Gegründet Mitte der Achtziger Jahre in Kalifornien wurden THE OFFSPRING durch die Alben „Smash“ (1994), „Ixnay On The Hombre“ (1997) und „Americana“ (1998) von normalsterblichen, kleine Clubs bespielenden Punks zu Rockstars. Überhits wie „Self esteem“ oder „Gotta get away“ gelangen ihnen später zwar nicht mehr, aber bis heute tritt die Band um Sänger Dexter Holland und Gitarrist Noodles vor großem Publikum auf. Und jetzt haben sie auch die bislang längste Tonträger-Pause ihrer Karriere überwunden und legen mit „Let The Bad Times Roll“ das elfte Studioalbum vor. Es präsentiert sich musikalisch wie thematisch äußerst vielseitig und facettenreich. Im Ox-Interview erklären Dexter und Noodles, was es mit dem Titel auf sich hat, wie sie zu Sarkasmus stehen, warum Drogen nach wie vor ein riesiges Problem sind, was Depressionen mit Punk zu tun haben und was sie vom amerikanischen Immunologen Anthony Fauci halten.
Es liegen neun Jahre zwischen eurer neuen Platte „Let The Bad Times Roll“ und „Days Go By“ von 2012. Seitens eures Labels heißt es, ihr hättet einige Songs angeblich schon sehr lange in der Schublade liegen, aber immer sei etwas dazwischengekommen – unter anderem Dexters nachgeholter Universitätsabschluss. Und jetzt ist da noch diese Pandemie. Kurzum: War „Let The Bad Times Roll“ das am schwersten aufzunehmende Album eurer Karriere?
Dexter: Nein. Es ist eher das, an dem wir am längsten gearbeitet haben.
Noodles: Das ist richtig. Wir haben mehr Zeit auf die einzelnen Songs verwendet und waren darum womöglich noch konzentrierter und intensiver damit beschäftigt, jedes Stück richtig zu entwickeln. Bis am Ende alles stimmte.
Aber es dürfte aufgrund der Pandemie zumindest das am schwersten herauszubringende Album gewesen sein, oder?
Noodles: Das hingegen ist richtig. Das war neu und völlig ungewohnt. Vor allem die Art, wie und wann es herauszubringen ist. Eigentlich sollte „Let The Bad Times Roll“ ja viel früher veröffentlicht werden. Als dann klar war, dass wir ohnehin nicht auf Tour gehen können, entschieden wir uns dafür, lieber noch mehr Zeit auf die Arbeit an den Songs zu verwenden. Nur irgendwann, als die Platte unserer Meinung nach fertig war, war uns ebenso klar: Das Ding muss jetzt raus! Unsere Fans müssen das jetzt hören.
Ich möchte trotzdem noch ein wenig auf dem Thema herumreiten. Denn quasi seit 2013 habt ihr öffentlich immer wieder auf ein neues Album hingewiesen. Und genau deswegen stelle ich mir die Arbeit daran auch so kompliziert vor. Ich vergleiche das mit einem Buch, das ich anfange zu lesen und das mich einerseits nie so richtig packt. Das ich andererseits aber unbedingt lesen will. Ich lege es daher immer wieder zur Seite. Nehme es nach einer Zeit wieder zur Hand. Lege es wieder weg – auch weil mir immer wieder was anderes dazwischenkommt. Und am Ende bin ich tatsächlich irgendwann durch. Aber es war eine schwere Geburt.
Noodles: Das ist ein schöner Vergleich. Aber: nein. Es ist eher so, einige Songs sind einfach älter, einige sind neu. Es hält sich ungefähr die Waage. Fifty-fifty. Und wir haben sie dann gemeinsam auf dieses neue Album gepackt.
Welcher Song ist denn der neueste auf der Platte?
Dexter: Das ist „This is not utopia“. Es ist weniger als ein Jahr her, dass wir ihn geschrieben haben.
Auf dieses Stück hätte ich tatsächlich auch getippt. Der Text klingt sehr aktuell und beschreibt, was derzeit nicht nur in den USA gesellschaftlich und politisch so vor sich geht – und falsch läuft. Gleichwohl hätte er auch vor neun Jahren schon den Status quo da draußen beschrieben. Es hat sich also nicht wirklich etwas getan.
Noodles: Das stimmt. Leider. Und „Let The Bad Times Roll“ führt diesen Umstand als Album- und Songtitel letztlich weiter. Es ist unser Kommentar zu dem, was wir seit Jahren in der Welt sehen und erleben.
Ein wunderschön sarkastischer Kommentar vor allem.
Noodles: Ja. Speziell im Refrain, in dem es dann plötzlich eher in die Richtung geht: „Okay, aber was soll’s? Habt trotzdem Spaß“, haha.
