Jeder hat so seine Schlüsselplatten, Platten also, die einen in der Jugend geprägt haben, die man zu einer Zeit gekauft oder sich auf Cassette überspielt hat, als das Geld knapp war und man noch nicht so viele Bands kannte. Bei vielen waren das Bands wie die RAMONES, THE CLASH, DEAD KENNEDYS, SEX PISTOLS oder SLIME. Für mich waren es neben diesen aber auch die NEUROTIC ARSEHOLES, vor allem deren zweites Album "Angst". Anfang des Jahres erschien dann nach Jahren, in denen diese grossartige Scheibe nur zu Sammlerpreisen zu bekommen war, auf dem Hamburger Traditionslabel Weird System eine Neuauflage des Debüts "...bis zum bitteren Ende", ein Klassiker des deutschen Punkrocks. Als dann noch durchsickerte, dass die Arseholes im Frühjahr einige Konzerten in Originalbesetzung spielen, war klar, dass ich mir das nicht entgehen lassen würde. Zur Tour erschien dann auch eine CD-EP mit drei neuen Songs, und so war dieses Interview für mich Pflicht. Ich sprach mit Zahni (Bass), Shorty alias "Der Kurze" (Schlagzeug) und Dirk alias "Zombie" (Gesang) vor dem Konzert im Bochumer Zwischenfall. Gitarrist Kurt mag keine Interviews.
Fangen wir mal ganz simpel mit euren Ursprüngen an, denn ich denke mal, dass es heute doch ´ne ganze Menge Leute gibt, die von euch nicht mehr als den Namen kennen.
Zahni: Das kann gut sein, denn wir haben auf dieser Tour auch acht Auftritte im Süden gehabt, und da haben wir das schon gemerkt. Wir hatten alle noch ´89 im Kopf, als wir nochmal eine Tour gespielt haben und die Läden alle voll waren, so zwischen 300 und 800 Leuten. Unter der Woche hatten wir jetzt 130, 140, und das liegt wohl daran, dass unsere Generation wohl keinen Punkrock mehr hört, verheiratet ist und Kinder hat. Und die Jüngeren kennen uns nicht so in dem Masse, wie das früher der Fall war. Darüber mussten wir uns klarwerden, aber jetzt ist das auch o.k.
Ich stelle auch mit Erschrecken fest, dass mir 1989 zwar wie gestern vorkommt, aber es echt schon neun Jahre her ist, seit ich euch in Waiblingen in der Villa Roller zuletzt gesehen habe. Aber zurück zu meiner Frage: wie ging das alles los mit der NEUROTIC ARSEHOLES?
Zahni: Das fing mit Kurt und mir an. Wir kennen uns seit der Grundschule, und ´77 fingen wir dann an SEX PISTOLS und RAMONES zu hören. Später wurden wir dann begeisterte Hörer von "Rock Today", der Radioshow von John Peel, die man bei uns über BFBS, den Sender der britischen Rheinarmee empfangen konnte. Und darüber lernten wir Bands wie die LURKERS oder DEAD BOYS kennen, die sonst noch niemand kannte. Bei uns schlugen die voll ein, wir waren begeistert und fingen an, unser eigenes Fanzine zu machen. "Paranoid" hiess das, wir machten vier Ausgaben, die ersten beiden in einer Auflage von zehn Heften, hehe. Die anderen hatten dann schon ´ne 100er Auflage, die wir auch loswurden. Naja, und zu der Zeit fingen wir auch an Musik zu machen, Kurt spielte Gitarre und ich hab gesungen. Das wurde mir aber bald zu langweilig, also kaufte ich mir ´nen Bass - mittlerweile hatten wir ´79 - und wir machten da weiter im Keller rum. Irgendwann meinte dann jemand, es gebe in Minden einen Punker, der Schlagzeug spielt, also gingen wir da mal vorbei und fragten, ob er nicht Bock hat auf ´ne Band. Tja, und so kamen wir zu Shorty, "der Kurze", und probten ein paar Wochen bei ihm im Zimmer. Dirk kannte ich zu diesem Zeitpunkt vom Sehen, und Shorty kam dann auf die Idee, ihn anzusprechen, weil er meinte, der sei sicher ein cooler Sänger. Bis dahin hatte halt ich gesungen, aber Bass spielen und Singen, das war nicht so toll. Also fragte ich ihn, und Dirk meinte "Klar will ich singen!", und damit waren wir vollständig und es ging los. Das war so Anfang ´80.
