MORNING GLORY

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Musik als politisches Instrument

Auf ihrem zweiten Album „War Psalms“ auf Fat Wreck Chords präsentieren sich MORNING GLORY deutlich aggressiver als auf ihrem Debüt „Poets Were My Heroes“. Trotzdem finden sich auch darauf wieder Songs, die Punkrock gekonnt mit Klavier-, Bläser- und Streichereinsätzen verbinden und somit einen einzigartigen Sound schaffen. Hinter all dem steht das musikalische Multitalent Ezra Kire, der früher bei LEFTÖVER CRACK und CHOKING VICTIM aktiv war. Kire komponiert und produziert alles selbst und ist sogar für das Artwork verantwortlich. Kire ist jedoch auch ein sehr politischer Mensch, der gegen die Ungerechtigkeit in der Welt Stellung bezieht.

Ezra, ihr bezeichnet eure Musik als „Revolution Rock“. Was ist eure revolutionäre Agenda, in musikalischer und politischer Hinsicht?

Für mich bedeutet es einfach, aus der Welt mit Hilfe von Musik eine bessere zu machen. Es geht um die Verbreitung von Ideen und Gedanken, denn Musik ist eine höchst internationale Sache, eine Sprache, die jeder versteht. Wenn wir eine Show spielen, wünschen wir uns, dass die ganzen verschiedenen Leute diesen Moment gemeinsam genießen, ihre Gefühle miteinander teilen und sich somit eine kleine Revolution in ihrem Kopf ereignet. Und wenn sie vielleicht von unseren Ideen und diesem Moment nur ein bisschen mit nach Hause nehmen und etwas davon weitergeben, damit die Idee größer und größer wird, dann ist das für mich schon ein revolutionärer Anfang.

Ihr habt im Mai auf Fat Wreck Chords euer zweites Album „War Psalms“ veröffentlicht. Und wie läuft die Zusammenarbeit?

Die läuft wirklich super. Wir üben keinen Druck auf uns aus und wir können uns künstlerisch völlig frei entfalten. Fat Wreck ist wie eine große Familie. Lustig ist, dass Fat Mike uns eigentlich gar nicht auf seinem Label haben wollte. Aber im Endeffekt hat sich Fat Mikes Ex-Frau Erin, Mitgründerin und Teilhaberin des Labels, durchgesetzt. Sie hat sich sehr für uns eingesetzt. Davon profitieren wir bis heute.

Ich sehe eine Parallele zwischen MORNING GLORY und RISE AGAINST, denn beide Bands haben einen hohen politischen Anspruch an ihre Musik und Texte. Nachdem RISE AGAINST ihr zweites Album „Revolutions Per Minute“ bei Fat Wreck Chords veröffentlicht hatten, sind sie zu einem Major gewechselt und wurden immer größer – auch um mit ihrer politischen Botschaft mehr Menschen erreichen zu können. Wäre es für euch erstrebenswert, einen ähnlichen Status wie RISE AGAINST zu erreichen, um eure politische Reichweite zu vergrößern? Oder siehst du da eine Sellout-Problematik?

Wenn das möglich wäre, absolut! Wenn man sich und der Sache treu bleibt und stets authentisch, sehe ich kein Sellout-Problem. Was ist überhaupt die Definition von Sellout? Für mich bedeutet das, etwas nur um des Geldes Willen zu machen. Für uns spielt das Geld keine Rolle, es geht uns nur um die Musik. Wir lassen uns von unserer Kreativität leiten und nicht vom Geld. Für uns wäre es zum Beispiel ein Sellout, wenn wir jetzt viele Ska-Songs für ein Album schreiben würden, weil das den Leuten gefällt. Aber wir gehen lieber das Risiko ein, dass das Album wenigen Leuten gefällt, wir dafür aber die Musik machen, die wir machen wollen. Deshalb bedeutet für mich Sellout, dass du Musik machst für den Geschmack des Publikums, obwohl du eigentlich gar nicht diese Musik machen willst.

