Mit „Bad Habits“ erscheint in Kürze das dritte Album der israelischen PunkrockerInnen NOT ON TOUR. Ich hatte das Glück, schon einmal in den Rough-Mix reinhören zu können und kann allen Freunden des melodischen Punkrocks versichern, dass die Band genau da weitermacht, wo sie mit ihrer letzten LP aufgehört hat: Hochenergetische, rasende Geschwindigkeit trifft auf singbare, melodiöse Refrains. Bassist Nir nahm sich die Zeit für ein Gespräch.
Nir, es waren jüngst Wahlen in Israel. Warst du wählen?
Ja, war ich. Ich habe mein Kreuz bei der größten Partei des linken Flügels gemacht. Das ist zwar die größte linke Gruppierung, aber sie macht dennoch nur einen sehr kleinen Teil unserer Regierung aus. Ich habe vor der Wahl wirklich auf einen Wechsel gehofft, weil ich keine positive Zukunft für Israel mit den Rechten an der Macht sehe. Aber rate mal ... Sie haben wieder gewonnen, und das sehr deutlich. Ich bin sehr frustriert.
Was sind deiner Meinung nach die größten Probleme, die mit der Wiederwahl von Benjamin Netanjahu auf Israel zukommen?
Es sind vor allem die Ängste, die von diesem Typen geschürt werden. Er stellt die Situation so dar, als könnten wir jede Minute vernichtet werden. Vom Iran, vom IS, der Hamas und den Arabern im Allgemeinen. Seine Kampagne zur Wahl vertrat am deutlichsten die Botschaft, dass, wenn er nicht wiedergewählt werden würde, dies das Ende von Israel bedeuten könnte. Viele Israelis glauben ihm und das ist auch der Grund, warum so viele ihn gewählt haben. Also haben wir jetzt diesen „König“, der uns regiert und den alleinigen Anspruch vertritt, uns vor der Verdammnis zu schützen. Ein anderer wichtiger Punkt ist die finanzielle Situation, die sich unter Benjamin Netanjahu nicht zum Besseren wandeln wird. Es ist für junge Leute kaum möglich, sich Wohnraum zu leisten. Das wird jetzt noch schlimmer werden.
Glaubst du nicht, dass einige der Ängste, die Netanjahu und andere Parteien schüren, in einigen Fällen durchaus Substanz haben? Man denke da nur an die politische Klasse des Irans, die gerne „alle Juden ins Meer treiben“ möchte.
Ich bin da unsicher. Und um ehrlich zu sein, vertraue ich keinem einzigen Politiker. Als einfacher Bürger habe ich keine Chance zu erfahren, was wirklich eine Bedrohung darstellt und was nicht. Aber ich bin mir sicher, dass Netanjahu diese Ängste, die tief in die Herzen vieler Israelis implantiert wurden, ausschließlich für seine eigenen Zwecke nutzt. Wann immer ein Problem in Israel offensichtlich wird, etwa zu hohe Lebenshaltungskosten oder schlechte Infrastruktur, ist seine Antwort, dass die äußere Sicherheit Israels wichtiger ist als alles andere. Und wenn er diese Karte ausspielt, bringt er damit die meisten Leute zum Schweigen.
Wo wir gerade von Sicherheit sprechen: Soweit ich weiß, muss jeder junge Israeli eine bestimmte Zeit in der Armee dienen. Wie verhält sich das bei euch in der Band?
Dem Gesetz nach hat jeder Israeli in der Armee zu dienen. Mädchen für zwei Jahre, Jungs für drei. Leute, die hier in der Punk-Szene rumhängen, werden von der Gesellschaft als Außenseiter betrachtet. Und viele Punks finden auch einen Weg, den Militärdienst zu umgehen. Ich bin der einzige bei NOT ON TOUR, der bei der Armee war. Aber auch nur für ein Jahr, statt die vollen drei. Das ist hier schon ein sensibles Thema in Israel. Die erste Frage, die dir bei einem Vorstellungsgespräch gestellt wird, ist: „Was genau haben Sie in der Armee gemacht?“ Wenn deine Antwort dann „Ich habe nicht gedient“ ist, werden viele direkt denken, dass du entweder verrückt, seltsam oder sonst wie gestört bist. Die Wahrscheinlichkeit ist nicht gering, dass sie dann nicht weiter etwas mit dir zu tun haben wollen.
Gibt es wirkungsvolle Strategien, um sich vor dem Militärdienst zu drücken? Und kann man nicht einfach eine Art Zivildienst als Alternative ableisten?
