KOTZREIZ

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Punkrock-Musiker-Fans

Vor gut zwei Jahren standen drei recht junge Herren auf der großen Bühne des Berliner S036. Sie hießen KOTZREIZ, es gab sie seit 2007, und trotz Soundproblemen mit dem Bass brachten sie ihren Auftritt noch gut zu Ende. Damals eröffneten sie den Abend, doch das dürfte zukünftig eher selten der Fall sein. Denn das Deutschpunk-Trio wird sich – da muss man kein Prophet sein – immer weiter in Richtung Headliner vorarbeiten. Sie sind zu rotzig, zu amüsant und singen zu hymnisch eine Ode nach der anderen für all die Nietenpunks dieser Republik, als dass man sie länger an den Katzentisch setzen kann. Pünktlich zum Erscheinen ihres zweiten Longplayers „Punk bleibt Punk“ wurde es nun auch für uns höchste U-Bahn, sich diese Jungs mal vorzuknöpfen. So saß ich mit Fabi (Gitarre und Gesang) und Chris (Drums und Gesang) nach einem Interview für Szenesounds-Radio im Maximilian-Imbiss vor dem Bahnhof Voltastraße. Bassist Tom konnte leider nicht zugegen sein, da er beruflich verhindert war – das sind vielleicht Punks ...

Ich kann euch gleich zu Beginn ein echtes „Punker“ Kompliment machen, auf eurer zweiten LP habt ihr euch spielerisch nicht weiterentwickelt. Gebt zu, das wolltet ihr hören?

Chris:
Ja, genau das wollten wir damit erreichen, dann hat sich Sinn und Zweck unserer Band erfüllt ...

Fabi: Aber eigentlich haben wir uns ja weiterentwickelt ... aber nicht spielerisch.

An Bands stört mich oft, dass diese stets die neue LP als Knaller anpreisen und sagen: „Unsere letzte LP war nicht so doll, weil ...“

Chris: Wir stehen zu der alten Platte, zum größten Teil jedenfalls. Natürlich gab es da ein paar Texte und Sachen, die wir jetzt wahrscheinlich anders gemacht hätten. Und jetzt bei der neuen haben wir uns etwas mehr Mühe gegeben, nicht viel, aber ein bisschen.

Fabi: Wir hatten auch gar nicht vor, ein neues Superkunstwerk nach der ersten LP zu machen, das das andere toppt oder so, wir haben genauso weitergemacht.

Ihr wohnt ja in Berlin am Ostkreuz, seid aber keine echten Berliner, sondern aus Hessen, und Tom ist aus Eberswalde. Wie hat das in der Heimat angefangen mit der musikalischen Sozialisation? Wie kamt ihr zum Punk?

Fabi: Bei mir war es so, dass meine Schwester schon immer Punk gehört hat, so dass ich durch sie schon sehr früh da rangekommen bin. Und bei mir in Wiesbaden gibt es ja den Schlachthof, wo jeden Dienstag eine kleinere Punkband spielte und dorthin hat sie mich immer mitgenommen, weil ich alleine vom Alter her da noch gar nicht hindurfte. Und irgendwie wollte ich schon immer Gitarrenmusik machen.

Und was waren erste Lieblingsbands?

Fabi: Bei mir WIZO, NOFX und später dann RANCID.

Chris: Ich bin aus Darmstadt und habe mit 13 angefangen, Metal zu hören. Damit wollte ich meine Eltern ein bisschen ärgern und habe Metal immer laut gehört. Dann gerät man an Zeitschriften wie Metal Hammer und Rock Hard, da waren auch Punk-Sachen drin. Und das weckte mein Interesse, weil Punkrock eben doch melodischer war.

Ihr spielt verrotzten, versifften Deutschpunk, aber ihr kommt mir gar nicht so destruktiv vor, das kommt vielmehr recht originell rüber. Gilt bei euch das Motto „Spaß statt Hass“?

Chris:
Es gibt genügend Dinge auf der Welt, die man hassen kann und weswegen man wütend sein sollte, und es gibt schon genug Bands, die darüber singen. Wir sind Menschen, die nicht nur alles scheiße finden, sondern auch meistens Spaß am Leben haben, und das soll in den Texten dann auch so rüberkommen, dass wir eben keine depressiven Typen sind.

Wir sehr ist euer Alltag Punkrock? In einem eurer Songs heißt es: „Wenn früh um sieben der Wecker klingelt“. Geht ihr etwa heimlich arbeiten?