Bereits bei LEFTÖVER CRACK und CHOKING VICTIM war Religion ein konstantes Thema. Das setzt sich jetzt mit MORNING GLORY fort, auf eurem ersten Album „Poets Were My Heroes“ sogar noch stärker als auf dem neuen. Woher kommt diese Ablehnung von Religion? Gibt es da bei dir familiäre Hintergründe oder ist es einfach das Mehr an Informationen, das du als Kosmopolit, der in allen Erdteilen gelebt hat, besitzt?

Es ist definitiv das Mehr an Informationen und Erfahrungen. Je älter ich wurde und je mehr ich erfahren habe, um so mehr musste ich erkennen, was Religion der Welt schon angetan hat. Religion ist für mich das absolut Schlimmste auf der Welt, was es gibt! Aber ich muss hier eine Sache klarstellen: Ich spreche hier von der organisierten Religion. Es gibt aber auch die individuelle Religion. Die ursprüngliche Idee von Religion ist für mich, dass jeder für sich glauben kann, was er will. Jeder ist sich quasi selbst sein Gott, weshalb man immer an sich glauben sollte. Aber andere Menschen von einem Glauben, woran auch immer, überzeugen zu wollen und zu missionieren, ist schon organisierte Religion. Je mehr ich darüber lese und sehe, was in der Welt abgeht, desto mehr schreibe ich dagegen an.

Es ist ziemlich außergewöhnlich, in Punkrock neben Bläsern auch Klavier- und Streicherpassagen einfließen zu lassen. Woher kommt dein breites musikalisches Talent? Hast du dir alles selbst beigebracht?

Vor einigen Jahren war ich in einem Entzugsprogramm, um von den Drogen wegzukommen. Das ist ein Projekt von Musikern für Musiker und wurde von Tom Waits, Patti Smith und den FOO FIGHTERS ins Leben gerufen. An diesem Programm dürfen nur Musiker teilnehmen und die meisten kommen aus dem Punkrock-Umfeld. Es ist ein großartiges Projekt! Eine der ersten Sachen, die sie sagten, war, dass man sich ein neues Instrument suchen sollte. Also habe ich eben das Klavier genommen. Und die anderen Instrumente habe ich gelernt, weil ich von klein auf Musik gemacht habe und allen Einflüssen gegenüber offen war. Deshalb habe ich auch früh begonnen, Songs für die verschiedenen Instrumente zu komponieren und zu produzieren. Musik war immer in meinem Kopf und ich brauchte ein Medium, um sie rauszulassen. Das Klavier hat mir dann sehr geholfen, diese Melodien in meinem Kopf auf eine neue Weise zu kanalisieren.

Wie entstehen denn dann diese komplizierten Kompositionen? Passt du die Musik an die Texte an oder umgekehrt?

Die Texte und die Musik entstehen unabhängig voneinander. Nur ein Text passt genau zu einer Musik. Diese ideale Kongruenz versuche ich immer zu erreichen. Einzelne, kurze Passagen, zum Beispiel die Streicherpassagen, habe ich in meinem Kopf und zeichne sie, wie die Texte im übrigen auch, direkt mit meinem Smartphone auf, weshalb ich das Ding auch immer bei mir trage. Dann muss ich aber schauen, ob und wie diese Passagen in einen ganzen Song passen. Es ist wie ein Puzzle, das es zu lösen gilt; wie eine Herausforderung, die zu meistern ist. Es kommt aber auch vor, dass es mir nicht gelingt und ich einen Song dann zur Seite lege. Doch dann sechs Monate später, wenn ich auf dem Klo bin oder kurz vor dem Einschlafen, kommen mir die Texte für genau diesen Song oder umgekehrt. Das ist auch ein Grund dafür, dass sich unsere Songs stilistisch oft sehr unterscheiden. Musik ist für mich ein Geschenk des Universums und ich fühle mich – wie soll ich das jetzt sagen, ohne total bescheuert zu klingen – nur als ein Medium, das diese Musik empfängt und mit den Leuten teilen will.

