KARL NAGEL

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Kein Hass da

Karl Nagel im Kurzdurchlauf: Jahrgang 1960, kommt aus Wuppertal, früh Punk geworden, aber auch Comic-Fan, Fanzine-Macher („Hackfleisch“), Chaostage-Besucher und -Promoter, Aktivist und Kanzlerkandidat der Anarchistischen Pogo Partei (APPD), Sänger von MORBID OUTBURST und MILITANT MOTHERS (damals) sowie KEIN HASS DA (heute), vermeintlicher Überläufer ins rechte Lager, Programmierer, Vater, Betreiber des Comic-Verlags Alligator Farm und seit April 2009 auch Ex-Comic-Magazin-Herausgeber. Denn mit „Die! Oder wir“ hatte er versucht, am Kiosk in großer Stückzahl ein stark punk-infiziertes Heft mit vielen bunten Bildern zu etablieren, das allerdings dem Handel ein Dorn im Auge war, von wegen Gewaltverherrlichung. Die Folge: Ermittlungen des Verfassungsschutzes (!) und ein letztlich abgewiesener Indizierungsantrag bei der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien. Ausreichend Themen also, um sich an einem Frühlingstag im Garten des Ox-Büros für ein kleines Interview zusammenzusetzen – zu einem Zeitpunkt, da die Entscheidung, „Die! Oder wir“ aus gesundheitlichen Gründen einzustellen, noch nicht gefallen war.

Du hast im März die erste Ausgabe von „Die! Oder wir“ – vorher gab es eine Null-Nummer – wieder vom Markt genommen, denn das Titelbild mit dem Satz „Schüler laufen Amok – Lehrer im Schussfeld“, das vor dem Amoklauf von Winnenden entstanden war, fanden die Zeitschriftenhändler nicht lustig. Dass ein Heft ohne Indizierungsbeschluss vom Markt gedrängt wird, nur weil es dem Handel nicht gefällt, ist presserechtlich eine harte Sache und eine spezielle Form von Zensur.

In einem Artikel im Spiegel über den Fall stand, es sei das erste Mal seit dem Zweiten Weltkrieg, dass so etwas geschehen ist. Aber ich selbst kann das nicht beurteilen.

Ich erinnere mich an den „Fall Spex“ aus dem Jahr 2000: In einer Anzeige des Majors Universal für das neue Album von MARDI GRAS.BB war ein junger Mann beziehungsweise dessen Penis zu sehen, mit der Folge, dass die Gesamtauflage aus dem Handel genommen und vernichtet werden musste.

Der Unterschied ist aber, dass der Fall in Sachen Spex klar war: Pornografie, das ist nicht erlaubt. Bei uns ist das aber nicht eindeutig. Und außerdem war an unserem Vorgang kein Rechtsorgan beteiligt, da hat kein Staatsanwalt irgendwas gesagt, sondern das ist ein typischer Fall von Selbstzensur. Nein, da sagte nur jemand, dass deshalb ein Staatsanwalt ein Verfahren eröffnen könnte, und daraufhin wurde wegen der Einschätzung, das Heft könnte als jugendgefährdend eingestuft werden, der freie Verkauf eingestellt. Das Heft ist also nur an ganz wenigen Kiosken verkauft worden.

Das Cover war aber natürlich nach dem Amoklauf von Winnenden recht hart ...

Wir waren nicht darauf aus, so eine Reaktion wie den Verkaufsstop zu bekommen. Natürlich provoziere ich immer gerne, aber die Intention des Heftes war eben nicht Gewaltverherrlichung. Unsere Geschichten sollten durch ihre Inhalte wirken, nicht über Gewalt oder Pornografie. Dass da auch mal Sexualität oder Gewalt eine Rolle spielt, liegt aber eigentlich auch in der Natur der Sache. Aber einfach die übliche Mischung aus Titten und Knarren aufs Cover, das hätten wir nicht gemacht. Und wir hatten ja auch selbst boulevardmäßig an ein paar Stellen noch so eine Art Sticker über ein paar Stellen platziert, in der Art von „Wir zeigen ihnen das entsetzliche Video NICHT, wie der perverse Mann das kleine Kind vergewaltigt!“ Da ist die Wortmalerei schon deutlich genug, da muss man gar nicht mehr sehen, was da beschrieben wird. Uns ging es also um diesen Boulevardcharakter, und ich denke, das ist uns auch gelungen. Sowieso ist die Gewalt in unserem Heft nichts gegen das, was Kinder bei den „Simpsons“ in den „Itchy & Scratchy“-Clips zu sehen bekommen.

