MONTREAL

Foto© by Ania Sudbin

Alles beim Alten am Oktagon?

Eine Band, die auch noch nach über zwanzig Jahren in der identischen Startbesetzung Yonas (gt, voc), Hirsch (bs, voc) und Max Power (dr) aktiv ist? Und die zu allem Überfluss dem neuen Album, dem ersten Studioalbum nach fünf Jahren, den Titel „Am Achteck nichts Neues“ gibt? Nicht unbedingt die besten Voraussetzungen für ein reißerisches Interview. Aber Hirsch bewies ein weiteres Mal bei unseren Fragen Eloquenz, Humor und auch eine Spur Nachdenklichkeit. Und die eine oder andere Neuigkeit konnten wir ihm dann doch noch entlocken.

Das Achteck hat angeblich schon zu Beginn eurer Bandgeschichte eine Rolle gespielt, stimmt das?

Genau, für unser Debütalbum „Alles auf Schwarz“ hatten wir uns damals aus allen Himmelsrichtungen Kohle zusammengeliehen, aber zu der Zeit haben Gagen und Plattenverkäufe längst nicht gereicht, das in absehbarer Zeit abgestottert zu bekommen. Also haben wir drei regelmäßig Ausschank-Schichten auf dem „Achteck“ geschoben, so nennt der findige Volksmund geometrisch korrekt diese aufklappbaren Bieranhänger. Wahre Meisterwerke der Transportgastronomie.

Für das neue Album war das aber nicht mehr nötig, oder?
Nee, das bekommen wir zum Glück seit der zweiten oder dritten Platte auch anders hin, aber wenn es hart auf hart kommt, könnten wir sicher direkt wieder starten, so ein schönes Gezapftes sollten wir noch hinbekommen.

Steht das Achteck für euch irgendwie auch für Beständigkeit?
Schon, wobei wir mit diesen Bierhängern immer eher an Orten und bei Veranstaltungen eingesetzt wurden, wo Beständigkeit leicht Richtung „Hängengeblieben“ kippen konnte. Das waren so Stadtfeste, wo groteske Coverbands gespielt haben und das Publikum tendenziell nicht mit Begeisterung auf irgendeine Art von Neuerung oder Veränderung reagierte. „Die Zeit rinnt überall durch deine Hände – am Oktagon steht sie für immer still“, das ist nur mit sehr viel Fantasie als Loblied aufs Achteck zu verstehen, wir haben das meistens als triste und schwierige Situationen empfunden.

Das neue Album ist vielschichtiger und abwechslungsreicher als die Vorgänger. Langsamere Nummern wechseln sich ab mit einigen schwer rockenden Songs, typische MONTREAL-Tracks mit dem unverkennbaren Wortwitz stehen neben einigen Hymnen mit durchaus persönlichen Inhalten. Etwa doch nicht alles unverändert am Achteck?
Das hat sich einfach so ergeben und war kein geplanter Ansatz. Wir haben über zwei Jahre lang Lieder gesammelt und Lied für Lied geschaut, wie funktioniert das für uns am besten. Und wenn dann da auf einmal so ein Text wie „Mein Korn“ ist, wollten wir den nicht auf Krampf in ein Zwei-Minuten-Uptempo-Gewand quetschen, sondern mal versuchen, was man damit noch machen könnte. So sind diese paar „Ausreißer“ vielleicht zu erklären, aber ich finde, der Grundsound ist schon noch sehr konstant und wiedererkennbar.

In unserem Interview zum Vorgänger-Album „Hier und heute nicht“ habt ihr noch gesagt, dass ihr kurze Lieder ohne unnötigen Schnickschnack abliefert mit der Devise, nicht lange an den Songs „rumzufriemeln“, sondern einfach zu machen. Für das neue Album habt ihr euch sowohl für das Schreiben als auch für das Aufnehmen viel mehr Zeit genommen.
Ohne die Pandemie wären es sicher keine knapp fünf Jahre bis zum nächsten Studio-Album geworden. Wir haben nur anhand von einigen Kollegen um uns rum gesehen, dass in die Pandemie hinein veröffentlichte Alben, die man dann nicht betouren konnte, komplett untergegangen sind. Das wollten wir uns gern ersparen und haben die dadurch entstandene Zeit genutzt. Wir haben aber auch gemerkt, dass wir das von dir angesprochene Album davor dann doch in etwas zu kurzer Zeit reingezimmert haben: Februar/März geschrieben, April Vorverkauf gestartet, im Mai binnen kürzester Zeit aufgenommen, ab Juni kamen Singles und im August veröffentlicht. Das war schon sehr sportlich und anstrengend und hat im Zweifel nicht allen Liedern gut getan, und uns auch nicht.

Auf eurem Album „Schackilacki“ hatten ihr den Song „Idioten der Saison“. Ist es nicht erschreckend, wie aktuell dieser Song momentan ist und welche besonderen Auswüchse an Idioten zur Zeit wieder auf der saisonalen Speisekarte stehen?
Allerdings! Der Text ist von 2016 und ich habe damals ehrlicherweise gehofft, dass sich diese Partei nach nicht allzu langer Zeit von innen zerfleddert. Dass acht Jahre später in manchen Bundesländern kaum noch eine Regierungsbildung ohne sie möglich sein könnte, war in den schlimmsten Albträumen nicht abzusehen.