Dirk: Und das alles in Shortys Jugendzimmer.
Zahni: Ja, der war der jüngste, der war damals erst 14, und deshalb hiess er auch nur "der Kurze".
Shorty: Ja, aber mittlerweile bin ich froh darüber, hehe, weil die Säcke sind noch vier Jahre älter als ich.
Zahni, du hast eben amerikanische und englische Bands als "Vorbilder" genannt. Gab´s denn auch deutsche Bands, die euch geprägt haben?
Zahni: Hm, es gab die BUTTOCKS, mit denen wir für unser Fanzine mal ein Interview gemacht haben, und DAILY TERROR. SLIME und MALE gab´s auch noch, aber die waren bei uns nicht so angesagt.
Wie kam dann die erste Platte zustande?
Dirk: Das war völliger Zufall. Ich war in Berlin, hatte ein Demo in der Tasche und lernte einen recht normalen Typen kennen, der sich als Karl-Ulrich Walterbach vorstellte. Der meinte, ich solle ihm das Demo mal mitgeben, er könne da vielleicht was klarmachen. Aber ich wollte das Tape nicht rausrücken, bot ihm an, es an Ort und Stelle anzuhören. Er belaberte mich aber noch ´ne Weile und irgendwann hab´ ich es ihm doch noch dagelassen.
Zahni: Eine Weile später habe ich dann von Walterbach ´ne Postkarte bekommen. Er meinte, das Demo sei o.k., wir sollten mal drei Songs für ´nen Sampler aufnehmen. Das war Ende ´81, und das waren dann die Aufnahmen für den "Soundtracks zum Untergang II"-Sampler.
Und ihr habt euch gefühlt wie die Könige.
Zahni: Nee, eigentlich nicht, aber wir waren aufgeregt und durften nach Berlin fahren, das war eh immer ein Abenteuer. Wir haben dann bei Walterbach in seiner Bruchbude in Kreuzberg gehaust, und im Studio waren wir völlig unbedarft, hatten von nichts Ahnung. Das ging soweit, dass wir Freitags ankamen und für Samstagabend im AJZ Bielefeld einen Auftritt klargemacht hatten, weil wir dachten, wir würden die drei Songs eben mal so runterspielen. Naja, das mit dem Konzert wurde dann nichts, weil wir bis spät in der Nacht im Studio waren.
Und wie ging´s dann weiter?
Zahni: ´82 kam dann der "Underground Hits"-Sampler und schliesslich die erste LP. Bis dahin war das bei Walterbach und Aggressive Rockproduktionen auch o.k., ich meine, AGR war eben DAS Punklabel in Deutschland.
Definitiv - deutsche Bands wie ihr oder SLIME waren dort, aber auch US-Lizenzpressungen von HÜSKER DÜ, ANGRY SAMOANS oder BLACK FLAG. Was ganz anderes: Wie kamt ihr dazu, euch NEUROTIC ARSEHOLES und nicht "Assholes" zu nennen? Irgendwie spricht das nämlich fast jeder "Assholes" aus.
Zahni: Haha, wir waren damals 15, auf einem konservativen Gymnasium und wurden dementsprechend in britischem Englisch unterrichtet. Und da heisst das eben "Arsehole".
Wie sied ihr damals rumgelaufen? Wart ihr so bunthaarige Iropunker mit Springerstiefeln?
Zahni: Mit Springerstiefeln schon, aber nicht mit Iro. Aber Dirk war immer unser härteste Punk.
