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Folge 47: Roter Stern Leipzig

Fußball – von vielen geliebt und von vielen gehasst. Im Laufe der Jahrzehnte nahm die Kommerzialisierung stetig zu, in der Bundesliga werden mittlerweile Milliarden umgesetzt. Gibt es Alternativen, wenn das „Deutschland-Fieber“ bei der WM zunehmend auch das alternative Milieu packt? Da fällt jedem sofort der Verein St. Pauli ein, der in den höheren Ligen gute politische Botschaften sendet. Weiter unten gibt es noch ein paar – wie den Verein ROTER STERN LEIPZIG, der wegen seines explizit politischen Auftretens weit über der Stadtgrenze hinaus bekannt ist. Vor dem Siebtliga-Spiel gegen Sermuth befrage ich Conrad und Thomas zur Geschichte und dem momentanen Stand des Vereins.

Was war der Anlass für die Gründung des Vereins?

Conrad:
Der Rote Stern wurde 1999 von zwanzig jugendlichen Punks, Skinheads und Ultras von Chemie Leipzig gegründet. Die haben zusammen in der fünften Mannschaft von Blau-Weiß Leipzig gespielt. Chemie Leipzig waren eher so Underdogs, Alternative, Antirassisten und linke Fans, hatten allerdings eine rechte Hool-Szene – und diese Seiten hatten natürlich viel Ärger miteinander. Ende der Neunziger war einerseits das System in Leipzig relativ gefestigt, andererseits waren Ausdrücke wie „Neger“, „Schwuchtel“ und „Fotze“ auf dem Spielfeld gang und gäbe. Dann wurde entschieden, einfach einen eigenen Verein zu gründen.

Warum konnte gerade in Leipzig ein solcher Verein entstehen?

Thomas:
Es gab in Leipzig schon seit Anfang der Achtziger eine sehr lebendige Punk-Szene. Im Stadtteil Connewitz waren damals schon viele Häuser besetzt, was vom Staat eher geduldet wurde, da sie Angst vor Öffentlichkeit und Presse hatten. Nach der Wende ist da auch keiner ran, es gab ganze „autonome Straßenzüge“ wie die Stockartstraße, die es heute noch gibt.

Conrad: Wir haben 1999 mit der ersten Herren-Mannschaft angefangen, dann kam 2002 gleich die Frauen-Abteilung dazu und da hatten wir die erste Sexismus-Debatte. Die ersten drei Jahre sind wir vom sächsischen Verfassungsschutz beobachtet worden, da bei uns die „Jugendlichen für antifaschistische Zwecke“ mobilisiert würden – dass Linke nun auch noch einen Fußballverein gründeten, überforderte die total.

Thomas: Die ersten zwanzig Mitglieder waren die erste Mannschaft und der Vorstand, dann wuchsen wir relativ rasch auf 100 bis 200 an. Bis 2006 hatten wir so eine Plateau-Phase mit 300 bis 400 Leuten und hatten gar keinen eigenen Platz, sondern waren Untermieter in Dölitz. Da gab es dann eine symbolische Platzbesetzung in Connewitz.

Conrad: Wir haben es geschafft, bei Turbine Leipzig noch auf die Plätze zu kommen, und hatten damit so etwas wie unseren ersten eigenen Spielgrund als Unterpächter. Ab 2009 haben wir uns dann verstärkt gekümmert, Jugendliche zu binden und zu wachsen. Da waren wir dann 500 Mitglieder und heute sind wir 1.400 Leute und wollen bewusst nicht nur ein Fußballverein sein. Ein Freizeitverein hat sich zudem aufgelöst und wir haben uns deren Platz unter den Nagel gerissen und haben dadurch eine Turnhalle, Baracken und mehrere Spielfelder. Hier am Goethesteig haben wir unseren energieeffizienten, ökologischen neuen Sozialtrakt gebaut, der als „House in house“-Projekt mit der alten verrotteten Turnhalle aus den Zwanzigern da vorne verwirklicht werden konnte.

Wie lange habt ihr für den Trakt gebraucht?

Thomas:
Die heiße Bauphase war von 2013 bis 2015. Das hat 800.000 Euro gekostet, und das auch nur, weil wir sehr viel in Eigenleistung gemacht haben. Dazu haben wir noch einen Kunstrasenplatz gebaut, der knapp 400.000 Euro gekostet hat. Trotz allem sind wir heute aber schon wieder an der Kapazitätsgrenze angelangt.

