LEVELLERS

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Von Punk zu Folk

Seit 1988 sind die LEVELLERS aus Brighton bereits aktiv, und obwohl sie sich dieser Kategorisierung verweigern, müssen sie sich seitdem immer anhören, sie seien eine Folkrock-Band. Ganz von der Hand zu weisen ist diese Einordnung nicht, auch die Instrumentierung mit Geige trägt dazu bei, die Art der Komposition, doch egal, wie man das Genre nun bezeichnet, in einem Atemzug mit CHUMBAWAMBA und NEW MODEL ARMY genannt zu werden, dagegen haben sie sicher nichts einzuwenden, denn da gibt es viele Verbindungen. Zum einen ist da diese Affinität zur Punk-Szene, auch wenn sie heute musikalisch nur noch schwer nachvollziehbar ist, zum anderen die klar linke, ja anarchistische Ausrichtung, mit deutlichen politischen Texten und damit eine Verwurzelung in jener Szene, die einst auch CRASS hervorbrachte. Die LEVELLERS waren immer zu erfolgreich für eine „richtige“ Underground-Band, aber kamen auch nie im Mainstream an, denn sie sind eine eigenwillige Band, die seit über zehn Jahren mit „Beautiful Days“ ihr eigenes Festival veranstaltet. „Whoever puts their hand upon me to govern me is a usurper, a tyrant, and I declare them my enemy“, lautet das anarchistische Glaubensbekenntnis der Engländer, die damit ein klareres Statement abgeben als so manche angeblich politische Punkband. Ich sprach mit Gründungsmitglied Jeremy Cunningham (Bass) über das neue Album „Static On The Airwaves“.

Mitte der Achtziger war die britische Anarcho-Punk-Szene mit Bands wie CRASS, CONFLICT oder CHUMBAWAMBA sehr aktiv und wie man liest, ist das der Hintergrund, vor dem ihr eure Band gegründet habt.


Ja, das bringt es auf den Punkt. Wir waren damals in der Hausbesetzerszene aktiv, es waren die Jahre unter Thatcher als Premierministerin, als sich die Schere zwischen Arm und Reich massiv öffnete. Das politisierte uns, wir hörten Bands wie CRASS und gründeten dann die LEVELLERS – da war ich 21.

Was habt ihr damals gemacht? Häuser besetzt und über Politik diskutiert?

Ja, so ungefähr. Und viel getrunken haben wir auch, haha. Wir hatten alle ähnliche Überzeugungen Politik und Gesellschaft betreffend, oder zumindest gingen wir davon aus, und dementsprechend hatten wir eigentlich gar keinen Grund für große Diskussionen. Wir lebten damals schon in Brighton. Ich reiste seinerzeit für drei Monate nach Marokko, und als ich zurück in England war, beschloss ich, meine beiden Bass-Gitarren zu verkaufen. Ich hatte keinen Bock mehr auf Musik, mir waren da zu viele Leute beteiligt, die nur Rockstar werden wollten und tagelang Gitarrensoli übten. Letztlich behielt ich die Instrumente und wir gründeten stattdessen unsere eigene Band, die vor allem nicht so sein sollte wie die anderen. Wir hatten ja keine Ahnung, dass irgendwer Gefallen an uns finden würde.

Brighton wirkt auf den Touristen ja wie ein pittoreskes kleines Städtchen. Wie war das Leben dort?

Hauptmotivation für unser politisches Engagement damals war die rechte Thatcher-Regierung. Brighton, da hast du schon Recht, ist ein schöner Ort mit einer sehr entspannten Atmosphäre. Deshalb zog ich dort hin aus South London, wo ich aufgewachsen bin. Da wurde ich permanent angefeindet wegen meiner Dreadlocks, ich hatte irgendwann die Schnauze voll und ging nach Brighton, um dort Kunst zu studieren. Dort waren alle Leute total nett zu mir, und so blieb ich dort, wo ich nicht ständig blöd angemacht wurde, wo es keinen störte, wie ich aussah. Man hatte damals dort den Eindruck, dass die Leute, die mit der Regierung nicht einverstanden waren, irgendwie zusammenrückten, um darüber zu reden, wie man die Situation ändern kann.

CRASS und die Menschen in deren Umfeld wurden in dieser Hinsicht recht aktiv. Was habt ihr getan?

Wir haben Fragen gestellt in unseren Texten. Ein Song auf unserem ersten Album heißt „I have no answers“, und der bringt auf den Punkt, wie wir damals fühlten. Wir reflektieren in unseren Texten von jeher, was wir gerade so denken, was um uns herum vor sich geht. Damals, Ende der Achtziger, empfanden wir die Situation als sehr schlimm, und so hatten wir immer genug Themen.

Damals habt ihr, ähnlich wie CRASS, in einer Art Kommune zusammengewohnt.