Dirk: Ich war damals in Minden ein richtiger Alien, ich war seinerzeit einer der ersten Punks. Wenn ich durch die Strassen lief, bildeten sich Menschentrauben und alles unterhielt sich über mich. Nach und nach wurden das dann mehr Punks in Minden, dann ging das einigermassen. Ich habe damals auch ständig aufs Maul bekommen - soviel Schläge wie damals in Minden musste ich in meinem Leben nie mehr einstecken.
Von wem? Von den Mofarockern?
Dirk: Von den Prolls, und gerade auch von den Engländern - es gibt da wegen der britischen Armee ´ne ganze Menge. Letzteres legte sich dann aber, nachdem wir ein paar von denen kennengelernt hatten.
Zahni: Minden war damals echt nicht ohne, wirklich jeder von uns hat mal was auf die Fresse bekommen.
Shorty: Ja, Minden stand damals bundesweit in puncto Jugendkriminalität hinter Frankfurt an zweiter Stelle. Es gibt da ein paar heftige Ghettos, und damals schon war diese Gang-Geschichte dort schon ziemlich fortgeschritten. Es gab da die Ted-Boys, die Rocker, die Popper - und jeder ging gegen jeden los, und vor allem gegen die Punker.
Kommen wir zur Bandgeschichte zurück. Ihr hattet dann also das erste Album raus und habt Konzerte in der ganzen Republik gespielt.
Zahni: Ja, wobei wir seinerzeit echt nicht viele Konzerte gespielt haben. Ohne die ´89er-Tour haben wir in unserer aktiven Zeit nur an die 90 Konzerte gespielt. Wir haben nie ´ne richtige Tour gespielt, das waren immer nur so Wochenendgigs.
Shorty: Das hatte auch was damit zu tun, dass wir eigentlich recht unbedarft waren. Wir gingen an die ganze Bandsache recht naiv ran, machten halt unsere Aufnahmen und waren uns nicht bewusst, was da so abgeht. Wir freuten uns halt, dass wir ´ne eigene Schallplatte zuhause stehen hatten. Wir haben uns nie Gedanken über sowas wie Merchandising gemacht, sowas gab´s gar nicht. Oder eben ´ne Tour. Nee, da hat dich jemand angerufen und gefragt, ob wir nicht ein Konzert in München spielen wollen, und wir sagten o.k., für 150 Mark fahren wir da hin.
Wie empfindet ihr mit diesem Hintergrund - ganz unnostalgisch - die heutige Punkszene?
Shorty: Als Musiker finde ich das heute echt positiv. Du hast ganz andere Möglichkeiten, und so ´nen Laden wie das Zwischenfall, mit ´ner richtigen P.A., das gab´s früher nicht. Mit viel Glück hattest du da ´ne Gesangsanlage stehen, und auch die anderen Rahmenbedingungen sind heute ganz anders.
Dirk: Die ganze Punkszene war damals sehr von Idealismus geprägt, da bist du bereitwillig für Benzingeld und 100 Mark acht Stunden nach Bayern gefahren - egal! Da hatte man keine Ansprüche. Ich bin mittlerweile zwar ganz lange raus aus der Punkszene und mit Deutschpunk hatte ich sowieso nie was zu tun, das war mir immer ein bisschen suspekt. Mir kommt es so vor, als hätte jeder in der Szene Geld, jeder - so scheint es - kann sich alles kaufen, allen geht es gut. Und das ist schon ein Unterschied zu damals, als man sich mit grosser Mühe Löcher in die T-Shirts gefummelt hat, damit das punkig aussieht.
Shorty: Früher war es auch verpönt, 500 Mark für einen Auftritt zu fordern, selbst dann, wenn du ein Auto mieten musstest und das alles für Unkosten draufging. Das war egal, mit 500 Mark warst du ein Kommerzschwein. Das hat sich heute geändert, jetzt sehen die Leute ein, dass das alles irgendwie finanziert werden muss, und reich wird mit so einer Band eh niemand.
