LOVELY EGGS

Foto© by Darren Andrews

Same shit, different day

Familienbetriebe sind die Basis der Wirtschaft. Und die Musikgeschichte ist voller Beispiele für Bands, die aus Geschwistern oder Paaren bestehen. Eine davon sind THE LOVELY EGGS, ein Duo aus dem nordenglischen Lancaster, bestehend aus dem Ehepaar Holly Ross (gt, voc) und David Blackwell (dr, voc). 2007 veröffentlichten die ihre erste EP, zig Kleinformate sind seitdem erschienen, zunächst auf „Fremdlabels“, dann nur noch auf der eigenen Plattform. Nach dem 2020er Album „I Am Moron“ kam im Mai nun der Nachfolger „Eggsistentialism“, auf dem Holly und David einmal mehr ihren spleenigen Synth-Psych-Elektro-Punk-Pop zelebrieren und das wie auch im Interview mit klaren politischen Aussagen unterfüttern.

Das letzte Mal haben wir uns vor vier Jahren unterhalten, als die Pandemie gerade begonnen hatte. Wie habt ihr diese Jahre überstanden?

Holly: Nun, es war eine etwas seltsame Zeit. Vor allem für uns, denn wir hatten gerade unser Album „I Am Moron“ herausgebracht, das uns im Nachhinein ziemlich prophetisch vorkommt. Als wir das Album machten, waren wir besessen von dem „Mars One“-Projekt und der Idee, man könnte die Erde mit einem One-Way-Ticket verlassen. Ich erinnere mich, dass Casey Raymond uns für das Artwork lauter Dinge gezeichnet hat, die durch den Weltraum schweben, darunter eine Rolle Klopapier. Und dann kam Corona und die Leute kämpften im Supermarkt um Klopapierrollen. Also darauf läuft bei der Menschheit alles hinaus: Wir prügeln uns um Klopapier! Für uns war es eine ziemlich anstrengende Zeit. Da wir einen elfjährigen Sohn haben, mussten wir ihn zu Hause unterrichten. Und weil wir alle unsere Shows selbst buchen, habe ich jede wache Minute damit verbracht, Tourtermine zu verschieben. Ich glaube, ich habe die Tour etwa siebenmal verschoben! Ursprünglich sollte sie im April stattfinden, aber niemand wusste damals, wie lange das mit dem Lockdown dauern würde, also habe ich sie auf Juni verschoben, dann auf September und immer so weiter.
David: Aber in dieser Zeit gab es auch unsere Kooperation mit Iggy Pop, was eine ziemlich tolle Sache war. Wir hatten an einem Song gearbeitet und es schien einfach etwas zu fehlen. Und eines Tages dachte ich: Iggy Pop! Das ist es, was es braucht! Also fragten wir ihn, er sagte zu und es war großartig. Er nahm den Gesang für den Track „I, moron“ remote in Amerika auf, um den Mix kümmerte sich dann Dave Fridmann in den Tarbox Road Studios. Wir haben den Song dann im Sommer 2021 auf farbigem Vinyl veröffentlicht und er kam auf Platz eins der offiziellen britischen Single-Charts, was ziemlich cool war. Für die B-Seite haben wir seinen Song „Dum dum boys“ gecovert.
Holly: Um ehrlich zu sein, hatten wir nie Probleme, uns zu beschäftigen, also haben wir die Pandemie-Jahre ganz gut überstanden. Finanziell war es ziemlich hart, weil wir nicht Touren und damit Geld verdienen konnten. Aber wir hatten gelernt, immer mit dem auszukommen, was wir eben haben. Außerdem konnte man ja sowieso nicht wirklich ausgehen und Geld ausgeben, da man zu Hause eingesperrt war, also war es okay. Es war schön, ein bisschen zu faulenzen und Zeit mit unserem Sohn zu verbringen.

