KONTROLLE

Foto© by Marie Laforge

Kompakt und kompromisslos

Es war Liebe auf den ersten Blick ... äh, Song. 2017 erwähnte Carsten (gt, key) im Nebensatz was von seiner neuen Band mit Daniel (voc, bs) und Andrew (dr), und er meinte nicht BLANK, die bis dato ihn und Daniel musikalisch verbanden. Kein Hardcore-Geballer mehr, stattdessen Düsterpunk. Ich war angetan. Anfang 2019 kam das Debüt-Album „Egal“, natürlich auf Holy Goat. 2021 folgte „Zwei“, und nun ist „Grau“ raus, ihr drittes Album.

Daniel, du schreibst die Texte. Man erkennt da viele Beobachtungen und Bezüge zur Realität. Nun ist es die große Kunst, Dinge zu verfremden, Dinge so zu beschreiben, dass der Hintergrund vielleicht doch ganz anders ist, als es klingt und vermeintliche Bezüge gar nicht so sind. Wie nah dran an deiner Realität bist du mit den KONTROLLE-Texten?

Daniel: Eigene Texte zu erklären ist schwer. Aber ich spiele gerne damit, Dinge so ein bisschen im Vagen zu lassen. Ich experimentiere herum und es macht Spaß, wenn es nicht zu konkret ist und der Rezipient auch noch was zu tun hat. Mich überrascht immer total, wie oft von Hörerseite Dinge hineininterpretiert werden, die gar nicht beabsichtigt waren. Manchmal aber schon, das lasse ich dann gerne offen. Und nein, die Texte sind auf der neuen Platte nicht unbedingt konkreter.

Man glaubt dich zu ertappen bei Alltagsdingen, wenn du „Käsetheke“ auf „Leseecke“ reimst und hat das Gefühl, real Erlebtes erzählt zu bekommen. Oder etwas, das dir jemand erzählt hat.
Daniel: Genau, alles kommt vor, sowohl Selbsterlebtes als auch das, was man erzählt bekommt, als auch Ausgedachtes. Aber was was ist, das möchte ich nicht sagen.

Hast du mit dieser Art des Textens erst spät in deinem Leben angefangen, mit KONTROLLE? Oder steckte das schon immer in dir drin?
Daniel: Ich habe mal in einer Schülerband gespielt, da habe ich auch getextet. Bei den vorherigen Bands habe ich eher sporadisch aus der zweiten Reihe mal was ergänzt . Komplett mache ich das erst seit KONTROLLE. Das Interesse war schon vorher da, und ich merke, seit ich das mache, nehme ich Musik anders wahr, Texte sind mir jetzt wichtiger. Da finde ich eine Band vielleicht ganz nett, aber wenn ich dann die Texte höre und die sind nichts ... Andererseits höre ich inzwischen auch Musik sehr gerne, die ich musikalisch gar nicht so herausragend finde, aber wo das Gesamtpaket mit den Texten passt. Spaß an Sprache hatte ich schon immer: abstruser Humor, Wortspiele, Kalauer – je nach Tagesform. Dass ich das so nutze, das ist neu. Okay, so neu auch nicht mehr. Seit wann machen wir das? Seit fünf, sechs Jahren.

Ende September 2017 war euer erstes Konzert im Solinger Waldmeister, zusammen mit EA80. Ihr hattet vorher und habt auch parallel noch Bands, aber – ohne euch da zu nahe treten zu wollen – im größeren Rahmen wahrgenommen wurden dann erst KONTROLLE. Und es gibt sehr viel positives Feedback.
Carsten: Am Anfang waren wir ein bisschen überrascht davon.Wir sind das ja angegangen wie alle unsere anderen Bands auch. Das war ja nicht geplant.
Andrew: Das war eigentlich nur als Nebenprojekt gedacht, wir hatten keine Erwartungen.
Carsten: Dass das dann so eingeschlagen ist, davon waren wir überrascht und überrumpelt. Aber es fühlt sich gut an und es ist cool, so viele positive Rückmeldungen zu bekommen. Schön, wenn man einen Nerv trifft und Leute anspricht, sowohl musikalisch als auch textlich.

