Das 2021 veröffentlichte Debüt der Wiener Band MODECENTER wurde innerösterreichisch zum bislang besten Post-Punk-Album erklärt, das im Land mit dem A erschienen ist. In pandemischen und bis in die post-pandemischen Zeiten hinein erzeugte das einige verdiente Aufmerksamkeit für die Band. Nach einer 5-Song-12“ mit dem schönen Titel „Peace“ und Umbesetzungen folgt nun das in diesem Fall gar nicht schwierige zweite Album „Altes Glück“.
Fast wirkt es, als wäre diesmal die Verstimmung, die so ein Winter in Wien nachhaltig auslöst, nicht so richtig rauszubekommen aus den Menschen, erst recht nicht mit so einem zaghaften Frühling wie dem bisherigen. Die Verhältnisse sind tatsächlich katastrophal: Die konservativ-grüne (also konservativ-konservative) Regierung, deren Versagen in eigentlich allem sich jeglicher Kommentierung entzieht, schleppt sich durch ihr letztes Jahr. Die ganz Rechten in dieser Unglückskoalition, die ÖVP, bemühen eine Wahnsinnsidee nach der anderen, um den noch rechteren, der FPÖ, Konkurrenz zu machen – Strafmündigkeit auf zwölf Jahre reduzieren, DNA-Tests bei Familienzusammenführung, 41-Stunden-Arbeitswoche ...
Die FPÖ wird von der verkommenen hiesigen Medienlandschaft hochgejazzt, Begriffe wie „Re-Migration“ und „Volkskanzler“ gehören tatsächlich zum innenpolitischen Vokabular, ohne dass nur ein Journalist oder eine Journalistin zu schreien beginnt. An die Grünen mag mensch nicht einmal mehr via CHUMBAWAMBA und ihre Zeile „Who wants to be a Green MP?“ denken, so eine Selbstzerlegung und -abschaffung, wie die als Regierungspartei hingelegt haben. Dafür brauchte die SPÖ, die Sozialistische Partei, Jahrzehnte und bei der ging es wenigstens einmal um was anderes, als um letztlich die Erhaltung des Eigenheims mit viel Grün, bildungsbürgerlicher (E-)Bibliothek für die wenigen und Radfahren mit halbwegs gutem Gewissen und intakten Überlebenschancen. Und so sind es tatsächlich die Frauenvorsitzende der SPÖ Wien, Marina Hanke, und Andi Babler, der Bundesparteivorsitzende und Spitzenkandidat für die anstehende Nationalratswahl, deren Reden beim 1. Mai, (nicht nur) für das Rote Wien immer schon ein wichtiger Termin, zarte Hoffnungen aufkeimen lassen.
Zumindest entsteht der Eindruck, nicht auf einem völlig anderen Planeten zu leben – klare Kante gegen Rechts und gegen den offensiven konservativen Rückbau von eigentlich allen Standards, den auch die SPÖ viel zu lange als alternativlos mitgetragen hat. Und verblüffende Aussagen zu Friedens- und Neutralitätspolitik, die in der gemachten allgemeinen „Krieg und NATO muss Ja!“-Stimmung schon fast visionär wirken. Der Spitzenkandidat der Wiener KPÖ (der Kommunistischen Partei Österreichs, die zuletzt einige Wahlerfolge verbuchte) bei der Europawahl, Günther Hopfgartner, gesteht im Rahmen eines 1. Mai-Fests seiner Partei Andi Babler dabei grundsätzlich Glaubwürdigkeit zu. Die große Frage bleibt, ob dieser seine Positionen in seiner erstarrten Partei durchbringen wird ... Zur Unzeit kommt Marco Pogo ums dumme Eck und trommelt für die Wahlteilnahme seiner unedigen Bierpartei, entgegen deren zuvor formulierten Bedingungen bezüglich Fundraising und mehr. Dass er dann bei der entsprechenden Verlautbarung keine Fragen von Journalist:innen zulässt und seine Partei eine programmatisch wirtschaftsliberale Einpersonen-Performance der Marke Marco Pogo ist, rückt ihn in eine ungute wie entlarvende Nähe zum ins Bodenlose gefallenen ÖVP-Messias Kurz – sozusagen die Jeansjackentaschen-Ausgabe eines entzauberten Blenders.
Der Musik, so kommt es einem vor, ist das alles herzlich egal. Die tut unbeirrt dahin und feiert fröhliche Urständ’. Das Live-Geschehen in Wien als Overkill zu bezeichnen, greift zu kurz, dabei scheint mit dem Venster 99 eine ganz wichtige Location für DIY/Punk/Core/Metal dauerhaft vom Magistrat aus dem Verkehr gezogen worden zu sein. Ein allfälliger Aufschrei geht wohl unter in den Soundchecks der ganzen anderen Bands in den ganzen anderen Locations. Immerhin kokettieren wenigstens die Wiener Festwochen künstlerisch mit dem Thema „Revolution!“ und unter der musikalischen Leitung von Herwig Zamernik, ex-NAKED LUNCH und jetzt FUZZMAN & THE SINGING REBELS, garantiert das nicht nur für (vor allem) mediale „Volks“-Erregung, sondern wenigstens auch für spannende Musik. Ein weiterer schöner Moment, dass BIPOLAR FEMININ und die BAITS bei einem unsäglichen österreichischen Musikpreis gewinnen (die ersteren) und performen (die zweiteren), BAITS-Sängerin und -Gitarristin Sonja mit Flying V-Gitarre im mausetoten österreichischen Fernsehen – groß, nur sieht das halt kaum jemand.
