Vorfall hatte genau diese Gruppe einen Äthiopier zusammengeschlagen hat, und als sie uns attackiert haben, da kamen sie gerade von einer anderen Prügelei, die sie angefangen hatten.

Darío: Die Polizisten haben versucht, die andere Gruppe zu schützen, weil sie Leute davon kannten. Dieser Prozess richtete sich im Prinzip gegen die Polizei. Für uns war es positiv, weil wir jetzt wissen, worum es geht. Wir sind eine Gruppe, die von den Medien wahrgenommen wird und in der Öffentlichkeit steht, aber es gibt so viele Leute, die keine Presse haben und deren Fälle werden nie bekannt.