Conrad: Durch dieses Projekt hier hat sich die Beziehung zur Stadt gut entwickelt. Christopher Zenker, ein Mitarbeiter von Minister Wolfgang Tiefensee, ist verdienter SPD-Stadtrat und Mitglied in unserer Radsportabteilung. Die grüne Bundestagsabgeordnete Monika Lazar spielt in der Frauenmannschaft. Im Jugendbereich binden wir mittlerweile die „Schickimicki-Kids“ des grünen Mittelstands ein, weil die Eltern wissen, dass sie hier einen diskriminierungsfreien Raum finden, in dem kein Leistungszwang herrscht. Gegenwind aus der Politik bekommen wir durch so Anfragen im Stadtrat, wie von dem AfD-Fatzken, wie viel Fördergelder die Stadt an uns gezahlt hat.

Ihr hattet in eurer Geschichte mit Angriffen von Nazis zu tun. Und habt euch gewehrt. Wie ist das heute?

Conrad:
2003 sind auswärts in Lützschena 15 Nazis während des Spiels aus dem Busch gehüpft und haben unsere Spieler verprügelt. Unsere Fans haben sich gemeinsam mit der Mannschaft gewehrt, dazu haben noch ein paar Lützschenaer geholfen. Dann kam Brandis im Oktober 2009. Drei Minuten nach Anpfiff hat ein Ordner von denen das Tor geöffnet und plötzlich sind etwa vierzig Nazis aufs Feld gestürmt. Einem von uns wurde die Augenhöhle mit einer Eckfahne zertrümmert, der sieht heute nur noch 10%. Das Krasse war, dass wir die Drohungen, die wir davor bekommen haben, an die Bullen weitergegeben hatten und die das nicht für voll genommen haben. Ganze fünf Bullen waren da und haben sich, als es losging, sofort verzogen. Als dann die Bereitschaftspolizei kam, waren bereits alle wieder verschwunden. Im Nachgang haben wir die Bilder unserer Fotografen ausgewertet und intensive Recherche betrieben und konnten so viele von den Nazis identifizieren. Wir haben dann ihre Fressen, Namen und teilweise Arbeitgeber wie ein Fahndungsplakat gedruckt und in ganz Leipzig tapeziert und gesagt: „Jetzt macht mal was“. Und nur so kam es dann zu den Anklagen und den Strafen, da die Leute erst da bekannt wurden. Im Ergebnis waren es dreißig Verurteilungen.

Was gab es für Strafen?

Thomas:
Bewährungs- und Gefängnisstrafen wegen schwerer Körperverletzung und schwerem Landfriedensbruch.

Conrad: Es ist für uns auch ein identitäres Datum, über den 25.10. reden wir jedes Jahr wieder, es gibt Aufkleber, auf denen das Datum steht, wir hatten eine Tapete, die ein Jahr später im Block hochgehalten wurde. Das war ein Wendepunkt für uns: Von uns würde keine Eskalation ausgehen, aber nochmals würden wir uns nicht auf die Fresse hauen lassen. Da ging es mit Chemie Leipzig wieder enger zusammen, von denen dann zwanzig oder dreißig Leute mit uns zu riskanten Auswärtsspielen gefahren sind. Außerdem war dann immer ein großes Polizeiaufgebot bei jedem Spiel, es gab Kooperationsgespräche mit Polizei, Ordnungsamt und dem gastgebenden Verein. Ein anderes Mal waren wir beim ATSV Wurzen. Dort haben die Nazis bereits gewartet. Während des Spiels ist laufend Polizei in unseren Block gekommen und hat uns angegriffen. Es gab durchgehend Beschimpfungen wie „Schwuchtel“ bis hin, dass die Nazis gesungen haben: „Wir bauen eine U-Bahn von Connewitz nach Auschwitz“. Unser Torhüter, der selbst einen diffusen jüdischen Hintergrund hatte, hat seine Handschuhe auf den Boden geschmissen und gesagt, dass er keine Minute mehr weiterspielt. Es gab dann einen Spielabbruch. Da wir heute aber so etabliert sind, hat sich die Sicherheitsproblematik entzerrt – wir müssen nur noch bei zwei Spielen, eines davon ist immer noch in Wurzen, Sicherheitsberatungen durchführen.

Was sagen die Vereine denn direkt?

Conrad:
Wir versuchen immer, mit ihnen eine einheitliche Linie zu fahren. Der DFB hat eine tatsächlich gute Broschüre rausgebracht, weil sie mal fitte Leute eingekauft haben. In der sind die ganzen Nazi-Symbole abgedruckt und wir geben sie den Vereinen für deren Ordner.

Wie steht der Fußballverband zu euch?

