Die Kalifornier kommen aus einer Zeit, in der sich Punk-Alben noch bis zu 15 Millionen Mal verkaufen ließen – heute unvorstellbar. Wir sprechen mit Dexter und Noodles anlässlich ihrer neuen Platte „Let The Bad Times Roll“. Mit erwachsener Leichtigkeit und einem Funken von jugendlicher Albernheit erklären die beiden, wieso sie auch nach 35 Jahren noch ambitioniert sind, überzeugende Musik zu veröffentlichen.
Was steckt hinter dem Albumtitel? Warum „Let The Bad Times Roll“ und nicht die guten Zeiten? Geht es darum, die Corona-Krise durch Ironie etwas leichter zu nehmen?
Noodles: Der Titel hat definitiv eher einen ironischen Unterton. Wenn wir alle schon durch die Hölle gehen müssen, können wir es auch genauso gut genießen. Natürlich ist uns klar, dass das nicht gerade die verantwortungsbewussteste Weise ist, die Dinge zu anzugehen.
Beim Durchhören der Platte wird man in der Mitte kurz vom „In the hall of the mountain king“-Intermezzo rausgerissen und fragt sich: Was passiert hier?
Noodles: Ich glaube, genau das ist der Punkt. Wir wollten dich kurz aufhalten, nur damit du dich fragst: Warte, was zur Hölle?
Dexter: Genau, so haben wir deine Aufmerksamkeit zurück!
Noodles: Und jeder Mensch kennt diese klassische Melodie einfach. Wir dachten, wir sollten sie der Punkrock-Behandlung unterziehen, die sie verdient.
Dexter: Das ist auch das Tolle daran, dass wir in einer Band sind. Wir machen noch wirkliche Alben, eine Kollektion von Songs. In dieser Sammlung sollte dann auch Unerwartetes auftreten können. Bei einem Album kann man eben noch seltsame Tracks wie diesen integrieren, die dafür sorgen, dass du eben kurz aufhörst, dein Geschirr zu spülen und aufschaust, haha! Also Props an Edvard Grieg!
„We never have sex anymore“ klingt einerseits jugendlich und doch erweckt es den Eindruck, dass es darum geht, mit dem Älterwerden ins Reine zu kommen. Darf man fragen, wie persönlich der Text ist?
Dexter: Haha, reden wir nicht über meine Frau! Nein, ich mache nur Witze. Ich habe den Song vor langer Zeit geschrieben und ich glaube, er thematisiert etwas, das jeder in einer Beziehung erlebt – selbst in seinen oder ihren Zwanzigern. Als ich in meinen Zwanzigern war, habe ich mich auch öfter gefragt, warum es bei mir und meiner Freundin nicht mehr so richtig läuft ...
Noodles: Vielleicht warst du sogar in noch deinen Zwanzigern, als du das geschrieben hast. Er ist ziemlich alt. Wir haben ihn eine Weile ganz gerne auf Akustikgitarre gespielt.
Dexter: Tatsächlich freue ich mich immer sehr, wenn sich ein Thema sehr universal anfühlt, nach etwas, das jeder kennt. Wenn dann noch der Gedanke hinzukommt, hey, irgendwie hast du trotzdem noch nie in einem Song darüber gehört, ist man womöglich auf dem richtigen Weg. „We never have sex anymore“ ist definitiv ein Track, mit dem sich jeder früher oder später identifizieren kann.
Noodles: Außerdem ist der Song auch ein bisschen wie das Gegenstück zu „Self esteem“ von 1994. Wenn der Junge und das Mädchen aus „Self esteem“ zusammenkommen, merken sie nach einigen Jahren, dass die Leidenschaft irgendwie nachlässt. Die Liebe war heiß und intensiv, hat aber im Laufe der Zeit einfach an Bedeutung verloren. Gleichzeitig ist es auch ein psychisches Ding in zweierlei Hinsicht – die Liebe kann genauso gut zurückkommen.
