„Ein Phänomen“, „erfindet sich immer wieder neu“, „auf dem Weg zu einem Überalbum“ – was hab ich in der Vergangenheit nicht schon alles geschrieben, um dem norwegischen Rockdinosaurier namens MOTORPSYCHO zu lobhudeln. Und je länger die Band existiert, je mehr Alben sie herausbringt, umso wahrer werden diese Worte noch. Kaum glaubt man nämlich, nichts könne einen mehr überraschen, da kommt plötzlich ein Album, das kaum einer bemerkt, obwohl es eine Attacke auf den Digitalwahn der Plattenfirmen ist: die reine Vinylveröffentlichung namens „Child Of The Future“. Jugendlicher Ideenreichtum versus Huldigung des Klassischen? Diesem Widerspruch setzt sich das Trio gerne aus, auch auf dem bereits nahenden nächsten Album namens „Heavy Metal Fruit“. Wir sprachen über all das mit Bassist Snah, der sich zunächst einmal an eine fast 20 Jahre alte Rezension aus dem Ox erinnerte und sich dann darüber freute, dass sowohl seine Band als auch das Punk-Magazin nach über 20 Jahren immer noch da sind – und immer noch indie!
Snah, wie geht es dir gerade?
Ich bin noch ziemlich erschöpft. Wir sind gerade erst von der Europatour zurückgekehrt, und schon bin ich wieder mit einem Freund im Studio. Ich hätte mir lieber mal eine Woche Ruhe gönnen sollen, aber wir sind alle schon wieder ziemlich in Projekte eingespannt, schreiben Songs und nehmen auf. Von MOTORPSYCHO werden wir nun erst mal ein paar Monate Pause machen, bevor wir dann im Frühling 2010 mit einer norwegischen Free-Jazz-Band namens SUPERSILENT touren werden.
Free Jazz? Wird das wieder so eine Sache wie mit THE SOURCE auf eurem Live-Album „Roadwork Vol. 2“?
Eigentlich weiß ich auch nicht, was wir davon erwarten können. Wir haben ja überhaupt noch nichts abgesprochen, das wird eine große Herausforderung für uns alle. Ich glaube, es wird weniger songorientiert. „Roadworks“ war freies Spiel über Songstrukturen, keine völlig improvisierte Musik. SUPERSILENT improvisieren ausschließlich, sie haben keine Songs in dem Sinne. Wir sorgen eher für das Rhythmusgerüst, und ein bisschen für die Melodie. Die Tour wird übrigens eine richtig große Produktion. Norwegen hat viel Geld durchs Öl verdient, und das investiert man gerne in Kultur – denn Norwegen hat so gut wie keine Kultur. Traditionell gibt es hier kaum Rockbands oder gute Filme, aber in den letzten paar Jahren wurde hier was aufgebaut.
Euer letztes Album „Child Of The Future“ habe ich, ehrlich gesagt, zuerst kaum bemerkt.
Es gab auch kaum Promotion dafür. Wir haben gar nicht erwartet, dass es zu dem Album kommen würde. Wir sind mit ein paar sehr rudimentären Songs nach Chicago gefahren und wollten eigentlich nur ein paar Festivals spielen. Dann haben wir uns mit Steve Albini getroffen. Zurück in der Heimat, hatten wir die Aufnahmen fast schon vergessen, dann aber noch mal in die Bänder reingehört. Wir fanden es cool, wollten es noch mal überarbeiten – und plötzlich hatten wir ein ganzes Album! Demnach haben wir auch gar nicht groß drüber gesprochen oder Werbung gemacht. Wir wollten aber daraus ein kleines nettes Stück Kunst machen, haben es nur auf Vinyl rausgebracht und dann geschaut, was passiert. Das hat für einigen Wirbel gesorgt, viele Leute waren angepisst und haben uns elitär genannt. Aber die Wege von MOTORPSYCHO sind oft dunkel, für das öffentliche Auge nicht sichtbar. Wir arbeiten gerne geheim und verbreiten dann den Virus.
