Mit Veröffentlichung der ersten Singles haben die Münchner MARATHONMANN für manche hochgezogene Augenbraue gesorgt. Ist das noch die Post-Hardcore-Band, die wir von ihren letzten Alben kennen? Oder, wie es manch gehässiger Kommentar ausdrückte, gibt es auf „Maniac“ jetzt Achtziger-Synthie-Schlager? Mit Sänger und Bassist Michael Lettner sprechen wir über Veränderung, und warum man sie einer Band auch als Fan manchmal zugestehen sollte.
Wir haben uns länger nicht gesprochen, viel ist passiert, also wie geht es dir im Moment?
Mir geht es ganz gut, es ist alles super, super spannend, es ist spannender als bei den letzten Platten, weil wir eben mit „Maniac“ was Neues ausprobiert haben und dadurch bekommen natürlich jetzt alle Single-Veröffentlichungen oder Album-Ankündigungen ein bisschen einen anderen Vibe, weil wir ja nun Material präsentieren, das in eine etwas andere Richtung geht. Es ist natürlich spannend, was die alten Fans dazu sagen, ob wir vielleicht neue Leute dazu gewinnen ... Also es ist schon sehr nervenaufreibend, muss ich sagen, denn man macht seine Kunst und seine Musik und ist auch stolz darauf. Man denkt, man hat geiles Album gemacht, und will natürlich als Künstler, dass die Leute das auch so feiern wie man selbst, was ja nicht immer so funktionieren kann. Das ist ja allen bewusst und darum sind gerade alle Sachen sehr aufregend und neu für uns.
Ihr habt euch musikalisch neu orientieret und beschreitet neue Wege, auch wenn ich der Meinung bin, dass sich das immer noch nach MARATHONMANN anhört. Aber es ist natürlich anders geworden, als viele Leute erwartet haben, das ist ein relativ großer Schritt. Kannst du nachvollziehen, dass sich da nicht jeder mitgenommen fühlt?
Klar, wir haben das komplett erwartet, als wir die Vorproduktion angefangen haben, und die sich dann noch mal zu was anderem entwickelt hat. Wir haben im Studio gemerkt, wie viel Spaß das macht und wie toll es ist, in die Extreme zu gehen. Also poppige Sachen poppiger machen. „Cheesy“ ist ein doofes Wort, aber so ein Klaviersolo wie in der zweiten Strophe von „Diamant“ zum Beispiel, das könnte aus einer Achtziger-Jahre-Sitcom stammen. Ich verstehe die meisten Reaktionen, manche dann auch wieder nicht. Ich bin der Meinung, wenn man was nicht gut findet, dann hört man das eben einfach nicht oder gibt vielleicht dem Album eine Chance. Oder sagt, die gibt es jetzt schon zwölf oder dreizehn Jahre, jetzt probieren sie mal was anderes, ist irgendwie mutig, aber ist nicht meins. Dann kann man ja eine andere Band hören. Aber dass man dann so enttäuscht ist, weil seine Lieblingsband mal was anderes versucht, das ist für mich nicht nachvollziehbar, so ticke ich nicht. Aber natürlich ist uns auf jeden Fall bewusst gewesen, dass wir ein paar alte Fans verschrecken. Es ist ja, wie du schon sagst, immer noch MARATHONMANN, einfach mit neuen Elementen. Wir lieben halt die Achtziger und die Bands der Achtziger und haben das einfließen lassen. Nach so vielen Jahren verändert man sich persönlich und musikalisch, Dinge verändern sich. Darum finde ich das ganz normal, wenn sich auch Musiker oder Bands verändern. Ich finde es auf jeden Fall okay, wenn Leute uns nicht mehr hören, aber man muss das nicht im Internet so hart sagen. Also dass es an Fan-Verrat grenzen würde oder wir uns umbenennen sollten oder auflösen ... Nur mal als extreme Beispiele. Künstler oder Musiker können ja eigentlich machen, was sie wollen, und man muss die Kunst ja nicht annehmen. Ich verstehe es teilweise, aber manchmal ist es einfach drüber.
Auf gewisse Weise kann ich nachvollziehen, warum die Leute so denken. Man verbindet ja was mit Musik, so dass Leute enttäuscht sind, wenn was anderes kommt, als sie erwartet haben, oder sich gar verletzt fühlen, wenn eine Band ihnen viel bedeutet. Es gibt Leute, die haben sich MARATHONMANN-Zitate tätowiert und wenn die vielleicht nicht in der Lage sind, diesen Schritt mitzugehen, dann ist es wie eine persönliche Kränkung.
Also die Enttäuschung, die verstehe ich dann schon, und ich hatte das bestimmt früher auch. Das erste Album „Stories and Alibis“ von MATCHBOOK ROMANCE – falls die Band noch irgendwer kennt – war meine Lieblingsplatte und ich habe die nur noch gehört, 24 Stunden am Tag. Dann kam der Nachfolger, „Voices“, und das klang für mich einfach wie Karnevalsmusik. Ich fand das schade, aber dann habe ich die eben nicht gehört, aber die alte Platte hatte ich ja noch. Wenn Leute ein MARATHONMANN-Zitat tätowiert haben: Wir sind ja noch MARATHONMANN, die alten Platten gibt es ja noch. Die Band sagt immer noch das aus, was sie immer ausgesagt hat. Da versteht man, glaube ich, den Künstler nicht, der so viele Jahre dasselbe macht und dann auch mal was anderes probieren will. Das ist schon schade, dass viele diesen Schritt nicht verstehen. Aber textlich ist es ja immer noch so und unsere Struktur ist auch noch dieselbe, wir sind ja die gleichen Typen.