Ich sehe tatsächlich Potenzial in diesem Song. Es ist schön, bei einer schon so lange existierenden Band wie eurer einen neuen, möglicherweise langlebigen Hit erahnen zu können ...
Dexter: Danke!
Noodles: Danke dir! Ja, wir haben auch immer viel in dem Track gesehen. Nicht jedem, mit dem wir zusammengearbeitet haben, ging es genauso, haha!
Dexter: Das stimmt. Wir waren hin- und hergerissen vor dem Release, weil der Song musikalisch für THE OFFSPRING so ungewohnt ist. Aber wir mussten ihn einfach verwenden, weil wir ihn so mögen.
Zu Beginn eurer Karriere war es noch üblich, Platten physisch zu verkaufen – abgesehen vom Napster-Hype um 2000. In den Nuller Jahren wurde sowohl illegal als auch legal gedownloadet. Euer letztes Studioalbum „Days Go By“ erschien 2012, das war kurz bevor die legalen Streamingdienste erheblich an Bedeutung gewannen. Was ist eure Meinung zur aktuellen Streaming-Kultur?
Dexter: Ich würde behaupten, Streaming ist wirklich eine gute Sache. Jedes erdenkliche Album der Welt ist nur einen Klick entfernt. Ich kann etwas von 1956 finden, das direkt verfügbar ist. Das ist super! Es erscheint mir nachvollziehbar, dass Labels sich dadurch alle annähern und ihre Musik am selben Ort anbieten. Ähnlich ist die Entwicklung ja auch bei den audiovisuellen Medien. Und es ist definitiv besser als die Alternative, als nämlich niemand irgendjemandem irgendetwas gezahlt hat, haha! Geld ist sicher nicht unsere oberste Priorität – uns geht es gut, wir haben viel richtig gemacht und hatten viel Glück, keine Frage! Aber Künstler:innen sollten wirklich für ihre Arbeit bezahlt werden. Musik hat einen Wert. Anscheinend liegt der zwar bei 0,001 Cent ...
Noodles: Haha!
Dexter: Aber es ist cool!
Ich finde, Streaming macht einfach sehr viel mit der Art, wie Künstler:innen ihre Diskografie gestalten. Etablierte Acts setzen auf Singles, entscheiden sich auf einmal, eher EPs statt Alben zu veröffentlichen ...
Dexter: Vollkommen wahr! Wir hatten auch die Diskussion innerhalb der Band, ob wir lieber eine EP produzieren sollen, ob die Leute sich überhaupt noch für ein Album interessieren. Aber wir kamen zu dem Schluss, dass uns als Band einfach die Magie eines Albums super wichtig ist. Da nehmen wir auch gerne mehr Arbeit in Kauf.
Oft werden relativ junge Bands gefragt, ob Punk tot ist oder ob wir uns möglicherweise nicht gerade in der kommerziell günstigsten Zeit für Punkrock befinden. Wie seht ihr das?
Noodles: Meine liebste Oldschool-Punkrocker, THE DICKIES, waren eine der letzten Bands, die ich vor dem Shutdown live gesehen habe. Vor gar nicht allzu langer Zeit durften wir noch Shows mit FEAR, X oder DEAD KENNEDYS spielen. Diese Bands sind alle immer noch da, machen Musik und spielen mitunter vor einem größeren Publikum als je zuvor. Ich bin wahnsinnig begeistert, dass diese Bands endlich mehr Anerkennung bekommen. Sie verdienen sogar noch mehr. Ich bin auf jeden Fall hoffnungsvoll. Und natürlich gibt es eine Menge aufstrebende Nachwuchs-Punkbands, die ich beispielsweise zuletzt gerne mal als Opener für die oben genannten Gruppen gesehen habe ... jedenfalls bevor die Welt sich dazu entschieden hatte unterzugehen.
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