Fabi:
Also, ich habe mich gerade selbstständig gemacht und da klingelt der Wecker auch gerne mal ein bisschen früher als um sieben. Mit 16 habe ich einen Abschluss als Schreiner gemacht und bin nun im Messebau tätig. Mit Holz werkeln ist immer noch eine Leidenschaft von mir.

Chris: Wir führen alle kein normales Leben, haben aber alle unsere Jobs, doch deswegen kann man ja trotzdem Punk sein.

Mit Songs wie „Pfandflaschenmessi“ oder „Punk bleibt Punk“ habt ihr kleine Deutschpunk-Perlen geschrieben. Wie demokratisch vollzieht sich bei euch das Schreiben der Songs?

Chris:
Sehr demokratisch, demokratischer geht es eigentlich gar nicht. Tom muss eine Menge arbeiten und ist beim Songwriting oft nicht zugegen, aber Fabi und ich wohnen ja zusammen, und Fabi hat ein Mischpult in seinem Zimmer, wo dann die Gitarre eingestöpselt wird und schon geht’s los ...

Was mich immer interessiert: Wie ist das, wenn man vom Fan zum Protagonisten wird. Sind für euch Leute wie ANTI-FLAG, NOFX oder Bela B „nur“ noch Kollegen oder sind das entfernte Rockstars?

Chris:
Also, ich habe dieses Rockstar-Ding noch nie verstanden, dass sich jemand Autogramme holt oder Fotos von einem machen will und so weiter. Oder dass man denkt, jemand wäre ein besserer Mensch, nur weil er in einer Band spielt, das habe ich nie kapiert.

Fabi: Als ich mit 16 Jahren beim NOFX-Konzert war und die Band aus 20 Metern Entfernung vom Backstagebereich aus gesehen habe, das fand ich schon toll.

Ihr habt euch ja bewusst für deutschsprachigen Gesang entschieden, das heißt natürlich, dass ihr nur für deutschsprachige Gegenden relevant seid ...

Chris:
Wir haben schon mal in Schweden gespielt und vor zwei Wochen auch in Warschau auf einem Punk-Festival. Wir überlegen uns vorher Ansagen in der Sprache des jeweiligen Landes und so fanden die uns dort ganz nett. Die Musik kam für die gut rüber.

Ihr seid damals zufällig beim Aggropunk-Label gelandet, dessen Macher Matze ja der Sänger der REJECTED YOUTH ist. Wie läuft die Zusammenarbeit ab? Und ist es hilfreich, einen „Szenehasen“ am Schalthebel zu wissen?

Fabi:
Großartig, uns mit den Jungs zusammengetan zu haben war die beste Entscheidung, die überhaupt möglich war!

Chris: Matze und Tobbe, der ja auch bei den REVOLVERS spielte, sind zwei alte Hasen im Punkrock, die eben wissen, wie es funktioniert. Das sind keine Plattenbosse in dem Sinne, sondern eher Kumpels für uns, die einfach zufällig ein Label betreiben. Es gab da noch nie ein Problem.

Jetzt tourt ihr ja erst mal mit den VAGEENAS. Deren attraktive Sängerin Babette ist ein ... psssst! ... 1963er-Jahrgang. Soll heißen, sie wird demnächst 50. Ist sie für euch eine Art Legende und ein Vorbild von Punk, dass man also lange cool sein kann?

Chris:
Was auch immer Punk bedeutet, wir sind ja auch nicht mehr die Jüngsten und auch schon 30. Und Babette haben wir auch erst vor zwei Jahren kennen gelernt und sie war gleich so ungefähr der netteste Mensch der Welt. Dass sie 50 wird, wusste ich zum Beispiel gar nicht. Und meine Mutter hatte einst mal gesagt: „Ich habe mich noch nie alt gefühlt, bis zu dem Tag, als ich 50 wurde.“ Jedenfalls fahren wir mit denen tagelang im Tourbus und darauf freuen wir uns absolut!

Auf der Tour spielt ihr auch mit SLIME, da kommen wir wieder zum Fan-Dasein und was sich nun für euch wandelt, da ihr mit denen die Bühne und den Backstage teilt ...

Chris:
Das ist schon krass, früher mit 15 sah man POPPERKLOPPER oder halt SLIME im Jugendcenter und zehn Jahre später spielt man mit denen zusammen. Also, früher hat man die ja noch beim Pogo mit Bier bespritzt.

Fabi: Aufgeregt bin ich weniger wegen des Treffens backstage, was zwar auch cool ist, aber ich bin dann eher unruhig, wenn ich sie live sehen kann an dem Abend.