JUSTICE

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Für eine Handvoll Riffs

Wenn es in letzter Zeit eine Band gab, die quasi aus dem Nichts kommend in der gesamten Old School Hardcore-Szene weltweit so richtig für Furore gesorgt hat, dann sind es JUSTICE aus Belgien. Innerhalb eines Jahres haben sie ein göttliches Demo und eine mehr als gute 7“ veröffentlicht, und waren auch schon in den USA auf Tour. Bei den Jungs steht bald eine US-Veröffentlichung der neuen 7“ auf Lockin‘ Out Records und danach die erste LP an, und eine „Welt-Tournee“ mit MENTAL für nächstes Jahr ist auch in Planung. Grund genug, sich mit Kevin (Bass) und Stief (Gitarre) während des Carthago-Fest in Ibbenbüren mal näher zu unterhalten. Sänger Filip war zu diesem Zeitpunkt gerade leider verschollen.

Wie seid ihr zusammengekommen? Es gibt da ja einige Gerüchte ...

Kevin:
„Wir sind vor ungefähr einem Jahr zusammengekommen, ich habe damals Filip kennen gelernt, der in einer anderen Band war. Er lebte in meiner Nähe, also sind wir oft zusammen zu Shows gefahren und haben darüber geredet, eine Band zu gründen. Wir haben schnell ein paar Leute zusammen getrommelt, und dann ging‘s los. Ende letzten Sommers haben wir dann angefangen, richtig zu proben.”
Stief:
„Zuerst war ich der Drummer, konnte das aber nicht so gut, und so spiele ich jetzt halt Gitarre. Bei der 7“ habe ich noch die Drums eingespielt, aber direkt danach haben wir Stephen von IN ARMS REACH, meiner anderen Band, ans Schlagzeug geholt.”

Wie ernst nehmt ihr eure Band? Ich meine, es ist nicht wirklich üblich, für eine europäische Band innerhalb des ersten Jahres auf eine USA-Tour zu gehen.

Kevin:
„Wir arbeiten wirklich hart. Wir proben meist zweimal die Woche, die meisten müssen weit zu unserem Proberaum fahren, Erik sogar aus Holland. Wir bringen unsere Platte selbst raus, und ich kümmere mich um das gesamte Layout und Merchandise. Das ist eine Menge Arbeit, aber wir nehmen uns selbst nicht so ernst. Die US-Tour war eigentlich ein Glücksfall für uns. Es ist nicht einfach, in den USA zu touren, besonders, wenn man noch nicht so viel veröffentlicht hat. Wir haben halt das Glück, dass wir Freunde dort haben, die uns helfen wollten, wie die Jungs von MENTAL, A.J., der unsere Tour gebucht hat, Jelle von IN ARMS REACH und Anger Management Records, der diese Tour hier gebucht hat.”

Habt ihr auf der Tour viel Geld verloren?

Kevin:
„Die US-Tour ist zwar gut gelaufen, aber natürlich mussten wir die Tickets bezahlen, die pro Person 700 Euro gekostet haben. Das konnten wir natürlich nicht wieder reinholen, außer durch viel Merch. Diese Tour läuft wirklich gut.”
Stief:
„Auf der US-Tour hatten wir am dritten Tag schon alles Merch verkauft. Es ist also finanziell wirklich gut gelaufen – wenn man die Flugtickets außen vor lässt. Die sollte man aber eh nicht mit einbeziehen, da das Ganze wie ein cooler, billiger Urlaub für uns war. Nach der Europa-Tour werden wir abrechnen, und dann sieht es sicher richtig gut aus, haha.”

Die 7“ habt ihr selbst auf Complete Control Records rausgebracht. Ist das Label nur für euch und DEAD STOP?