Bestätigung ist wichtig fürs Seelenheil, wenn man etwas Kreatives macht, ob das nun eine Band oder ein Heft ist.
Carsten: Ich finde es auch super. Es macht einiges einfacher, wie zum Beispiel Konzerte buchen und Platten verkaufen, dass man das Geld wieder reinkriegt und dass die Band nicht so ein komplettes Minusgeschäft ist. Dass man auch mal Geld sparen und in die nächste Produktion stecken kann, das ist von Vorteil. Das kenne ich von meinen vorherigen Bands nicht so. Aber ich glaube nicht, dass das etwas an unserer Herangehensweise oder an unserer grundsätzlichen Einstellung gegenüber der Band, in der wir spielen, geändert hat.
Daniel: Nee, gar nicht. Aber es ist auch nicht egal.

Es ist also schön, gemocht zu werden?
Daniel: Von den richtigen Leuten schon, ja. Es soll nicht so klingen, als ob wir das deswegen machen. Wir lassen uns davon nicht beeindrucken, aber zu sagen, das wäre uns scheißegal, wäre auch gelogen. Es ist immer noch ein DIY-Projekt, womit wir kein Geld verdienen, aber es trägt sich selber und wir können machen, was wir wollen. Wir haben völlige Freiheit, etwa was die Platte angeht, die Covergestaltung. Das ist schon geil. Und ja, es ist schön, dass man Bestätigung kriegt. Es wäre ja auch komisch, wenn man das nicht so empfindet, deswegen macht man es ja auch.
Carsten: Wir haben keinen Erfolgsdruck. Wir machen das, worauf wir Bock haben, und das scheint zu funktionieren. Das ist schön. Und wenn es mal abflauen sollte, dann würden wir nicht überlegen, was können wir besser machen, damit es besser ankommt. Das muss ja in erster Linie uns gefallen. Das ist es auch, glaube ich, was die Leute mögen, also dass man zu 100% dahinter steht.
Daniel: Die Erwartungshaltung zum zweiten Album war schon eine andere und die ist auch jetzt wieder anders. Also von uns an uns selbst. Wenn du vorher gar nichts gemacht hast, erwartet auch keiner was. Den Unterschied habe ich schon gemerkt. Am Anfang hatten wir noch nichts zu verlieren, wobei ich das so pathetisch gar nicht sagen möchte. Spätestens da wussten wir, dass es tatsächlich auch ein paar Leute gibt, die sich das anhören. Das wussten wir vorher nicht.
Carsten: Auch bei den diversen Bands davor gab es eine Erwartung an einen selbst, dass sich das ein bisschen weiterentwickeln muss. Man muss also selber damit gut klarkommen, was man da macht, und versuchten, das zu toppen und besser zu machen. Aber das hat keine Auswirkung auf das Songwriting gehabt, finde ich.
Daniel: Das Grundkonzept haben wir weiterentwickelt.

Inwiefern? Was ist heute anders als beim ersten Album?
Daniel: Wenn du dir das Artwork anschaust, sieht man eine ganz klare Entwicklung bei uns. Das gehört zum Konzept dazu. Das Artwork ist so wichtig wie alles andere. Wir haben Andrew, der das macht, und holen uns nicht jemanden von außen dazu.

Andrew, was von dem, was man jetzt auf diesem sehr detailreichen Klappcover sieht, ist „passiert“, was hast du im Detail geplant? Du bist ja überdies auch für die exquisiten T-Shirt-Artworks verantwortlich.
Andrew: Ich habe vor KONTROLLE schon für meine und andere Bands gezeichnet, also illustriert. Bei KONTROLLE war mir schnell klar, dass hier die Möglichkeit besteht, mal was ganz anderes auszuprobieren. Ich habe mich schon immer für Collagen interessiert und dachte, das könnte gut passen. Aber ich hätte mir nicht vorstellen können, dass das so gut funktioniert. Ich hatte damals das Artwork fürs Demo angelegt, das hat gepasst, und das für das erste Album dann ähnlich konstruiert. Ich versuche jetzt bei jedem Release für eine Weiterentwicklung zu sorgen und habe mich dadurch auch als Künstler weiterentwickelt. Der Aufwand ist immer größer geworden, gerade bei der neuen Platte. Denn sonst waren das immer digitale Collagen, und diesmal war es das erste Mal komplette Handarbeit. Ich habe also circa 500 Fotos selber gemacht, alle einzeln ausgeschnitten, zusammengeklebt und das Cover daraus gebastelt.

