NOTWIST

Machen wir es kurz, schließlich haben THE NOTWIST, 1989 im bayerischen Weilheim von Markus Acher (Gitarre, Gesang), Michael Acher (Bass) und Mecki Messerschmidt (Schlagzeug) gegründet, lange genug auf ein Interview in diesem Heft warten müssen. Und das, obwohl NOTWIST mit ihrem Debüt von 1990 und dem Nachfolger "Nook" (1992) deutlich machen konnten, wo denn ihre Wurzeln liegen, nämlich im metallisch angehauchten Hardcore, der auch immer wieder mal in wärmere Gefilde à la WIPERS oder DINOSAUR JR. abdriftete. Mit Platten wie "12" (1995) oder "Shrink" (1998) öffneten sie sich dann auch anderen Bereichen, und so gab es neben beinahe richtigen Popsongs auch verstärkt experimentellere Elektronik-Klänge, wie man das zu dieser Zeit auch von Bands wie SHARON STONED oder den HIP YOUNG THINGS kannte. Neben THE NOTWIST sind die Acher-Brüder aber auch in zahlreichen anderen Projekten aktiv, wie etwa LALI PUNA, CONSOLE, VILLAGE OF SAVOONGA oder TIED & TICKLED TRIO. Nachdem sie Teile des Soundtracks für "Absolute Giganten" komponiert hatten, bekam man "Off The Rails", einen Track des gerade erschienenen neuen Albums "Neon Golden", bereits 2000 in Hans-Christian Schmids "Crazy" zu hören. Mein mittäglicher Gesprächpartner am Telefon war Michael Acher, der bereits seit 9 Uhr morgens einem Frage-Antwort-Marathon ausgesetzt war.

Eure neue Platte wird ja momentan extrem abgefeiert. Habt ihr damit in dieser Form gerechnet?


In erster Linie ist das natürlich sehr erfreulich. Mich wundert es nur, dass es so wahnsinnig viel ist. Insofern sind wir alle natürlich ziemlich glücklich.

Gibt es für dich bei der Platte etwas besonderes, das diesen Erfolg ausmacht bzw. etwas, dass ihr jetzt einen gewissen kommerziellen Faktor verleiht?

Im Endeffekt sind es ähnliche Grundelemente, mit denen wir immer arbeiten. Wir versuchen in der Regel keine monströse Pop-Platte zu machen und arbeiten dem eher entgegen. Vielleicht ist es das, was viele Leute und Journalisten gerne sehen. Aber ein Prinzip gibt es nicht bzw. habe ich es noch nicht entdecken können. Das einzige, woran wir immer gedacht haben, war, dass unsere Platte auch in anderen Ländern vertrieben wird. Das ist ein wichtiger Punkt für uns. Damit da nicht nur in Deutschland was passiert, weil es irgendwie auch keine typisch deutsche Musik ist.

Das wäre eine meiner nächsten Fragen gewesen, ob NOTWIST einen irgendwie typischen deutschen Sound repräsentieren?

Das habe ich auch schon öfters gehört und kann das erst mal total schwer beurteilen, wie das von außen gesehen wird. Mir ist klar, dass Deutschland im Ausland zur Zeit für Frickel-Elektronik steht, was viel besprochen und gelobt wird, wie etwa MOUSE ON MARS. Das habe ich bei Gesprächen durchaus mitbekommen, als wir im Ausland unterwegs waren. Insofern kann man NOTWIST auch in so eine elektronische Ecke stellen. Dadurch, dass die Aufnahmen für die Platte 15 Monate gedauert haben, waren die Einflüsse ganz unterschiedlich – viele Sachen, an die man gar nicht so denkt. Wir haben lange Zeit ganz alten Blues angehört, oder alten Reggae. Ich habe viel Streichquartett-Zeug wie Bela Bartok gehört, weil ich den Klang gut fand und da auch mal was probieren wollte. Oder neue Sachen wie BONNIE PRINCE BILLY und die letzte Johnny Cash-Platte.