Die neuen Songs werdet ihr euren Fans in diesem Jahr in einer bunten Mischung aus großen Festivals und kleinen Club-Konzerten präsentieren. Wie wichtig ist euch genau dieser Mix?
Schon sehr wichtig und wir sind sehr dankbar, dass wir uns da eine gesunde Abwechslung in den Kalender basteln können. Besonders freuen wir uns auf die kleine Release-Tour im Mai, wo wir in Clubs wie Molotow und Cassiopeia spielen. Knapp einen Monat danach geht es dann zu so Festivals wie Hurricane/Southside, Nova Rock in Österreich und Greenfield in der Schweiz. Das sind schon sehr andere Konzerterlebnisse, und da hin und her zu switchen ist nicht immer einfach, aber hält vermutlich auch etwas wach und fit. Einfach das gleiche Set abzuspulen, würde da nicht funktionieren.

Euch gibt es mittlerweile seit über zwanzig Jahren in der gleichen Besetzung. Auf dem Album singt ihr selbst: „Wie lange soll das denn noch so weitergehen?“
Die Frage nach dem „wie lange noch“ stellen wir uns nicht so wirklich und haben wir glaube ich auch noch nie. Wir machen einfach immer weiter, so lange es uns und anderen noch Spaß macht. Eine „Auflösung“, um eine gut laufende Abschiedstour zu spielen und dann, oh Wunder, nach wenigen Jahren wiederzukommen, um eine gut laufende „Reunion-Tour“ zu spielen, überlassen wir gern anderen und das haben wir uns mit dem Lied „Zucker für die Affen“ wohl auch gründlich verbaut. Von daher sehen wir weiterhin zu, dass wir uns die Freude an der Band erhalten und einfach noch viele gute Jahre mitnehmen.

Im Song „Club 100“ feiert ihr euch für euren 100. veröffentlichten Song. Ihr singt davon, dass man bei 100 Liedern in zwanzig Jahren und der Quote von fünf Songs pro Jahr nicht unbedingt ins „Guinness-Buch der Rekorde“ kommt. Ich persönlich bin der Meinung, lieber 100 Killer als 500 Filler. Oder wärt ihr gerne produktiver gewesen?
Nein, wir sind da ganz bei deiner Meinung und mit 100 Liedern sehr zufrieden! Unter denen sind auch nicht allzu viele, für die wir uns schämen und das ist nach 20 Jahren schon recht viel wert. Wir sind beim Schreiben und im Studio sehr streng mit uns und sortieren großzügig aus, was uns nicht wirklich zu 100% gefällt. So sind es dann eben „nur“ fünf Lieder pro Jahr, aber das ist uns lieber, als Doppelalben rauszubringen, wo dann über die Hälfte nix taugt.

Wie viele Songs schafft ihr in einer Live-Show, maximal dreißig? Das bedeutet, siebzig eurer Songs, die wahrscheinlich auch viele Liebhaber unter euren Fans haben, bleiben ungespielt. Gibt es lange Diskussionen, welche Songs es in die Setlist schaffen?
Das sind bei Clubkonzerten 26 bis 29 Lieder, aber das haben wir bislang immer sehr harmonisch hinbekommen. Und wir sind auch sehr fein damit, ein paar Lieder zu spielen, die wir selbst nicht zwingend im Set bräuchten, über die sich aber viele im Publikum freuen. Wir tauschen von Tour zu Tour immer ein paar Lieder aus, gönnen ein paar älteren mal eins bis zwei Jahre Pause und dann freut man sich auch irgendwann wieder, die zu spielen. Wir neigen auch nicht dazu, nach einer neuen Platte direkt zu viele neue Lieder zu spielen, das passiert meistens leicht versetzt, also mit einer Platte Verzögerung, dann sind die Leute mit den Liedern warm geworden, haben die im Urlaub gehört und verbinden was mit denen. Das ist bei neuen Liedern logischerweise erst mal noch nicht so der Fall.

In unseren letzten Interviews haben wir gemeinsam viel Spaß am Thema Charts gehabt. Ihr habt selbst gesagt, dass „Charten so was von Neunziger Jahre ist“, andererseits habt ihr in sozialen Medien abgefeiert, dass eure letzten Releases in die Top 50 eingestiegen sind. Wie stehen die Chancen für das neue Album?
Stimmt, damit kommst du immer gern um die Ecke, haha. Seit zwölf Jahren bringen wir jetzt alles über unser eigenes Label Amigo Records raus und sehen zu, dass ein möglichst großer Anteil der verkauften Tonträger über unseren eigenen Shop und nicht über so unsympathische Buden wie Amazon rausgeht. Unser Shop wiederum wird seit Ewigkeiten von unseren Freunden bei Merchcowboy betrieben, und weil die erfreulicherweise im Laufe der Jahre sehr groß geworden sind, zählt jede über unseren Shop verkaufte Platte eben auch für die Charts. Und da allgemein immer weniger Tonträger verkauft werden, landen so Kapellen wie wir dann immer mal wieder in deren Wertung, da reichen heutzutage wirklich ein paar hundert Dinger schon für Top 50.

