Sie waren beim Bowling, als Drag Queens am Broadway, haben Melodien der 60er in den Wind geblasen, eine Auszeit in den 80ern genommen und nebenbei eine Bar Mitzwah ruiniert. Es wurde also höchste Zeit, dass sie sich in den Sattel schwingen und wie gute Cowboys mit ihrem neuen Album ausreiten. Wer jetzt nicht weiß, dass die Rede von ME FIRST AND THE GIMME GIMMES ist, muss in den letzten Jahren in der Wüste gelebt haben. Und sollte jemand überhaupt noch nicht von den Gimmes, wie sie sich selbst nennen, gehört haben, dann wird er wohl ein Fan der Musikrichtungen sein, die in regelmäßigem Abstand dran glauben müssen. Die Besetzung von MFATGG liest sich wie das Who's Who der Fat Wreck-Bands. Mit wem also sprechen? "Fat" Mike Burkett ist sich zu schade für gewöhnliche Interviews, Chris "Jackson" Shiflett ist ein Rockstar bei den FOO FIGHTERS und hat eh keine Zeit, Spike Slawson hat zwar weniger zu tun, braucht aber manchmal etwas länger, Dave Raun - nun, wer interessiert sich schon für Schlagzeuger? So erwischt es am Ende immer den Kleinsten.
Joey Cape lacht und meint, er würde wohl nicht schnell genug in Deckung gehen, wenn Interviews anstehen, lacht wieder und fügt hinzu, dass er schon immer gerne für Gespräche zur Verfügung stand. Und im Moment mache es ihm Spaß, über das neue Album der GIMME GIMMES zu reden. "Interviews sind genau wie das ganze Projekt. Man tut es, weil man es tun will, es ist keine Arbeit." Es muss sich dieser Tage wirklich gut anfühlen, ein Gimme zu sein. Während sich andere Leute eine Auszeit nehmen, um sich nach all den Touren zu erholen, setzt sich der gute Joey lieber daheim hin und überlegt, welche Songs dringend einen neuen Anstrich benötigen. Und dann trifft sich die zwangloseste Band der Welt, spielt ein paar Mal einige Sachen durch, und am Ende kommt ein Album raus. Und eigentlich könnte man an dieser Stelle auch wieder aufhören. Denn ein Gimme kennt keine Verpflichtungen. Gimmes sind die Desperados der Musikszene. Interviews, Konzerte, Touren, all das macht man nur, wenn einem gerade danach ist. Und wenn Jackson Zeit hat, aber dazu später mehr.
Fat Mike sagte einmal, Joey wäre das Mastermind hinter MFATGG, und es wäre sinnvoller, ihn zu befragen. Der so Geadelte muss darüber lachen und erwidert, dass das wohl zu der Zeit gewesen sei, als Mike keine Interviews gab und sich so aus einer Interviewanfrage herauszureden versuchte. Tatsächlich gelte die Devise, der Plattenboss habe das Sagen. Joey macht sich Gedanken über alle möglichen Songs, die interessant wären, und sammelt Ideen. Dabei sind Sachen wie Punk oder Metal tabu, Ersteres könnte man ja nicht in ein Punk-Gewand stecken, und Letzteres wäre zu schwer umzusetzen. Ansonsten sind alle Wege für einen Gimme offen. Dann käme Mike ins Spiel, der darüber entscheidet, ob ein Konzept verfolgt wird oder nicht. "Ich kam auf Mike zu und erinnerte ihn daran, dass wir schon einmal über Country-Songs nachgedacht hatten, weil die etwas Zeitloses an sich haben und sich sehr gut covern lassen. Und Mike gefiel die Idee, also habe ich über 200 Songs zusammengetragen, die vielleicht in Frage kommen könnten."
Einige davon wurden mit Spike geprobt, um zu sehen, wie es klingen würde, die meisten jedoch verwarfen Joey und Mike gleich wieder. Interessant ist dabei, dass besonders viele Klassiker sehr schnell ausgeschieden sind. Irgendwie ließen sie sich nicht so leicht covern beziehungsweise klangen weitaus weniger ansprechend als vor allem neuere Lieder. Dabei hatte Joey die Idee zunächst im Hinblick auf alte Country-Helden wie Willie Nelson oder Hank Williams gehabt, die er beide zu den besten und einflussreichsten Songwritern rechnet.
