Ende März erscheint auf Holy Goat Records mit „Egal“ das Debütalbum der Solinger KONTROLLE, die sich in kürzester Zeit fast aus dem Nichts zu einer neuen Lieblingsband entwickelt haben. Im Sommer 2017 schickte mir Gitarrist Carsten (kennt man wie Sänger und Bassist Daniel von den Dunkel-Hardcore-Meistern BLANK) einen Song, spontan buchte ich sie als Vorband für das EA80-Konzert im September, bald darauf kam das 4-Song-Demotape. Anlässlich des ersten Albums, das mit einer Mischung aus Achtziger-Goth und dunkel-druckvollem deutschsprachigem Punk begeistert, bat ich Carsten und Daniel zum Interview ins Ox-Büro.
Für mich war die Musik, die ihr macht, immer da. Vor Hardcore habe ich JOY DIVISION und SISTERS OF MERCY gehört, doch lange Zeit musste man sich für seine Goth-Vergangenheit beinahe schämen. In jüngster Zeit hingegen sind eine Menge neuer Bands entstanden, die diesen Wave/Goth/Post-Punk-Sound spielen, und werden veröffentlicht auf Labels, die sonst eher typischen Hardcore rausbringen.
Daniel: Keine Ahnung, wo das plötzlich herkommt. Offenbar haben wir da einen Nerv getroffen.
Carsten: Das gibt es doch immer wieder, dass solche alten Sachen neu aufgekocht werden. Also dass Altes neu verpackt wird. Diesen reinen Wave-Kram, den gab es ja immer, dafür gibt es eine Szene und in die schauen wir gerade so ein bisschen rein, werden auch von solchen Bands kontaktiert.
Diese Szene, für die für mich stellvertretend das Wave-„Gotik“-Treffen in Leipzig steht, ist dann aber doch eine andere als jene, aus der ihr kommt.
Carsten: Diese reine Wave-Szene ist für mich vergleichbar mit der typischen Heavy Metal-Szene, irgendwelche Büroleute, die sich in ihrer Freizeit verkleiden und die sich vor allem dadurch unterscheiden, dass sie keine Popmusik hören.
Daniel: So reiner Wave wird im DIY-Kontext doch heute noch ausgelacht, der begegnet einem in diesem Umfeld eher selten. Und ich glaube, deshalb funktioniert das für uns so gut. Wir machen diese Musik, aber unser Punk- und Hardcore-Hintergrund lässt sich nicht verleugnen. Und ich glaube, so viele Bands, die das in der Form machen wie wir, gibt es gar nicht. Aber so genau kenne ich mich da auch nicht aus.
Carsten: Ich bin eher verwundert, was heutzutage so alles als Post-Punk und Wave durchgeht. Manchmal höre ich da Sachen und frage mich, was das sein soll.
Daniel: Das ist ein riesiges Feld, von Neunziger-Screamo mit etwas Rock’n’Roll-Einschlag bis zu richtigem Gruftzeug ist heute alles Post-Punk.
Wie kam ihr auf die Idee, parallel zu eurer gemeinsamen anderen Band BLANK noch eine weitere zu gründen?
Daniel: Die Idee gab es schon ewig, wir beide machen schon sehr lange zusammen Musik, seit 1998 oder 1999. Als Bierlaunengelaber gab es die Idee für so eine wavige Band schon seit Jahren und im Frühjahr 2017 haben wir das dann mal in die Tat umgesetzt.
Carsten: Wir wurden quasi dazu gezwungen. Im März 2017 saßen wir dann in der Kneipe, unser späterer Schlagzeuger Andrew war mit dabei, und der hörte uns zu und fragte dann, ob wir schon einen Schlagzeuger hätten. Hatten wir nicht, und er sagte, er wolle das machen. Am nächsten Tag fragte er schon, wann wir proben, und plötzlich kam Dynamik in die Sache. Gleich bei der ersten Probe hatten wir einen Song fertig und seitdem läuft das.
Das erste Konzert war Ende September 2017 mit EA80 im Solinger Waldmeister.
Carsten: Dafür nahmen wir ein paar Songs auf, um sie auf Bandcamp zu stellen, und da hatten wir gleich am ersten Tag über tausend Hits. Keine Ahnung, woher das Interesse kam, und dann machte Ralf von Holy Goat Records von den vier Songs des Demos ein Tape. Die hundert Stück waren dann auch in ein paar Wochen weg.
Daniel: Eigentlich sollte das so ein Projekt sein, das nebenher läuft, wir hatten da gar keine Vorstellungen. Wir wollten das erst mal ausprobieren, hatten uns gar keine Gedanken gemacht über Konzerte oder Aufnahmen. Und dann hat das so eine Eigendynamik entwickelt.
Welche gemeinsamen Vorstellungen hattet ihr denn in musikalischer Hinsicht?
Carsten: Wenn wir mit BLANK hier in der Gegend gespielt haben, lief das immer darauf hinaus, dass wir hinterher bei mir noch eine „Aftershow-Party“ gemacht haben. Da lief oft die gleiche Musik, es wurden immer die gleichen Lieder mitgesungen, und meine Freundin sagte dann mal zu mir, Daniel habe voll die gute Wave-Stimme, der müsste mal was in der Art machen. Daraus entstand das, aber wir hatten keine Ahnung, was daraus werden würde.
