Mittelmaß ist sicher nicht der Maßstab des Quartetts NOSEHOLES. Nachdem bei den Proben des Underground-Free-Jazz-Trios mit dem wohlklingenden Namen HAND SEX – bestehend aus Steve Somalia, Henk Haiti und TH – eher zufällig einige echte Disco-Post-Punk-Songs entstanden, starteten die Hamburger einen Versuch mit Sängerin ZooSea Cide unter dem Namen NOSEHOLES. Schnell einigte man sich auf einen ironischen Mix aus Punk und No Wave, garniert mit einer gesunden Prise Wahnsinn. Provokant, nervig, häufig tanzbar und trotz oder gerade wegen der normwidrigen Strukturen sehr eingängig. Wir befragten die Bandmitglieder Steve Somalia und Henk Haiti zu deren „No Wave, Working Class, Art Punk“-Label ChuChuRecords und dem aktuellen NOSEHOLES-Album.
Euer Album heißt „Danger Dance“. Welchen Tanz beherrscht ihr perfekt und was ist die gefährlichste Sache, die ihr bisher gemacht habt?
Henk: Steve hat in jungen Jahren auf hohem Niveau Lambada getanzt! Das Gefährlichste, was ich bisher erlebt habe, war, aus der Stratosphäre von einem Ballon aus herunterzuspringen, im Auftrag eines Getränkeherstellers aus Österreich.
Steve: Also ich lungere viel in den Vorstadt-Discotheken rum und beim Besteigen des Nanga Parbat habe ich einen großen Zeh verloren. Seitdem tanze ich auch kein Lambada mehr!
Glaubt man den anderen Reviews, dann klingt ihr sehr international. Das kann man unterschiedlich deuten. Sind die Deutschen zu doof, um Kunst zu verstehen, oder ist deutsche Musik zu gefällig und langweilig?
Steve: Meines Erachtens ist deutscher Post-Punk total einspurig und viel zu oft langweilig. Meistens voller Befindlichkeiten und selten mit Humor. Er tut kaum weh, ist nicht gefährlich und ist auf eine teutonische Art auch gefällig. Bands aus dem angloamerikanischen Bereich sind um einiges offener, schriller und interessanter. In UK wurde viel mit Dub und Reggae, in den USA viel Funk, Jazz, Disco, Avantgarde und Experimentelles im Punk vermischt. Das hat es unter deutschsprachigen Kassettentätern zwar auch gegeben, aber dominiert hat überwiegend die Hamburger Schule oder Diskurs-Rock, im weitesten Sinne Indierock. Aktuell bezeichnen diese Bands ihren Sound als Post-Punk, weil das seit längerem als schick gilt.
Wie viel Improvisation steckt wirklich in den Songs von NOSEHOLES?
Steve: Wir geben uns schon sehr viel Mühe beim Songwriting und sind auch verkopft. Wir wissen im Vorfeld ziemlich genau, wie es klingen soll, bekommen es aber nicht immer so umgesetzt, weil wir hin und wieder an unserem „musikalischen Können“ scheitern. Wenn wir zu ungeduldig werden, improvisieren wir lose Songs und meistens entsteht daraus auch wieder was Brauchbares.
Henk: Im Laufe der Zeit ergeben sich dann immer mehr Strukturen, bis es uns zu langweilig wird und wir wieder improvisieren. Das ist quasi ein iterativer Prozess und was am Ende rüberkommt, ist relativ deckungsgleich mit unserem Humor und unserem Anspruch.
„Danger Dance“ ist störrisch. So richtig wollt ihr das Publikum nicht teilnehmen lassen, verweigert beispielsweise den klassischen Strophe-Refrain-Strophe-Zirkus. Wie sind die Reaktionen bei Konzerten?
Steve: Die besten Reaktionen vom Publikum sind es, wenn sie von dem Groove gepackt werden, aber am Ende auch ein wenig irritiert sind. Entweder finden sie es eben sehr gut oder scheiße, es ist wohl wenig dazwischen.
Henk: Teilnehmen hat ja auch was mit „sich darauf einlassen“ zu tun. Ich glaube auch, dass es Leute gibt, die es richtig gut finden, und welche, die damit nichts anfangen können. Eine gewisse Faszination bleibt aber für beide Seiten, um das jetzt mal hier sehr selbstbewusst auszudrücken.
Wer hat das Coverartwork zu „Danger Dance“ gestaltet?
Steve: Das Artwork ist von Tim Boo Baa von „Sternstunden des Kapitalismus“. Er ist ein Seelenverwandter im ästhetischen Sinne. Was er grafisch entwirft, ist das Pendant zu unserer Musik. Wir wollten ein Cover, das minimalistisch, aber auch auffallend und schräg ist.
Ein Großteil der Songs auf „Danger Dance“ sind so auf den Punkt gebracht, dass man sie mühelos als Jingles verwenden könnte. Wie viel Arbeit steckt hinter dieser Akzentuierung?
Henk: Wir versuchen, komplizierte Strukturen auf ein Minimum zu reduzieren.
Steve: Wir versuchen zu Anfang immer erst, eine gute Basis mit Schlagzeug und Bass zu schaffen. Das kann schon mal dauern, aber bildet immer das Fundament der Songs. Daraufhin kann TH seine künstlerische Freiheit ausleben und seinen Gitarrensynthie drüberlegen. Zuletzt machen wir uns an die Texte und das Arrangement.
Steve, du spielst Saxophon. Ein tolles Instrument, das mir bei „Aspirin Nation“ aber je nach Stimmung tierisch auf die Nerven geht. Inwieweit wollt ihr mit NOSEHOLES auch bewusst stören?
Steve: Die Idee mit dem Saxophon geht an den Ursprung von Punk zurück. Alles ist erlaubt, Hauptsache: machen. Du musst kein Instrument spielen können, du musst nur eines besitzen. Das Saxophon ist ein unglaublich schrilles und wildes Instrument und man muss echt aufpassen, dass man es in den Griff bekommt. Klar soll es auch denjenigen missfallen, die keinen Underground oder No Wave hören. Punk muss auch weiterhin wehtun.
Leider verstehe ich kein Russisch, worum geht es in „Yelzin affairs“?
Steve: Yelzin war ein guter Sänger und Tänzer und hatte das Zeug für mehrere Liebesbeziehungen. Der Song ist im Studio spontan entstanden und wird wohl nur auf dieser Platte zu hören sein. Ob Russisch oder Fantasiesprache, das ist dem Hörer überlassen.
Henk: Aber egal ob Russisch oder nicht, es geht um melancholischen Sex mit Alkohol.
Ihr betreibt das Label ChuChuRecords in Hamburg. Welche Bands nehmt ihr dort unter Vertrag und aus welchem Grund habt ihr das Label gegründet?
Steve: Ich habe das Label gegründet, um selbst Kontrolle über das Album „Der Teufel ist ein Silberfisch“ von DAS ENDE zu haben, daraufhin kam Henk Haiti dazu. Seitdem sehen wir uns als Entdeckerlabel, was bei HUMAN ABFALL, KRANK und MOSQUITO EGO auch hervorragend geklappt hat. Bei der Band SEDIMENT CLUB aus New York hat es allerdings im deutschsprachigen Raum nicht funktioniert. Diese Band ist wohl aktuell die beste Neo-No-Wave-Band der Welt, aber wie vorhin gesagt, für die Deutschen klingt es wohl zu kaputt.
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