Zahni: Zu diesem Meinungsumschwung haben vor allem die Amibands beigetragen. Das hat man damals schon gemerkt, die haben einen ganz anderen Standard mitgebracht. Viele von denen waren bzw. sind musikalisch sehr gut und die hatten oft auch einen anderen Anspruch. Naja, und durch deren Touren hat sich das Drumherum auch für deutsche Bands positiv verändert, es ist eben alles professioneller geworden. Klar, das ist nicht die ursprüngliche Idee von Punk, und wenn NoFX auf den Hard Pop Days in Bremen vor 15.000 Leuten spielen, ist das auch nicht mehr Punkrock, aber das ist die Entwicklung und damit muss und kann man leben. Ich weiss nicht, ob es die Punkszene, die sich all dem verweigert, überhaupt noch gibt.
Tjaja, alleine wenn man sich so manchen bunten Hochglanz-Punkmailorderkatalog anschaut, dann sieht man schon, wie sich die Zeiten verändert haben.
Zahni: Klar, das gehört halt heute dazu, aber da muss jeder selbst entscheiden, was er bevorzugt. Ich persönlich bestelle meine Sachen lieber bei ´nem kleinen Mailorder. Diese grossen Mailorder sind nicht so mein Ding.
Zurück zur Geschichte der NEUROTIC ARSEHOLES: Irgendwann habt ihr euch dann mit Walterbach zerstritten.
Zahni: Ja, das kam nach der ersten LP, als wir merkten, dass der nicht mehr viel Punk macht und sich kaum noch um uns kümmert. Der hatte nur noch HELLOWEEN und andere Metalgeschichten wie CELTIC FROST oder CORONER im Kopf. Der Laden hiess ja mittlerweile auch Noise International bzw. Modern Music. Dann traten Weird System aus Hamburg auf den Plan, sprachen uns an und wir fanden die einfach cooler. Das war ´84, und irgendwie waren die auch mehr an der Punkszene dran. Das lief dann bei WS genauso wie bei AGR: wir haben erst ´nen Sampler gemacht - "Keine Experimente II" - und dann die zweite LP. Als die ´85 rauskam, ging´s dann aber mit der Band auch schon zu Ende.
Shorty: Weird System waren einfach von der "Ideologie" her näher an uns dran, denn der Walterbach war ganz klar ein Abzocker, der mit der Punkszene nie viel zu tun hatte. Ich denke, der hat jede Band, die damals bei ihm unter Vertrag war, irgendwie verarscht. Und als in der Punkszene für ihn nichts mehr zu holen war, schwenkte er eben auf die Metalschiene um.
Als ich mir euer jetzt auf Weird System wiederveröffentlichtes Debütalbum "...bis zum bitteren Ende" nochmal angehört habe, fiel mir auf, wie abwechslungsreich und um wieviel musikalisch offener als die meisten heutigen deutschen Punkplatten sie ist. Da sind so viele musikalische Einflüsse drin, dass das beim besten Willen nichts mit dem ganzen platten Deutschpunk von heutzutage zu tun hat.
Dirk: Ich denke, das hat damit was zu tun, dass wir vier ganz verschiedene Leute sind, damals schon waren. Wir haben eigentlich alle bei Null angefangen und uns alles selbst beigebracht. Kurt etwa, der Gitarrist, der keine Interviews gibt, war schon immer jemand, der ständig was Neues ausprobiert hat, und er ist auch der, von dem die meisten Songs und auch Texte sind - ich habe nur am Anfang selber Texte geschrieben.
Shorty: Die erste LP kam völlig aus dem Bauch heraus, da haben wir nicht lange überlegt, da machten wir, was uns so einfiel, und da kam dann eben auch mal ein Reggaepart mit rein. Bei der zweiten dann haben wir schon mehr überlegt, da gab´s ein Intro, ein Outro, da hatten wir ein Konzept.
Zahni: Bei der zweiten Platte waren wir bis eine Woche vor dem Studiotermin damit beschäftigt, die Songs fertigzumachen, und am Schluss fehlten dann im Studio noch drei. Also musste das schnellgehen, und da haben wir eben kurze, schnelle, melodische Punkrocksongs geschrieben. Bei der ersten Platte dagegen haben wir teilweise Songs aufgenommen, die Kurt und ich erstmals ´78 zusammen im Keller gespielt haben. Keine Frage, auch die zweite Platte ist schön, da stehen wir auch hinter den meisten Songs, aber "Ce soir", das ist einfach nur Scheisse, das war das letzte, was wir damals zusammen gemacht haben.
