P.A.I.N.

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Grow more Weed

Selten habe ich so wenige Informationen über eine interessante Band im Vorfeld gehabt wie über die britische Anarcho-Dub-Punkband P.A.I.N. a.k.a. PROPAGANDA AND INFORMATION NETWORK. Spätestens seit dem Dirty Faces-Jubiläumskonzert in Mühlheim in diesem Jahr wurde mir klar, diese Band wird ihrem Namen wirklich gerecht. Im Dezember steht noch eine Deutschlandtour an, die ihr wirklich nicht verpassen solltet! Es dauerte eine Weile, bis der Kontakt zur Band ausfindig gemacht war, dann aber führte ich doch noch ein Telefonat mit Gründungsmitglied, Sänger und Gitarrist Phil.

Gegründet 1995, spielten John (Keyboard/Vocals), ex-Sänger der Band AOS3 (AUGUSTUS OWSLEY STANLEY III), Phil (Guitars/Vocals), Ozzy (Bass/Vocals) und Dan (Drums/Vocals) innerhalb weniger Jams ein Set ein, das sie nur kurze Zeit später in der Hausbesetzerszene zum Besten gaben. Widmete sich die junge Generation dem zeitgemäßen Skapunk, zeigt Phil dafür nur mäßig Interesse: „Lalala, I Love You?! Nein, das haut mich nicht um! Unser Sound ähnelt dem der RUTS oder THE CLASH„, was ihnen in England die Bezeichnung „THE CLASH of the Nineties„ einbrachte. Mit 38 Jahren auf dem Buckel, weiß Phil von den Anfängen zu berichten: „Punkrock war ein Boom. John Lydon war ziemlich unbeliebt, was mir mit 12 oder 13 großartig gefiel. Als ich dann noch die ersten Sachen von den SEX PISTOLS, X-RAY SPEX oder THE CLASH hörte, war ich einfach nur noch hin und weg von dieser ehrlichen Art. Punkrock hat dieses Unnahbare der beschissenen Stadionbands zerstört. Irgendjemand läuft auf die Bühne, schnappt sich das Mikro und schreit einfach mit. Natürlich hat sich zwischenzeitlich viel verändert und es wird auch nie mehr so sein, dennoch gibt es immer wieder junge Bands, mit denen wir gemeinsam spielen, die mich selbst nach 25 Jahren Punk durchaus begeistern.„

Was es mit der Bandbezeichnung P.A.I.N. auf sich hat, erklärt Phil so: „Im Vordergrund steht die Musik. Dennoch, als Undergroundband wollten wir als Propaganda- und Informationsnetzwerk auftreten, damit den Leuten diverse Geschehnisse und Berichte mitgeteilt werden - das Netzwerk für diverse anarchistische Gruppierungen in Europa.„

Trotz oder gerade wegen des Namens, stehen sie den Medien selbst kritisch gegenüber. So arbeiten P.A.I.N. zwar an einer eigenen Homepage, dennoch ist die selbsternannte „independent, not-for-profit disorganisation„ Iron Man Records in Birmingham, ihre Plattenfirma, nicht gerade ein mustergültiges Beispiel für aktuelle Informationen... Zu Songs wie „Schtum„ oder „Riot„ ergänzt Phil: „Der große Bruder ist allgegenwärtig! Es geht um die Unterwanderung der Privatsphäre. Zudem kann es so nicht länger weitergehen. Während immer weniger Leute alles besitzen, gibt es für die restliche Menschheit nur noch die Bombe. Was muss noch alles passieren, bis sich etwas ändert? Eines wird dabei klar, es muss sich etwas ändern.„

Ähnlich wie bei CITIZEN FISH, die heute immer noch als ex-SUBHUMANS angekündigt werden, fanden die früheren Bandbezeichnungen vor allem in Deutschland in den Medien gerne Verwendung, wenngleich P.A.I.N. davon nicht immer angetan waren, wie Phil anmerkt: „Heute, nach acht Jahren geht das in Ordnung, vor allem wenn es sich dabei um einen Veranstaltungsort handelt, an dem wir bisher noch nicht gespielt haben. Am Anfang, als wir des öfteren in Deutschland spielten, waren wir von derartigen Vorankündigungen auf Plakaten ziemlich angepisst. Schließlich sind das nur Bezeichnungen und haben mit P.A.I.N. wenig zu tun.„

1996 wird die erste Platte mit dem Titel „Oh My God, We’re Doing It...„ unter dem bandeigenem Label P.A.I.N. Records produziert und unter Iron Man Records, deren Lizenzen man für alle weiteren Veröffentlichungen übertrug, veröffentlicht. Das Cover sowie das P.A.I.N.-Labellogo ist mit dem anarchistischen Tintin (alias Tim von „Tim und Struppi„) aus dem Buch „Rising Free„ verewigt. „Tintin ist normalerweise ein Vollidiot! Durch das Buch, in dem Tintin zum Anarchisten wird, kam die Anregung, sowohl das Cover als auch das Labellogo, Anarchisten-T-Shirts und dergleichen zu machen„, berichtet Phil amüsiert darüber.