In der Folge des Vertriebsstops der Zeitschriftenhändler bekam dann auch der Comic-Vertrieb kalte Füße. Das ist ja wirklich lächerlich, oder? Die müssen doch wissen, wie lachhaft solche „Verbote“ sind.

Ich habe denen keine Vorwürfe gemacht, ich mag es nicht, auf Leute moralischen Druck auszuüben. Ich bat darum, sich das Heft noch mal anzuschauen und sich zu entscheiden, ob man mit dem möglichen Ärger leben will – oder es eben aus dem Programm zu nehmen. Es muss ja nicht jemand anderes ein Risiko tragen, für das ich verantwortlich bin. Andererseits fragt man sich schon, warum Leute so ein Heft als so schlimm ansehen. Na ja, was soll’s, wir haben mit dem Heft eben einfach Pech gehabt, wir konnten ja nicht ahnen, dass zum gleichen Zeitpunkt mal wieder ein Irrer einen Haufen Leute abknallt. Und dabei geht es in unserer Story ja weniger um einen Schüler, sondern um die ganzen Automatismen, die bei so was ablaufen. Weshalb wir ja auch den Lehrer zum Täter gemacht haben.

Die Frage ist ja auch, inwiefern eine Gesellschaft angesichts eines solchen Amoklaufs ihr Verhältnis zur Gewalt, zu Waffen, zum Umgang damit diskutieren sollte. Und Jugendliche, speziell Jungen, sind eben generell von Gewalt fasziniert, heute hat doch fast jeder Sechzehnjährige entsprechende Ballerspiele auf dem Rechner.

Ich war mit fünfzehn, sechzehn total fasziniert von den gewaltsamen Protesten gegen das Atomkraftwerk in Brokdorf, und wenn man dann die Chance bekommt, irgendwo mitzumachen, wo du zeigen kannst, dass du auch ein toller Hecht bist, dann bist du dabei, dann steigerst du dich in irgendwas rein. Ich kann für mich nicht ausschließen, dass mir nicht auch Schlimmeres passiert wäre in dem Alter, aber bei mir kam dann zum Glück Punk, das hat mich gerettet, denn davor war ich ganz schön schräg in der Birne. Dadurch konnte ich viele Sachen ausleben, während ich vorher viel vor mich hin gebrütet habe. Ja, ich war ein seltsamer Vogel, ich weiß ja, wie ich drauf war, wie ich aussah – ich kann verstehen, wieso nicht so viele Leute auf mich Bock hatten. Es ist ja leicht, zu sagen, man müsse sich mehr umeinander kümmern, aber wenn du im Alltag jemandem begegnest, den du als Nervensäge empfindest, dann gehst du schnell weiter. In unserer Gesellschaft werden aber durch diesen Druck – und ohne dass ich eine Lösung kenne – massig Kaputte produziert. Und ein paar davon haben eben die Möglichkeit, an Waffen ranzukommen. Dagegen kann man leider nichts machen. Und vielleicht war dieser Typ in Winnenden ja auch so drauf, saß da, hat vor sich hin gebrütet, und dann hat er sich gesagt, mein Vater hat ’ne Knarre, jetzt mach ich alle fertig.

Nun bist du aber jemand, der auch immer gerne seine Nase rausstreckt, anstatt sich im Hintergrund zu halten. Ich erinnere mich auch an einen Auftritt von MORBID OUTBURST Ende der Achtziger, als du mit wilden Haaren, die aber an einer Seite fast abrasiert waren, und halbem Bart auf der Bühne wie ein übler Psycho gewirkt hast. Mich hat das beeindruckt. Eine gewisse exhibitionistische Neigung scheinst du also zu haben.