Kann es sein, dass man heute als Musiker einfach nicht mehr so unbefangen ans Musikmachen rangehen kann? Irgendwie gibt´s schon alles, man hat schon alles gehört.
Shorty: Das kommt sicher mit dazu. Sowas wie Crossover gab´s noch gar nicht, da waren die Sparten sauber abgesteckt. Die Hippies fuhren auf die Megarockbands wie GENESIS ab, dann war da Disco, und noch ´n bisschen Rock´n´roll - und Punk. Heute sind die Grenzen zwischen den Stilen fliessend, es gibt viel mehr Stilrichtungen, und man kann darüber diskutieren, ob OFFSPRING noch Punk sind oder doch eher Crossover, weil so viele Leute aus allen musikalischen Lagern zu den Konzerten gehen. Es ist also schon was anderes heute Musik zu machen, da muss man sich überlegen, wo man selbst steht.
Besonders positiv ist es aber nicht, wenn man dem - vermeintlichen! - Druck nachgibt und überlegt, was man jetzt so spielen sollte.
Shorty: Klar, wenn man wirklich so vorgeht, taugt das natürlich nichts. Man muss sich halt bemühen, nach wie vor sein eigenes Ding zu machen. Wir haben jetzt ja unsere neue EP gemacht mit drei neuen Stücken, und die gehen meiner Meinung nach eher in Richtung der ersten LP - wir haben einfach was gemacht und schauen jetzt mal, was so passiert. Und der eine Song ist definitiv kein Punkrock.
Oder eben doch: Punk bedeutet ja auch, das zu machen, was man will und sich nicht um Konventionen zu scheren.
Zahni: Eben, so fingen wir auch an. Als Kurt und ich anfingen, waren wir durch die ganzen Englandsachen beeinflusst, auch von Bands wie SKIDZ. Die waren ultramelodiös und im eigentlichen Sinne gar kein "echter" Punkrock - im Gegensatz etwa zu Deutschpunk. Das war Rock, aber einfach cool und total schön. Ich glaube, die Zeit damals hat Kurts Stil wesentlich geprägt, und als es dann später mit US-Hardcore wie BLACK FLAG losging, trennten sich musikalisch unsere Wege, das war nicht mehr sein Ding. Er hat dann ganz andere Sachen gehört, während ich mehr auf dieser Punk-Hardcore-Schiene blieb. Innerhalb der Band war das aber nie ein Problem, nur stilistisch hatte das Auswirkungen, wir waren immer recht melodisch und kümmerten uns einen Scheiss drum, ob Punkrocker ein Lied wie "In love" vielleicht kitschig finden. Oder "Kalte Steine" und "Kein Tag ohne Liebe", das wird heute kurioserweise immer noch abgefeiert, obwohl das absolut keine Punksongs sind. Als wir die zweite LP gemixt haben, sass ich da und dachte mir, die Leute würden uns wegen "Kein Tag ohne Liebe" in der Luft zerreissen. Ich war damals halt mehr der Punker und wollte so ein richtiges Brett haben. Letztendlich muss man aber halt sehen, dass unsere Stärke halt war, dass wir alle vier so unterschiedliche Typen sind.
Irgendwo habe ich gelesen, dass ihr seinerzeit kurz davor standet, einen Auftritt bei der damals einzigen Musiksendung im deutschen Fernsehen zu bekommen, bei Formel 1.
Zahni: Ich glaube, das stimmt nicht.
Dirk: Äh, doch, da war was.