Das entsprach unserem Lebensstil, wir waren Teil der D.I.Y.-Kultur, für uns galt immer, dass man dafür etwas tun muss, wenn man Veränderung will. Man muss bereit sein, die Verantwortung für sein eigenes Tun zu übernehmen. Wir lebten damals in zwei Häusern, die allerdings keine Kommunen in dem Sinne waren, wie man das aus den Sechzigern im Kopf hat. Es waren gute Orte, um sich künstlerisch zu betätigen.

Und wie lebst du heute?

Ganz normal, in meiner eigenen Wohnung – mit Garten. Ich lebte viele Jahre, bis Mitte der Neunziger, in einem alten Autobus, aber den habe ich dann verkauft. In diesem Bus zu leben war ein Statement, ich war mobil und deshalb anonym, aber dann wurden die Gesetze geändert, und das Leben für sogenannte „Traveller“ wurde immer schwieriger. Ich hatte irgendwann einfach genug davon.

Die Traveller-Szene war schon immer eng mit den großen Pop-Festivals wie Glastonbury verbunden. Mit „Beautiful Days“ habt ihr 2003 euer eigenes jährliches Festival geschaffen. 2012 treten Mitte August beispielsweise PiL und Frank Turner auf. Ist in dessen Organisation die ganze Band involviert?

Ja, wir sind alle eingebunden. Ich bin für das Artwork verantwortlich, jeder hat seinen eigenen Verantwortungsbereich. Das Bandprogramm stellen wir zusammen, indem jeder von uns Vorschläge macht. Wir versuchen, ein Festival zu machen, das denen ähnelt, auf die wir früher selbst gerne gegangen sind – etwas Chaos ist okay, und die Atmosphäre muss gut sein.

Und ihr macht so manches anders: Man darf sogar seine eigenen alkoholischen Getränke mitbringen. Das ist ein krasser Unterschied zu den sonstigen großen Festivals, die von den internationalen Brauereikonzernen gesponsert werden.

Ja, wir sagen „Bring your own“, aber wir haben natürlich auch eigene Verkaufsstände, an denen die Getränke wirklich billig sind. Wir haben uns einfach überlegt, was wir früher gemacht haben, und wir haben immer unsere eigenen Getränke mitgebracht. Wir versuchen, auch die ganzen Kontrollen auf ein Minimum zu beschränken. Es ist für uns immer wieder ein Erlebnis, über das Gelände zu laufen, mit den Leuten zu sprechen, über ihre Ideen zu diskutieren, zu erleben, wie sich die D.I.Y.-Kultur entwickelt. Ich finde das sehr ermutigend, und diese Gegenkultur lag uns schon immer am Herzen. Wir haben beispielsweise in den Neunzigern auch ein Buch mit dem Titel „The White Book“ veröffentlicht, das war damals ein Adressbuch mit den Kontaktdaten aller Protestgruppen, Alternativ-Künstler und so weiter in Großbritannien, mit dem Ziel, diese Menschen besser zu vernetzen. Wir hatten damals den Eindruck, die Linke verschwende zu viel Zeit mit Diskussionen über eigentlich belanglose Details, während die Rechte viel aktiver und direkter zur Sache ging. Wir wollten damit die Linke stärken.

Ihr kommt aus der Punk-Szene, habt euch dem Folk zugewendet, mögt aber, wie man liest, den Ausdruck „Folkpunk“ oder „Folkrock“ nicht.

In den Pubs, in denen wir damals in Brighton verkehrten – nur zwei oder drei ließen Typen wie uns überhaupt rein, da gab es viele Vorurteile – wurde viel Folk-Musik gespielt, Irish Folk. Im The Eagle beispielsweise, im Zentrum von Brighton. Ich kam also nach drei Monaten aus Marokko zurück, war pleite, musste meine Gitarren verkaufen, und sprach deshalb im Eagle ein paar Leute an. So traf ich Mark, der dann unser Sänger wurde, und wir kamen ins Gespräch, diskutierten über die lahme Szene in Brighton, wo es den Bands offenbar nur darauf ankam, um jeden Preis bekannt zu werden. Wir hatten dann die Idee, doch einfach eine Band zu gründen, die die Musik spielt, die wir selbst gerne im Pub hören würden. Wir hatten festgestellt, dass die ganzen alten Folk-Songs eigentlich Protestlieder waren, die inhaltlich dem Punkrock ziemlich nahe waren. Irgendwie gefielen die uns aber sogar noch besser als Punk-Songs, denn Folk ist wirklich auf Grassroots-Level, dreht sich um die ganz grundlegenden Themen. Und so war die Ausrichtung unserer Band klar.

Nun ist es ein altes Klischee, dass Punks keine Hippies mögen beziehungsweise mochten – und Folk ist schon ziemlich hippiemäßig ... Wie passte das doch zusammen? In den letzten Jahren haben Bands wie FLOGGING MOLLY oder REAL McKENZIES ja bewiesen, dass Folk und Punk durchaus zusammenpassen.

