Die Messlatte liegt hoch für MONTREAL. Ihr letztes Album „Schackilacki“ kletterte bis auf Platz 42 der deutschen Album-Charts und begeisterte Fans wie Kritiker gleichermaßen. Im August steht der Nachfolger „Hier und heute nicht“ mit guten Erfolgsaussichten in den Startlöchern. Ob das neue Album von Gitarrist Yonas, Schlagzeuger Max Power und Bassist Hirsch wieder so erfolgreich sein wird, ist dabei aber fast schon Nebensache. Denn es ist bereits die gute Nachricht, dass es überhaupt erscheint, wie Hirsch im Interview erzählt.
Bei unserem letzten Interview zur Veröffentlichung des „Schackilacki“-Albums hast du vollmundig geäußert, dass „Charten so was von 90er Jahre ist“. Als das Album dann in die Charts eingestiegen ist, habt ihr das auf eurer Homepage aber trotzdem ordentlich abgefeiert.
Bei den immer weiter sinkenden Plattenverkäufen muss man sich heutzutage ja schon recht blöd anstellen, um nicht irgendwie in den Charts zu landen. Verkaufst du irgendwo drei CDs und eine Schallplatte, zack, schon steigst du auf Platz 42 ein. Klar nehmen wir das dann belustigt zur Kenntnis und posten das. Wir posten ja auch, wenn unser Bus noch mal für zwei Jahre TÜV bekommen hat, was für uns übrigens die deutlich wichtigere Nachricht war. Was ich damals meinte und was auch heute noch gilt: wir machen diesen ganzen Fanbox-Quatsch nicht mit und spielen in der VÖ-Woche auch keine Konzerte in Saturn-Märkten, um die Chartplatzierung aufzuhübschen.
Mit „Osnabrück“ hattet ihr auf dem letzten Album eine veritable Städte-Hommage am Start. Gab es eine Reaktion der Stadt?
Das Lied und besonders das in Münster gedrehte Video dazu haben tatsächlich sehr unerwartete Reaktionen und Angebote hervorgebracht. Wir standen am Vorabend zum Videodreh in Münster vor einem Kiosk und haben aus Getränkelaune und Faulheit spontan entschieden, die für den Folgetag geplante Reise nach Osnabrück ausfallen zu lassen und einfach in Münster zu drehen. Als das nach Veröffentlichung des Videos natürlich die ersten spitzfindigen Spürnasen aus der Region sofort erkannt und kommentiert haben, ging es los. Erst kam die Lokalpresse und bat um Interviews. Als wir denen erzählt haben, dass es uns leid täte, der Fehler bei der Videoproduktionsfirma läge, da diese uns versichert habe, man würde am Ende den Unterschied nicht sehen und keiner merken, dass wir aus „produktionstechnischen Gründen“ woanders gedreht haben, kamen auch noch die Radios und lokalen Fernsehsender dazu, so nach dem Motto: „Dumm gelaufen: Band dreht Video in falscher Stadt und fliegt damit auf – peinlich!“ Wir wurden da im Netz zum Teil dann auch recht wüst beschimpft für diese himmelschreiende Frechheit, das wunderschöne Osnabrück durch das kackhässliche Münster, oder je nach Herkunft auch andersrum, zu ersetzen. Am Ende hat sich dann schließlich der Oberbürgermeister von Osnabrück eingeschaltet und deeskalierend den altehrwürdigen Rathaussaal für eine vielleicht anzustrebende Neuauflage des Videos angeboten.
Zwölftontechnik-Musikexperimente sucht man auf eurem neuen Album erneut vergebens. Wieder seid ihr auf Nummer sicher gegangen, denn ihr liefert genau das ab, wofür ihr bekannt und beliebt seid: charmante, geistreiche und eingängige Pop-Punk-Hymnen mit Wortwitz und Tiefgang. Oder seht ihr doch Unterschiede zu euren letzten Alben?
Wir sind nach wie vor sehr zufrieden mit „Schackilacki“ und wollten den bei dieser Platte eingeschlagenen Weg weitergehen: kurze Lieder ohne unnötigen Schnickschnack wie ausufernde Intros oder C-Teile, Gesänge werden nicht gedoppelt und wir friemeln nicht über ein Jahr an der Platte rum, sondern machen einfach. Hat schließlich einige Alben gedauert, zu diesem Sound zu kommen, da bleiben wir jetzt erst mal bei.
Welche Songs des neuen Albums haben aus eurer Sicht die größten Chancen, MONTREAL-Klassiker zu werden, die auch noch in zehn Jahren einen Stammplatz in eurer Setlist haben?