Du musst zugeben, dass Steve Albini als Aufnahmeleiter für einen Außenstehenden eine überraschende Wahl ist, oder?
„Child Of The Future“ ist natürlich kein typisches Albini-Album geworden. Aber das liegt daran, dass wir mit ihm nur die Basisspuren aufgenommen haben. Bis das Album fertig war, haben wir noch viel dran gemacht, in einem normalen Studio in Norwegen, mit Pro-Tool-Software. Steve macht ja nichts anderes als Aufnehmen. Er sagt nichts zu Arrangements, gibt nur Tips zur Aufnahmetechnik. Dadurch erreicht er seinen speziellen großartigen Sound. Gleichzeitig mussten wir „his way“ aufnehmen: live, keine Overdubs, kein Metronom. Wenn du einen Fehler machst, macht die Band eben alles noch mal. Er mag keine Overdubs. Er arbeitet wie ein Aufnahmeleiter in den Fünfzigern oder so, als man die technischen Möglichkeiten von heute noch nicht hatte. Das kann für den Musiker sehr ernüchternd sein, denn der Song muss fertig sein, wenn du ins Studio gehst. Du selbst musst bereit sein, hast keine Zeit und Gelegenheit, noch etwas zu verändern.
Nachher habt ihr dann aber ordentlich Overdubs drübergehauen. Was hat Steve dazu gesagt, als er das gehört hat?
Stimmt, die Songs haben wir gründlich durcheinander gewirbelt. Aber Steve ist das gewohnt, weil er ja oft nur die Basics aufnimmt. Wenn wir alles bei ihm gemacht hätten – Gesang, Overdubs, Mixing – dann wäre es sein typischer Sound geworden.
Ist es nicht ein Widerspruch, eine reine Vinylveröffentlichung als Kind der Zukunft zu bezeichnen?
Das ist doch perfekt! Vinyl hat bis jetzt überlebt, es wird die CD überleben, die Minidisk und viele andere digitale Medien. Es lebt sein eigenes Leben. Plattenfirmen werden immer wieder versuchen, uns andere, neue Medien aufzudrücken, aber Vinyl ist halt das Beste. Wir schwören auf analoges Equipment. Es gibt zwar gutes digitales Zeug, aber das kann sich doch kein Mensch leisten. Solange das so ist, gibt es nichts Besseres als Vinyl. Ohne Zweifel. Es ist die Vergangenheit und die Zukunft. „Child of the past“ sozusagen.
Das nächste Album heißt „Heavy Metal Fruit“ – was ist das bitte?
Die Band BLUE ÖYSTER CULT hat das Wort geprägt. Sie haben einen Kriegssong geschrieben, und darin wurden die Bomben als „heavy metal fruit“ bezeichnet. Der Albumtitel steht für ein ambivalentes, süßsaures Ding. Es ist schwierig für mich, es zu erklären, aber es hört sich gut an.
Gut, dann was anderes: Ihr habt ja immer harte, laute Rockmusik gemacht, kurz unterbrochen durch eure Flowerpop-Phase um „Phanerothyme“. Was unterscheidet die harte Rockmusik vor dieser Phase von der danach?
Das Timing ist anders. Heute spielen wir 9/8-Takte, oder 11/8-Takte. Die Improvisationen sind elaborierter, sauberer als früher. Wir haben nicht mehr diesen Hardcore-Edge oder den Heavy-Metal-Edge wie damals Anfang der Neunziger. Unsere Musik ist zwar noch heavy, aber sie hat sich in eine andere Richtung entwickelt. Wir sind als Komponisten und Musiker besser geworden. Kenneth, unserer Drummer, hat uns neue Richtungen und Möglichkeiten eröffnet – fast schon zu viele, haha. Wir haben viel nach Dingen geforscht, die wir eigentlich schon lange machen wollten. Die waren auch schon immer da! Wir wollten Dinge drastisch verändern, um neue Musik zu machen, und der Prozess hält noch immer noch an.
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