Sein Band-Lebenslauf ist makellos und taugt dazu, den musikalischen Geschmack mancher Menschen in Gesamtheit zu umreißen: Dan Yemin war einst (und ist es seit der Reunion wieder) in LIFETIME, später dann bei KID DYNAMITE und nebenher bei ARMALITE. War er bei all diesen Bands aber "nur" der Mann an der Gitarre (oder am Bass), so ist er bei den 2002 gegründeten PAINT IT BLACK der prototypische Hardcore-Frontmann schlechthin. Mit rasiertem Schädel tobt er barfuß über die Bühne, ist der einzig legitime Nachfolger von Rollins, MacKaye und Ray Of Today und hat mit "New Lexicon", dem neuen, dritten Album seiner Band, eines der besten Hardcore-Alben der letzten Zeit aufgenommen, das zudem durch die Produktionskünste von DÄLEKs Oktopus auch klanglich neue Maßstäbe setzt. Ich sprach mit Dan, der als selbständiger Kinder- und Jugendpsychologe arbeitet, über seine Band, seine Musik und so manches mehr.
Dan, geht’s dir gut?
Na ... ich bin noch etwas schläfrig. Es war spät letzte Nacht, ich hab wohl etwas zu viel getrunken.
Irgendwie dachte ich immer, du wärst straight edge.
Oh nein, ich bin definitiv nicht straight edge. Ich liebe Jack Daniels, aber ich bin kein Whiskey-Liebhaber. Alkohol ist mir nicht wichtig genug, um mich so eingehend damit zu beschäftigen. Mir reicht es, wenn ich weiß, was ich mag. Und ich versuche auch, weniger zu trinken als früher, denn du weißt ja, wenn man älter wird, macht einen das Trinken auch langsamer.
Als ich eben versuchte, dich anzurufen, hatte ich zuerst deine Mailbox dran, mit einer Ansage, in der du Patienten darum bittest, im Notfall direkt den Notruf zu wählen. Hast du als Psychologe solche Krisenpatienten?
Ich gebe ihnen diese Nummer für den Fall einer lebensbedrohlichen Situation, etwa wenn jemand darüber nachdenkt, sich umzubringen. Aber ich bekomme auf diesem Telefon nur sehr wenige Anrufe.
Arbeitest du denn in einer Klinik oder bist du selbständig? Bist du so ein Typ mit einer Liege, wie man ihn aus Woody Allen-Filmen kennt?
Also erst mal bin ich meine eigener Boss, und das, was Woody Allen in seinen Filmen gerne zeigt, sind Psychoanalytiker, nicht Psychologen. Psychoanalytiker sind die Leute, die in der Tradition von Freud stehen, und diese Zunft ist auf dem absteigenden Ast. Diese Art von Therapie besteht klassischerweise darin, dass du mehrmals die Woche mit deinem Analytiker sprichst, und das ist meiner Meinung nach für die Menschen viel zu zeit- und kostenintensiv. Ich empfange meine Patienten meist einmal die Woche, und für meinen Job braucht man einen Uni-Abschluss und eine staatliche Zulassung, um praktizieren zu dürfen.
Bei Menschen deines Berufsstandes denke ich immer, dass sie doch sicher auch ihr privates Umfeld und sich selbst ständig ganz analytisch betrachten. Oder kannst du zwischen den beiden Modi wechseln?
Ach, ich kann das schon auseinander halten. Problematisch wird es für mich immer nur, wenn ich es mit Freunden zu tun habe, die ganz klassische Verhaltensmuster an den Tag legen: Menschen, denen nichts glückt, die von einer missglückten Beziehung in die nächste stolpern, bei denen sich das wie ein roter Faden durchs Leben zieht. Da fällt es mir schwer, das nicht unter psychologisch-professionellen Aspekten zu sehen. Ansonsten bin ich ganz gut darin, den Psychologen in mir auch mal abzustellen.
