MARATHONMANN

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Das klingt nicht wie REVOLVERHELD

Die Münchner Band MARATHONMANN hat sich mit ihrem neuen Album „Mein Leben gehört Dir“ als Band endlich gefunden. Sagt Sänger Michi Lettner. Im Interview erklärt er zudem, warum das erste öffentliche Zeugnis dieser Selbstfindung ausgerechnet eine Ballade ist. Und was er macht, wenn er Geld verdienen muss und mal nicht als Marathonmann unterwegs ist.

Michi, ein Song auf eurem neuen Album heißt „Tage bis zum Sommer“. Auch wenn das Stück wohl anders gemeint ist: Zählst du schon die Tage?


Ja, das tue ich. Ich hasse nämlich Schnee und Kälte. Im Sommer ist die Grundstimmung der Menschen besser.

Dennoch ist „Mein Leben gehört Dir“ eher eine Herbstplatte.

Stimmt. so richtig sommerlich klingt sie nicht. Ich würde sagen, es ist eine Ganzjahresplatte. Man soll sie auch mal im Sommer auflegen können, wenn die Gedanken etwas dunkler sind.

Was auffällt: Euer neues Album ist abwechslungsreicher als das, was ihr zuvor veröffentlicht habt. Es gibt mehr langsame Stücke. Früher war bei euch vieles auch mal gerne sehr, nun ja, einheitlich.

Daher wollten wir diesen neuen Klang auch genau so haben! Wir fühlen uns als Musiker mittlerweile nämlich angekommen. Wir sind soweit, dass wir wirklich nur noch das machen, worauf wir Lust haben. Und wir wissen, wie wir es machen wollen. Dafür war „Mein Leben gehört Dir“ der ideale Prüfstein, denn wir haben die Platte unter schwierigen Umständen aufgenommen: Wir waren nach dem Ausstieg unseres alten Gitarristen nur noch zu dritt. Wir hatten einen sehr engen Zeitplan. Und wir haben das Album von drei verschiedenen Leuten mischen lassen.

Wenn die Voraussetzungen so schwierig waren, hätte es mit der Platte aber auch in die Hose gehen können, oder?

Diese Angst hatten wir auch ganz kurz. Aber dann hat uns die Situation sehr schnell motiviert und wir haben uns gesagt: Wir wollen das jetzt! Und: Ich lege mich heute mal nicht auf die Couch und schaue mir einen Scheißfilm an, sondern schreibe Songs oder mache eine Melodie oder programmiere noch eine Schlagzeugspur. Das war sozusagen positiver Druck. Er hat uns als Musikern und Menschen gutgetan.

Ihr habt also eure Arbeitsweise für die Zukunft gefunden?

Sagen wir mal so: Ich bereue nichts. Aber ich würde es beim nächsten Mal trotzdem etwas anders haben wollen. Wir würden uns dann viel mehr Zeit nehmen. Denn Studiozeit ist für uns normalerweise immer ein Zeitraum, wo man sich den Freunden aus der Band widmet. In der man zusammensitzt, abhängt und miteinander redet. Und das fiel jetzt leider weg.

Die erste Single und der Titelsong eures neuen Albums ist ausgerechnet eine Ballade ...

Besser hört sich an: Es ist ein vorgetragenes Gedicht mit instrumentaler Untermalung. Und das haben wir aus Kalkül so gewählt.

Obwohl eine solches Stück für eine Band aus dem Genre Punk/Hardcore künstlerischer Selbstmord sein kann, oder?

Na ja, es sollte eben etwas ganz anderes sein. Es war uns wichtig, etwas Eigenständiges zu nehmen. Und das kam dann bei manch einem gut an – und bei manch einem schlechter. Die Kritik war aber letztlich immer moderat.

Stört sie dich trotzdem?

Nein. Mich nervt es nur, wenn die Leute unsere Entscheidung wirklich nicht verstanden und dann ihre Meinung geäußert haben. Einer schrieb im Internet zum Beispiel: „Das klingt ja wie REVOLVERHELD!“ Da sage ich: Nein! Das klingt nicht wie REVOLVERHELD! Wahrscheinlich hat derjenige, der das geschrieben hat, auch noch nie REVOLVERHELD gehört. Wenn es wirklich so klingen würde, dann würde ich das auch offen zugeben! Und genau so etwas macht mich ein wahnsinnig ... Das ist auch genau das Thema, um das sich diese Platte letztendlich dreht: Die Leute befassen sich nicht mehr richtig mit etwas und denken nicht mehr nach – sie plappern nur noch gedankenlos etwas nach!

In diesem langsamen Titelstück fragst du: „Warum diese Angst vor Veränderung?“ Welche Veränderung hat dir selbst zuletzt Angst eingejagt?