Kevin:
„DEAD STOP wollten ihre LP rausbringen, einige Labels waren zwar daran interessiert, aber das lief alles nicht besonders zufrieden stellend, also haben sie beschlossen, sie sie selbst rauszubringen. Und wir hatten genau das gleiche Problem, es gab da zwar ein paar coole Labels, aber wir wollten ‚complete control‘ zu haben. Sie haben ihre Platte veröffentlicht, wir unsere. Es gibt aber keinen Plan, andere Bands zu veröffentlichen, und ein ‚echtes‘ Label daraus zu machen.”
Stief:
„Es ist unser Label, Michiel von DEAD STOP und Filip haben die Kontrolle darüber, sie arbeiten hart dafür. Sie bezahlen für alles, aber jeder in der Band hat etwas dazu zu sagen, jeder entscheidet mit.”

Ich habe gehört, dass ihr eine LP veröffentlichen wollt.

Kevin:
„Ja, wir haben grade eine 7“ rausgebracht, also ist das der nächste Schritt. Die LP zu machen, wird nicht einfach, denn für die 7“ brauchten wir nur sechs Songs, aber an einer LP muss man viel härter arbeiten, damit sie gut ankommt.”
Stief:
„Ich denke an nichts anderes mehr. Es ist wie den Mount Everest zu erklimmen. Ich will oben sein, und der Blick muss perfekt sein. Die LP muss perfekt sein. Bevor wir die LP rausbringen, kommt aber noch ein neuer Song auf eine Compilation von Patrick Kitzels Label Reaper Records raus. Und wir wollen eine Split-7“ mit JUSTICE, DEAD STOP, ABUSIVE ACTION und DOWNSLIDE rausbringen, oder wir nehmen zwei Songs für eine 7“ auf, die wir vor der LP veröffentlichen.”

Was ist der Unterscheid zwischen der Tour in den Staaten und der Tour hier?

Kevin:
„Wenn du hier tourst, kriegst du Essen und Trinken und einen Schlafplatz, aber in den USA ... Im Vergleich zu dem, was man so von Bands wie MAINSTRIKE oder TRUE BLUE, die da getourt haben, gehört hat, ist es wohl besser geworden. Die haben dort nichts zu Essen bekommen, mussten im Van schlafen und die Shows waren beschissen, weil die Amis sich nicht für die Bands interessiert haben. Das hat sich wohl etwas geändert. Die Leute waren sehr nett zu uns, aber es ist da normal, dass man nichts zu Essen bekommt, und man sich um alles selbst kümmern muss. Es ist halt sehr teuer, da zu touren. Die Vans sind alle total beschissen, die Bremsen sind uns jeden zweiten Tag abgekackt.”

Wie war es denn, beim „Posi Numbers“-Festival mit so vielen guten Bands zusammen zu spielen? Habt ihr euch mehr auf andere Bands gefreut, als darüber, selbst dort zu spielen?

Kevin:
„Das war verrückt. Wir sollten eigentlich gar nicht dort spielen. Wir dachten, dass wir vielleicht kurz am Samstag spielen könnten, aber das hat nicht geklappt. Dann hat Greg uns Samstag Nacht gesagt, dass wir am nächsten Tag spielen könnten.”
Stief:
„Wir sollten am Sonntag um halb zwei spielen, während die erste Band laut Ankündigung um zwei spielen sollte. Es wusste also niemand, dass wir gleich spielen würden. Also sind wir rausgerannt und haben jedem gesagt, dass wir spielen. Im Endeffekt waren dann ungefähr 700 Leute da, das war der Wahnsinn.”
Kevin:
„Wir haben Glück gehabt, da die Leute vor zwölf aus den Hotels auschecken mussten und deswegen schon da waren. Eine Menge Kids gingen bei uns ab, und viele schienen uns zu lieben.”
Stief:
„Innerhalb von 30 Minuten war unser Merch ausverkauft. Am Tag davor hatten wir innerhalb von zwei Stunden 100 Singles verkauft, obwohl die Leute uns noch gar nicht gesehen hatten, da die Shows davor in Kanada waren.”

Eine Menge Ami-Kids haben ja extreme Vorbehalte gegenüber europäischen Bands. Was meint ihr, warum ihr da so gut angenommen wurdet?

