Diese Band ist einfach ein Phänomen: Seit fast 20 Jahren ist sie unterwegs, und mit jedem neuen Album hat sie es geschafft, sich immer wieder neu zu erfinden. Schon mit dem ersten Album aus dem Jahr 1992 zeigten die Norweger allen, die hilflos mit der Stoner-Schublade wedelten, eine lange Nase. So auch diesmal, obwohl das aktuelle Album namens "Lucid Little Moments" der vielzitierte Schritt zurück nach vorn ist. Der lange Ausflug in den blumigen Sixties-Pop Anfang dieses Jahrzehnts hat viele alte Fans verschreckt, aber auch viele neue mit sich gebracht. Nun sind MOTORPSYCHO wieder zu ihren Wurzeln zurückgekehrt und verbinden den Pop-Charme eines Albums wie "Timothy's Monster" mit der Wucht und dem Sound des Überalbums "Trust Us". Eine gute Entscheidung, denn rocken kann die Band noch immer am besten. Dieses Interview war übrigens gar nicht so leicht zu arrangieren: einem strengen Probenplan folgend, konnte es nur zu bestimmten Zeiten stattfinden. Und offenbar dauern Proben bei MOTORPSYCHO etwas länger, wie mir ein müder, aber zufriedener Gitarrist Snah versicherte.
Wer hätte gedacht, dass Rocker so gewissenhaft proben! Müsst ihr euren neuen Schlagzeuger noch für die Tour fit bekommen?
Ja, Kenneth ist ein sehr guter Musiker und er lernt schnell. Natürlich braucht es seine Zeit, um diese spezielle Telepathie untereinander zu entwickeln, aber die Aussichten mit ihm sind blendend.
Wie seid ihr denn an ihn geraten?
Es gibt da dieses Jazzfestival in Trondheim, und vor zwei Jahren haben wir dort mit Øyvind Brandtsegg gespielt, unserem Keyboarder auf der letzten Tour. Und der hatte Kenneth im Gepäck. Wir haben uns dann mal getroffen, eine Menge alter Hardrock-Songs gespielt und viel gelacht - ein sehr guter erster Kontakt. Damals spielte Jacco van Rooij Schlagzeug bei uns, aber er lebte und arbeitete noch in Eindhoven, weshalb es sehr schwierig war, regelmäßig zu proben und neue Songs zu entwickeln. Für ihn war es mehr ein Projekt, und du kannst viele Projekte haben, aber nur eine Band. Mit Kenneth sind wir wieder auf dem Weg dorthin, wir können uns treffen, wann immer wir wollen. Das ist sehr erleichternd.
Wie war es denn am Anfang für Kenneth mit euch beiden, die ihr ja nun schon seit Ewigkeiten Musik zusammen macht?
Ich glaube, es war sehr merkwürdig für ihn, in so eine kreative Beziehung zu stoßen, die seit vielen Jahren gewachsen ist. Aber er macht sich nicht groß Gedanken und reagiert sehr schnell auf die Musik. Er hat einen breiten Musikgeschmack von Hardrock über Heavy Metal, aber er ist auch ein ausgebildeter Jazz-Schlagzeuger und kann gut improvisieren. Damit ist er für Bent und mich die perfekte Lösung. Ich finde auch, man hört den Songs schon seine Handschrift an. Das Schlagzeugspiel auf dem neuen Album ist so lebendig, es eröffnet uns ganz neue Perspektiven beim Songwriting.
Denkst du, "Little Lucid Moments" ist euer bestes Album bisher, oder zeigt es nur das, wo ihr gerade seid?
Es ist definitiv das Beste. Natürlich würde ich das über jedes unserer Alben sagen, aber diesmal ist es etwas ganz Besonderes: Ich höre es mir selber gern an! Das ist wirklich merkwürdig! Dieses Album repräsentiert den Kern und das ursprüngliche Gefühl von MOTORPSYCHO - natürlich im Jahr 2008, aber trotzdem zeitlos im motorpsychedelischen Universum. Es ist so erfüllend, die Songs live zu spielen, sie fühlen sich wie magische Waffen an, voller Energie. Wir müssen uns keine Mühe geben, Details aus dem Studio nachzuspielen, weil es sehr direkte Musik ist.