Der verstärkte Einsatz von Elektronik hatte sich bereits auf "Shrink" angedeutet, insofern wäre es wahrscheinlich eine größere Überraschung gewesen, wenn ihr, wie in einem anderen Interview erwähnt, tatsächlich eine reine Krach-Platte gemacht hättet.

Das wäre mit Sicherheit überraschender gewesen. Die Problematik ist nur, dass man gerade nur das machen kann, was man an Stücken komponiert hat. Wir haben eigentlich bei jeder Platte gesagt, dass wir mal so was machen wollen, aber richtig geschafft haben wir es noch nicht. Keine Ahnung, wie es bei der nächsten Platte wird. Die Arbeitsweise bei "Neon Golden" war jedenfalls dieselbe wie bei "Shrink", wir haben die nur ganz extrem ausgereizt und verfeinert. Man hat ganz lange Zeug gesammelt und wieder aussortiert.

Könnt ihr euch bei euren Seitenprojekten besser austoben, sind NOTWIST musikalisch vielleicht schon wieder zu genau abgesteckt?

Nee, das nicht. Wir wissen aber, was wir mit NOTWIST machen wollen, nämlich songorientierte Stücke mit Refrain, und darauf arbeiten wir hin, wobei man nie weiß, wie sich so was entwickelt. Bei TIED & TICKLED TRIO sind es eher offene Stücke, wobei sich das auch wieder auf NOTWIST ausgewirkt hat, weil so Stücke wie "Neon Golden" auch eine offene Struktur haben. Es gibt eigentlich nichts, was zu fest abgesteckt wäre.

Wann hat sich der Deal mit City Slang herauskristallisiert, vorher wart ihr ja bei Community?

Das hat sich während des Machens so ergeben, aber eine endgültige Entscheidung haben wir erst getroffen, als die Platte fertig war. Mit Community sind wir nicht gerade im Guten auseinander gegangen und wollten auch unbedingt da weg. Wir haben mit denen aber über einen langen Zeitraum gut zusammengearbeitet, die haben auch viel für unsere Platten gemacht. Wir haben aber von Anfang an gesagt, dass wir keine Lust auf so ein Major-Ding haben und haben nach einem Indie-Label gesucht, weil wir auch daher kommen. Dabei haben wir erst mal festgestellt, dass es fast keine Indie-Labels mehr gibt, weil die meisten Abkommen mit irgendwelchen Majors haben. Dazu kommt, dass wir eine Produktionsweise haben, die einer kleinen Firma finanziell weh tun oder sogar das Genick brechen kann. Wir waren 15 Monate im Studio und das kostet wahnsinnig viel Geld. Das war eigentlich nicht so geplant, da wir keine unnötigen Kosten haben wollten, aber wir hatten uns vorgenommen, so lange ins Studio zu gehen, bis es uns wirklich gefällt. Wir hatten auch viele Gespräche mit unabhängigen Labels, die wir sehr geliebt hätten, die aber alle gescheitert sind. Was wir jetzt bei City Slang haben, hatten wir im Prinzip auch bei Community, die auch von Virgin vertrieben wurden. Dadurch können wir die Strukturen eines großen Labels nutzen. Bei City Slang sind wir bei dem kleinsten Glied dieser Kette, ein Label, hinter dem wir voll stehen können. Wir können arbeiten, wie wir es schon seit Jahren gewohnt sind. Das haben wir auch vertraglich so abgesichert. Dabei ist es uns natürlich auch wichtig, dass man über die Hausmusik-Struktur unser Vinyl bekommt, die kleinen Läden beliefert und wir die Möglichkeit haben, Singles oder Spezialauskopplungen auf kleineren Labels zu machen.

15 Monate im Studio, das klingt nach einem Gesamtkunstwerk-Brocken, den man live wahrscheinlich gar nicht richtig reproduzieren kann.