Shorty: Ja, auf der zweiten LP bei "Kein Tag ohne Liebe" ist nämlich ein Keyboard drauf, das hört aber kein Schwein, weil es so weit nach hinten gemischt ist. Das hat ein Bekannter von uns gespielt, und der kannte den Formel 1-Moderator Ingolf Lück ganz gut. Naja, und der hat gesagt, er gibt dem Ingolf mal ein Tape, vielleicht könne der das ja mal unterbringen. Das hat aber nie geklappt, und irgendwann tauchte das mal in unserem Info auf.
Dirk: Ja, ist doch aber ´ne gute Geschichte.
Eben, „Wie wir beinahe bei Formel 1 waren". Ein schöne Anekdote. Apropos Geschichten: Textlich wart ihr zwar nie vordergründig politisch, aber das spielte schon mit rein. Wie ist es denn: 1998 seid ihr wieder zusammen, und Kohl ist immer noch ander Macht - ist das nicht frustrierend?
Zahni: Ich weiss nicht, ob wir jemals ernsthaft daran geglaubt haben, mit unseren Texten oder unserer Musik etwas zu verändern. Ich weiss nur, dass wir ´83 erschüttert waren, als Kohl gewählt wurde. Wir haben halt immer unser Ding durchgezogen und das gesagt, was wir sagen wollten, ohne dabei besonders direkt politische Themen anzusprechen. Trotzdem war klar, wofür und wogegen wir standen. So ´ne gewisse Frustration ist natürlich da, aber eher generell und nicht in der Form, dass wir uns sagen "Scheisse, wir hätten doch irgendwas reissen müssen mit unseren Scheiben". Wir sind ganz und gar nicht verbohrt und frustriert.
Gut. ´86 war dann Schluss mit den Arseholes.
Zahni: Am 25. Januar ´86 spielten wir im AJZ Bielefeld unser Abschiedskonzert.
Und was habt ihr dann gemacht?
Dirk: Ich bin in ein tiefes schwarzes Loch gefallen, denn die Gruppe hat mir echt sehr viel bedeutet. Ich habe dann sehr viel gemacht, auch viel Mist, und erst ab ´90 ging´s mir wieder ein bisschen besser, nach der Reunion-Tour. Ich hatte da so mein spezielles Problem, aber das wurde ich schliesslich los und es ging wieder aufwärts. Ich habe immer wieder versuct mit anderen Leuten Musik zu machen, aber das geht nicht, es klappt nur mit den drei hier. Heute verdiene ich mein Geld mit einem Hausmeisterservice, meine Mieter lieben mich.
Shorty: Ich versuchte mit Kurt zusammen eine neue Band aufzuziehen, eher in dem Stil der Sachen, die wir damals so hörten, nämlich Gitarrenpop à la THE CHURCH oder LLOYD COLE & THE COMMOTIONS. Die Band hiess THE BRIDES, aber aus den zweieinhalb Jahren wurde nie was Greifbares. Wir hatten das Problem, dass wir nie die richtigen Leute fanden, und so spielten wir uns im Proberaum tot. Danach habe ich dann Tanzmusik gemacht, um halt ein paar Mark nebenher zu verdienen.
Zahni: Ich habe nach dem Split die DROWNING ROSES gemacht, mit denen es ja schon losging bevor sich die Arseholes aufgelöst haben, als sich halt abzeichnete, dass das mit uns nicht mehr hinhaut. Ich weiss noch, dass ich in Bielefeld von der Bühne ging und mir dachte "Verdammte Scheisse, wie gut, dass du noch die DROWNING ROSES hast!". Ich habe mich da voll reingehängt und das lief auch ganz gut, weil ich halt immer für die Arseholes die Kontaktadresse war und die Konzerte klargemacht habe. Mit den DROWNING ROSES haben wir dann fünf Jahre lang gespielt, das war auch ´ne geile Zeit, zwar erfolgsmässig auf einem anderen Level, aber das war auch o.k. Das war eben mehr Hardcore und weniger Punkrock, da wurde die Szene auch anders - besser, wie ich fand. Die Leute waren nicht mehr so verbissen, es war bunter, da liefen plötzlich Langhaarige mit kaputten Jeans und Converse rum, die US-Einflüsse waren immer stärker, das war ´ne schöne Zeit. Und direkt bevor wir uns aufgelöst haben, waren wir dann auch noch mit NoFX in den USA auf Tour, das war wunderbar.