... und warum hat es bis jetzt gedauert, dass ein neues Album erscheint?
Holly: Corona hat alles durcheinandergebracht. So mussten wir die Touren, die für 2020 geplant waren, 2022 nachholen, als alles wieder geöffnet wurde, aber da hätten wir normalerweise schon wieder ein Album aufgenommen. Außerdem beschlossen wir, mit unserem guten Freund, dem Illustrator und Videokünstler Casey Raymond, eine lächerliche sechsteilige Fernsehshow namens „Eggs TV“ zu machen. Wir hatten einfach genug von dem Scheiß, der im britischen Fernsehen läuft, und wollten ein bisschen die Underground-Kultur fördern. Wir haben so viele Freunde, die Musiker, Künstler, Autoren, Comedians, Performer sind und wirklich tolle Sachen machen, denen wollten wir ein Forum bieten. Wir hatten zum Beispiel Ian MacKaye von FUGAZI und MINOR THREAT dabei, mit dem haben wir uns über irgendeinen wahllosen Scheiß unterhalten, den wir dann zusammengeschnitten und in die Sendung eingebaut haben. Wir hatten eine Menge Leute in der Sendung: Gruff Rhys, Gwenifer Raymond, The Space Lady, Stewart Lee, Katy Puckrik. ... Wir hatten zwei Monate dafür angesetzt, aber es hat zwei Jahre gedauert! Wir wollten unbedingt, dass es toll aussieht, und es gab so viel, was wir da unterbringen wollten, dass das Projekt alles in Beschlag nahm und das neue Album auf Eis gelegt werden musste, bis wir damit fertig waren.
David: In dieser Zeit haben wir zudem dafür gekämpft, die Zukunft der Lancaster Music Co-op zu retten, einer gemeinnützigen Einrichtung mit Proberäumen und einem Aufnahmestudio. Sie existiert seit mehr als 35 Jahren und ist die Heimat aller Bands und der alternativen Musikszene in Lancaster. Der Stadtrat von Lancaster hatte uns 2018 einen Räumungsbefehl zugestellt, aber aufgrund des öffentlichen Aufschreis haben wir ihn dazu gebracht, die Entscheidung rückgängig zu machen und das Gebäude, das der Stadt gehört, zu renovieren und uns einen langfristigen, bezahlbaren Mietvertrag zu geben. Aber es war mühsam, sie dazu zu bringen, dass sie ihre Zusagen einhalten. Also haben wir 18 Monate lang unermüdlich daran gearbeitet, das Gebäude zu retten, und das hat uns sehr viel Kraft gekostet. Wir waren also geistig nicht ganz auf der Höhe und hatten keine Zeit, uns hinzusetzen und an einem Album zu arbeiten. Wir waren damit beschäftigt, gegen den Stadtrat zu kämpfen, um die alternative Musikszene in unserer Gegend zu retten, und wir hatten zu dieser Zeit musikalisch selbst nichts mehr zu bieten. Das hat unsere ganze Energie absorbiert.

Angenommen, THE LOVELY EGGS wären ein Gericht ... wie würden die Zutaten und das Rezept lauten?
Holly: Nimm Weißbrot, Tomatensauce, eine magische Zwiebel, Käse ...
David: Lege das Weißbrot in den Ofen, um es leicht zu rösten. Bestreiche es großzügig mit Marmite als Basis. Dann gibst du Tomatensauce, auch Ketchup genannt, darauf. Schneide die magische Zwiebel – du erkennst sie, wenn du eine findest – in feine Scheiben, während du die folgenden Worte singst „Baboonba / Boonbabo / Onbaboon / On / On / On / On / No“, um den Geist zu beschwören. Bestreue das Ganze mit etwas geriebenem Käse und dann kommt es zum Überbacken noch mal in den Ofen. Genieße dein Leben.

Auf eurem Facebook-Profil habt ihr kürzlich einige gute Gründe gepostet, warum es Spaß macht, auf Tour zu gehen. Nun, für diejenigen da draußen, die keine sozialen Medien mögen, gib uns bitte eine kommentierte Liste der Vorteile des Tourens ...
Holly: Das Essen. Es ist genial, jeden Abend bekocht zu werden. Und jeden Abend Musik für Leute zu spielen, die sie hören wollen. Schnaps umsonst. Alte und neue Freunde zu treffen. In Hotels zu übernachten. Täglich frische Handtücher. Mit unserer Crew abhängen, die zu guten Freunden geworden sind. Lachen, andere Orte besuchen, aus der Heimatstadt herauskommen.

Und was sind die negativen Aspekte ...?
David: Der kostenlose Schnaps! Die langen Nächte und der Morgen, wenn man früh mit seinem Kind aufsteht.