Daneben bist du auch für das konstant schwarzweiß gehaltene und sehr symbolträchtige Artwork der beiden Alben verantwortlich. Siehst du dich auch als Künstler?

Auf das Artwork wurde ich bisher noch nie in einem Interview angesprochen. Aber ganz offen gesagt: Ich bin ein ganz furchtbarer Künstler und sehe mich auch nicht als solchen. Ich schreibe Songs und versuche eigentlich immer jemanden zu finden, der sich um das Artwork kümmert, aber das klappte bisher nicht so gut. Mir ist es nämlich sehr wichtig, dass das Artwork auch zu der Musik passt. Ein ganz profaner Aspekt ist aber auch, dass ein schwarzweißes Artwork wesentlich billiger ist als ein buntes, haha. Das Design der aktuellen T-Shirts stammt aber beispielsweise von Matt Curtis, ein guter Freund und exzellenter Künstler aus New York, der unter anderem auch das SLAYER-Logo entworfen hat.

Für mich stellt sich bei dem Albumtitel „Poets Were My Heroes“ natürlich auch die Frage: Welche Autoren hatten oder haben auf dich einen Einfluss?

Wer mich bei „War Pslams“ sehr beeinflusst hat, war John Perkins mit seinem Buch „Confessions of an Economic Hit Man“. Dieses großartige politische Buch über Perkins’ Insiderwissen über die Wirtschaftskriege, die die USA führen, findet seinen Niederschlag vor allem im Video zu „Machine gun“. Auf der jetzigen Tour lese ich gerade „The Ragged-Trousered Philanthropists“ von Robert Tressell aus dem Jahre 1914, in dem es um den frühen Sozialismus in England geht. Ich lese sehr viel politische und geschichtliche Bücher, was heißt, dass ich eher Sachbücher lese als Romane. Ich tue mich mit fiktionalen Büchern sehr schwer. Deshalb lese ich auch nur Bücher, die mich von der Thematik her interessieren, also Sachbücher, die sich mit der sozialen Frage und historischen Entwicklungen beschäftigen. Aber ich muss zugeben, dass ich auch Comics lese, weil sie eine visuelle Welt darstellen, was ich sehr faszinierend finde.

Hast du zum Abschluss noch einige Anregungen, die du den Leuten da draußen mitgeben willst, wie sie revolutionär agieren können in diesen Zeiten der weltweiten Kriege? Sei es in politischer oder persönlicher Hinsicht.

Die Revolution beginnt im Herzen. Das ist zwar ein altes Klischee, aber ich bin überzeugt davon! Und in diesem Sinne möchten wir auch unsere Shows spielen, um den Leuten das mit auf den Weg zu geben. Ich denke, wenn du die Leute in deinem Umfeld überzeugen und aufrütteln kannst, dann werden sie darauf reagieren und die Gedanken und Aktionen weitertragen. Die Revolution beginnt somit zuerst zu Hause. Eine kleine Gruppe von Leuten lässt sich eher von so etwas berühren, aber die kleinen werden irgendwann zu einer großen Gruppe. Politisch sollte jeder für sich selbst entscheiden, aber ich denke, dass sich auch durch Musik vieles verändern lässt. Wir haben im Gegensatz zu unseren Eltern das Glück, dass wir in einer internationalen Welt leben, die immer kleiner wird und Ideen sich somit viel schneller verbreiten, mehr Menschen erreicht werden können und sie schneller zusammenkommen. Wir müssen zusammenstehen gegen das weltweite Finanz- und Wirtschaftssystem, das uns alle beherrscht, oder es wird uns mit in den Abgrund ziehen, weil es darauf angelegt ist zu kollabieren. Und das ist keine Verschwörungstheorie oder ein verrückter Kram, das ist ein Fakt, den dir Mathematiker sowie Aussteiger aus diesem System bestätigen werden.