Dexter: Durch diesen Sarkasmus versuchen wir so eine gewisse Doppeldeutigkeit in die Sache zu bringen. Wir beobachten. Und wir sehen dabei, dass die Dinge derzeit ziemlich aus dem Ruder laufen und chaotisch sind. Gerade im vergangenen Jahr war es schlimm. Und wir sind noch nicht raus aus diesem Schlamassel. Aber durch dieses Ironische bekommt das dennoch einen anderen, einen positiven Dreh.
Was ist letztlich besser, Initiative ergreifen und etwas tun gegen das, was falsch läuft, oder tatsächlich sagen: „Na und? Ich mach mir meine Welt, wie sie mir gefällt!“?
Noodles: Nun, man kann sich nicht immer wegdrehen und weglaufen. Manchmal muss man der Sache ins Gesicht blicken, zurückgehen – und versuchen, etwas zu tun. Das Problem zu lösen. Letztlich sollte man sogar alle Probleme auf diese Art lösen.
Dexter: Genau. Aber es steckt meiner Meinung nach ohnehin eine noch tiefere Bedeutung hinter diesem Titel „Let The Bad Times Roll“: Wenn man genau hinschaut, dann sind es nämlich gerade die Menschen, die in Führungspositionen sitzen, die Anführenden, die exakt diese Sichtweise an den Tag legen und sagen: „Ja und? Was kümmert es mich? Ich lasse die Dinge einfach laufen.“
Weil die es sich leisten können.
Dexter: Eben.
Noodles: Im Zweifelsfall machen sie damit dann sogar noch verdammt viel Profit.
Dexter: Und in diesem Moment wird der Song, wird das Album ernst und löst sich vom Humor.
Kommen wir auf das Albumcover zu sprechen: Darauf zu sehen ist eine La Catrina, eine mexikanische Totengöttin, die in ihren vielen Händen einen Revolver, Geld, Pillen, eine Piratenflagge und eine schwarze Rose hält. Was hat es damit auf sich?
Dexter: Ich wollte ursprünglich Shiva haben. Eine hinduistische Gottheit mit vielen Armen. Und sie sollte Dinge halten, die für gesellschaftliche Laster, für Sünden und für Negatives stehen. Gier, Abhängigkeit, Tod. Aber wir arbeiten mit einem Künstler zusammen, der eben viel mit Symbolen und Figuren der mexikanischen Kultur zu tun hat. Und das fühlte sich – alleine aufgrund der Nähe zu Kalifornien – besser an. Es fühlte sich wie wir an. Das Bild ist jedenfalls großartig. Vielleicht lasse ich es mir einmal auf mein Garagentor malen, haha.
Im Song „Behind your walls“ geht es um Depressionen. Habt ihr selbst entsprechende Erfahrungen damit gemacht – so als Rockstars?
Noodles: Hey, Dexter! Wie fühlst du dich? Geht es dir nicht gut? Willst du darüber reden, haha?
Dexter: Nein, alles in Ordnung, haha. Aber Spaß beiseite: Als ich jung war und Punkbands zuhörte, faszinierte mich vor allem die Tatsache, dass sie über Dinge sangen, die in der Popmusik sonst niemals Erwähnung finden. Unter anderem eben auch über Depressionen. NIRVANA etwa haben das später ja auch großartig weitergeführt. Diese Bands taten das alles auf eine sehr direkte, unmittelbare Art. Ich liebte das. Das zeigte mir: Es ist okay, so etwas zu thematisieren. Es ist okay, dass man über so etwas singt und spricht. Und heutzutage ist es sogar wichtiger denn je. Mittlerweile setzen sich die Menschen glücklicherweise viel mehr damit auseinander und kehren nichts mehr unter den Teppich. Seelische Erkrankungen spielen eine große Rolle. Viele Musiker und Musikerinnen sterben daran, weil sie Suizid begehen. Einigen Kindern meiner Freunde ist das auch widerfahren. Und auch wenn ich glücklicherweise niemals so eine Situation erlebt habe, stelle ich mir doch die Frage, was in den Köpfen dieser Menschen vorgeht oder vorging. Das ist für mich immer wie ein Dialog, in dem ich mit meinem Gegenüber spreche: „Was ist dir in diesem Moment passiert? Was war so schlimm? Was brachte dich an diesen Punkt? Was ist hinter diesen Mauern des Schmerzes in deinem Kopf geschehen? Warum dachtest du, dass genau das die Antwort auf alles ist?“ Ich finde, dies ist ein sehr interessanter Weg, sich dieses Problems anzunehmen. Dieser Blick in den Kopf und die Gedanken eines betroffenen Menschen. Und die Leute, die den Song hören, spricht das vielleicht noch einmal besonders an.
Noodles: Dexter sagte es schon. Ich denke, ein Gespür für dieses Thema gehört dazu, wenn man ein tieferes Verständnis für diese Musik, für Punkrock erlangen möchte.
Das Stück „The opioid diaries“ wiederum dreht sich um Drogenkonsum. Ich musste dabei direkt an die hierzulande gerade für viel Aufsehen sorgende Neufassung des Drogenfilm-Klassikers „Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ als Serie denken.