Das ist immer recht schwer vorauszusagen. Dass von „Schackilacki“ zum Beispiel „120 Sekunden“ sowohl live als auch im Streaming ganz weit vorn liegt, hat keiner kommen sehen. Andere Lieder, bei denen wir uns recht sicher waren, dass sie gut funktionieren, flutschen dann wieder nicht so gut. Aber das können wir dann ja beim Gespräch zur nächsten Platte aufarbeiten. Diesmal könnte ich mir vorstellen, dass „Malaria und Heimweh“, „Keine weiteren Fragen“ und „Der Eine und der Andere“ bei Konzerten vorn liegen werden.
Der Titelsong des neuen Albums handelt von der Situation, dass man dem Sensenmann in letzter Sekunde doch noch von der Schippe springt. Alles Fiktion oder war einer von euch schon mal in solch einer Situation?
Der Großteil unserer Lieder spielt sich eher im fiktiven Bereich ab, dieses Lied ist glaube ich das erste und einzige, das wirklich eins zu eins so passiert ist. Anfang November 2018 haben wir uns mit acht Freunden in Amsterdam getroffen, um NOFX im Melkweg zu sehen. Yonas und ich waren morgens als erste da und saßen beim ersten Bier vor einem Straßencafé, es war sehr sonnig, aber phasenweise auch sehr stürmisch. Ich saß mit dem Rücken zum Haus auf die Straße guckend und Yonas erst kurz neben mir, hat sich dann aber doch für den Platz gegenüber in der Sonne entschieden. Auf einmal knallt es ganz laut und ich kann das erst mal null zuordnen, sehe dann aber , dass nur Zentimeter neben mir der Stuhl zerdeppert und alles voll Erde, Grünzeug und Terracotta-Scherben ist. Wir haben ein paar Sekunden gebraucht, um zu checken, was passiert war. Im dritten Stock hatte jemand seinen wuchtigen Terracotta-Blumentopf auf dem Fensterbrett stehen und diesen nicht gesichert. Ein kräftiger Windstoß hat dann das Pflanzenzeug samt Bottich runtergerissen. Der ist dann durch die Markise auf den Stuhl direkt neben mir gedonnert. Das war nicht so ein Töpfchen wie bei uns auf dem Album-Cover, sondern ein richtig schweres Teil, das wäre es also definitiv gewesen. Costa von SONDASCHULE sollte eigentlich auch schon da sein, kam aber leicht verspätet erst kurz danach an, der Platz hätte sehr gut auch seiner sein können. Klar, dass wir unsere drei neuen Geburtstage dann abends gebührend zelebriert haben.
Durch „Fridays For Future“ sind Fernreisen in Verruf geraten. Ihr greift das Thema Fernreisen auch im Song „Malaria und Heimweh“ auf. Macht ihr in diesem Jahr dann konsequenterweise auch Urlaub im kalten und verregneten Deutschland?
Wir werden auch diesen Sommer zum Großteil im wohlvertrauten Dreieck zwischen Kleinbus, Autobahn und Festival verbringen. Nicht zuletzt durch unser penetrantes Umhergekurve in einem 2004er Diesel Sprinter. Nach über 15 Jahren konnte aber nach und nach eine klimatische Angleichung erreicht werden, so kommen wir ja auch hier in den letzten Jahren immer öfter in den Genuss von Hitzewelle und Unwetterinfernos, wie man sie vor 20 Jahren nur durch aufwändige Fernreisen erleben konnte.
Was haben Shakira, Hansi Hinterseer und Dana International gemeinsam? Kleiner Tipp: die Antwort hat etwas mit einem der neuen Songs zu tun.
Oha, das ist knifflig! Illuminaten sind sie vermutlich nicht. Dass sie traumatisierte Entführungsopfer sind, wäre mir auch neu. Darum sage ich, dass sie alle am 2. Februar, dem Weltmurmeltiertag, Geburtstag haben.
Richtig. Ein weiterer Song ist „Keine weitere Fragen“. Hat Yonas hier typische Sentenzen aus seinem Arbeitsleben als Sozialrichter verarbeitet?
Die Aufgabenverteilung ist bei uns ja sehr klar: Yonas schreibt die Musik, ich schreibe die Texte. Insofern arbeite also eher ich sein Arbeitsleben auf. Wenn der beste Freund Jura studiert und Richter wird, geht das natürlich auch nicht spurlos an einem vorüber. Zudem erlebt man als Band ja auch das eine oder andere juristische Scharmützel, so ein Text war also längst fällig.
Bei den Texten der neuen Songs ist mein Favorit „Was wir wollten“. Es ist ja fast schon philosophisch, wenn ihr Zeilen raushaut wie „Uns standen alle Türen offen / wir blieben trotzdem immer drin / wir wussten immer wir wollten weg / aber leider nie wohin“. Gibt es verpasste Chancen, denen ihr heute hinterhertrauert?