Ja, die habe ich. Für mich war Punkrock nicht das Ding, wo ich so sein wollte wie alle anderen Punkrocker, sondern wo ich endlich mal die Sau rauslassen konnte. Und wenn ich auf irgendwelchen Websites Sätze lese wie: „Der Nagel hat doch nichts mit Punk zu tun, der will doch nur provozieren!“, dann fass’ ich’s nicht. Aber ich musste mir schon Anfang der Neunziger anhören, ich sei ja voll das arrogante Arschloch, ich wolle nicht so sein wie die anderen Punks und mich von der Masse abheben. Der, der das sagte, hatte es einfach nicht verstanden, denn natürlich will ich aus der Masse herausragen, ich will nicht so sein wie andere. Und so was werfen mir Leute vor, weshalb ich mit vielen Aspekten der Punk-Szene nichts mehr zu tun haben will. Sollen die doch in ihrem Sandkasten spielen, ich mache das ja auch. Ich mache immer nur die Dinger, auf die ich Lust habe, und mit denen gibt es regelmäßig Krawall, obwohl ich eigentlich gar nicht scharf darauf bin.

Mit dem Feuer zu spielen macht einfach Spaß.

Ja, das macht Spaß. Ich habe als Kind schon gerne Mülleimer angezündet und all solche Scheiße gemacht – im Hinterhof bei uns habe ich ein Sofa angezündet, wie dämlich, als ob man mich da nicht erwischen würde. Und natürlich hat man mich erwischt. Ich bin ein dummer Idiot, der Spaß am Feuermachen hat. Immerhin versuche ich, das Feuer immer so zu machen, dass es an der richtigen Stelle brennt. Aber eigentlich bin ja nur ein Comic-Fan, und wer Comics kennt – ich rede nicht von „Micky Maus“ –, der weiß, was ich meine.

Du meinst ...

... Marvel Comics, ganze Planeten, die explodieren, Typen mit Superkräften, die durch die Luft fliegen, so was. Ich finde es lustig, im übertragenen Sinne Sprengsätze zu legen, und dann geht es rund. Das hat nichts mit Gewalt, mit Verletzungen zu tun, es ist einfach der Spaß, etwas abzufackeln. Und ich habe Spaß daran, Menschen zu provozieren, die es sich bequem gemacht haben in ihrem argumentativen Ghetto – ich zündle also nicht nur bei den bösen Feinden, sondern auch bei den eigenen Leuten, und da macht es mir eigentlich am meisten Spaß, Krawall zu schlagen.

Siehe Chaostage.

Zum Beispiel. Da habe ich mich ja in Hannover bei manchen Leuten unbeliebt gemacht, die ihre Infrastruktur, ihre Übungsräume und so im Gefahr sahen. Das waren aber auch die Leute, die am 1. Mai gerne nach Berlin gefahren sind, um selbst Krawall zu machen. Bei ihnen vor der Haustür wollten sie das aber nicht haben, und deshalb war ich das große Arschloch, das das alles angezettelt hat, obwohl ich eigentlich alt genug sein müsste, um das besser zu wissen. Aber Berlin ist natürlich in Ordnung ... Wenn ich also eine Möglichkeit habe, solche Leute vor den Kopf zu stoßen, dann tu ich das auch.

Eine derbe Provokation in diese Richtung war natürlich auch dein inszenierter Überlauf ins rechte Lager im Jahr 2001.

Das habe ich nur gemacht, weil man mir vorgeworfen hat, ich würde irgendwelche Spiele immer nur auf Kosten anderer zu machen. Und so habe ich dann mal auf meine Kosten gespielt, um zu sehen, was sie dann sagen. Mit der Folge, dass die gleichen Leute behauptet haben, ich würde ja gar nicht spielen, sondern sei nach rechts übergelaufen. Ich habe mich damals – ich mache ja keine halben Sachen – wirklich mal mit Christian Worch getroffen, mir eine rechte Demo mal aus der Nähe angeschaut. Ich wollte wissen, wie solche Dinge im Detail, aus der Nähe funktionieren. Es hat mir eine Menge Ärger gebracht, aber ich bereue absolut nicht, es gemacht zu haben, denn mir sind da viele Lichter aufgegangen, wie verschiedene Dinge funktionieren. Erinnerst du dich noch daran, wie NOFX damals in Frankfurt mit Bierflaschen von der Bühne geworfen wurden? Da hieß es, die hätten sexistische Texte, und alle haben mitgeschrien und mitgeworfen. Und dieses Spiel, erst mal jemanden zum Untermenschen zu machen, und dann schreien alle mit „Haltet den Juden!“, dieses Hetzverhalten, dieses Draufhauen ohne Gewissensbisse, nachdem sich jemand als „Schwein“ offenbart hat, ist meiner Meinung nach bei den „Guten“ nicht weniger ausgebildet als bei den Bösen. Als ich mich damals also mit Nazis getroffen habe, ging es mir darum, zu verstehen, wie die drauf sind, ich wollte das kapieren, und ich hatte was gegen den Automatismus, dass man mit Nazis nicht zu reden hat. Mit der Folge, dass ich reichlich Drohbriefe bekam à la „Wir brechen dir die Beine“.