Warum ich euch das alles erzähle? Als kleine Erklärung dafür, warum das MODECENTER-Album „Altes Glück“ so gut gefällt. Diese gut gelaunte, hervorragende schlechte Laune, die ein wenig durch oft nicht so leiwande Befindlichkeiten taumelt, diese Musik, die nach intelligenter Wut, nach Einspruch, nach Wachheit klingt. Die aber auch – und das ist eines der stärksten Argumente für diese Band und ihre acht neuen Lieder, die mit großer Selbstverständlichkeit mal auf Deutsch, mal auf Englisch gesungen werden – dabei auf eine lässige Art bei sich, aufregend unaufgeregt ist. „I’m waiting on a new desire / It’s kind of hard to keep it all inside / I’ll try my best to keep it locked down / I’m waiting for an easy way out“, singt David Bauer, der auch Gitarre spielt, im Opener „New desire“. MODECENTER sind außerdem Hannes Gruber (dr), Arthur Darnhofer-Demàr (bs) und Matea Bosak (gt).
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David, wie ging das los mit euch?
Hannes, der Schlagzeuger, hat schon immer mit Michael Schneeberger, dem ersten Gitarristen, gespielt. Beide kommen aus Niederösterreich, und ich habe sie 2016 via Facebook kennen gelernt. Dann haben wir gemeinsam LOATHER gegründet und das haben wir ein paar Jahre gemacht. 2019, glaube ich, haben wir irgendwann gejammt, womöglich waren wir auch ein wenig betrunken, und dieser Jam war sozusagen das erste Auftauchen von MODECENTER. Das war ganz anders, verspielter und punkrockiger. Und dann ist das eine Art Selbstläufer geworden, es haben sich erste Auftritte ergeben, und alle waren sehr motiviert. Am Bass war Dieter Kienast, der später ausgestiegen ist. 2021 ist das Album „Modecenter“ erschienen, damals noch bei Numavi Records und auf Kassette bei A-Lo.
Im The Gap wurde zu eurem Debüt ja die Frage gestellt, ob jemand ein besseres österreichisches Post-Punk-Album kennt. Da konnte mensch fast den Eindruck eines Hypes bekommen.
Das war ein wenig reißerisch. Hat uns natürlich gefreut und war auch eine gute Publicity zu diesem Zeitpunkt. Ob es einen Hype gab, kann ich schwer sagen. Aber man vergisst mitunter, dass es ja keine Selbstverständlichkeit ist, dass sich jemand für einen interessiert. Da hatten wir schon großes Glück. Die Sache bei dem MODECENTER-Ding ist eben, dass es am Anfang sehr spaßorientiert war, fast ein bisschen zwanglos, ich möchte nicht sagen, dass das dann dazu geführt hat, dass es ein bisschen einfacher war ... Es war entspannt und es hat auch immer wieder Konzertanfragen gegeben. Da steckte aber schon auch viel Arbeit vom Label dahinter.
Das „entspannt“ und „spaßorientiert“ sollte niemanden auf eine falsche Fährte locken. „Altes Glück“, bei Siluh Records am 10. Mai veröffentlicht, kommt wahnsinnig dicht daher, alle Stücke unverrückbar wichtig im Albumkontext. Stücke wie „Endurance Eurodance“ oder „Dreck“ vielleicht noch ein wenig standoutiger als die anderen, aber nur vielleicht. Wie kam dieser großartige Sound zu seinem nicht minder lässigen Bandnamen? Wordjam?
Ich weiß nicht, ob das schon beim Jammen war ... Michael hat in einer Motorradwerkstatt in der Modecenter-Straße gearbeitet, ich habe auch sehr lange dort in der Nähe gearbeitet. Er ist lustig, ein wenig dumm, da er so „kommerziell“ klingt ... Eine ironische Ebene ist sicher mit dabei. Auf der ersten Kassette waren die Songtitel alle nach Kleidungsstücken benannt und das Cover zierten zwei schlecht gezeichnete Kleiderständer.
Auffällig für mich ist, dass du in der Nacherzählung der Bandgeschichte das „Lockere“, das Leichte, Lustige betonst, dass ihr aber für mich und wohl die meisten Hörer:innen sehr dicht, hart, ja, entschlossen klingt. Also, ich habe mir gedacht, auch wie ich euch beim Gürtel Nightwalk live gehört habe: Wow, Konzept!