Zuletzt eigentlich nichts ... Aber vielleicht im vergangenen Jahr. Du musst wissen, dass ich oft meine Jobs wechsele, weil ich der Meinung bin, wenn einem ein Job nicht mehr gefällt, dann sollte man etwas anderes machen. Es gibt schließlich genug Menschen, die unglücklich sind mit ihrem Beruf. Die gehen jeden Tag zur Arbeit und hassen das und gehen daran kaputt, können aber nichts daran ändern, weil sie Angst davor haben, etwas Neues anzufangen. Und diese Angst hatte ich auch beim letzten Wechsel. Ein weiteres Thema sind Beziehungen: Wenn eine Beziehung auseinandergeht, dann spielt da auch die Angst mit. Denn: Wie geht es dann weiter? Auch das habe ich im vergangenen Jahr erlebt. Und das hat mich schon gedanklich blockiert ... Auch in meiner Kreativität. Am Ende kommt es aber immer auf eine Sache an: Man muss etwas wagen! Die Zeit läuft. Und diese Zeit, die man hat, muss man nutzen.

Als was arbeitest du denn derzeit?

Als Verkäufer von Kinderspielzeug. Das war reiner Zufall: Ich hatte mich zeitgleich bei einem Spielzeughandel und einem Sexshop beworben – und die haben sich eben zuerst zurückgemeldet. Jetzt verkaufe ich kleinen Kindern und deren Eltern Spielsachen. Dabei entdecke ich mitunter auch das Kind in mir selbst wieder – und kaufe mir nerdige Plastikpistolen, haha.

Apropos Kinder: Mit MARATHONMANN läuft es gut. Denkst du – gerade angesichts deines derzeitigen Jobs – schon mal an eine Zukunft mit Familie?

Den Gedanken habe ich noch nicht. Mir fehlt derzeit die passende Frau dazu. Außerdem steht aktuell die Musik bei mir klar an erster Stelle. Aber ich lasse mich auch nicht beeinflussen von diesen ganzen Argumenten: „Du bist jetzt 33 und musst langsam mal zusehen!“ Ich lasse das alles auf mich zukommen. Und wenn es irgendwann soweit ist, dann ist es eben so. Dann werde ich das fühlen. In solchen Dingen höre ich, auch wenn es sich blöd anhören mag, auf mein Herz. Ich bin ein Gefühlsmensch. Wobei: Die Band würde auch dann immer noch mit an erster Stelle stehen.

Wie viel Prozent deines Lebens macht diese Band derzeit aus?

95% meines Lebens ganz sicher. Da ist so viel zu tun zur Zeit. Gerade mit dem neuen Album. Arbeiten gehe ich nur, um Geld zu verdienen.

Hegst du diesen ewigen Musikertraum, von der eigenen Musik irgendwann leben zu können?

Ich träume schon. Aber letztlich würde es bei mir wohl eher darauf hinauslaufen, noch einen Tag weniger in der Woche zu arbeiten. Das wären dann drei Tage. Denn in unserem Genre wirklich über einen langen Zeitraum sicher von der Musik zu leben, das klappt nicht. Das kann mal ein Jahr gut laufen, aber das war es dann. Diesbezüglich gehe ich lieber auf Nummer sicher.

Ein Musikmagazin titelte neulich „Punk lebt“ – und nannte euch als eines der Flaggschiffe einer neuen Punk-Bewegung in Deutschland. War Punk jemals tot?

Nein. Aber es kommen tatsächlich immer mehr Bands nach, vor allem deutschsprachige. Diese Bands schließen sich wieder zu einer Szene zusammen. Und das hat zuletzt vielleicht etwas gefehlt.

Und, seid ihr ein Flaggschiff?

Wir sehen uns schon so ein bisschen als Mitinitiator dieser Sache. Denn bei uns hieß es anfangs auch: „Ihr singt auf Deutsch? Wie blöd!“ Wir haben das dann trotzdem weiter durchgezogen. Und auf einmal ist es ganz normal.

Was kann man als Teil der neuen Generation von Punkbands von der alten lernen?

Ich denke, authentisch zu sein. Bei den alten Bands scheppert und rumpelt es auf den Platten noch so richtig. Und da fühle ich dann viel mehr als bei den heutigen Sachen. Bei aktuellen Bands wie etwa TURBOSTAAT oder FJØRT, die ich alle großartig finde, klingen die Songs auf Platte dagegen mitunter gleich.

Das behauptet, wie eingangs kurz angeschnitten, manch einer auch von euren alten Platten ...

Auf der letzten Platte „... und wir vergessen, was vor uns liegt“ klang schon alles gleich. Da gebe ich dir recht. Und genau das wollen wir seitdem vermeiden. Leg mal eine alte MILLENCOLIN-Scheibe auf: Diese Lieder klingen zwar nach MILLENCOLIN, aber sie sind alle anders. Und das liegt wahrscheinlich daran, dass die Jungs sich damals einfach in eine Garage gestellt haben, so nach dem Motto: „Wir fühlen die Songs jetzt. Wir nehmen das einfach auf!“ Heutzutage dagegen muss ja alles vorproduziert werden am Computer. Natürlich machen wir das auch, aber dadurch geht zugleich dieser ganze Proberaum-Spirit verloren. Und deshalb, da lege ich mich jetzt fest, will ich die nächste Platte auch unbedingt gemeinsam im Proberaum machen. Ich will sie live einspielen.