Und was denkt dieser über jenen Dan Yemin, der bei Live-Konzerten mit bloßem Oberkörper über die Bühne tobt?
Hm ... Aus psychologischer Sicht würde ich sagen, dass der in seinem Alltagsleben vielleicht etwas gehemmt ist, was das Ausdrücken von Wut betrifft. Aber daran arbeite ich, denn es ist nicht gut für eine Beziehung oder Ehe, wenn man sich nicht gestattet, ab und zu auch mal wütend zu werden.
Ich habe kürzlich mit Dave Hause von THE LOVED ONES gesprochen und ihn gefragt, wie er die Entwicklung seiner Band sieht, die ja die gleichen Wurzeln hat wie PAINT IT BLACK. Während Dave heute aber Musik zwischen Punk und Springsteen macht, sind PIB ihrem klassischen Hardcore-Sound treu geblieben.
Die Verbindung zwischen beiden Bands ist die gemeinsame Geschichte. Dave und ich haben uns viel über den Songwriting-Prozess unterhalten, über die Frustration darüber und die Belohnung dafür. Wir sind uns einig, was den Kampf anbelangt, sich auf diesem Wege auszudrücken, denn ganz ehrlich, es gibt ja keine neuen Lieder auf der Welt. Wir bemühen uns aber, über altbekannte Themen auf neue Weise zu sprechen, versuchen, mit Worten zu spielen und etwas zu bewegen, ohne dass man sich dabei ständig selbst wiederholt. Basis unserer Musik ist dabei klassischer Hardcore, aber wir versuchen auch, eine neue Richtung einzuschlagen.
Was konkret bedeutet, dass ihr Oktopus von DÄLEK euer neues Album habt produzieren lassen?
Zum einen das, zum anderen – und das ist nicht so auffällig – finden sich auf dem neuen Album weniger schnelle Geradeaus-Songs. Wir konzentrieren uns stattdessen mehr auf die langsameren Parts und die Dynamik, und es finden sich auch spacige, dronige Elemente, die eigentlich nicht so ohne weiteres in unseren BAD BRAINS/BLACK FLAG-Sound passen. Klar, versuchen wir diesen Wurzeln treu zu bleiben, aber wir experimentieren diesmal mehr, wobei ich das Wort "experimentieren" nicht mag, weil es die falschen Erwartungen hervorruft.
Du hast diesmal aber auch neue Leute in der Band. Hat der veränderte Sound auch damit zu tun?
Ich denke nicht. Ich bin immer noch der Hauptsongwriter, wobei der Rest der Band diesmal mehr beteiligt war. Im alten Line-up hätte es aber mit ein paar der neuen Songs Probleme gegeben, die es mit dem neuen Line-up nicht gab. Da ist mehr Offenheit für Feedback vorhanden, die anderen bringen sich mehr ein. Und: Ich habe erstmals das Gefühl, dass wir eine Band sind, dass da nicht nur ein paar Typen meine Songs spielen. PAINT IT BLACK sind jetzt eine richtige Band.
Und, war das eine schmerzhafte Erkenntnis?
Ich wollte das ja schon immer, aber ich bin da wohl zum Teil auch selbst schuld, konnte nicht loslassen. Ich musste das erst lernen, ich bin ein Kontrollfreak.
Dafür gibt es auch den schönen Euphemismus „starke Persönlichkeit“.