So sicher nicht. Das war aber schon immer so bei NOTWIST. Unsere Konzerte klingen sowieso immer anders. Mir persönlich gefällt es auch, zu Konzerten zu gehen und da etwas anderes von einer Band zu sehen. Außerdem würde es uns keinen Spaß machen, so lange an den Stücken rumzumachen und dann spielt man jeden Abend wieder dasselbe wie auf Platte. Die Leute, die nur die neuen Sachen kennen, werden sich dann halt etwas wundern, aber hoffentlich im positiven Sinne. Es ist ja nicht so, dass wir auf die Bühne gehen und total abrocken. Es ist halt eine Mischung aus diesem ganzen NOTWIST-Ding. Live macht es uns wahnsinnig Spaß, wenn es auch zur Sache geht.

Könntet ihr jetzt überhaupt noch ins Studio gehen und eine Platte in zwei oder drei Tagen einspielen?

Doch, gerade nach dieser Platte wäre das schon wieder sehr interessant. Vielleicht nicht an zwei Tagen, aber sicherlich in zwei Wochen. Das einzige, was ich über die nächste Platte weiß ist, dass alles definitiv nicht so lange dauern wird und viel spontaner sein wird . Mit TIED & TICKLED hatten wir das zuletzt ganz ähnlich gemacht, das war quasi eine "Live"-Platte.

Ich hatte mir auch noch mal eure alten Sachen angehört und gemerkt, dass NOTWIST bei mir erst ab der "12" wirklich interessant wurden. Was für ein Verhältnis hast du denn zu den älteren Platten?

Die "Nook" ist die, die mir am wenigsten gefällt. Außerdem finde ich, dass "Nook" nicht so gut klingt, das ist alles ein bisschen kühl geraten. Die erste berührt mich aber immer noch wahnsinnig, wegen der Einflüsse, die wir zu der Zeit hatten – wir haben damals viel SLAYER, METALLICA oder PRONG gehört. Ich kann mich dann total in die Zeit versetzen, insofern finde ich es auf eine gewisse Art und Weise wieder interessant und gut. Inzwischen ist das aber musikalisch am weitesten von mir weg, wobei ich immer noch zutiefst gerührt bin, wenn ich die WIPERS oder DINOSAUR JR. höre.

Zu dieser Zeit wart ihr auch mit Bands wie FUGAZI, JESUS LIZARD oder VICTIMS FAMILY unterwegs. Wahrscheinlich nicht mehr das Publikum, das euren jetzigen Sound mag?

Man muss auch sehen, dass sehr viel unserer "Fans" bzw. Leute, die uns von Anfang an kennen, eine ähnliche Entwicklung durchgemacht haben wie wir. Eine Freundin in Frankfurt, die damals in einem besetzten Haus Konzerte organisiert hat, legt jetzt elektronische Musik in einem anderen Club auf. Die hat ganz genau denselben Weg gehabt wie wir. Ebenso wie viele andere Leute, die nicht stehen geblieben sind und sich für die momentane Musik interessieren. Es gibt natürlich auch genug Leute, die das gar nicht toll finden, was wir jetzt machen.

Ich weiß nicht, ob du die aktuelle FUGAZI-Platte kennst, aber wäre das für dich eine Band, die irgendwie stehen geblieben ist?

Ich habe sie nur gehört, aber nicht gekauft. Ich finde aber nach wie vor, dass FUGAZI eine Wahnsinnsband sind, in allem, was sie machen. Die sind auf ihre Weise unheimlich konsequent und haben das, was sie da machen, quasi erfunden. Das bewundere ich. Bei der Band finde ich auch andere Sachen beeindruckend, z.B. dass sie noch immer denselben Eintrittspreis nimmt wie vor zehn Jahren.

Aber ist dieser Schritt zur Elektronik letztendlich nicht genauso langweilig, weil das inzwischen jeder Trend-Kasper macht und plötzlich nichts mehr von normaler Gitarrenmusik wissen will?

Ich weiß genau, was du meinst und mir es ging es teilweise genauso. Ich stehe auch nicht wirklich auf so Trend-Zeug. Ich habe lange gebraucht, um da reinzukommen. Als die ganze elektronische Musik aufgekommen ist, gab es ja auch anfangs noch nicht so tolle Sachen, aber wie sich die Bands mit der Zeit daraus entwickelt haben, finde ich schon extrem interessant und auch extrem wichtig.