Zitat Bandinfo: Das Album hat "little lucid moments in it, surrounded by a lot of weird shit" - wo finden wir denn was?
Das kommt darauf an. Man könnte zum Beispiel die Texte für "weird shit" halten. Es wird ja nicht so viel gesungen, also hast du diese kleinen Inseln aus Melodien und Gesang. Im ersten Song, der Suite, gibt es sogar einen engen Zusammenhang zwischen Text und Musik. Andererseits werden viele Leute die Improvisationen merkwürdig finden. Das wiederum finde ich merkwürdig. Ich bin überrascht, dass es heute kaum noch Bands gibt, die dieses Stilmittel in ihrer Musik verwenden. Man findet es nur noch im Jazz oder bei Klischee-Hippie-Bands, dabei kann es jeder nutzen. Allerdings sind die Leute heute so sehr an das iPod-Format gewöhnt, dass sie durch lange Songs nur abgeschreckt werden.
Über euer Vorgängeralbum habt ihr noch gesagt, es sei zu lang geraten. Habt ihr diesmal bewusst den anderen Weg gewählt?
Wir haben einen Haufen Songs aufgenommen, aber es hat sich schnell ein Kern an Liedern herausgebildet, die irgendwie zusammenhingen. Die anderen waren auch ziemlich gut, aber als wir die vier Songs des Albums isoliert hatten, ist etwas ganz Besonderes passiert. Wir haben das Album ja nicht in dieser Form geplant, vielmehr haben es die Songs erfordert. Auf "Black Hole/Blank Canvas" gibt es viele Lieder, die deine Aufmerksamkeit fordern, wahrscheinlich sind es zu viele, aber wir wollten das Album um keinen Preis beschneiden. Wir haben einfach keinen anderen Weg gesehen als diesen, wie auch diesmal. Die beiden letzten Alben sind aber gut so, wie sie sind, und jetzt können wir eh nichts mehr dran ändern.
Du hast gerade über die "Suite" auf dem neuen Album gesprochen, ein zwanzigminütiges Opus in vier Sätzen. Wie kommt man denn auf so etwas?
Wir haben die einzelnen Teile alle etwa zur selben Zeit geschrieben. Natürlich standen sie zuerst noch für sich, aber sie sind in der selben Stimmung, und obwohl man sie als einzelne Songs identifizieren kann, haben sie doch viele Gemeinsamkeiten. Wir mussten nur den richtigen Weg finden, sie gemeinsam in Szene zu setzen. Anstatt ein weiteres Album mit zwölf Songs zu machen, fanden wir es spannend, längere Segmente zu spielen, sich länger zu konzentrieren und ein viel längeres Statement abzugeben. Natürlich erfordert diese Art von Musik eine ganz eigene Dramaturgie, und wir haben viel ausprobiert, bis wir die perfekte Lösung hatten.
Bisher habt ihr immer Singles zu euren Alben veröffentlicht. Diesmal auch?
Nein, auf dem Album gibt es nichts, was man im Radio spielen oder bei iTunes verkaufen könnte. Dafür sind die Songs einfach zu lang. Aber das ist eben unsere Attitüde gegenüber dem "Business". Diejenigen, die sich für uns interessieren, werden sich die Songs ohnehin anhören, und wenn uns jemand nicht kennt oder nicht kennen will, dann kümmert uns das nicht. Wir wollen weiterhin unserer Kunst treu bleiben und keine Kompromisse eingehen. Aber ich denke, wenn wir kurze Songs gemacht hätten, hätte Stickman Records sicher nichts gegen eine Singleveröffentlichung einzuwenden.
Apropos Plattenfirma: Ihr habt Sony Norway verlassen. Wie kam es dazu?