In diese Zeit fiel dann auch die Reunion-Tour ´89.
Zahni: Ja, das war ´ne spontane Idee. Von da gibt´s auch noch diese Single, die der Kalle Stille rausgebracht hat.
Du hast dann auch ein paar Jahre den HipHop-Mailorder Crazy Large gemacht.
Zahni: Richtig, den Mailorder gibt´s auch noch, aber das war mir dann irgendwann zu stressig. Und jetzt jobbe ich so ein bisschen rum und versuche was zu finden, was mir richtig Spass macht. Ich wohne in Hannover und bin öfters mal bei Frontline, und wenn ich da zwischen den Plattenregalen stehe, weiss ich schon, dass das meine Welt ist, aber selber sowas aufzuziehen...
Wie kommt man dazu, sich dann 11 Jahre nach dem Ende der Band wieder zusammenzuraufen und dort anzuknüpfen, wo man aufgehört hat? Die Nostalgie alter Männer?
Dirk: Nein, der Spass stand im Vordergrund. Der konkrete Anlass war das 25jährige Jubiläum des Kulturzentrums "Korn" in Hannover, wie das AJZ in Bielefeld ein Laden, zu dem wir immer einen engen Bezug hatten. Da haben wir letztes Jahr im Juli zwei Tage nacheinander gespielt und es war einfach klasse, die Leute fanden´s auch toll, und wir spielten dann mit dem Gedanken, nochmal eine Tour zu machen - vorausgesetzt, wir kommen miteinander klar und es macht Spass. Tja, jetzt sind wir mittendrin und es macht Spass.
Gab´s denn auch negative Reaktion?
Zahni: Nö, gar nicht.
Und, geht´s nach der Tour weiter mit den NEUROTIC ARSEHOLES?
Dirk: Die Antwort musst du dir so vorstellen: ich sage ja und Zahni sagt genau synchron nein.
Zahni: Ich denke schon, dass es das nach der Tour war mit der Band. Die Konzerte waren bisher alle toll, aber wir müssen´s auch nicht überreizen und ich will es nicht soweit kommen lassen, dass die Leute anfangen zu sagen, es wäre besser, wir hätten nicht noch mal was gemacht. Das wäre die Hölle, es wäre frustrierend so abzutreten. Ich meine, ich weiss nicht, was so los ist wenn DAILY TERROR, UPRIGHT CITIZENS oder TOXOPLASMA heute spielen.
Was bedeutet es heute für euch Punk zu sein, ohne mit über 30 noch so rumzulaufen?
Dirk: Im Alltag bedeutet es für mich, nicht gleich alles so zu akzeptieren, wie man es vorgesetzt bekommt: selber denken, querdenken, das ist für mich heute Punk. Mit den Haaren klappt´s nicht mehr so ganz, obwohl ich mir da immer noch Seife reinmache, aber das ist ja nur ´ne Äusserlichkeit.
Shorty: Ich sehe das genauso: Bist du nur Punk, weil du dich vollaufen lässt und mit rotgefärbten Haaren am Bahnhof stehst und Bierflaschen zerschmetterst? Oder steckt da mehr dahinter, auch eine gewisse politische Grundeinstellung?
Zahni: Ich beschäftige mich mit solchen Gedanken gar nicht: ich mache, was ich mache, und ich kenne die Leute, die ich kenne. Das ist von der Grundrichtung her Punk, und ich denke, das wird sich auch nicht mehr ändern. Private Veränderungen gibt es natürlich, aber den "Boden", den verliert man nicht mehr.
Letzte Frage: was war die letzte Platte, die ihr euch gekauft habt?
Zahni: Das Album der DROPKICK MURPHYS.
Dirk: Unsere neue EP - auch keine schlechte Platte.
Shorty: Das neue METALLICA-Album.
Ich danke euch.
Joachim Hiller, Carsten Vollmer
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