Vor wenigen Wochen veröffentliche mein alter Jugendfreund Mike York, der fast ein Jahrzehnt Gitarrist bei THE GARDEN OF DELIGHT war, ein Album, auf dem auch vier Coversongs mit Rëverend Gonz, dem originalen Sänger von LOVE LIKE BLOOD, zu finden sind, darunter BROKEN BONES- und HÜSKER DÜ-Klassiker. Warum aber ein Goth-Projekt fürs Ox interviewen? Weil dieses mehr Punk ist, als vieles, was sich momentan Punk schimpft.
Woher kennt ihr beide euch, wie kamt ihr auf die Idee einer Kollaboration und wie habt ihr die Coversongs ausgewählt?
Mike: Meine ehemalige Band SWEET ERMENGARDE suchte einen Sänger, Gonz kam ins Spiel und am Abend vor der Probe haben wir uns getroffen und sofort gut verstanden. Er wurde dann nicht unser Sänger, aber wir hatten uns angefreundet und Gonzo kam wenig später mit der Idee um die Ecke, unbedingt die Nummer von CASSANDRA COMPLEX einsingen zu wollen, und fragte mich, ob wir nicht gemeinsam ein paar Covertracks machen wollten. Bei einem Treffen und acht Bieren später war ich begeistert. Unter der Voraussetzung, dass wir die Songs zu unseren eigenen oder etwas ganz anderes draus machen. Bloßes „Covern“ kam für mich nicht in Frage. Noch am selben Abend fanden wir die ersten potenziellen Coversongs, denn wir stellten fest, dass wir eine enorm ähnliche Pop-Sozialisierung genossen hatten, darunter auch Punk, Hardcore und Post-Punk.
Gonz: Ich hatte die Grundidee schon seit vielen Jahren im Hinterkopf, aber da ich instrumententechnisch ein kompletter Reinfall bin, musste ich auf den Menschen warten, mit dem ich das am ehesten verwirklichen könnte. Mikes anfängliches Zögern war für mich das beste Indiz, dass er meine Vorstellungen nicht nur erkannt, sondern auch umsetzen kann.
Ihr beide kommt aus der Gothic-Szene, die ja um 1980 aus dem Punk respektive Post-Punk entstanden ist. Wo seht ihr da heute, 2020, die Berührungspunkte zum Punk/Hardcore?
Mike: Bei mir lag der Fokus schon früh auf Gothic und Wave, aber in meinem Umfeld waren alle möglichen Randgruppen vertreten, auch Punks und Metaller, und wir tauschten fleißig unsere Tapes und Platten, wie wir beide das auch getan haben. Wenn es bei Bands Überschneidungen gab, fand ich das immer schon gut. Daher gefielen mir Acts wie PLASMATICS, VENOM, MOTÖRHEAD oder eben die BROKEN BONES besonders gut. Das hat sich nie geändert und das empfinde ich heute stärker denn je. Viele aktuelle Post-Punk-Bands haben starke Punk-Einflüsse.
Gonz: Dem einen oder anderen wird es nicht gefallen, dass ich mich originär überhaupt nicht in der „Dunklen Szene“ beheimatet sehe. Zum besseren Verständnis: Ich wuchs in einer beschaulichen schwäbischen Kleinstadt namens Geislingen an der Steige auf, die Mitte, Ende der Achtziger Jahre eine erstaunliche Vielzahl von Hardcore- und Punk-Gigs im lokalen Jugendhaus organisierte. Ich war nicht nur oft dort, ich war da schlicht zu Hause! Der stotternde, schüchterne und dürre Hänfling hatte seine „musikalische Heimat“ gefunden. Das Besondere lag in der bunt durchmischten Zusammensetzung der Besucher. Alles traf sich dort, und dort kam es zur Gründung von LOVE LIKE BLOOD. Vier Kumpels finden sich im Proberaum des Jugendhauses zusammen und zelebrieren düsteren Gitarrenrock. Ich konnte mich mit meiner Vorliebe für Crust, Grind- und Hardcore leider nicht ganz durchsetzen, aber über die Jahrzehnte ist die Liebe zu eben diesen Grundelementen des Hardcore und all seinen Facetten geblieben – Energie, Wut, Bewusstsein. Das Politische und Sozialkritische hat dadurch in der Goth-Szene Einzug gehalten, zumindest was die Anfangszeit bei LOVE LIKE BLOOD betraf.
Ist das Album in Heimarbeit entstanden? Es klingt top produziert.
Mike: Das mache ich alles daheim und nehme mir viel Zeit dafür. Man braucht nicht immer ein Top-Studio, wenn man weiß, was man da tut. Allerdings lasse ich professionell mastern. Ich halte nichts davon, das selber zu machen. Nach all den Wochen und Monaten bin ich nicht mehr objektiv genug, um diesbezüglich Hand anzulegen! Um das Mastering-Ergebnis zu optimieren, stimme ich mich mit meinem Mastering-Buddy vorab über mögliche Stolpersteine ab und überarbeite das Material dann noch mal, bis er das Beste rausholen kann.