Da sind schon viele verschiedene Dinge zusammengekommen. Die Musik hat auch davon profitiert, dass wir „Modecenter“ mit Werner Thenmayer im Elephant West Studio in Wien aufgenommen haben. Er hat das sehr cool und druckvoll gemacht, das hat uns schon einen ziemlichen Push gegeben. Das hat alles sehr gut geklappt, aber es lief auch alles sehr „instinktiv“, die Songs waren anfangs noch eher unstrukturiert und monoton, Dieter hat einen sehr coolen Stil gehabt, dreckig und einprägsam zugleich. Hannes energisches Schlagzeug ... Und weil ich schon sehr lange in einer Band singen wollte, ist dabei so eine unschuldige Energie rausgekommen.
Wie kommen die Texte zur Musik?
Ich schreibe die Texte eigentlich immer relativ knapp vorm Aufnehmen, entweder beim Arbeiten davor oder im Studio oder auf dem Weg dahin. Es kommt nicht ganz aus dem Nichts, aber schon immer so aus einem Bauchgefühl heraus. Aber es ist definitiv nicht so, dass ich immer viele Texte schreiben würde und dann die nehme, die passen. Es passiert auch ein wenig aus der Not heraus, dass wir jetzt was brauchen. Voll. Es hat schon auch etwas davon, sich einen Frust von der Seele zu schreiben. Manche der alten Texte würde ich aber so heute nicht mehr schreiben.
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Eine solche unschuldige Frische, wie sie David oben beschreibt, mag bei „Altes Glück“ nicht mehr ganz so unmittelbar spürbar sein, es hebt sich aber deutlich vom Debüt ab. Das zweite Album, abermals mit Werner Thenmayer in seinem Studio eingespielt, besticht durch seine Dichte, die Geschlossenheit, die Prägnanz. Die acht Lieder lassen einen mit dem dringenden Wunsch nach mehr von dieser Musik zurück. Dieser starke, nachhaltige Eindruck liegt wohl mit darin begründet, dass MODECENTER – meist! – als Band an ihren Stücken arbeiten, dass wir das Ergebnis eines vielteiligen Prozesses zu hören bekommen. Noch einmal ein anderes geiles Biest sind die Texte, in die der geneigte Zeilenknecht schon allerhand hineininterpretieren und allerlei aus ihnen herauslesen will, nicht zuletzt werden nicht nur der ewige Falco (gibt’s eine säkulare Seligsprechung?) und der Wiener Nihilismus im schon erwähnten „Endurance Eurodance“ gekonnt paraphrasiert: „Du suchst Lust und Empathie / Weißes Pulver, Ironie / Es gibt nichts mehr zu tun / Mach meine Augen zu / Werf meine Brille in einen See / Honestly, Dopamin, Ketamin, errätst du nie“ und „Honestly, Dopamin. Kerosin, so alt wie Wien.“
Großer Erklärbär seiner Band und seines eigenen Anteils bei MODECENTER ist David nur bedingt, was so auch für Hannes, den Schlagzeuger gilt, wie bei einem anderen Gespräch zur Band erfahren. Viel mehr sind die beiden MODECENTER-Musiker so drinnen im Tun, dass sie im Detail gar nicht erklären können oder wollen, wo das alles herkommt, was da alles hineinkommt in diese wunderbare Musik, weil es für sie ja ein fortwährender und zugleich kontinuierlicher Prozess ist, diese Musik zu spielen. Das Spielen, das Machen, das Tun, gehen dabei wohl eindeutig vor Reflektieren und Analysieren oder Auseinanderdröseln – das ist ja wohl auch der „Job“ der über Musik Schreibenden. Wobei das ja auch an eine Grenze stößt, wenn einem etwas so gefällt, wie mir „Altes Glück“ als Album und diese Band an sich. Und andererseits, im Grunde ist das ja ganz selbstverständlich, dass einem Musik gefällt, dass sie einen begeistert, einnimmt, wenn mensch das Jahrzehnte getan hat: Musik hören, Musik wichtig nehmen, die Musik (auch) als einen Spiegel der Welt im Großen und im Kleinen sehen und verwenden.
MODECENTER sind in jedem Fall eine gescheite und eine besondere Band, weil so eine Dichte wie bei diesen acht Stücken produziert mensch nicht aus „dem Nichts“ heraus, um Sänger, Texter und Gitarrist David zu zitieren. Aus irgendeinem Grund muss ich viel an JESUS LIZARD denken, wenn ich MODECENTER höre, ohne diese aber gleich auflegen zu wollen, weil, ja, ich mag ja MODECENTER hören! Vielleicht wegen des Bass-Sounds, vielleicht wegen einer gewissen Hermetik, die sie auch ausdrücken und haben: Du kannst, aber du musst uns nicht mögen. Wir kauen dir nichts vor, was du hörst – darum geht’s! Reingehen in diese Musik musst dann schon du, dir deinen Weg mit und in ihr suchen, wenn du magst. Uns ist das wichtig, aber es liegt uns fern zu behaupten, wir wären wichtig. Oder so. Gönn dir doch dein Stück „Altes Glück.“
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