Apropos soziale Medien: Was ist eure Strategie im Umgang damit? Welche Plattformen nutzt ihr, welche nicht und warum?
Holly: Wir haben keine Social-Media-Strategie. Wir nutzen soziale Medien, aber wir haben keinen Plan, was wir damit machen. Wir nutzen sie, um unser Leben zu dokumentieren, und versuchen, mit unseren Fans über unsere neuen Veröffentlichungen zu kommunizieren. Wir haben ein Profil bei Instagram, Facebook, X – das wir noch nicht gelöscht haben –, eines bei Threads und eines bei TikTok. Aber das ist alles Schwachsinn und wir haben zunehmend die Nase voll davon, wie wohl die meisten Leute. Es wäre schön, wenn es einen Ort gäbe, wo du als Fan einer Band einfach alle Informationen bekommst, die sie dir geben wollen. Aber heutzutage scheint man für alles bezahlen zu müssen. Überall gibt es nur verdammte Werbung. Aus diesem Grund buchen wir keine bezahlte Reklame oder gesponserte Beiträge in den sozialen Medien. Es ist echt nervig, wenn eine beschissene Band, nur weil sie Geld hat, in deinem Feed auftaucht. Wir würden uns wünschen, dass es eine reinere Form von sozialen Medien gäbe. Wo du genau das zu sehen bekommst, was dich interessiert, und Sichtbarkeit nicht gekauft ist. Aber es ist überall das Gleiche. Sogar um ein Plakat in einem Plattenladen aufzuhängen, muss man heute bezahlen. Der Kapitalismus hat so aggressiv um sich gegriffen, dass es widerlich ist. Man kann keine neue Musik mehr entdecken, ohne dass Geld dahintersteckt. Nun, vielleicht könnte man es, aber es ist viel schwieriger. Deshalb haben wir eine Mailingliste. Das ist vielleicht der direkteste Weg, um mit unseren treuen Fans zu kommunizieren. Und alle Informationen bekommen sie dort zuerst und wir geben ihnen die Möglichkeit, unsere Platten vor allen anderen zu kaufen. Loyalität sollte belohnt werden und wir lieben unsere Eggheads. Diese Community ist uns absolut heilig.

Ihr sagtet es gerade, ihr habt euren eigenen YouTube-Kanal ... was ist die Idee dahinter? Die Kontrolle über die Medien übernehmen, selbst die Medien sein?
David: Ja, genau das. Wir fanden, dass das Fernsehen in Großbritannien absolut beschissen ist und es ihm an guten Angeboten für die Underground-Kunst- und Musikszene mangelt. In den 1970er, 1980er und 1990er Jahren gab es mehr davon, aber heute scheint das Fernsehen völlig blind zu sein, wenn es um alternative Kultur, Bücher und Poesie geht. Anstatt darüber zu jammern, dachten wir, wir tun etwas dagegen und machen unser eigenes Fernsehen.
Holly: Das ist ein zentraler Punkt in unserem Ethos als Band. Wenn du willst, dass etwas passiert, oder du eine Idee hast, dann zieh es einfach durch und lass es passieren!

Ihr habt für das Album wieder mit Dave Fridmann von den FLAMING LIPS gearbeitet. Wie ist sein Einfluss auf eure Musik im Allgemeinen und dieses Mal?
David: Es ist schon ein anderer Ansatz, plötzlich jemanden bei den Aufnahmen dabei zu haben, nachdem wir so viele Jahre alleine gearbeitet haben. Es ist wirklich interessant, den Input von jemand anderem zu Sound und Produktion zu bekommen. Mit seinem Wissen über klassisches, analoges Equipment und seiner hybriden Herangehensweise an das Abmischen kann er das Ganze viel größer klingen lassen, als wir es jemals konnten. Normalerweise schicken wir ihm ein paar Songs, an denen wir gerade arbeiten, und er macht ein paar Anmerkungen und Kommentare und wir arbeiten gemeinsam daran, bis wir beide das Gefühl haben, dass es gut genug zum Abmischen ist. Er hat keinen großen Einfluss auf das, was wir in der Produktionsphase machen, obwohl er definitiv einen Beitrag leistet. „My mood wave“ zum Beispiel hatten wir sehr geradlinig und gitarrenlastig aufgenommen, doch weil der Song einen gewissen Retro-Vibe hatte, schlug er vor auszuprobieren, wie es sich anhört, wenn man ihn mit einer zwölfsaitigen Gitarre, Theremin und Mellotron „spectorisiert“. Also haben wir den Track noch einmal neu aufgenommen, aber wir hatten den Eindruck, das driftet zu sehr ins Nostalgische ab. Schließlich haben wir beide Varianten so miteinander kombiniert, dass auch die ursprüngliche Heavyness des Songs erhalten blieb. Wir arbeiten ausgesprochen gerne mit Dave. Er ist absolut brillant und hat eine ganz neue Dynamik in unseren Arbeitsprozess und unseren Sound gebracht.