Mike, du hattest schon immer ein Faible für Punk und Hardcore. Ich erinnere mich daran, bei dir das erste Mal überhaupt BROKEN BONES gehört zu haben. In deinem Kinderzimmer in den späten Achtzigern. War das „Dem Bones“ oder „F.O.A.D.“?
Mike: Haha, dass du das noch weißt. Es war „F.O.A.D.“, bis heute eine meiner Lieblingsplatten. Während manche Leute nicht gut darauf klarkamen, fand ich die Kombi total super. Stachelfrisuren und Metal-Sounds in Punk-Songs. Mega!
Ich finde die BROKEN BONES-Nummer besonders gelungen, da sie 100% nach euch klingt. Wie viel Arbeit steckt man in das Umarrangieren eines Songs, bis man zufrieden ist?
Mike: Bei allen Songs war die Voraussetzung, dass wir eine schlüssige Idee haben, warum wir das „nachspielen“ sollten. Bei den schnellen Songs war klar, dass ich sie verlangsamen würde, um das echt gelungene Songwriting noch etwas mehr herauszuschälen. Während ich HÜSKER DÜ zu einem fiesen, zähen Brocken herunterdoomen wollte, fragte ich mich, wie „Decapitated“ wohl als traditioneller Goth-Rock klingen würde. Die Ideen waren schnell da, dann ging ich eine Weile mit ihnen schwanger und fragte mich immer wieder, wie bestimmte Bestandteile der Songs ihren Platz in dem entsprechenden Rahmen finden würden. Nachdem ich mir relativ sicher war, was daraus werden würde, habe ich meine Vorhaben vorab mit Gonz besprochen. Aufgenommen waren sie schnell. Gonz’ Gesangsparts waren für mindestens zwei Tage angesetzt, aber gegen 18 Uhr des ersten Tages haben wir darauf angestoßen, dass alle Parts im Kasten waren.
Gonz: Beginn war 13:30 Uhr und um 16:30 Uhr waren wir fertig. Mike hat alles so klasse vorbereitet, so motivierend auf die unruhige Sänger-Diva eingewirkt – was hätte da schiefgehen können?
WHITE FLAG mochtest du damals auch, oder?
Mike: Ja, es war allerdings nur eine EP, „Live! Bleedin’ In Sweden 1986“, welche ich in diesem Moment nach all den Jahren das erste Mal wieder höre. Schon seltsam, aber die Songs sind sofort wieder voll präsent. Das sind einfach gute Songs!
Gonz, wenn man nach dir im Netz sucht, stammen die letzten Infos, die man findet, von Anfang der Neunziger in Zusammenhang mit LOVE LIKE BLOOD. Was hast du in den Jahrzehnten dazwischen getrieben?
Gonz: Schlicht und ergreifend: nichts. Oder nichts „Zählbares“. LOVE LIKE BLOOD musste ich verlassen, weil ich zum jugoslawischen Militär eingezogen worden bin. Als ich angeknockt von diesen Erlebnissen zurückkehrte, war das Interesse am Musikmachen wie weggeblasen. Außerdem fehlte mir dieses von mir so gern angebrachte „Buddy-Element“: Man versteht sich, hat sein Ego im Griff und geht gerne Kompromisse ein. Zwei sehr kurzfristige Annäherungen zu Death-Metal-Kombos waren wenig erquickend, die Leutchen waren leider zu sehr in ihrer stupiden Schiene gefangen, was mich doch sehr abgeschreckt hat. Erst 2011, bei der Reunion von LOVE LIKE BLOOD, wurde ich von ihnen quasi exhumiert. Und das passte: Wir verstanden uns, hatten vier Gigs mit mir als Gastsänger im Schlepptau. Es folgten direkt danach ein kurzlebiges Akustikprojekt mit einem der Gitarristen von LLB sowie ein unglaublich desaströser Versuch, bei einer namhaften englischen Goth-Kapelle als Sänger zu bestehen. Wenn ich an diese Episode denke, muss ich zeitgleich heulen und grinsen. 2015 kam dann der Kontakt zu Mike und SWEET ERMENGARDE zustande. Ein paar Mal als Gastsänger mitgefahren, unglaublich tolle Momente genossen, Freundschaften fürs Leben geschlossen. Mit Mike sowieso!
Gibt es Pläne für eine weitere Zusammenarbeit?
Mike: Ich schreibe bereits neue Songs. Wir haben gestern erst telefoniert und wollen wieder zusammenarbeiten, aber an eigenen, gemeinsamen Songs. Die Pandemie zerstört nicht nur Touren, sondern scheint auch die Kreativität zu fördern. Emotionen in schwierigen Zeiten in Musik und Kunst zu pressen, hat immer schon zu den deutlich intensiveren Ergebnissen geführt. Seit Jahren bin ich über den Umgang der Menschen mit unserer Umwelt frustriert. Viren wie COVID-19 sind schlicht eine logische Konsequenz unseren Handelns und vermutlich nur ein Vorgeschmack dessen, was noch kommen wird. Also beste Voraussetzungen für kreatives Schaffen.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #150 Juni/Juli 2020 und Guntram Pintgen