Haha, ja, wenn du so willst. Einerseits will ich immer, dass es so läuft, wie ich mir das vorstelle, andererseits hätte ich es gerne, dass alle in der Band die Songs als ihre ansehen. Diesmal habe ich es aber geschafft, den anderen zu vertrauen, und es war eine heilsame Lektion für mich, denn das Ergebnis, die neue Platte, hat meine Erwartungen weit übertroffen. Dabei ist das ganz von selbst gekommen. Ich habe es ja immer gehasst und das als Blödsinn abgetan, wenn die anderen früher von „Dans Band“ redeten, aber es stimmte, und diese Einschätzung hat es den anderen auch einfach gemacht, einfach zu gehen, wenn sie keine Lust mehr hatten. Dabei war das das Letzte, was ich wollte. Außerdem hat die jetzige Band eine ganz andere Arbeitsethik als früher. Da wussten wir, dass wir ins Studio gehen, haben aber dennoch nicht geprobt. Jeder von uns hatte halt auch noch anderes zu tun – Arbeit, Familie, andere Bands ... Diesmal aber hatten wir alle Spaß daran, richtig ausgiebig zu proben – und dann kam meine Arbeit und im Juni meine Heirat dazwischen, und natürlich auch das LIFETIME-Album. Na ja, und ich muss oft bis abends um neun arbeiten, und da haben die anderen einfach ohne mich geprobt. Und als ich dann dazustieß, sagten sie, dass sie schon seit Stunden proben. Das war eine ganz neue Erfahrung, denn die Jungs aus der alten Band wollten immer schon nach einer Stunde wieder nach Hause.
Wie schreibst du denn Songs?
Ich schreibe die Songs zu Hause am Computer, mit Drum-Machine, Gitarren und so weiter, und diese Demos maile ich dann an die anderen in der Band. So sparen wir viel Zeit beim Proben, denn jeder kann die Songs schon zu Hause üben. Nun will ich aber nicht, dass alle Songs nach dem Schema „Schneller Teil A, schneller Teil B, schneller Teil A – langsamer Teil“ und so weiter ablaufen, und da kommen jetzt die anderen in der Band ins Spiel, die sich Arrangements und neue Ideen zu meinen Songs ausdenken. Damit überraschten die mich also erstmals bei einer Probe, als ich spät dazukam, und die spielten mir das ängstlich vor, so mit dem Blick „Was wird der Boss wohl dazu sagen?“ – und ich war begeistert! Und ab da habe ich ihnen freie Hand gelassen, gebe ihnen nur das „Skelett“ eine Songs vor, und die anderen sorgen für das Fleisch.
Und wo kommt hier Oktopus als Produzent ins Spiel?
Wir nahmen alle Basic Tracks zusammen mit J Robbins in seinem Studio in Baltimore auf, wo wir ja auch unser letztes Album aufgenommen hatten. Wir kennen ihn schon lange, er ist ein guter Freund, er war selbst in vielen guten Bands. Diese Aufnahmen brachten wir dann zu Oktopus ins Studio, und er sagte, er wolle vier Tage Zeit für die Post-Production. Er müsse sich in die Songs vertiefen, um sie zu verstehen und werde sie dann Stück für Stück seinem Empfinden nach anreichern. Er fragte uns, ob wir ihm diese Freiheit gewähren könnten. Danach würden wir uns dann alle zusammensetzen und wir könnten ihm sagen, was uns an seinen Veränderungen gefällt und was nicht, was für Veränderungen wir wünschen. Und so haben wir ihn dann vier Tage mit den Songs alleine gelassen, und er drehte völlig durch, haha.
Und ihr habt ihm da völlig freie Hand gelassen?
Na ja, einer von uns war immer dabei. Aber es lief schon so ab, dass er sich immer wieder für eine Weile zurückzog, irgendwas machte und dann bat, sich das mal anzuhören. Er hatte eine Menge Ideen, er nannte uns unzählige Referenzpunkte, also anderen Platten mit verschiedenstem Sound, die uns gut gefallen, und tastete sich so an unseren Sound heran. Unsere musikalischen Referenzpunkte sind natürlich von jeher BLACK FLAG, BAD BRAINS, MINOR THREAT, SONIC YOUTH, JOY DIVISION, doch für die Produktion kamen noch andere Bands und Platten ins Spiel etwa SPACEMEN 3, THE JESUS & MARY CHAIN, FAUST ...