Die meisten, die nicht dienen wollen, gehen zum Armee-Psychologen und tun so, als wären sie völlig daneben. Die Armee wird schließlich kein Risiko mit dir eingehen wollen, wenn du ihnen vorher erzählt hast, dass du, wenn man dir eine Knarre in die Hand drücken würde, du eventuell die komplette eigene Truppe killst. Eine andere Möglichkeit wäre, nachzuweisen, dass man ein Pazifist ist. Aber dieser Weg ist die Hölle. Sie interviewen dich etliche Male und du musst dich mit moralischen Fragen auseinandersetzen, die sie dir stellen. Am Ende entscheiden ausschließlich sie, ob du wirklich ein „Pazifist“ bist oder nicht. Zivildienst wäre übrigens tatsächlich auch eine Option. In Israel ist das aber nicht sehr populär, und du kannst ihn auch nur machen, wenn die Armee zugestimmt hat, dass du Zivildienst anstatt des Militärdienstes machen darfst.
Wir haben jetzt viel über Politisches gesprochen. Thematisiert ihr so was auch in eurer Musik?
Nicht wirklich. Obwohl wir eine linke Band sind und einige unserer Songs klar politisch sind, drehen sich unsere Lieder mehr um persönliche Erfahrungen und Alltägliches. Wir erleben den ganzen Polit-Kram ja eh täglich und die Musik ist unser Weg, hin und wieder dieser stressigen Realität zu entfliehen.
Es steht jetzt die Veröffentlichung eures dritten Albums „Bad Habits“ ins Haus. Wie die letzten zwei Alben auch, erscheint die neue LP wieder über das Münsteraner Label Phobiact. Ihr scheint dort ja sehr zufrieden zu sein.
Ja, sind wir! Was wir an Tim, dem Typen hinter Phobiact, so sehr schätzen, ist, dass er ein super freundlicher Zeitgenosse ist. Außerdem ist er immer bereit, mehr für die Band zu machen, als er eigentlich müsste. Ich hatte vorher überhaupt keine Erfahrungen mit Labels, und als Valer, unser Gitarrist, mir erzählte, dass es da jemanden aus Deutschland gibt, der unsere Platten machen will, war ich schon etwas nervös, wie das funktionieren sollte. Ich hab mich auch gefragt, was das wohl für ein Typ ist und was er für ein Interesse haben könnte, unsere Sachen zu veröffentlichen. Wir haben Tim dann auf Tour getroffen und er war so großartig. Er ist auf jeden Fall ein richtig guter Freund!
Obwohl ihr häufig diesen Hardcore-Speed und -touch in euren Songs habt, lauft ihr bei mir immer in der Kategorie „Pop-Punk“. Das liegt sicher an den Melodien und dem tollen Gesang. Wie siehst du das?
Da würde ich zum Teil zustimmen, obwohl ich uns einfach als Punkrock-Band verstehe. Als wir anfingen, war unsere Intention, sowohl poppige Songs als auch HC-Songs zu spielen. Auf unserem ersten Album kann man diese Trennung in zwei Genres noch sehr gut hören, denke ich. Nach dem Debütalbum vermischte sich das mehr und mehr zu einem einheitlicheren Sound, den ich einfach als Punkrock bezeichnen würde. Wie auch immer, wir mögen catchy Songs. Alle in der Band sind Musik-Liebhaber und ich persönlich liebe gute Pop-Songs. Wenn Musik gut ist, dann ist sie gut, egal, unter welchem Genre sie zu verorten ist.
Erwartet uns auf dem neuen Album eine weitere musikalische Veränderung?
Die deutlichste Veränderung ist, dass wir alle besser an unseren Instrumenten geworden sind. Bei jeder neuen Aufnahme versuchen wir, uns selbst herauszufordern, noch besser zu spielen und interessante Parts zu kreieren. Auch damit wir uns selbst nicht langweilen. Das neue Album ist, glaube ich, etwas melancholischer ausgefallen. Aber das sollen die Hörer selbst beurteilen.
Zur Finanzierung von „Bad Habits“ habt ihr erstmalig auf Crowdfunding zurückgegriffen. Hat das gut funktioniert?
Wir hatten nicht genug Geld, um im Studio aufnehmen zu können, daher kam die Idee. Wir haben dann ein albernes Video gedreht, in dem wir um Hilfe gebeten haben. Glücklicherweise gibt es genug Leute, die unsere Musik so sehr mögen, dass sie Geld gespendet haben. Die Summe, die wir angepeilt hatten, haben wir zwar nicht erreicht, aber dennoch kam genug zusammen, um die Aufnahmen zu finanzieren. Ich nehme hier mal die Chance wahr, mich bei allen, die uns finanziell unterstützt haben, zu bedanken! Es ist unglaublich und ich kann es immer noch nicht ganz glauben, dass da draußen Menschen sind, die unsere Musik so sehr mögen, dass sie bereit sind, dafür zu bezahlen, bevor sie überhaupt einen Ton von der neuen Musik gehört haben.
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