Daniel: Ich könnte jetzt die üblichen Bands aufzählen wie JOY DIVISION oder THE CURE, aber so 1:1 klingen wir ja nicht.
Carsten: Zuerst war nur Bass, Gitarre und Schlagzeug geplant, der Synthesizer kam erst später dazu. Zuerst hatten wir auch überlegt, ob das so in Richtung neuerer Bands wie CHAIN OF FLOWERS gehen könnte. Das mit den Synths kam dadurch, dass wir anfangs mit dem Drumcomputer geliebäugelt hatten, das dann aber für Andrew so nicht umsetzbar war. Dann habe ich mir diesen Sampler geholt und herumprobiert, und so kam dieser wavige Einschlag dazu und das passte wie Arsch auf Eimer.
Deutsche Texte zu solcher Musik sind eher ungewöhnlich, von den frühen deutschen NDW/Wave-Klassikern mal abgesehen. Englische Texte sind in dem Genre üblicher.
Daniel: Das ist eine ganz pragmatische Überlegung: Ich kann besser Deutsch als Englisch. Ich habe es auf Englisch ausprobiert, aber ich kann da nicht so gut rüberbringen, was ich sagen will. Also habe ich es auf Deutsch versucht und ich bekomme nur positives Feedback. Zuletzt hatte ich in einer Schülerband gesungen, das ist lange her, und ein paar wenige Songs bei IDEOBLAST. Ich hatte einfach wieder Bock drauf.
Erstaunlich ist, dass ihr mit eurer anderen Band BLANK eigentlich etablierter seid, das Feedback auf KONTROLLE jedoch gefühlt viel größer ist, wie ihr mir erzählt habt.
Carsten: BLANK sind noch mehr „Spartenmusik“ als KONTROLLE. Da haben wir unsere Nische gefunden, aber KONTROLLE sind etwas „massenkompatibler“, wohl auch durch die deutschen Texte. BLANK werden für uns beide weiterhin eine große Rolle spielen, aber da wir da zu fünft sind und bei KONTROLLE nur zu dritt, ist es da viel einfacher, Konzerte zu spielen – bei beiden Bands arbeiten alle Vollzeit. Und sogar das Songwriting ist zu dritt einfacher, in einem Jahr haben wir eine gute Stunde Material geschrieben.
Daniel: Dafür brauchen wir bei BLANK drei oder vier Jahre. Und für die BLANK-Kollegen ist das okay, die haben oder hatten ja auch schon Nebenprojekte.
BLANK sind anstrengender, live wie auf Platte. KONTROLLE mit den vertrauteren Songstrukturen machen es einem einfacher.
Daniel: Das ist durchaus Absicht und deshalb geht es auch so schnell. Minimalismus, Struktur, Einfachheit in der Musik und bei den Texten kryptisch bleiben – das ist Konzept.
Carsten: Ich bereite Songs zu Hause vor und komme damit zur Probe und merke dann, dass ich immer wieder in alte, komplizierte Denkmuster verfalle. Und Daniel erhebt dann Einspruch. Das ist schon ganz anders als BLANK, gesangs- und textorientierter. Ich finde die andere Arbeitsweise sehr erfrischend.
Sprechen wir doch mal über die Songs und Texte. „Ich volk mich um“ zum Beispiel.
Daniel: Ich tue mich schwer damit, meine eigenen Texte zu erklären. Es gibt einen sehr geilen Postillon-Artikel über einen Kevin aus Bischofswerda oder so, der sich viel über die Umvolkung beklagt hat und dann durch den Syrer Yussuf oder so ersetzt wurde. Da habe ich sehr gelacht. Entsprechend ist „Ich volk mich um“ schon eine recht konkrete Stellungnahme. Und die anderen ... ach, alles ist politisch, es gibt keine „Unpolitik“. Was soll das sein? Das konnte mir noch nie jemand erklären. Auf Parolen und Slogans habe ich aber auch keine Lust. Gar keine Haltung an den Tag legen, ist aber auch Scheiße. Von daher: Umvolkung? Ja geil, ich bin dabei!
Baumärkte sind verblüffende Habitate. Anlässlich von „Baumarkt“ deshalb die Frage: Dein letztes Baumarkt-Erlebnis?
Daniel: Ich war da gestern, habe Laminat geschleppt und jetzt habe ich Rückenschmerzen. Wenn man zwei Meter groß ist, dünn und über vierzig, muss man da aufpassen. Immer aus den Knien heben! „Baumarkt“ wird unser Hit werden. Im Baumarkt gibt es unglaublich viele Dinge zu sehen. Der Hintergrund ist, dass wir auf Tour nur Pappkartons für unsere T-Shirts hatten, dann kamen wir in den Regen und die waren völlig durchweicht. Also wollten wir in den Baumarkt und schicke Plastikboxen kaufen, aber wir fanden keine, das war der Auslöser des Textes.
Auffallend ist die schöne Gestaltung eurer Veröffentlichungen und Shirts.
Daniel: Dafür ist unser Schlagzeuger Andrew verantwortlich, der macht das beruflich. Der ist nicht nur menschlich und als Schlagzeuger ein Glücksgriff, sondern auch in dieser Hinsicht.
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