... und DÄLEK, oder? Stellenweise hat man das Gefühl, da habe jemand PAINT IT BLACK über DÄLEK gelegt, was mir sehr gut gefällt.
Ich bin von Anfang an ein großer DÄLEK-Fan. Ihre Platten klingen so unglaublich dicht und apokalyptisch, und das ist auch eine gute Stimmung für ein PAINT IT BLACK-Album. Abgesehen davon sind DÄLEK die absolut heavieste Band, die ich je gesehen habe. Ich kenne Oktopus ja schon seit über 15 Jahren, er kommt ja auch aus der Hardcore-Szene. Er hat damals auch schon die LIFETIME-Demos aufgenommen, auch mit seiner Band zusammen mit uns gespielt. Wir sind über die Jahre in Kontakt geblieben, und von jeder neuen DÄLEK-Platte bin ich total begeistert. Die bringen bei Konzerten übrigens immer ihre eigene PA mit, denn was sie vorfinden, ist fast immer nicht laut genug für sie. Die haben abartige Subwoofer dabei und machen zu zweit den heaviesten Noise, den ich jemals gehört habe – Lärm, der deinen ganzen Körper durchschüttelt. Und ganz ehrlich, was im heutigen Hardcore als „heavy“ verkauft wird, ist für mich überhaupt nicht heavy, das sind höchstens Heavy-Metal-Gitarren aufeinander geschichtet. Und so brauchte ich jemand für die Produktion, der mein Verständnis von „heavy“ teilt. Ich wollte, dass die Platte so klingt, dass deine Lautsprecher in den unteren Frequenzen kaum noch damit klarkommen. Und ich denke, das haben wir geschafft.
Allerdings gibt es dadurch einen Unterschied zwischen der Band auf Platte und der auf Tour – oder ist Oktopus jetzt immer dabei?
Nein, aber für mich hat sich in den letzten zehn Jahren auch herausgestellt, dass Liveshows einerseits und das Studio andererseits zwei völlig verschiedene Medien sind - so wie sich Malerei und Bildhauerei unterscheiden. Und unser neues Album ist eines für den Kopfhörer, weniger fürs Auto. Ich habe es mittlerweile schon so oft gehört, entdecke aber bei jedem Hören noch neue Details, die Oktopus irgendwo im Hintergrund versteckt hat. Stell dir die Platte wie ein Zimmer in deinem Haus vor: dann sind Gesang, Bass, Gitarre und Schlagzeug die Möbel, und von Oktopus stammt die Tapete. Und alles, was er da so eingebracht hat, stammt aus unseren ursprünglichen Aufnahmen und wurde von ihm moduliert.
Hat so was schon mal jemand anderes gemacht oder wie kamt ihr darauf?
Würde ich behaupten, dass wir was ganz Neues geschaffen haben, dann klänge das arrogant. Ehrlich gesagt, weiß ich es nicht. Ich weiß aber, dass nur sehr wenige Hardcore-Bands mal das Risiko eingehen, etwas Neues auszuprobieren. Genau das war aber meine Absicht.
Auf die Gefahr hin, die Kids zu verschrecken, die Hardcore eher simpel wollen?