Dass Mike der Chef der Band ist, sieht man auch an einigen ungewöhnlichen Konzerten, die Ausdruck seines Humors sind. Für andere erscheint es bisweilen eigenartig, was Mike so Spaß macht. Wie etwa auf einer Bar Mitzwah zu spielen und das als Live-Album rauszubringen, oder wie die Sache mit dem Konzert in Pittsburgh, PA, im Baseballstadion nach einem Spiel.
Spike Slawson war gar nicht angetan von der Idee, in seiner Heimatstadt vor einem solchen Publikum zu spielen. Wie kam es eigentlich zu diesem Auftritt? Nun, einer der Eventmanager der Pittsburgh Pirates kam aus bislang ungeklärten Gründen auf die Idee, bei den GIMME GIMMES nachzufragen, ob sie Lust hätten, an drei Abenden hintereinander eine Aftershowparty im Stadion zu spielen, samt passendem Feuerwerk über ihnen. Während alle anderen Bedenken hatten, war Mike sofort dafür, und so standen letzten Sommer MFATGG nach einem Baseballspiel vor 60.000 Zuschauern und legten los. Joey erinnert sich daran, dass die meisten Gesichter zunächst ratlos aussahen, da niemand mit der Band etwas anzufangen wusste. Spätestens jedoch beim zweiten Lied schlug ihnen Feindseligkeit entgegen, als das ganze Stadion anfing, sie wegen des "Stairway to heaven"-Covers auszubuhen. Joey war etwas besorgt, wie es weitergehen sollte, und schaute zu Mike, der vor sich hin grinste. "Mike rief mir zu: ?Was hattest du denn erwartet? Es ist großartig!?."
Fat Mike genoss es sichtlich, sich von 60.000 Zuschauern auspfeifen zu lassen. Es wird ihn wohl enttäuscht haben, dass es zu den Auftritten zwei und drei nicht mehr kam, denn das Engagement wurde seitens der Baseballverantwortlichen unverzüglich gecancelt. Aber schon ein solcher Auftritt dürfte neben besagter Bar Mitzwah zu den ungewöhnlichsten Konzerten zählen, die die fünf GIMME GIMMES in ihren Karrieren erlebt haben und noch erleben werden. Gleichzeitig war es aber auch ein geschickter Schachzug in Sachen Promotion, denn jede Schlagzeile ist bekanntlich eine gute Schlagzeile.
Jackson ist der Grund dafür, dass bei ME FIRST alles etwas länger dauert. Und dank ihm dürfte sich das Projekt nie zu einer Tour-Band entwickeln. Okay, ganz so einfach ist es dann doch nicht. Joey gibt zu, dass Chris Shiflett eine gute Ausrede ist. Denn natürlich sind alle GIMME GIMMES mit ihren jeweiligen Hauptbands beschäftigt. Mike mit NOFX und in den letzten Jahren zusätzlich mit seiner Anti-Bush-Kampagne, Joey und Dave Raun mit LAGWAGON, die wieder Studio und Tourleben für sich entdeckt haben, Spike als Bassist der SWINGIN' UTTERS, und dann ist Chris eben Gitarrist bei den FOO FIGHTERS. Aber es ist schon so, dass Jacksons Verpflichtungen diejenigen sind, auf die am meisten Rücksicht genommen werden muss. Oder, wie es Joey ausdrückt: "In Sachen Management könnten MFATGG ebenso gut ein Side Project der FOO FIGHTERS sein."
Obwohl alle so beschäftigt sind, gab es schon die eine oder andere Tour des Quintetts, neben mehreren Warped Tour-Anläufen auch schon in Europa. In den meisten Fällen war Jackson allerdings nicht mit von der Partie, sondern ließ sich von Leuten wie Warren Fitzgerald von den VANDALS oder Brian Baker von BAD RELIGION (um nicht alle Bands aufzuzählen) vertreten, oder jüngst von seinem Bruder Scott, der früher bei den nicht mehr aktiven FACE TO FACE gespielt hat.