Vermutlich ist es nicht doof, wenn man sich andauernd hinterfragt und regelmäßig prüft, ob man noch auf einem Kurs ist, mit dem man leben kann. Wenn man das schleifen lässt, ist die Gefahr sicher größer, dass man irgendwann wie in dem Lied feststellt, dass man irgendwo gelandet ist, wo man eigentlich nie hinwollte. Und das trifft sicher auf die meisten Lebensbereiche zu.
Kann es sein, dass ihr älter, ruhiger und seriöser werdet? Auf eurem Album „Malen nach Zahlen“ habt ihr im Song „Neues aus der Hobbythek“ noch die Vorzüge der selbst hergestellten Drogen gepriesen. Auf dem neuen Album propagiert ihr im Song „Ein Segen Intervention“ einen gesunden Lebenswandel mit Obst und Yoga.
Ich finde es bei Bands immer ganz interessant, wenn Texte auf folgenden Alben fortgesetzt werden oder Charaktere aus Liedern noch mal auftauchen. Das hier ist also als Antwort auf „Von wegen Intervention“ gedacht, der Bonus Track unseres vorletzten Albums „Sonic Ballroom“. Aber ja, in unserem Umfeld nehmen die Fälle des Umschwenkens zu Sport und so was zu. Eine bedenkliche Entwicklung!
Im Song „Vor das Kreuz“ geht es darum, zu Kreuze zu kriechen. Ein Eingeständnis eigener Fehler und Irrtümer ist oft ein Zeichen menschlicher Größe. Wann habt ihr das letzte Mal als Band Größe gezeigt und eigene Fehler eingestanden?
Wir entschuldigen uns jeden Abend mehrfach bei Publikum und Band-Insassen für etwaige Fehlanwendung der eigenen Instrumente. Größere Verfehlungen unsererseits, die einer Entschuldigung bedurft hätten, kann ich selbst bei gründlichem Gegrübel in den letzten Jahren nicht finden. Aber wenn mal was ist, sagen wir immer gern und gründlich Entschuldigung.
Das neue Album endet mit der Bandhymne „15 Jahre für die Punchline“, die ihr im letzten Jahr zu eurem 15-jährigen Bandjubiläum herausgebracht habt. In dem Song gibt es prominente Unterstützung, unter anderem von Farin von DIE ÄRZTE, Ingo Donot und Costa von SONDASCHULE. War es schwer, diese Unterstützung zu gewinnen?
Das ging alles so schnell im letzten Herbst, dass ich echt eine ganze Weile gebraucht habe, das zu realisieren, was vielleicht auch ganz gut ist. Wir haben das Lied sehr schnell geschrieben und aufgenommen, und hatten nur wenige Tage bis zum Mixtermin. Dass alle beteiligten Gastsänger am Ende sofort zugesagt und uns in wenigen Tagen ihre Gesangsspuren geschickt haben, hat uns unendlich gefreut. Jeden Tag flatterte eine weitere Zeile rein und das Finale nahm immer mehr Gestalt an. Und wenn man wie wir mit den Liedern und Platten der ÄRZTE aufgewachsen ist und dann auf einmal ein Ordner mit Gesangsspuren von Farin Urlaub im Postfach liegt, auf denen er eine Zeile von dir singt, dann muss man sich schon mal eben kneifen. Bei dem Lied sind wir uns alle einig, dass es mit das Beste ist, was wir geschrieben und rausgebracht haben, das Gästefeuerwerk am Ende trägt da sicher mit zu bei.
Ihr werdet in den nächsten Wochen das neue Album auf einigen Festivals präsentieren. Gilt dann wieder die Aussage aus „15 Jahre für die Punchline“, dass ihr „mit mehr Merchandise als Backline“ unterwegs sein werdet? Und geht der Trend bei der Unterbringung eher in Richtung Sheraton oder doch in Richtung Zeltplatz?
Wir schaffen es schlichtweg nicht, mit nur drei Bandmitgliedern das Instrumentenarsenal glaubhaft aufzustocken, und tendenziell ist über die Jahre eher das eine oder andere Shirt dazugekommen. Wenn wir nicht langsam mal anfangen, Kontrabass, Ersatzschlagzeug und Klavier mitzunehmen, hat die Backline da erst mal weiterhin das Nachsehen. Sheraton und Zeltplatz waren und bleiben vermutlich die Ausreißer, die Realität findet überwiegend in Landgasthöfen und Autobahnhotels statt, wie bei allem gilt eben auch hier: die Mischung macht’s.
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