Die hassen uns ja sowieso schon, hahaha. Wenn mir jemand erzählt, er finde ja unser erstes Album besser als das zweite, dann bin ich zwar höflich und sage nix dazu, denke mir aber „Bist du verrückt?! Hast du keine Ohren?!“. Das erste Album klingt wie KID DYNAMITE mit mir als Sänger, und das war eigentlich nicht das, was ich wollte. Ja, wir spielen noch sechs oder sieben von den alten Songs live, ich mag die auch, aber eben nicht das Album. Auf „Paradise“ dagegen bin ich bis heute stolz. Und was nun die Kids anbelangt, die uns mögen: das sind Leute, die auch andere Musik als nur Hardcore mögen. In deiner eMail-Signatur hast du ein Zitat von Roger Miret: „Never trust a hardcore kid that has not listened to punk.“ Und das sagt eigentlich alles, auch wenn ich das selbst nicht so drastisch formuliert hätte. Es ist natürlich schwer, mich daran zu erinnern wie es war, als ich 16 war. Ich weiß nicht mehr, wie eng meine Sicht auf die Welt damals war, aber ich merke heute, dass Kids, die auf traditionellen Hardcore wie MADBALL oder CRO-MAGS stehen, sich nicht für uns interessieren. Vielleicht liegt es daran, dass wir keine Metal-Einflüsse verarbeiten, und das ist ja derzeit angesagt. Und wahrscheinlich habe ich damals auch Bands nicht gemocht, die mir heute gut gefallen: 1995 hätte ich zum Beispiel niemals PULP gehört. Dabei hat das keinen Sinn gemacht, denn ich mochte ja auch damals schon Elvis Costello. Warum ich die Verbindung nicht früher erkannt habe, ist für mich ein Mysterium.
Alt zu werden hat also auch Vorteile.
Ja, aber ich will auch nicht altklug rüberkommen, denn wir haben auch viele junge Fans. Die wissen ganz genau, was sie wollen, die muss man nicht mit guter Musik zwangsfüttern. Deshalb denken wir also kaum darüber nach, wem was an unserer Musik nun gefällt und wem nicht. Wichtiger ist, dass man seinen musikalischen und politischen Überzeugungen und sich selbst treu bleibt, und es wird immer Leute geben, die das erkennen und zu schätzen wissen. Daran glaube ich.
Dein Stage-Acting ist sehr ausgeprägt: Es gibt heute nur wenige Sänger, bei denen man so gute Fotos bekommt wie bei dir. Übst du die zu Hause vor dem Spiegel, wer ist dein Vorbild?
Also erst mal komme ich bei weitem nicht an meine Vorbilder ran. Ich bewege mich wohl oft wie Rollins, es schmeichelt mich, wenn ich mit ihm verglichen werde, aber als „Vorbild“ würde ich ihn auch nicht bezeichnen. Ich würde mir wünschen, ich könnte eine Kombination aus Ian MacKaye, Jello Biafra und Ray Of Today sein. Das sind für mich die drei klassischen Punk-Frontmen: Jello war immer sehr theatralisch, Ian war eher sarkastisch und immer wütend, und Ray wirkte, als sei er auf Speed, was er natürlich nicht war. Als ich das erste Mal eine YOUTH OF TODAY-Platte hörte, musste ich lachen, denn ich konnte nicht glauben, dass das eine menschliche Stimme ist, haha. Das sind also meine Role Models, an die ich aber nicht herankomme, und außerdem bin ich kurzatmig. Ich trainiere zwar, aber es ist wohl das Alter ... Ich brauche immer vier, fünf Songs, um warm zu werden, und fühle mich dabei, als müsste ich mich gleich übergeben. Und um deine Frage zu beantworten: Nein, ich übe nicht vor dem Spiegel.
Wie hast du Jeff Pezzati von NAKED RAYGUN als Gastsänger gewinnen können?