Und wie hilfreich ist es dann, dass ihr für das neue Album auch auf die Unterstützung von Sebastian Madsen zurückgreifen konntet?
Haha, den haben wir ja nicht angerufen, weil wir uns davon eine bessere Chartplatzierung erhoffen. Wir sind schon lange befreundet, zeigen uns oft gegenseitig Demos und tauschen uns dazu aus, wir wollten auch immer mal was zusammen schreiben. Als wir dann beim Lied „Mein Korn“ etwas festhingen und einen musikalischen Neustart wollten, haben wir ihn gefragt, ob er Bock hat, und haben das Lied kurz danach an zwei schönen Tagen bei ihm fertig gemacht. Viele der bei ihm aufgenommenen Demo-Spuren haben wir dann auch direkt behalten und fürs Album genommen.

Euer Album endet mit der Hymne „Straßen von Oberhausen“, in der ihr den Abschied von eurem langjährigen Freund Blubbi, dem Gitarristen von SONDASCHULE, durchlebt. Muss man ein gewisses Alter beziehungsweise eine bestimmte Lebenserfahrung haben, um solch einen Song zu veröffentlichen?
Das ergibt sich glaube ich leider automatisch. Anfang zwanzig sind zum Glück noch nicht so viele Menschen um uns herum gestorben, die Einschläge kommen mit höherem Alter aber natürlich immer näher, und das fließt auch in die Lieder und Alben ein. „Danke für die Nase“ und auch „Straßen von Oberhausen“ haben aber eben auch uns selbst geholfen in der Situation und sind uns gut gelungen. Ob wir das schon auf den ersten Alben so gut hinbekommen hätten, bezweifle ich.

Ist der Ärger mit der nächsten deutschen Stadt vorprogrammiert? Als ihr ein Video zu eurem Song „Osnabrück“ in Münster gedreht habt, gab es schon Schelte. Im neuen Song „Mein Korn“ singt ihr die Zeile „mein Alltag ist noch trister als Kiel“. Das wird im hohen Norden auch keine Begeisterung auslösen, oder?
Ach, in Kiel kann man das ab und nimmt es glaube ich sportlich. Eine gewisse Tristesse sagt man der Stadt ja nicht erst seit gestern nach, siehe Tatort. Wir sind im Hamburger Speckgürtel aufgewachsen, haarscharf in Schleswig-Holstein, und da war Kiel unsere Landeshauptstadt. Wenn es in der Schule hieß „es kommt einer aus Kiel“ oder „das wird in Kiel entschieden“, bedeutete das in der Regel nichts Gutes. Auch Ausflüge und Klassenfahrten gingen regelmäßig hoch in die Landeshauptstadt, eine gewisse Vorbelastung können wir da also nicht bestreiten. Und diese Stadt reimt sich hier auch einfach besser als andere.

In eurem Song „Bis in den Morgen“ haltet ihr Rückschau auf die Band und verbindet das mit der zeitlichen Einordnung der Kriege in Jugoslawien, in Afghanistan und jetzt in der Ukraine. Ist das nicht furchtbar frustrierend, dass es irgendwie zu jeder Zeit irgendwo auf der Welt schreckliche Kriege und Auseinandersetzungen gibt? Wann hört der Irrsinn endlich mal auf?
Klar ist das frustrierend und es gab ursprünglich auch noch mehr Strophen und Kriege, das hätte also leider ein sehr langes Lied werden können. Die Frage nach dem Aufhören dieses Irrsinns würd ich gern positiver beantworten können, aber ich sehe da ehrlicherweise in naher Zukunft nicht viel Anlass zur Hoffnung. Ich empfinde den Menschen als ein von sehr niederen Trieben und egoistischen Motivationen gesteuertes Wesen, das dadurch leider nicht dafür gemacht scheint, dauerhaft friedlich mit seinen Artgenossen oder gar dem Rest der Lebewesen auf diesem Planeten zu koexistieren. Der Mensch ist ein Arschloch und Frieden wird es erst geben, wenn er ausgestorben ist.

Haben neue Songs wie „Eine andere Stadt“, „Lass mir den Hund da“ und „War es das wert“ autobiografische Hintergründe oder seid ihr da wie so oft einfach nur gute Beobachter eurer Umwelt und Mitmenschen?
Abgesehen von wenigen Ausnahmen wie „Hier und heute nicht“, „15 Jahre für die Punchline“ oder auch „Danke für die Nase“, die wirklich eins zu eins so passiert sind, kann man unsere Texte sonst schon als eine Mischung aus Beobachtung unseres Umfelds gemischt mit mal mehr mal weniger Fiktion verstehen.