Wir haben da nie einen Konflikt gesehen, obwohl wir ja durchaus aus dem Punkrock kommen und keinen Hippie-Background haben. Punks und Hippies sind sich im Grunde von ihrer Ideenwelt her recht ähnlich, sie haben nur andere Frisuren. Für uns waren seinerzeit CRASS wegen ihrer anarchistischen Einstellung wichtig. CRASS spielten damals auf dem Hippie-Festival in Stonehenge, das war wirklich extrem hippiemäßig und wurde später von den Behörden verboten. Wir fanden diese Verbindung interessant, die Hippies und wir waren uns in der Denkweise her sehr ähnlich, und wir verstanden nicht, wieso Punks und Hippies sich – der allgemeinen Einschätzung nach – hassen sollten. Vor allem gefiel uns der Aspekt, dass Folk auch rein akustisch funktioniert, dass man sich mit seinen Instrumenten überall hinsetzen und spielen kann, ganz ohne Verstärker.

Ihr macht das schon seit über 20 Jahren, aber wie nehmt ihr die eben erwähnten „neuen“ Bands des Genres wahr, gibt es Verbindungen?

Klar, wir haben schon mehrfach mit FLOGGING MOLLY gespielt, die waren auch schon auf unserem Festival. Die sind aber doch eher eine Punkband mit Folk-Elementen, während wir als LEVELLERS zwar von unseren Ideen und unserer Herkunft her Punks sind, aber nicht unbedingt musikalisch. Letzten Endes zählt für mich aber sowieso nur, ob eine Band gute Songs hat und eine gute Message. Ich muss die Meinung ja nicht teilen, wichtig ist mir die Leidenschaft, mit der sie vertreten wird.

Kannst du für mich noch das Rätsel eures Namens lösen? Der ist vom historischen Background her sehr nah dran an dem von NEW MODEL ARMY, die euch wiederum stilistisch und von den Ideen her nahe sind.

Unser Name hat tatsächlich was mit der historischen „New Model Army“ zu tun. Die Levellers waren ein Gruppe von Akteuren im Englischen Bürgerkrieg ...

... der von 1642 bis 1649 zwischen den Anhängern König Karls I. von England und jenen des englischen Parlaments ausgetragen wurde.

Die Levellers waren so was wie Linksradikale, und letztlich wurden sie von den eigenen Leuten, von Oliver Cromwell und seinen parlamentarischen Truppen exekutiert – obwohl man eigentlich auf der gleichen Seite kämpfte. Die Levellers hatten sich aber geweigert, sich an den Eroberungstruppen zur Besetzung Irlands zu beteiligen. Sie waren der Meinung, Irland gehöre den Iren. Und so ließ Cromwell die meisten Levellers umbringen. Uns gefiel der Name wegen dieses Hintergrunds, zum anderen gab es in Brighton auf einem Gelände namens The Levels mal ein Umsonst-Festival, und dazu passte der Name auch. Außerdem bezeichnet „leveller“ im Englischen jemanden, der Unterschiede ausgleicht. Mit unserem linken Hintergrund fanden wir das passend. Nicht zu vergessen und wichtig für mich als Künstler: der Name sieht geschrieben gut aus.

Du bist für das Artwork zuständig, von dir stammt auch das bekannte „Rolling Anarchy“-Logo.

Wir mochten schon immer gute Bandlogos, die müssen für die Leute leicht kopierbar sein, so dass sie leicht und einfach eigene T-Shirts machen können, es mit einer Schablone irgendwo hinsprühen können. Ich war beispielsweise schon immer ein großer Fan von EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN und deren Logo, oder nimm das CRASS-Logo. Das sieht man irgendwo und du weißt, worum es geht, ohne den Namen gelesen zu haben. So etwas Markantes suchten wir auch, bis wir dann auf Tour in Amerika ein Symbol gesehen hatte, das uns begeisterte, und einer kritzelte es schnell auf ein Blatt Papier und ich spielte dann monatelang damit herum, um es „richtig“ aussehen zu lassen, wobei mir ein Freund mit seinem Computer half.

Euer neues Album „Static On The Airwaves“ ist kürzlich erschienen. LEVELLERS-Business as usual?

Ich finde, es ist viel akustischer als die Sachen, die wir in den letzten Jahren gemacht haben. Wir haben uns etwas stärker auf den Folk-Aspekt unserer Musik besonnen, wohingegen das Album davor heavier, punkiger war. Mich erinnert das neue Album stark an unsere ersten beiden Platten. Das ist eher passiert, als dass es eine bewusste Entscheidung war, wir hatten nur das Bedürfnis, wieder etwas akustischer zu klingen.