Du lebst in einer Beziehung, hast ein Kind – da gibt es, so vermute ich, auch jemanden in deiner Umgebung, der auch mal sagt: „Jetzt reicht’s, hast du denn sonst keine Probleme?“

Wer sich meine Biografie mal anschaut, der sieht, dass es da immer wieder Löcher gibt, und das waren die Phasen, wo ich mal keine Lust hatte, irgendwas zu machen. 1999 etwa hatte ich keine Lust, die Welle zu machen, da habe ich den ganzen Tag lang nur gezeichnet, und solche Phasen werden immer wieder kommen. Zu meiner Gattin kann ich nur sagen, dass sie langjährige Titanic-Leserin ist und mich vor zwanzig Jahren über die APPD kennen gelernt hat. Die findet nicht alles gut, was ich mache, aber wir kommen klar.

Zurück zu den Comics, die ja wohl deine wichtigste Inspiration sind. Wann kamst du erstmals damit in Verbindung?

Ich muss so ungefähr sieben gewesen sein, und da stieß ich auf „Fix & Foxi“. Ich fand aber auch „Donald Duck“ klasse, hatte von Anfang einen Hang zum Trivialen, mir haben die einfachen Dinge Spaß gemacht. Ich komme auch nicht aus einem bürgerlichen Haus, vielmehr sind wir so ganz knapp am Asozialen vorbeigeschrammt. Die Schwester meines Vaters hat in der Obdachlosensiedlung gewohnt, und mein Vater hat es geschafft, sich totzusaufen. Und da waren Comics das Richtige, um meine geistige Gesundheit zu bewahren – Fluchtliteratur. Wenn du als Zehnjähriger nicht fliehen kannst, ist es ganz gut, wenn du dich ein paar Allmachtsfantasien hingeben kannst. Das fing mit Comics an und ging dann mit „Schundheften“ wie „Perry Rhodan“ weiter. Ich stellte mir mit zwölf vor, wie es gewesen wäre, wenn ich den Zweiten Weltkrieg gewonnen hätte, spielte römische und griechische Kriege nach und hatte jede Menge Kriegsspielzeug. In Sport war ich übrigens eine absolute Niete. Comics waren für mein Seelenheil einfach enorm wichtig, und sie waren auch immer da, auch als dann so mit dreizehn, vierzehn die Musik dazu kam: SLADE, SWEET, Alice Cooper ... Das hatte schon Punk-Elemente, dieses Destruktive war da auch enthalten. Ich habe dann schon früh ein Comic-Magazin gemacht, so ein Heft zum Thema Comics, Zeichnen und Illustration, bis ich merkte, dass ich mich da zu sehr eingegraben habe. Und so habe ich das nach einem halben Jahr wieder aufgegeben, das war 1981. Ich fuhr dann nach Berlin, habe ein bisschen Steine geschmissen, habe meinen Job gekündigt. Ich hatte Industriekaufmann gelernt, nach der Ausbildung noch zwei Monate gearbeitet, und das war’s. Ab da habe ich dann auch meine Optik geändert und keine Gelegenheit ausgelassen, die zu mir passte, um die Sau rauszulassen. Damit meine ich allerdings nicht Drogen oder Alkohol, denn ich hatte ja bei meinem Vater gesehen, wie das endet, und wusste, dass das nicht mein Weg ist. Ich bin auch kein Stück selbstdestruktiv, ich spiele einfach nur gerne, was natürlich damit enden kann, dass ich auch mal auf die Schnauze bekomme. Ich bin halt ein kleiner Gefahrensucher, bin früher in Hannover zu Fußballspielen gefahren und habe mir vor Ort angeschaut, was die Hools so machen. So was kann natürlich auch nach hinten losgehen ...

Wie ging das dann mit deiner Comic-Leidenschaft weiter, was hat dich später bei Comics inspiriert?

