Mentalitätswandel
Es liegen schwere Zeiten hinter Ryan Young, dem Frontmann von OFF WITH THEIR HEADS. Zeiten, um die der Sänger und Gitarrist kein Geheimnis macht: Offen und ehrlich erzählt er im Gespräch davon, was ihm in den vergangenen Jahren widerfuhr. Und das muss er wohl auch, denn „Be Good“, das neue Album der Band aus Minneapolis, offenbart in all seiner Düsternis, Youngs innere Dämonen. Die Songs berichten von Youngs Erfahrungen in Sachen Tod und Vergänglichkeit. Sie legen Zeugnis ab über seine Selbstzweifel gegenüber allem, was die Band früher war und tat. Und sie machen „Be Good“ vollkommen nachvollziehbar zum wichtigsten Album, das es von OFF WITH THEIR HEADS bislang zu hören gab.
Ryan, die ersten Zeilen auf eurem neuen Album „Be Good“ heißen: „I never should have stayed here. I should have disappeared.“ Was ist der Grund, ein neues Album auf eine derart dunkle und irgendwie tragische und resignierende Weise wie diese zu beginnen. Respektive: Was ist der Grund, überhaupt ein so dunkles Album wie dieses aufzunehmen – denn diese Atmosphäre zieht sich auch durch die anderen Songs?
Ganz einfach: Weil das mein Leben ist. Weil diese Zeilen und dieses Album mein Leben widerspiegeln. Ich verarbeite in den Songs eine ganze Reihe schmerzhafter Momente, die ich durchmachte und mitunter noch durchmache. Das, was du da hörst, ist alles echt und nachweisbar und durch die Songs nun quasi dokumentiert. Der einzige Unterschied zu vorherigen Platten: Dieses Mal ist alles konzentrierter und durchdachter ausgefallen.
Der Titel der Platte lautet „Be Good“, also: „Sei gut“ oder „Fühle dich gut“. Was bedeutet es für dich, „gut“ zu sein, sich „gut“ zu fühlen?
In einer Welt, in der jeder und alles irgendwie räuberisch und böse ist, glaube ich, dass man nur zwei Möglichkeiten hat: Entweder man schlägt mit dem, was richtig ist, zurück und kämpft dagegen an. Oder man schließt sich all den beschissenen Menschen an, die für diesen Zustand der Welt verantwortlich sind. Und ich weigere mich, Letzteres zu tun! Es ist meines Erachtens nach gar nicht so schwer, einfach nur gut zu sein. Also fordere ich die Leute auf, ihren Drink einfach mal abzusetzen und etwas Gutes für die Menschheit zu tun – am besten, indem sie zunächst etwas Gutes für die Menschen in ihrer nächsten Umgebung tun. Klein anfangen, das ich wichtig, denn: Das ist der Bereich, den man selber kontrollieren kann. Da kann man sicherstellen, dass die positive Kraft, die man anderen geben möchte, auch unmittelbar da ankommt, wo sie benötigt wird. So kann man gut sein. „Be Good“ eben.
Auf dem Cover der Platte sind Menschen an einem Strand zu sehen – eine Idylle. Aber: Im Hintergrund ragt ein großer Kühlturm in den Himmel. Weniger Idyllisch. Was bedeutet dieses Motiv?
Es hat eine ganz besondere Bedeutung für mich. Das ist ein Foto, das von der verstorbenen Mutter meiner Ex-Freundin gemacht wurde. Sie war Fotografin. Und bei der Beerdigung und der Gedenkfeier wurden alle ihre Arbeiten noch einmal ausgestellt. Jeder der Trauergäste konnte die Bilder mitnehmen, die er oder sie wollte, um ein Erinnerungsstück an sie zu haben. Und ich sagte unserem Schlagzeuger, der dabei war, er solle sich dieses Foto schnappen und es mit nach Hause nehmen, weil ich sofort wusste, dass es das Cover der neuen Platte sein würde, an der wir seinerzeit schon arbeiteten. Wenn ich mir dieses Foto ansehe, dann sehe ich Menschen, die unbeschwert ihre Zeit am Strand verbringen, aber es gibt eben diese drohende Gefahr hinter ihnen. Es sagt aus: Jeden Moment kann alles schrecklich schiefgehen. Und so ist es für uns alle im Leben. Daher ist es wichtig, wie wir dieses Leben angehen: Wir können unsere Zeit damit verbringen, schrecklich zu sein. Oder wir können unsere Zeit damit verbringen, gut zu sein. Das ist es, was dieses Foto für mich bedeutet. Zudem ist dieses Motiv eine wunderbare Möglichkeit, einer Frau zu gedenken, die für mich mehr eine Mutter als meine eigene Mutter war, denn sie hat mir durch schwierige Zeiten geholfen. Und jetzt ist ihre Kunst auf der ganzen Welt zu sehen. Es ist das Beste, was ich für sie tun konnte.
Ich höre heraus, dass „Be Good“ ein extrem persönliches Album für dich ist. Ist es das, was für dich den Unterschied zu den früheren Alben ausmacht?