Dave Raun ist ebenso wenig wie die anderen Gimmes verantwortlich dafür, dass Paris Hilton jetzt ihr Unwesen im Musikgeschäft treibt. Joey weiß gar nicht mehr so genau, wie es dazu kam, dass Amerikas Partyluder Nummer eins im Video zum letzten Album auftauchte. Irgendjemand hat sie mit angeschleppt, und es hat ihr irgendwie Spaß gemacht für paar Sekunden vor der Kamera zu stehen, ohne sich auszuziehen oder dafür Geld zu bekommen. Und nun müssen sich MFATGG vorwerfen lassen, die Milliardärserbin auf die Idee mit der Musik gebracht zu haben. "Als sie den Ruhm sah, in dem wir schweben, musste sie es unbedingt auch versuchen." Allerdings hat sich die gute Frau Hilton bis heute nicht mehr gemeldet oder ein Exemplar ihres Albums als Dank für die Entdeckung rübergeschickt.
Ja, so kann das Leben eines Gimmes auch sein. Wie sang Spike so schön auf "Blow In The Wind", "Sometimes it's hard to be a Gimme". Aber schließlich überwiegen doch die positiven Momente. Die Möglichkeit, auf der Bühne zu stehen und Songs zu spielen, die man selber mag, oder sich über andere Lieder lustig zu machen und sie durch den Kakao zu ziehen. Schließlich bracht man als Gimme keine Bar Mitzwah, jede Show ist eine Party für sich. Man kann mehr trinken als bei den Konzerten der eigenen Band, denn schließlich ist es egal, ob man sich ständig verspielt oder nicht, solange man seinen Spaß mit der Sache hat.
Joey hat noch viel mehr zu erzählen, zum Beispiel über die DIXIE CHICKS. Dass es eines ihrer Lieder auf das Album geschafft hat, hängt mit der schon oben erwähnten Tatsache zusammen, dass sich so genannter New Country irgendwie besser für den Zweck der GIMME GIMMES eignet. Aber da ist dann noch der Respekt, den man den drei Country-Sängerinnen zollen wollte. Vor dem Irak-krieg hatten sich die DIXIE CHICKS eindeutig gegen den geplanten Krieg und den Präsidenten ausgesprochen. Das mag für die meisten Punkbands zum guten Ton gehören, für eine Country-Band allerdings ist es nicht weniger als Selbstmord. Und die DIXIE CHICKS bekamen den Unmut so mancher Rednecks zu spüren, die bis dahin ihre Fans waren. Joey hat ihnen auch verziehen, dass sie sich später für ihre Äußerungen entschuldigt haben, schließlich ginge das in der Countrywelt nicht anders. Wenn man sich allerdings Joeys Satz, die DIXIE CHICKS hätten es verdient, von MFATGG gecovert zu werden, ein zweites Mal durch den Kopf gehen lässt, fragt man sich, wie ernst diese Respektsbekundung wohl gemeint war. Vielleicht verhält es sich ja wie im Falle von Garth Brooks, über den Joey sagt, er sei ein talentierter Sänger und habe schon einiges drauf, wenn er so erfolgreich ist. Allerdings ist natürlich ein GIMME GIMMES-Cover begleitet von einem großen Augenzwinkern, auch wenn sich Mr. Cape dazu bekennt, das eine oder andere Lied von Brooks zu mögen.
Es ist schwer zu sagen, was in Zukunft genau ansteht, neue Alben und Konzerte natürlich. Aber noch weiß niemand, welchem Thema sich die nächsten MFATGG-Aufnahmen widmen werden. Oder vielleicht weiß es Joey ja schon längst, weil Mike seiner Idee zugestimmt hat, und im Moment hängt alles nur davon ab, wann Dave Grohl eine Pause macht und Jackson wieder Zeit hat. Dann dürfte es allerdings auch wieder einige Shows geben. Bis dahin kann man den GIMME GIMMES beim Ausritt in die Prärie lauschen und sich dabei einen alten Western anschauen. Oder Johnny Cash hören und sich Joey Cape im Sattel vorstellen.
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