Neuere Comics interessieren mich nicht mehr groß, ich stehe auf die alten, klassischen Handwerker wie Jack Kirby mit „Die Fantastischen Vier“. Ebenso Will Eisner und die Sachen von EC Comics, die ja damals aus ähnlichen Gründen auf dem Index jugendgefährdender Schriften landeten, wegen denen man jetzt unser „Die! Oder wir“ kritisiert. Die haben Grenzen ausgereizt, sich mit dem Thema Krieg beschäftigt, mit Kindern, die ihre Eltern umbringen, und so weiter. Themen also, mit denen eine Heile-Welt-Gesellschaft nicht klarkam, auch wenn das damals nicht so hart war wie unsere Storys heute. Aber die Welt ist heute auch eine andere. Es geht mir aber weniger um bestimmte Zeichner, als eher um so ein bestimmtes „Comic-Gefühl“, dass man spielen kann, Knöpfchen drückt und schaut, was passiert, sich eben nicht von Eltern abhalten lässt, die einem verbieten wollen, auf dieses Knöpfchen zu drücken, weil es dann wehtut. Ich drücke dann trotzdem aufs Knöpfchen, und es tut auch mal weh, aber ich bekomme es ganz gut hin, dass es nicht wehtut.

Das heißt, dein Tun blieb bislang weitgehend folgenlos für dich.

Ich bin nie straffällig geworden, wurde nur zweimal von Nazis zusammengeschlagen, hatte auch mal eine Hausdurchsuchung sowie diverse Anzeigen, von Beleidigung bis Landfriedensbruch, aber ansonsten hat meine Bereitschaft, ins Feuer zu springen, bislang nie Probleme mit sich gebracht.

Selbst die Chaostage nicht, die du ja sehr befürwortet hast.

Man warf mir ja vor, ich hätte da im Hintergrund im Verborgenen etwas getan. Also machte ich es öffentlich, und dann hieß es, ich wolle mich wichtig machen, sei patriarchalisch und faschistoid, woraufhin ich mich dann selbst zum Opfer machte mit dieser Nazi-Nummer. Danach hatte ich die Schnauze aber auch voll, merkte, dass ich ausreichend bewiesen habe, dass da draußen viele Idioten herumlaufen. Das macht das Leben aber auch nicht schöner. Kurz darauf sagte mir meine Freundin dann, dass sie schwanger ist, und damit begann 2002 eine ruhige Phase, man hörte nicht viel von mir, ich musste nicht die Sau rauslassen.

Von irgendwas musst du aber all die Jahre doch auch gelebt haben – und dich auch heute noch über Wasser halten.

So genau kann ich das nicht sagen, denn das könnte mich um die Finanzquellen bringen. Ich habe mit Sicherheit kein Geld mit der APPD verdient, auch wenn mir das vorgeworfen wurde – das Gegenteil ist wahr. Seit der Auflösung der APPD 1999 habe ich ungefähr 10.000 Euro dadurch verloren, dass ich irgendwelche Schulden zurückzahlen musste oder irgendwem seine erlassen habe. Ich habe schon immer als Programmierer gearbeitet, Datenbanken und so, und da kann man als Freiberufler ganz gut verdienen. Und wenn ich dann Kohle hatte, habe ich die wieder in irgendwelche Projekte reingesteckt, manchmal auch mit der Hoffnung, dann auch was damit verdienen zu können, doch letztlich habe ich nur Geld verloren. Vor zwei Jahren stieg ich dann aus dem ganzen APPD-Ding aus, weil es wieder hieß, ich wolle nur Geld damit verdienen. Ein paar Leute haben einfach nicht verstanden, dass ich damals ja meine Miete auch von irgendwas bezahlen musste, nachdem ich mein ganzes Geld in die Sache gesteckt hatte. Und dafür verkaufte ich eben T-Shirts. Aber schon die drei Euro, die ich da umgerechnet pro Stunde verdient hatte, war anderen zu viel. Und so müssen sie sich jetzt eben jemand anderen suchen, der für sie den Arsch hinhält – nur haben sie bislang keinen gefunden, denn wer das macht, der ist irgendwann durch. Ich war da jedenfalls zum Schluss echt kaputt und wollte mich erst mal um was anderes kümmern.

Und daraus wurde „Die! Oder wir“.

Genau. Zwischenzeitlich habe ich ordentlich gearbeitet und meine Kasse gefüllt, und so habe ich eben Comics gemacht, um die Kohle wieder zu verballern.

Mit KEIN HASS DA hast du auch seit einer Weile wieder eine Band – eine BAD BRAINS-Coverband.