Haha, der hat übers Telefon aus dem Knast raus seinen Gesangspart beigesteuert, wie damals HR. Kennst du die Geschichte? HR hat damals „Sacred love“ aus dem Knast übers Telefon gesungen, deshalb klingt das auf dem Album so seltsam. Nein, also mit Jeff, das war reines Glück. Wir sind alle große NAKED RAYGUN-Fans, und als wir damals "Paradise" aufnahmen, haben J und ich mal eine ganze Nacht lang nur über diese Band geredet – wie großartig die waren, und wie J mal zu JAWBOX-Zeiten für eine Tour bei PEGBOY gespielt hat. Er sagte, wenn er eines in seinem Leben bedauere, dann PEGBOY wieder verlassen zu haben. Ich schrieb also „Shell game redux“ mit diesem hymnenhaften Part am Schluss, und wenn man seine Lektion in Sachen Punkrock gelernt hat, ist klar, dass so ein „Uohohoho-hoho“-Part zwangsläufig an NAKED RAYGUN erinnert. Übrigens gab es so einen Part schon auf „Paradise“ und auch auf „CVA“. Wir haben diesen „Uohohoho-hoho“-Part über Monate immer wieder geübt, und scherzhaft sprachen wir darüber, wie toll es wäre, wenn Jeff Pezzati selbst das singen könnte. Praktischerweise ist die Punk-Szene ja ein Dorf, jeder kennt jeden, und so kam über Pezzatis Zweitband THE BOMB eine Verbindung zustande. Deren Gitarrist ist ein alter Freund von mir – er war der erste Mensch mit einem LIFETIME-Tattoo, den ich traf –, und das THE BOMB-Album wiederum hatte auch J Robbins produziert. Also rief ich J an, und über meinen Freund Jeff kam ich dann an Jeff Pezzati ran. Der rief mich eines Abends an, wir besprachen die Details, und er ging dann in Chicago ins Studio und sang seinen Part.
Kommen wir noch mal auf deinen Beruf zu sprechen: Was sagt denn die Psychologie zur Besessenheit der Punk- und Hardcore-Szene von der Farbe Schwarz?
Ich denke,wir sind von Negativität besessen. Es gibt eine Menge gespielten wie echten Nihilismus in der Szene, und Punk hat es ja drauf, sich ständig selbst zu recyclen, sich aufzufressen und wieder auszuscheißen, und Schwarz als Metapher ist einfach eine sehr starke Möglichkeit, etwas über die menschliche Existenz zu sagen.
Hat deine Berufswahl etwas damit zu tun, mehr über die Abgründe der menschlichen Existenz erfahren zu wollen?
Nein, meine Beweggründe waren viel simpler. Ich war damals Anfang zwanzig und stand vor der Frage, auf welches Gebiet ich mich bei meinem Studium konzentrieren sollte. Ich dachte dann über die grundsätzliche Art der verschiedenen Berufe nach und erkannte, dass es „gebende“ und „nehmende“ Berufe gibt. Ich war und bin ein idealistischer Mensch, was auch mit meinem Punk-Sein zu tun hat, und so war mir klar, dass ich ein Geber und kein Nehmer sein wollte. Psychologie machte da Sinn für mich, denn man ist mit Menschen eins zu eins in Kontakt und hat weniger als etwa ein Sozialarbeiter mit den Problemen des Systems als solchem zu kämpfen. Ich hatte das Gefühl, das Individuum stellt ein „Problem“ dar, mit dem ich klarkommen kann, im Gegensatz zu komplexen gesellschaftlichen Problemen. Außerdem hatte ich großes Interesse an Literatur, und ich finde, Literaturwissenschaft und Psychologie sind sich durchaus ähnlich in dem Sinne, dass man auch bei einem literarischen Werk nach dem zentralen Thema suchen muss, analysieren muss, wie der Autor damit im Verlauf der Geschichte umgeht. Und mit meinen Patienten ist es nicht anders: Die kommen zu mir, um Hilfe zu erhalten, und erzählen mir ihre Geschichte. Die fragen sich und mich, warum sie, egal, wie sehr sie sich auch bemühen, am Ende immer wieder unglücklich sind. Ich höre mir ihre Geschichten an, achte auf ein sich wiederholendes Thema, analysiere es und versuche dieser Person dabei zu helfen, zu ergründen, warum sie ihrem Glück immer wieder selbst im Wege steht. Ich meine, jeder von uns hat die Tendenz zu solchem Verhalten, und mein Job ist es, die Ursachen zu erkennen. Und es ist ein gebender Beruf, mit dem ich einen kleinen Teil der Welt etwas besser machen kann, als er es vorher war. Das ist mir wichtig, und nein, ich bin kein Fan von Nihilismus. Nihilismus ist feige.
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