Noodles: In diesem Film spielte auch David Bowie mit, oder?
Genau. Und als ich diese Serie jüngst sah, war mein erster Gedanke: Irgendwie sind Drogen in den vergangenen Jahren aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit verschwunden. Es gibt offenbar andere Probleme. Dabei ist das Thema ja nach wie vor aktuell – wie auch ihr jetzt mit diesem Song bestätigt.
Noodles: In den USA ist die Drogenproblematik sogar nie schlimmer gewesen als jetzt. Ich habe viel über Drogenabhängigkeit erfahren durch Jim Carrolls authentische Heroin-Tagebücher, die hier in den USA sehr bekannt sind. Es gibt zudem ja Menschen aus der Szene wie Dee Dee Ramone, deren Story man kennt. Heutzutage geht es in schon den Highschools los. Wenn die Kids, gerne auch junge Athletinnen und Athleten, Schmerzmittel nehmen. Die Pharmakonzerne relativieren deren Wirkung zwar immer, aber letztlich ist doch klar: Die machen hochgradig abhängig. Derzeit wird der Markt beispielsweise von Fentanyl überflutet. Es macht dich higher, als Heroin es je schaffte. Und es bringt die Menschen in einer Rate um, die höher ist als alles, was man zuvor kannte. Es ist ein riesiges Problem. Es beschert uns mehr Tote als je zuvor.
Weg von den Texten, hin zur Musik: Interessant an eurem neuen Album ist vor allem der Bruch in der Mitte der Platte. Auf viel Punkrock folgen eine Art Boogie-Woogie in „We never have sex anymore“, das Instrumental von Edvard Griegs klassischem „In the hall of he mountain king“ im Hardrock-Stil und die beiden Balladen „Gone away“ und „Lullaby“. Lasst es mich so sagen: Die-hard-Punkrocker würden von der Vinylversion eures Albums womöglich immer nur Seite A auflegen.
Noodles: Könnte sein. Wir haben uns dabei eben an „Paranoid“ von BLACK SABBATH orientiert. Diese Platte ist auf der ersten Seite ein pumpendes, in den Arsch tretendes Etwas. Und auf der zweiten Seite eine ziemlich tückische Angelegenheit, haha.
So, so ...
Noodles: Nein. Spaß. Wir denken nicht ans Umdrehen von LPs. Wir gehen immer Song für Song vor. Und der Rest ergibt sich.
Dexter: Ich verstehe sehr gut, was du meinst. Es ist so: Die ersten Stücke sollen dich beim Hören sofort erwischen. Direkt und hart. Aber wir wollen eben auch andere Facetten unterbringen, bestimmte Themen auf andere Weise verpacken und vermitteln. Und am Ende stehen dann eben verschiedene musikalische Stile, die nicht zwingend jedem gefallen müssen.
Zum dritten Mal war nun Bob Rock euer Produzent. Eine Ikone, eine Koryphäe – und wahrscheinlich der bekannteste seines Fachs neben dem allmächtigen Rick Rubin.
Noodles: Also: Bob ist wesentlich besser als „Rock“ Rubin, haha!
Das möchte ich nicht beurteilen. Aber wie läuft das so mit ihm? Eine freundschaftliche, partnerschaftliche Sache? Oder regieren bei euch im Studio doch manches Mal die Demut und der übergroße Respekt vor diesem Produzentensuperstar, der ja vor allem für die Stadionrocker METALLICA verantwortlich ist?
Dexter: Bob ist ein unglaublich guter Produzent. Denn er lässt dich am Ende besser klingen, als du es ohne ihn tun würdest. Er holt das Beste aus einem raus. Und dabei schreibt er nichts vor, sondern gibt nur Hinweise: „Wie wäre es, wenn du diese Note da mal anders spielst oder singst?“ Es geht nicht um ganze Songs, es geht um Details.
Noodles: Du weißt bei ihm, dass du nah an der Perfektion, aber eben noch nicht perfekt bist, wenn er sagt: „Das wird ganz großartig!“ Dann weißt du, du musst noch einen drauflegen, haha.
Dexter, du hast vor einigen Jahren deinen Doktor in Molekularbiologie gemacht. Du müsstest dich auch mit Viren auskennen. Erklärst du den anderen in der Band regelmäßig, wie das mit Corona so ist?
Dexter: Absolut! Ich schicke den Jungs manchmal Posts von Virologen-Blogs zu, damit sie da mal drüberschauen und eine Ablenkung haben, haha.
Noodles: Und ich verweise nach dem Lesen dann immer auf Doktor Fauci, den Immunologen hier bei uns in den USA: „Das stimmt nicht, Dexter! Fauci hat im Fernsehen nämlich was ganz anderes gesagt!“
Dexter: Worauf ich einwende: „Doktor Fauci wird überschätzt!“ Haha.
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