Wie muss ich mir das vorstellen?
Andrew: Ich habe das bei mir im Wohnzimmer gemacht – meine Freundin hat sich gefreut ... Für die Fotos bin ich durch die Stadt und durch den Park gelaufen. Es sind weniger konkrete Motive als bei den anderen Artworks. Die Motive bestehen eher aus ausgeschnittenen Flächen, bei den Fotos ging es mit teilweise nur um Texturen, ich habe also Wände, Bäume, die Straße und solche Sachen in der Innenstadt abfotografiert. Das Original hat doppelte A0-Größe ...

... also circa 1,70 m auf 2,30 m. Wie hast du das verzerrungsfrei abfotografiert bekommen, damit man es für das Album-Artwork verwenden konnte?
Andrew: Das hat Stunden gedauert ... Ich habe über achtzig Fotos gemacht und dann versucht, die zusammenzuflicken. Das hat nicht funktioniert, also noch mal, dann waren es, glaube ich, zwanzig. Aber das Artwork ist insgesamt so chaotisch, auch wenn da schon ein bisschen Ordnung drin ist, dass es nicht schlimm ist, dass hier und da ein paar Details verloren gegangen sind.

Hast du ein künstlerisches Vorbild?
Andrew: Ich mag schon seit Jahren die Sachen von Jesse Drexler, der auch viel mit Collagen arbeitet, aber ganz anders, als ich das mache. Ich habe ein paar Bücher von ihm zu Hause, das war eine große Inspiration, wobei ich meine Arbeit auf keinen Fall mit seinen Sachen vergleichen würde. Aber er arbeitet auch viel mit Fotos, die aus dem ursprünglichen Kontext genommen wurden. Er ist also ein Vorbild, allerdings erst, seit ich entschieden habe, dass ich das diesmal von Hand mache und nicht digital am Rechner.

Es gibt also drei Kreativschwerpunkte in der Band: Daniel mit den Texten, Andrew mit dem Artwork, und von Carsten weiß ich, dass er ein „Soundtüftler“ ist.
Carsten: Die Musik machen wir schon zusammen.
Daniel: Und auch der kreative Prozess läuft gemeinsam. Aber es stimmt, dass Carsten viel Vorarbeit macht, gerade mit den Synthie-Sounds.
Carsten: Auch wenn da jeder seinen Bereich hat, ist es trotzdem ein basisdemokratisches System, das wir da haben. Also jeder muss es okay finden
Daniel: Und da ist es ein Riesenvorteil, dass wir nur zu dritt sind. In anderen Bands früher haben wir teilweise Wochen für einen Part gebraucht, bei KONTROLLE geht das viel schneller.

Welche Bedeutung hat die Band für euch?
Daniel: Sie ist mir enorm wichtig, auch wenn ich in jetzt in den letzten Jahren zeitlich nicht mehr so viel reinstecken kann, wie ich das früher gemacht habe. Ich mache das, seit ich 15 bin. Musik machen ist eine Konstante in meinem Leben. Ich kenne es gar nicht anders, als eine Band zu haben. Auch wenn es zeitlich mal schwierig ist, ist es für mich undenkbar, keine Band zu haben. Das wäre nichts für mich!
Carsten: Vor BLANK habe ich es mal eine Weile ohne Band probiert. Das hat eine Woche oder so funktioniert. Das ist schon enorm wichtig in meinem Leben. Denn da passiert noch ganz viel nebenher, wir sind ja nicht nur eine Band, wir sind ja auch Freunde. Das ist für mich wichtig an einer Band. Wir sind nicht die klassische Band, die sich trifft, um zu jammen und im Proberaum abzuhängen, weil wir das, glaube ich, alle scheiße finden. Wir wollen raus, wir wollen Konzerte spielen, wir wollen unterwegs sein, wir wollen Leute treffen, kennenlernen und was da alles so dranhängt. Über ganz Deutschland, die ganze Welt hinweg kennt man nach all den Jahren viele Leute. Das hört sich jetzt sehr pathetisch an, aber das ist schon wie eine zweite Familie. Es ist ein enorm wichtiger Teil meines Lebens, da steckt viel Arbeit und viel Zeit drin. Man ist ja immer in der Band, da kommt man ja gar nicht raus! Wenn ich mit Kollegen bei der Arbeit spreche, dann fragen die mich, warum arbeitest du denn noch, du hast doch eine Band? Ja, das frage ich mich auch, hahaha.

