MIGHT

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Meinungsfreiheit

In der vorletzten Ausgabe des Ox meinte ein (mittlerweile Ex-)Schreiber des Ox, das aktuelle, selbstbetitelte Album der aus Hannover stammenden MIGHT aus persönlichen Gründen mit einem ebenso unsachlichen wie vernichtenden Verriss bedenken zu müssen – und brüstete sich dessen auch noch in einer Mail an die Band. Wir nahmen diesen Vorfall zum Anlass, die Betroffenen – Missu und Ana – zum Thema Musik und Kritik zu befragen.

Missu, stell dich und deine musikalische Historie bitte vor.

Missu: Ich habe in verschiedenen Bands verschiedene Instrumente gespielt, habe außerdem ein kleines Studio. Alles, was ich mache, hat irgendwie mit Musik zu tun. Im Januar haben Ana und ich MIGHT gegründet. Ana singt und spielt Bass, während ich live Gitarre spiele und ebenfalls singe. Das Schlagzeug, das ich für das Album eingespielt habe, projizieren wir per Beamer auf die Bühne, spielen aber ohne Click. Das war uns wichtig. Ich bediene das Schlagzeug per Fußpedal, so kann man gewisse Parts live auch mal länger spielen als auf dem Album.

Ihr habt im Ox neulich für euer Album einen veritablen Verriss kassiert. Was geht in einem vor, wenn man das liest? Ist das wie früher, wenn man in der Schule an die Tafel gerufen wurde und nichts wusste und sich vor der ganzen Klasse blamiert sah?
Ana: Danke für dein Interesse – und das trotz oder wegen des Verrisses im Ox. Das passt schon. Es gab ja auch sehr wertschätzendes Feedback, da wäre es undankbar, wenn ich mich an eurem Verriss aufhängen würde. Klar fühlt sich eine positive Rückmeldung besser an – ist doch klar. Ich fühle mich aber nicht blamiert, denn zum Glück hat mich niemand an die Tafel zitiert, sondern ich hab mich freiwillig und bei vollem Bewusstsein da hingestellt. Wir leben in einer Zeit, in der es krankhaft viel um Likes oder Dislikes geht. Wir sollten wegen diesem ganzen Bewertungsscheiß nicht gleich ohnmächtig werden.
Missu: Es ist ja nicht so, als könnte man etwas falsch machen, wenn man Musik macht. Also kann man sich auch nicht blamieren. Musik sollte immer frei und lebendig sein. Bei dem Song „Weirdo waltz“ haben wir Parts miteinander verbunden, die manche Leute verwirrt haben, oder jemand fand, „Mrs. Poise“ fällt irgendwie raus. Wenn wir Leute aus ihren Hörgewohnheiten holen, empfinde ich das eher als positiv.

Wie geht man damit um? Reflektiert man so negatives Feedback? Unterstellt man Kritiker:innen, die einen nicht mögen, generell, dass der/die „ja sowieso keine Ahnung hat“? Oder kommt man ins Grübeln?
Ana: Nein, ich gehe grundsätzlich davon aus, dass Kritiker:innen Ahnung von Musik haben, so wie ich bei einem Friseur davon ausgehe, dass er eine Schere halten kann. Ins Grübeln gerate ich nur, wenn Kritiker:innen persönlich werden, ohne mich als Menschen zu kennen. Generell gibt es aber Wichtigeres, als eine schlechte Kritik zu kassieren. Ich arbeite in einer Menschenrechtsorganisation und bin Hasskommentare leider gewöhnt und insofern sowieso etwas abgestumpft, schon um meine Arbeit machen zu können. Das finde ich schlimm. Da geht es nämlich nicht um gekränkte Egos, sondern um Menschenleben. Es ist fürchterlich, wie Hass den gesellschaftlichen Diskurs bestimmt. Darüber grübele ich und reflektiere ich.
Missu: Konstruktive Kritik ist immer interessant und im besten Fall eine Anregung, die Perspektive zu ändern, denn manchmal sieht man ja den Wald vor lauter Bäumen nicht. Der besagte Verriss im Ox ist aber leider wenig hilfreich. Wenn ich dann noch kurz vor Veröffentlichung der Ausgabe eine Mail vom Verfasser des Reviews bekomme, in der er sich vorab für seine Kritik entschuldigt, weil er bemerkt hat, dass wir einen gemeinsamen Bekannten haben, und mir dazu schreibt, dass er mit dem Review einfach nur einen Ox-Kollegen ärgern wollte und sich unsere Platte gar nicht angehört hat – sorry, was soll ich dazu noch sagen? Das hier überhaupt auszuplaudern, ist gar nicht meine Art und weitere Details behalte ich deshalb auch für mich. Ich finde aber, dass man das nicht einfach unter den Tisch fallen lassen kann, wenn wir hier genau deswegen darüber sprechen.

Wie wichtig ist Feedback für Musiker:innen generell? Also was nimmt man an, was ignoriert man?
Ana: So wichtig ist das alles nicht. Ich finde, unser gesellschaftliches Feedback hingegen umso wichtiger. Ein Song von uns heißt nicht ohne Grund „Weirdo waltz“. Wir alle müssen aufhören, zu ignorieren, dass offener Hass wieder salonfähig wird. Hier ist jeder einzelne Mitmensch als Kritiker:in gefragt. Wir dürfen nicht weiter hinnehmen, dass unsere Gesellschaft verroht. Ich singe „Hate is not a single act / When silence is a common fact“, weil ich der Meinung bin, dass es keine so genannten verwirrten Einzeltäter gibt. Du merkst, ich steige bewusst aus der persönlichen Feedbackschleife aus, weil ich das ganz gesund finde.
Missu: Man freut sich, wenn es einer Person etwas bedeutet oder dazu inspiriert, selber etwas zu schaffen. Oder um Beispiel der Mittelpart von „Flight of fancy“, der mit selbstgebauten analogen Samples eine kurze cineastische Stimmung im Kopf auslösen soll. Es ist toll zu hören, wenn genau das beim Hörer passiert ist.

Ist es gut oder schlecht oder wichtig, die Meinung anderer, ob nun positiv oder negativ, an sich heranzulassen?
Ana: Das mit der Meinungsfreiheit ist ja so ein Ding. Zu Meinungsfreiheit gehört es für mich zwingend, mich mit der Meinung der anderen auseinanderzusetzen. Allein um einschätzen zu können, wo die Freiheit des anderen und meine sich berühren. Das ist dann die natürliche Grenze, denn Meinungsfreiheit und Respekt müssen Hand in Hand gehen. Wenn wir das in der Musik nicht hinkriegen, mit welchem Recht wollen wir dann „die Gesellschaft“ kritisieren? Wir alle sind „die Gesellschaft“. Ob es nun gut oder schlecht ist, die anderen Meinungen an sich heranzulassen, kann nur jeder für sich selbst entscheiden. Viel wichtiger finde ich eine innere Haltung, denn dann hängt man nicht von diesen Bewertungen ab.