Conrad:
An dem reiben wir uns, wenn uns zum Beispiel vorgeworfen wird, zu politische Tapeten zu haben, da in der Satzung steht, dass parteipolitische und weltanschauliche Neutralität zu herrschen hat. Die pissen uns manchmal an ...

Thomas: ... wir kamen zum Beispiel vors Sportgericht wegen dem Spruch „Kein Bock auf Nazis“. Eine Woche danach hatten das Fortuna Düsseldorf, Dynamo Dresden und St. Pauli und es hat niemanden gejuckt. Deshalb wurde unser Verfahren dann wahrscheinlich auch eingestellt.

Conrad: Wir sagen den Leuten immer wieder, dass Antifaschismus und Antidiskriminierung keine politische Weltanschauung ist, sondern in reinem Menschenverstand begründet ist und wir darüber doch gar nicht diskutieren müssen. Also sind wir ja grundsätzlich apolitisch, wie die es wollen, haha. Ich verstehe ja gerade noch, wenn verlangt wird, dass wir das Banner „Nazis wegbolzen“, auf dem ein Nazi einen blutigen Ball in der Fresse hat, nicht aufhängen dürfen. Dagegen verstehe ich nicht, wenn unsere Frauenmannschaft den Spruch „Love Football – Hate Sexism“ auf dem Trikot haben will und es dann Ärger gibt. Es sind immer wieder so Possen, die man mit denen fährt. Aktuell ist noch, dass wir letztes Jahr in Nauenhof, einem Kacknest vor Leipzig, gespielt haben. Während des Spiels gab es massive sexistische, rassistische und homophobe Beleidigungen durch gegnerische Spieler, die der Schiedsrichter nicht ins Protokoll nehmen wollte. Die haben wir im Nachgang angezeigt, es gab dann drei Urteile. Das dritte Urteil war die Krönung, da wurde gesagt, die Aussage „Bist du schwul oder was“ sei „gerade noch fußball-typisch einzuordnen“ – wegen der engen Manndeckung, durch die sich der Spieler provoziert gefühlt hatte. Und das bei einer Kontaktsportart!

Wie viele fahren bei euch bei Auswärtsspielen mit, was ist daheim?

Thomas:
Es sind meist um die fünfzig, oft aber auch mehr, meistens besetzen wir locker die Hälfte auf den Plätzen auswärts. Daheim schwankt das zwischen 350 und 450 Zuschauern. Wir waren aber auch schon mal bei 600. Damit sind wir immer wieder an der Spitze, bei den anderen kommen vielleicht an die 100, wenn wir da sind.

Conrad: Bei uns ist es so, dass sich am Sonntag bei den Spielen einfach die ganzen Zecken treffen, auch die, die mit Fußball gar nichts am Hut haben. Wir trinken zusammen ein Bier, die Kinder werden aufs Trampolin gestellt und so haben wir einfach einen schönen Nachmittag.

Der RSL boomt, wie du gesagt hast. Liegt das nur am Fußball oder auch an anderen Sportarten?

Thomas:
Ja, vor allem durch die neuen Sportarten. 2012 haben wir mit Basketball, Volleyball und Radsport begonnen, was eine Zäsur war. Ab da war es ein Selbstläufer und jedes Jahr kam eine neue Abteilung hinzu. Mittlerweile sind es 17, von Motocross bis Roller Derby – da sind wir sogar in der Zweiten Bundesliga. Beim Roller Derby sind auf einen Schlag vierzig Mitglieder eines anderen Vereins zu uns gewechselt. Wir haben im Monat momentan um die zwanzig bis dreißig Neuanmeldungen bei zehn bis fünfzehn Austritten.

Conrad: Natürlich haben wir bei dem Boom auch die „generelle“ Diskussion. Es gibt jene, die sagen, dass wir der Punkrock-Verein bleiben wollen, und andere, die sagen, dass wir hier niemanden abweisen werden, der mitmacht. Und wenn wir wachsen, kann uns niemand mehr richtig anpissen und wir können unsere politische Botschaft rüberbringen.

Auf euren Sommerfesten haben immer Punkbands wie SCATTERGUN, FLIEHENDE STÜRME oder BAMBIX gespielt – wie ist es jetzt?

Conrad:
Das ist immer noch so, vor zwei Jahren waren LOS FASTIDIOS da und es muss immer eine größere Punkrock-Band dabei sein, 2018 waren es TOXOPLASMA. Wir gründen uns eben auf drei Säulen. Neben Sport und Politik ist uns die Kultur sehr wichtig.