Reden wir über musikalische Einflüsse. Wenn man eine Band mit einem Haus vergleicht, hat man da die Grundstruktur. Was man ändern kann, sind „kosmetische“ Details, aber das Gebäude selbst bleibt unangetastet. Was war also schon immer da, was ist neu und anders?
David: Wir arbeiten schon lange an unserem Gebäude, haben es etliche Male wieder eingerissen und neu gebaut! Zuerst haben wir nur eine einfache Hütte gebaut, um ein Dach über dem Kopf zu haben. Aber wir haben immer wieder von vorne angefangen, bis wir etwas hatten, in dem wir uns wohl fühlen. Der Mörtel, der das Ganze zusammenhält, ist definitiv eine Mischung aus 1960er-Jahre-Psychedelic, Krautrock, Alternative Rock der späten 1980er, frühen 1990er Jahre und Experimenten, Bands wie THE VELVET UNDERGROUND, NEU!, CAN, SONIC YOUTH, BLACK SABBATH, RED CRAYOLA ... Aber letztendlich versuchen wir einfach, ein modernes Haus mit einer guten Aussicht zu bauen, in dem wir gerne leben.

Das Album heißt „Eggsistentialism“ – ein nettes Spiel mit dem „Eier“-Thema oder steckt mehr hinter dem Titel? Schließlich geht es beim Existentialismus um nichts weniger als die menschlichen Existenz.
Holly: Ich glaube, alle unsere Platten enthalten einen Touch von Existenzialismus. Ich denke die ganze Zeit darüber nach, warum wir hier sind, was unser höheres Ziel ist, was verdammt noch mal der Sinn von alledem ist ... Das kann einen manchmal etwas verrückt machen, also lautet unser Rat: Beim Denken das rechte Maß finden. Wir sind ziemlich tiefgründige Denker, denn es ist wichtig, die Welt um sich herum zu hinterfragen und zu versuchen, sie zu verändern, wenn man kann. Das neue Album ist wahrscheinlich unser ehrlichstes und verletzlichstes und es dokumentiert, dass wir durch eine ziemlich harte Zeit gehen. Unsere Mütter werden alt und das erzeugt eine tiefe Traurigkeit, da vieles nie wieder so sein wird wie früher. Die schönen Kindheitserinnerungen und die Orte, an die man zurückdenkt, sind alle unwiderruflich vergangen. Das Lancaster, in dem ich aufgewachsen bin, ist nicht mehr wiederzuerkennen, das macht mich traurig, und noch mehr vermisse ich die Menschen, die ich verloren habe. Es kann sich trostlos anfühlen, wenn du eines Tages aufwachst und die Dinge, die du geliebt hast, nicht mehr da sind. Daher brauchst du eine Methode, um damit umzugehen, die kannst du jedoch nur in dir selbst finden. Es geht darum, ein Art Survival-Handbuch zu entwickeln, um mit dem ganzen Scheiß im eigenen Kopf klarzukommen.

Wie nehmt ihr das aktuelle politische Klima in eurem Land wahr?
David: Die politische Situation in Großbritannien ist im Moment total beschissen. Es ist einfach sinnlos, darüber zu reden, weil es so schlimm ist. Wir haben jede Menschlichkeit hinter uns gelassen. Die Regierung kümmert sich einfach nicht um die Menschen. Es ist ein zügelloser Hyperkapitalismus, der alle bestraft, außer die Superreichen. Wir denken noch genauso wie bei unserem letzten Interview. Same shit, different day.