Ich hatte vor siebzehn Jahren aufgehört, Musik zu machen, weil mir das ganze Geschwalle drumherum tierisch auf den Geist gegangen ist, alle Musikmagazine inklusive des Ox sowieso – ob zu Recht oder zu Unrecht, war da gar nicht die Frage. Man dachte die ganze Zeit nur über so Dinge nach wie die Frage, wem man die Platte schickt, wer ein Interview machen könnte, und so weiter. Du bist ein kleiner Unternehmer, der sich Gedanken darüber macht, wie er seine beschissene kleine Plastikscheibe so unters Volk bringen kann, dass die Leute denken, es sei mehr als eine kleine Plastikscheibe. Das hing mir irgendwann zum Hals raus, denn auch wenn es Punkrock ist, bist du im Showbusiness angekommen. Auf all diese Spielchen habe ich heute keine Lust mehr, ich mache die Band nur, weil ich die BAD BRAINS immer klasse gefunden habe, trotz aller Punkte, die man an ihnen kritisieren kann. Und so kam die Idee auf, die Songs zu singen, ohne Texte und damit Geschichten nachzusingen, die gar nicht deine sind. Ich will also nur spielen, um eine Gelegenheit zu haben, diese Musik zu machen, ohne das ganze Drumherum.

Was wird die nächste Zukunft bringen?

Ich muss mich zum einen einem Indizierungsverfahren bei der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien stellen, zum anderen hat der Verfassungsschutz in Bremen bei der Kripo in Bremen Anzeige gegen mich erstattet, wegen des Zeigens von verfassungswidrigen Symbolen. Wir haben in dem „Die! Oder wir“-Heft ein paar unkenntlich gemachte Hakenkreuze und SS-Zeichen drin, plus ein durchgestrichenes Hakenkreuz mit „Nazis raus!“-Schriftzug darunter und ein LANDSER-Logo. Wenn ich Nazis darstelle, wie die sich bewegen, wie die drauf sind, wenn die Nazis sich unterhalten und Sätze loslassen wie: „Ist doch alles nur Judenpropaganda!“, dann soll das nicht gehen? Soll ich die Nazis denn reden und aussehen lassen wie Durchschnittsbürger Mitte dreißig? Ich weiß, wie die reden, wie sie aussehen, ich wurde selbst als Jude beschimpft, als man mich zusammengeschlagen hat – und so was darf ich nicht in einem Comic darstellen? Sorry, aber dann lasse ich mich eben dafür verurteilen.

Der Verfassungsschutz soll ja die Verfassung schützen – im Umkehrschluss kann man also sagen, dass die der Meinung sind, mit deinem Comic würdest du die Verfassung bedrohen?

So ist es. Die behaupten, von uns würden extremistische Auffassungen vertreten werden, und dass das Heft extrem jugendgefährdend sei, weshalb es nicht in den freien Verkauf gelangen dürfe und sie das Heft bei der Bundesprüfstelle angezeigt haben.

Nachtrag

Karl, vor kurzem war die Verhandlung vor der Bundesprüfstelle. Wie ist die ausgegangen?


Die Bundesprüfstelle hat am Ende entschieden, dass DOW nicht „jugendgefährdend“ ist. Damit dürften sich auch die Ermittlungen der Kripo erledigen – hoffe ich! Recht überzeugend dürften u.a. Statements diverser Leute gewesen sein, u. a. Martin Sonneborn (Titanic), Dietrich Kuhlbrodt (Oberstaatsanwalt a.D. und Mitglied der FSK) und Jamiri (Comiczeichner u.a. bei Spiegel Online). Trotz dieses Erfolges muss ich das Heft aber leider einstellen. Der mit der drohenden Indizierung verbundene Stress hat mir irgendwie in den letzten Monaten den Rest gegeben. Zuviel sitzende Arbeit, kaum Bewegung, Schlafmangel, jede Menge Stress, das habe ich alles nicht mehr wegstecken können und teilweise sehr unangenehme gesundheitliche Folgen verkraften müssen. Ich darf einfach nicht mehr so viel auf dem Arsch sitzen, also habe ich diverse Dinge gecancelt, darunter eben DOW. Ging einfach nicht anders. Stattdessen will ich mich mehr um Musik kümmern, da kann ich mich besser austoben. KEIN HASS DA lastet mich dabei allerdings nicht wirklich aus, also werde ich mich in den nächsten Monaten mal umschauen, ob ich Leute für ein neues Bandprojekt finde.