„Maniac“ ist eine Abkehr von eurem früheren Sound, ihr habt den Post-Hardcore-Regler weit zurückgedreht. Ist das ein Abschied aus der Szene?
Also ich will mich nicht von der Szene oder unseren Fans verabschieden, aber es ist schon ein Step. Wir wollen einen Fuß auch woanders reinsetzen, das kommt daher, dass wir uns in den ganzen Jahren MARATHONMANN einfach musikalisch und menschlich verändert haben. Wir hören alle andere Musik, ich höre auch keinen Post-Hardcore mehr. Vor ein paar Jahren habe ich nur FJØRT gehört, jetzt habe ich mir die neue Platte noch gar nicht angehört. Es ist einfach so. Mich interessieren jetzt eben andere musikalische Elemente, andere Künstler, andere Bands, auch viel ruhiger Kram. Ich versuche auch, mich musikalisch weiterzuentwickeln. Wir haben jetzt nicht gesagt, wir machen was anderes, um uns aus der Szene zu verabschieden. Aber wir wollten einfach nach der langen Zeit auch mal gerne was Neues ausprobieren, was Neues sehen, vielleicht die Möglichkeiten haben, mit anderen, neuen Künstlern die Bühne zu teilen, andere Touren zu spielen, auf anderen Festivals zu spielen. Du kennst es ja selber von KMPFSPRT, wenn man lange in einer Band ist, ist man zweimal im Jahr auf Tour, man sieht oft die gleichen Orte, ist in den gleichen Clubs, auf den gleichen Festivals und das macht natürlich nach wie vor Spaß, aber man will ja wie bei allem im Leben irgendwie weiterkommen. Darum wäre es bei diesem musikalischen Schritt woandershin natürlich schön, wenn wir dann auch neue Türen öffnen könnten, wenn wir auf Tour sind, oder andere Bands kennen lernen. Die Post-Hardcore-Szene hat uns so stark unterstützt, wir wollen da jetzt nicht gezielt raus, aber wir wollen auch mal was Neues erleben.
Ist das eine Entwicklung, die ihr alle vier gleichermaßen durchgemacht habt, oder gab es auch Leute in der Band, die vielleicht erst davon überzeugt werden mussten?
Also richtig überzeugen mussten wir niemanden. Leo und ich als Haupt-Songwriter haben eigentlich schon längere Zeit viel anderes Zeug gehört. Leo hört zum Beispiel viel diese 1975, eine Popband, und ich höre ganz viel Achtziger-Jahre-Sachen, Synthie-Pop, Wave. Unser neuer Gitarrist, der Basti, fand das schon immer gut. Das ist ja unser neuer Gitarrist, der dazugekommen ist in dem Wissen, dass es diese Platte geben wird. Und bei unserem Schlagzeuger Jo ist es eigentlich auch sehr weit gefächert. Der kommt natürlich mehr aus dem härteren Metal, aber es gab keine Überzeugungsarbeit bei irgendjemandem, das war eigentlich mit den ersten Demos klar, wir lieben doch alle die Achtziger. Und da war es ziemlich schnell beschlossen und ist auch sofort in diese Richtung gegangen.
Ich muss zugeben, ich dachte, jetzt haben MARATHONMANN einen neuen Gitarristen und machen erst mal eine Platte ohne Gitarre. Ist natürlich Quatsch, aber so war der erste Eindruck.
Basti darf tatsächlich alle Gitarren spielen und Leo übernimmt manchmal die Keyboards. Und wir spielen natürlich live auch alle alten Songs, die nach wie vor mit zwei Gitarren funktionieren. Das muss man ja auch sehen, nur weil wir eine Platte haben, die Achtziger-Jahre-Einflüsse hat, haben wir die anderen Platten ja noch und sind auch stolz darauf und werden jetzt nicht nur noch ausschließlich Synthie-Pop spielen. Es ist einfach dieses große Ganze, was MARATHONMANN ausmacht. Da können die Leute ja auch sagen: „Okay, vielleicht setze ich bei dieser Platte aus, aber die haben ja auch meine Lieblingsplatten und die spielen sie auch live.“ Live ist ja was ganz anderes.
© by - Ausgabe # und 9. Dezember 2024
© by Fuze - Ausgabe #100 Juni/Juli 2023 und Dennis Müller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #108 Juni/Juli 2013 und
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #115 August/September 2014 und Frank Weiffen
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #125 April/Mai 2016 und Frank Weiffen
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #145 August/September 2019 und Nadine Schmidt
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #167 April/Mai 2023 und Dennis Müller
© by Fuze - Ausgabe #87 April/Mai 2021 und Andreas Regler
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #155 April/Mai 2021 und Nadine Schmidt
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #144 Juni/Juli 2019 und Nadine Schmidt
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #102 Juni/Juli 2012 und Matin Nawabi
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #107 April/Mai 2013 und Bianca Hartmann
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #112 Februar/März 2014 und Marko Fellmann
© by Fuze - Ausgabe #100 Juni/Juli 2023 und Andreas Regler
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #167 April/Mai 2023 und Dennis Müller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #125 April/Mai 2016 und Frank Weiffen
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #115 August/September 2014 und Marko Fellmann