Trotz einiger Livetapes, die über das Label Iron Man Records erhältlich sind, erscheint erst im Juli 2000 ihr zweites Studioalbum „Our Commences Starts Here„, mit Unterstützung von Percussionisten und Saxophonisten Steu. „Der Titel entstand während der Aufnahmen, nachdem die Cannabisgesetze in England geändert wurden. Es war das ‚Aus’ für uns, nachdem wir uns so sehr für die Legalisierung von Cannabis in England einsetzen. Das Cover-Artwork zeigt einen Menschen in der Gefängniszelle. Jedes Bandmitglied war bereits inhaftiert. Man hat viel Zeit die Geschehnisse zu reflektieren und wie das System mit dir umgeht„, wie mir Phil Auskunft gibt.

Das gesamte Werk „O.U.C.H.„ besteht aus anarchischen Momenten, vor allem aber Cannabis ist das Thema Nummer Eins, wovon unter anderem „Rocking Cross De Borda„ erzählt: „Wir waren in Prag/CZ und spielten einen Gig in einem besetzen Haus. In der Regel haben wir immer etwas zu Rauchen, aber an diesem Abend hatten wir nichts mehr im Gepäck. Nach dem Auftritt sprach uns ein Typ wegen ein paar Platten an, teilte uns aber mit, dass er uns kein Geld aber Gras anbieten könnte. Ein Sack voll mit sehr gutem Zeug, den wir in der Bassdrum über die Grenze nach Deutschland schmuggelten.„

Widmet man sich dem Cover-Artwork genauer, so entdeckt man den Namen der exzentrischen Pop-Artistin Kate Bush, deren 1985 aufgenommener Song „Cloudbusting„ als Sample zu P.A.I.N.s themenverwandtem Song „Eastern Dub (Wilhem Reich In Hell)„ bestens geeignet war, wie in diesem Zusammenhang Phil erklärt: „Wilheim Reichs wissenschaftliche Arbeiten und die Erfindung des Orgonakkumulators führten in den USA so weit, dass seine Aufzeichnungen, Bücher und Veröffentlichungen vernichtet wurden und er amtlich als verrückt erklärt wurde. Da Kate Bushs ‚Cloudbusting’ und ‚Eastern Dub’ ein ähnliches Thema verbindet haben wir uns diesem Sample bedient, ohne mit der Genehmigung der EMI zu rechnen.„

Trotz gesetzlicher Rückschlage betreffend der Legalisierung von Cannabis in England, lassen sich P.A.I.N. nicht entmutigen und veröffentlichen Mitte 2001 die Benefizsingle „(Let Me) Grow More Weed„ mit Howard Marks, von dem mir John folgendes erzählt: „Howard Marks ist aus den 60ern und 70ern bekannt, den kennt jeder Haschischraucher in Europa . Er hat tausende Kilogramm an Ware verbreitet, wurde festgenommen und inhaftiert. Er schrieb über sein Leben und wurde durch sein Buch (das sich übrigens millionenfach verkauft hat und in vielen Sprachen übersetzt wurde) berühmt, so dass er heute auf Veranstaltungen spricht. Letztes Jahr waren wir und Howard Marks auf einem Cannabis-Festival gemeinsam eingeladen, wir kamen ins Gespräch, er besuchte uns daraufhin im Studio und ziemlich stoned spielten wir den Song ‚Grow More Weed’ ein. Die ‚Grow More Weed CamP.A.I.N.’ haben wir selbst ins Leben gerufen.„ Neben der Vinylversion auf Dirty Faces, gibt es noch eine Maxi-CD und ein Video von der Liveperformance von besagtem Festivalgig.

Wollte John bereits nach der ersten Platte aufgrund Verwirklichung eigener Pläne die Band verlassen, vollzog sich dieser Weggang zwar erst Anfang 2002, nachdem die Aufnahmen zur Benefit-Single mit Haschischguru Howard Marks eingespielt waren, dennoch schienen ihm sieben Jahre definitiv zu viel Zeit für ein einziges Projekt gewesen zu sein, auch wenn John in einem Interview für ein Online-Magazin äußerte, dass er 2006 mit dem fünften P.A.I.N.-Album beschäftigt sei, und als Headliner in der Brixton Academy spielen würde. Bis dahin können noch viele Joints gebaut und geraucht werden. Dennoch kann man guter Dinge sein, denn Phil schreibt an neuen Songs, die voraussichtlich im Frühjahr 2003 aufgenommen werden und im Laufe des Jahres auf Platte erscheinen sollen. Zum Stand meiner Dinge bis Redaktionsschluss dieses Textes, war Mitte Dezember 2002 eine Deutschlandtour geplant, auf der der eine oder andere neue Song im Set dabei sein soll. Also, checkt die Tourdaten und lasst euch ein derart einzigartiges Konzerterlebnis nicht entgehen, denn selten habe ich so ein aggressives und singfreudiges Publikum erlebt, als am 26.04. diesen Jahres im Mühlheimer AZ, worüber Phil nüchtern zu berichten weiß: „Du, wir machen das jetzt acht Jahre lang!„ Auf dass es noch einige Jahre mehr werden...