Kevin:
„Wir haben Glück, weil wir einige Freunde dort haben. Die Amis haben halt eine komische Einstellung gegenüber Europäern, aber wenn sie dich kennen lernen, stellen sie fest, dass du auch nicht viel anders bist. DAMAGE CONTROL haben ja vor kurzem zum zweiten Mal in den Staaten getourt, und sie hatten ja auch Verbindungen dorthin, da Espen bei HANDS TIED gespielt hat. Und ich kenne Dan von Get Wise Records, durch ihn haben wir die MENTAL-Jungs kennen gelernt. MENTAL sehen ja jetzt auch, dass es hier eine sehr gute Szene mit vielen guten Bands gibt, und die Kids nicht viel anders sind.”
Stief:
„Ich denke, dass es viel mehr gute neue Bands in Europa gibt als in den Staaten. Bands wie RESTLESS YOUTH oder ABUSIVE ACTION haben viel mehr drauf als die meisten neuen US-Bands.”

Habt ihr, als es mit der Band losging, jemals erwartet, so gut anzukommen?

Kevin:
„Auf keinen Fall. Wir haben nur Blödsinn gemacht, und als wir das Demo aufgenommen haben, dachten wir, dass niemand es mögen würde.”
Stief:
„Wir mochten die Songs selbst auch nicht wirklich. Wir hatten fünf Songs, das sind alle, die auf dem Demo sind. Nur bei zweien waren wir uns sicher, dass wir sie aufs Demo nehmen können, beim Rest dachten wir, dass sie zu schlecht wären. Als wir sie aufgenommen hatten und Filip sie gesungen hatte, merkten wir, dass sie viel besser klangen als bei den Proben, die immer in den Häusern, die Kevins Mutter bewachte, stattfanden. Wir konnten überhaupt nicht spielen. Filip hatte vorher noch nie gesungen, ich hatte vorher kein Schlagzeug, und hatte mir da nur ein bisschen was beigebracht. Niemand wusste, wie wir das machen sollten, Wir erwarteten gar nichts. Die Szene war damals ziemlich langweilig, und wir hätten alles gemacht, um wieder etwas Spaß zurückzubringen. Wir haben einfach viel Enthusiasmus in etwas gesteckt, was wir mochten, und es hat den Kids gefallen. Wir haben dabei vor allem immer Glück gehabt, es hat immer gepasst, vom Demo bis zu unserer ersten Show, der 7“, der US-Tour. Das ist alles Wahnsinn.”

Die 7“ ist etwas härter als das Demo. Warum habt ihr den Sound so geändert?

Kevin:
„Wir haben einen neuen Gitarristen, und früher hat jeder mal einen Riff geschrieben, und wir haben sie einfach so zusammengefügt. Die meisten Songs auf dem Demo machen also gar nicht wirklich Sinn. Aber jetzt, wo Erik die zweite Gitarre spielt, läuft das anders. Er ist ein sehr guter Gitarrist, er weiß halt, wie ein guter Song geschrieben wird.”
Stief:
„Er ist vielleicht kein sehr guter Gitarrist, wenn es um die Technik geht, aber beim Songwriting ist er ein Genie.”
Kevin:
„Nachdem unser alter Gitarrist die Band verlassen hat, weil er eher Youth Crew-Hardcore spielen wollte, hat Erik angefangen, alle Songs zu schreiben. Ich habe früher einige geschrieben, aber Erik kann das einfach viel besser. Er hat halt einen sehr eigenen Stil.”
Stief:
„Selbst wenn Erik nicht in die Band gekommen wäre, hätten wir bessere Songs geschrieben. Nach dem Demo dachten wir, wir müssen lernen, wie man Songs richtig schreibt, und nicht einfach nur Riffs zusammenwürfeln. Das Demo war im Prinzip von vorne bis hinten reine Improvisation.”
Kevin:
„Während viele Bands immer alles so ernst nehmen, haben wir einfach versucht, Spaß zu haben. ‚Du hast einen Riff, ich habe einen, das wird ein Song‘, so lief das.”

Vielleicht war das der Grund, warum so viele Leute das Demo so gut finden ...

Stief:
„Vielleicht, aber wir können nicht einfach immer wieder die gleichen Songs schreiben.”[b]

Fotos: Sandra Drljaca