Hat so eine Band auch eine stabilisierende Wirkung auf die mentale Verfasstheit?
Daniel: Ich glaube ja. Das funktioniert vielleicht nicht bei jedem, und es gibt bestimmt auch Leute, bei denen das den gegenteiligen Effekt hat, aber für mich ist das ein Anker. Carsten: Auf Tour zu gehen oder ein Konzertwochenende, das ist ein Rauskommen aus dem Alltagstrott, den wir alle haben.
Daniel: Das kreative Ausleben, das ist wichtig.

Was ist anders an dem Album? Ihr habt ja wieder mit Role in der Tonmeisterei aufgenommen.
Daniel: Also anders angegangen sind wir das Album nicht. Wie das wird, entscheidet sich während des Aufnahmeprozesses, hinterher sind wir selber manchmal überrascht, wie es geworden ist. Ich finde, dass das Album etwas punkiger geworden ist im Vergleich zum letzten.
Carsten: Da ist ein bisschen mehr Augenzwinkern, die letzte Platte war schon sehr ernst, aber vielleicht war das die Zeit damals, die wurde während der Corona-Zeit geschrieben und aufgenommen. Es war sehr finster und düster. Die neue ist nicht fröhlich, ich finde sie nach diversen Malen Anhören kompromissloser als die vorherige. Die ist sehr kompakt und sehr kompromisslos, sowohl textlich als auch musikalisch. Da ist jetzt noch weniger Unnötiges dran. Die ist mehr auf den Punkt. Wenn man die Entwicklung der Band vom Demo bis jetzt nachvollzieht, dann merkt man das.

Ihr habt von Anfang einen gewissen Spagat gemacht, zwischen Goth hier und Punk da. Wie werdet ihr von ersterer Szene wahrgenommen? Im Punk war Goth ja lange verpönt, das hat sich erst vor ein paar Jahren entspannt.
Daniel: So tief sind wir da ja gar nicht drin. Auf unseren Shows bekommen wir hauptsächlich positives Feedback. Das liegt aber, glaube ich, einfach am Digital-Zeitalter: Früher ist man auf ein Konzert gegangen und wusste gar nicht, was einen erwartet. Heute hören die Leute vorher rein und wenn sie das scheiße finden, gehen sie einfach nicht hin. Als wir beim WGT in Leipzig spielten, war das zusammen mit DIE ARBEIT und MESSER, das war schon eher im Gitarren-Post-Punk-Kontext. Irgendwer schrieb hinterher, wir seien ihm nicht verträumt genug gewesen. Da mussten wir schmunzeln.
Carsten: Live knallen wir im Vergleich zu den Aufnahmen noch mal eine Runde heftiger. Da ist laut und ballert.
Andrew: Dabei hatten wir fürs WGT extra ein etwas ruhigeres Wave-Set zusammengestellt, haha.
Carsten: 800 Leute fanden es gut und wir haben ordentlich Merch verkauft.

Ich mag an euch, dass es auf jeder Platte ein paar Songs gibt, die herausstechen, die Unikate sind. Allen voran euer Instant-Klassiker „Baumarkt“. Was ist der Trick, was ist der Plan?
Daniel: Da ist kein Plan. Das heißt ... der Plan ist, dass wir versuchen, die Platte abwechslungsreich zu gestalten. Hier ein bisschen minimalistischer, da ein finsterer Gruftie-Song, dort ein bisschen punkiger. Und manchmal denkt man bei einem Song, der könnte gut funktionieren. Aber wir machen das nicht strategisch. Und dass „Baumarkt“ einschlägt, hätte ich nicht gedacht.

Welche zünden live?
Daniel: „Günther“ zieht immer. Und „Karg“ auch. Und „Sitzen in der Bahn“, obwohl wir den eine Weile nicht im Set hatten.

Was bitte ist „Hüttenschnaps“? Das war Anfang August eure erste Single.
Daniel: Auf Berghütten gibt’s immer Hüttenschnaps, da kommt das her. Ich gehe im Urlaub gerne wandern.

Du äußerst dich in einem anderen Song verächtlich über etwas, das hier um die Ecke in meinem Schuppen steht ...
Daniel: Hm ... ein Laubbläser? Das ist eben so eine Alltagsbeobachtung. Ich habe einen Nachbarn direkt gegenüber, und sobald da nur ein Blatt liegt, egal zu welcher Jahreszeit, rennt der stundenlang mit diesem Ding rum. Ich finde das einfach absurd.