Ach, das ist ganz unspektakulär. Sie haben uns immer gut behandelt, haben uns in Ruhe arbeiten lassen und sie bringen auch noch unsere DVD heraus. Allerdings wussten sie auch nie, wohin sie uns stecken sollten und konnten uns nicht so verkaufen wie den Rest ihres Programms. Sind wir eine Popband, eine Rockband oder sogar eine Countryband? Wir sind nun zu Rune Grammofon gewechselt, sie bringen uns in Norwegen und noch ein paar anderen Ländern heraus. Viele unserer Freunde veröffentlichen dort ihre Alben. Immerhin sind wir nun wieder zu hundert Prozent Indie, und das ist ein gutes Gefühl.
In einem früheren Interview habt ihr betont, dass ihr diesen ausufernden Spacerock nicht mehr spielen wollt, weil ihr das bis zum Erbrechen ausgereizt hättet. Warum nun dieser Sinneswandel?
Ich glaube, wir sind einfach an dem Projekt gescheitert, das wir mit Alben wie "Phanerothyme" oder "It's A Love Cult" in Angriff genommen haben. Das war gutes Handwerk und es waren gute Alben - Studioalben! Wir haben es nicht geschafft, die Songs auf der Bühne gut umzusetzen, und das hat uns wirklich angepisst. Nicht, dass wir mit den Alben an sich unzufrieden gewesen wären, aber die Songs mit vierstimmigem Gesang und den vielen Schichten hätten einfach eine größere Band erfordert. Ein gutes Streicherensemble vielleicht, aber mindestens drei, vier zusätzliche Musiker. So etwas ist aber für uns im Moment kein Thema. Wir waren auf der Bühne also sehr limitiert, und die letzten beiden Alben sind eine Reaktion auf diese... ich würde es nicht Sackgasse nennen, aber dennoch wollten wir die Fehler nicht noch einmal machen. Wir haben daraus gelernt.
Ich finde, ihr habt diesmal die besten Momente eurer älteren Alben miteinander verbunden. Würdest du mir zustimmen?
Dazu habe ich keine Meinung. Es ist natürlich für Journalisten und Fans einfacher, Veränderungen auf diese Weise zu benennen und neue Sachen mit den alten zu vergleichen. Das passiert ja überall im Leben, also warum nicht? Ich verspüre keine ausgesprochene Nostalgie hinsichtlich unseren alten Sachen, warum sollten wir groß in der Vergangenheit wühlen? Andererseits wir sich die Art, wie ich Gitarre spiele, nicht ändern. Ich habe durch BLACK SABBATH und DEEP PURPLE das Gitarrespiel gelernt und auch nach all den Jahren hört man das noch immer. Es gibt viele Gründe dafür, weshalb wir so oder so klingen, aber die kann ich nicht benennen.
Euch gibt es jetzt seit fast 20 Jahren. Was treibt euch denn nach dieser langen Zeit noch an, immer wieder auf Tour zu gehen und neue Alben aufzunehmen?
Keine Ahnung! Es ist ein merkwürdiges Gefühl, dass wir noch immer da sind, wir haben das ja so nicht geplant. Ich habe einen elfjährigen Sohn, und wenn ich mir ansehe, wie er schon gewachsen ist, dann denke ich: Scheiße, wie die Zeit vergeht! Aber wir machen keine langfristigen Pläne, wir machen einfach und denken dann, okay, in den nächsten Monaten sind wir also auf Tour. In Ordnung. So läuft das. Musik macht einfach süchtig, so würde ich das nennen. Wir brauchen sie, sie gibt uns soviel Energie. Natürlich ist es auch harte Arbeit, aber das gilt ja für jede andere Beschäftigung auch, ob du nun Bauer bist oder Junkie. Egal, was du machst, du musst eh ums Überleben kämpfen. Deshalb sind wir froh, dass es uns noch immer gibt. Wir sind ein Haufen guter Freunde und wir erkunden gerne gemeinsam die Welt. Die Musik führt uns dabei. Es ist ein gutes Leben, auch wenn ich meistens pleite bin. Aber das gilt für die meisten meiner Freunde auch.
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