Ja. Es war überhaupt alles anders dieses Mal. Ich nahm mir viel mehr Zeit, die Songs zu schreiben. Alle anderen Platten zuvor haben wir sehr schnell zusammengestellt, damit wir keine Zeit verlieren und dafür lange auf Tour sein konnten. Diese Mal war das anders: Ich zog mich für fast vier Jahre quasi komplett aus dem Touring zurück, um mich um die Mutter meiner Ex-Freundin zu kümmern, die an Krebs gestorben ist. Und währenddessen beschloss ich, mich so gut wie möglich darauf zu konzentrieren, mit der Band auch abseits von Konzerten etwas zu schaffen, mit dem wir glücklich sein können. Unser Schlagzeuger Kyle und ich gingen dazu jede Woche in unseren Proberaum und probierten geschätzt eine Million Ideen aus. Und diese eine Million Ideen reduzierten wir schlussendlich auf das, was wir jetzt am Ende der Aufnahmen als Album haben.
Was dazu passt: Auf der Facebook-Seite der Band sagst du: „Diese Platte ist das erste, was ich gemacht habe, auf das ich wirklich stolz bin.“
Ja. Denn nichts hat mir je so viel bedeutet wie dieses Album. Verglichen damit sind unsere alten Songs geradezu halbherzig. Wenn ich die Uhr zurückdrehen und sie alle neu schreiben könnte, dann würde ich es tun. Dann wären sie für mich besser, dann wären sie wieder okay. Aber auch diese Erfahrung gehört zum Leben. Ich kann an ihr nur wachsen.
Viele Fans indes antworteten auf genau diesen Beitrag, dass auch und gerade eure früheren Alben für sie sehr wichtig sind. Dass du auch stolz auf diese sein könntest. Was hältst du davon, wenn so viele Menschen da draußen eure Musik hören und durch sie Hilfe erfahren? Fühlst du dich als Künstler für sie verantwortlich?
Ich bin natürlich froh, dass die Musik den Menschen gefällt. Wenn sie etwas aus meiner Musik herausziehen für sich, dann ist das toll und ich hoffe, ich inspiriere sie, zu besseren Menschen zu werden. So wie ich das auch werden will. Aber ich sage auch klar: Ich bin für niemanden außer für mich selbst verantwortlich.
Mal ein ganz anderes Thema: Wenn ich mir die Liste der ehemaligen Mitglieder der Band ansehe, dann sehe ich sehr viele Namen von Menschen, die mal zu OFF WITH THEIR HEADS gehörten und irgendwann weg waren. Ist es so schwer, mit dir auszukommen?
Ja, das ist es. Denn ich weiß, was ich will. Und wenn die Leute sich nicht darauf einlassen wollen oder können, dann müssen sie gehen. Die Band ist nun mal mein Ding. Und wir spielen mit verschiedenen Besetzungen. Wer in die Band kommt, der hat einerseits sofort die Möglichkeit, etwas Anderes als das Normale, das Etablierte zu tun. Das ist eine Chance. Aber wer das nicht ernst nimmt, wer die Songs nicht adäquat annimmt und lernt, wer es nicht schafft, mit mir auszukommen – der ist dann eben raus. Ganz einfach. Aber keine Angst: Es ist nicht so dramatisch, wie es klingt, haha. Das dürfte in vielen Bands so sein.
Wenn du dir dich vor 17 Jahren – und somit zu Beginn von OFF WITH THEIR HEADS – vorstellst: Was würdest du deinem jüngeren Ich gerne sagen?
Ich würde ihm das sagen, was ich mir für mich im Nachhinein wünsche: Finde früher als ich heraus, was einerseits zählt im Leben und was andererseits unwichtig ist. Ich wünschte, ich hätte das getan. All die Jahre, in denen ich Drogen genommen und mich selber gefoltert habe, hätten nicht sein müssen. Nun lebe ich mit den Folgen davon. Auch damit, dass frühere Songs für mich – wie ich eben schon sagte – halbherzig klingen. Das Fazit lautet: Ich habe einfach zu viel von meinem Leben mit dummer Scheiße verschwendet.
Was hat sich seit Beginn von OFF WITH THEIR HEADS eigentlich am meisten verändert – in negativer und in positiver Hinsicht?
Die einzige Veränderung ist die bezüglich der Mentalität. Früher ging es vor allem darum zu touren. Rumzukommen. Die Shows an sich waren für uns die unwichtigste Sache. Es war mir immer vollkommen egal, wie gut oder wie schlecht wir spielten. Es ging mir und den anderen immer nur darum, zu feiern und durchzudrehen und möglichst verrückt zu sein. Jetzt aber stelle ich mehr und mehr fest, dass ich mich auf die Musik konzentriere. Dass sie mir wichtiger als alles andere ist. Salopp gesagt: Ich hasse immer noch alles. Die Shows und so. Aber ich weiß mittlerweile, wie ich dennoch klarkomme, haha.
Frank Weiffen
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