JULIAN COPE

The Modern Antiquarian

Julian Cope, geboren am 21. Oktober 1957 in Deri, Mid Glamorgan, Wales, gehört zu einer langsam aussterbenden Spezies von Musikern. Cope verfolgt seit Jahren die Umsetzung seiner exzentrischen musikalischen Ideen mit einer Beharrlichkeit, die auch auf andere künstlerische Bereiche bzw. sein komplettes sonstiges Weltbild übergreift. Ein faszinierendes Gesamtkunstwerk, das inzwischen auch in literarischer Form seinen Niederschlag gefunden hat, am bekanntesten dürfte dabei wohl sein nicht ganz unumstrittenes Buch "Krautrocksampler" über Krautrock sein.

Am Anfang seiner Karriere standen aber die ca. 1978 gegründeten TEARDROP EXPLODES, die einige Zeit richtigen Popstar-Status genossen und die Cope nach erfolglosen Versuchen, mit dem späteren ECHO & THE BUNNYMEN-Leader Ian McCulloch eine feste Band zu gründen, ins Leben gerufen hatte. Nach drei Platten verließ Cope die Band und startete mit "World Shut Your Mouth" 1984 seine Solokarriere. Von psychischen Problemen wurde er schon länger geplagt, was während einer Show zusammen mit den WOODENTOPS im Hammersmith Palais darin gipfelte, dass Cope sich mit seinem zerbrochenen Mikrofonständer den Bauch aufschlitzte und das fast mit seinem Leben bezahlte. Auch die nachfolgende, im selben Jahr entstandene Platte "Fried", wahrscheinlich eine seiner besten, auf der mit einem Schildkrötenpanzer bedeckt auf dem Cover posiert, wirft ein bedenkliches Licht auf seinen geistigen Zustand und verkauft sich darüber hinaus nicht besonders gut.
Erst "Saint Julian" 1986 mit den Singles "World Shut Your Mouth" und "Trampoline" bringt erneut den kommerziellen Erfolg, stürzt Cope aber in eine kreative Krise, woraus zwei Jahre später seine wohl schlechteste Platte "My Nation Underground" resultiert. Nach der Autobiographie "Head On" 1989, entsteht mit 1991 mit "Peggy Suicide" zum ersten Mal eine Platte, die Copes musikalischen Visionen voll und ganz entgegenkommt, und der seitdem weitere ähnlich exzellente Platten wie "Jehovakhill", "The Skellington Chronicles", "Autogeddon" oder "20 Mothers" auf unterschiedlichen Labels veröffentlichte und auch politisch aktiv ist. Nach "Interpreter" von 1996 ist "Love, Peace & Fuck" (zusammen mit zwei SPIRITUALIZED-Leuten eingespielt und unter dem Namen BRAIN DONOR veröffentlicht) sein erstes offizielles Release seit langem.

Die BRAIN DONOR-Platte ist das erste offizielle Lebenszeichen von dir seit "Interpreter". Was hast du in der ganzen Zeit gemacht?

Es stimmt, dass in Deutschland seit "Interpreter" keine Platte mehr von mir veröffentlicht wurde. Ich habe zwar einige Bücher wie "The Modern Antiquarian" über das prähistorische Britannien geschrieben und einige Platten gemacht, die aber für eine grössere Plattenfirma zu uninteressant gewesen wären und ganz sicher kein kommerzielles Potential besaßen. Sagen wir es mal so, "Love, Peace & Fuck" ist seit "Interpreter" die erste Platte mit einer wirklichen Basis.

Für mich klingt BRAIN DONOR wie eine Post-STOOGES-Band, was durchaus positiv gemeint ist. Wie siehst du das?

Ich würde eher sagen, dass es nach ASH RA TEMPEL meets THE TROGGS klingt. Es ist physisch komplexer als die STOOGES. Ich mag natürlich die STOOGES, aber BRAIN DONOR sind irgendwie aufrichtiger und wir haben dem Ganzen eine metallische Schärfe hinzugefügt, etwa wie bei VAN HALEN. Aber im Gegensatz dazu sind wir eine richtige 21st Century Band. Es ist für Leute gedacht, die Klischees mögen, denn BRAIN DONOR besteht aus Klischees, was mir sehr gut gefällt.

Apropos STOOGES, hast du eigentlich mal Iggy Pops letzte Solo-Platte gehört, da gibt es ja eine deutliche Rückkehr zum Brachial-Sound früherer Zeiten?

Nicht viel, aber das, was ich gehört habe, fand ich schrecklich. Iggy sollte lieber eine Platte machen, wo er nicht singt, eine Art meditatives Metal-Album, das wäre sicher umwerfend. Ich habe schon immer gedacht, wie toll es doch wäre, zu Iggy Pop-Musik zu meditieren. Vielleicht sollte Iggy endlich aufhören, nur mit Leuten rumzuhängen, die Fans von ihm sind. Denn jeder in seiner Nähe versucht wohl ausschließlich STOOGES-Riffs nachzuspielen.

Steckt in deiner Verarbeitung von Klischees eigentlich ein ironischer Kommentar? Ich meine, es gibt ja viele Bands, die eher unreflektiert so einen Retro-Sound fabrizieren...


Ich glaube nicht, dass meine Musik jemals ironisch war. Ich meine das völlig ernst. Du könntest auch sagen, dass AC/DC zu 90% Klischee sind, aber für mich klingt das nicht so, weil sie es so konsequent machen. Ironische Musik ist für mich eher so etwas wie die PET SHOP BOYS. Ich habe überhaupt kein Problem damit, immer wieder mit Klischees zu arbeiten und sie in einen neuen Kontext zu packen. Es ist ein interessanter Background, um damit neue Ideen zu verarbeiten. BRAIN DONOR ist wie ein Heavy Metal-Klischee, denn mit diesen Elementen arbeiten wir überwiegend. Den meisten Metal-Bands ist leider gar nicht klar, dass sie nur Klischees benutzen.

Mit Klischees arbeiten bedeutet aber nicht, dass du plötzlich Techno-Platten machst?

Auf keinen Fall, denn ich benutze eigentlich nur Sounds, die meiner Arbeit als Mensch entgegenkommen. Und Techno und Dance klingen zu totalitär für mich. BRAIN DONOR ist Teil eines schamanischen Trips mit einer sehr organischen Qualität. Wir benutzen zwar starke Rhythmen, aber nicht so extrem, dass es den Hörer erschlägt, es sind eher die Gitarren, die dir den Kopf zertrümmern.

Die Sache mit dem Schamanismus ist ja ein bestimmender Teil deines Weltbildes. Wo ist da für dich eigentlich die Verbindung zum Rock´n´Roll?

Alles ist meiner Meinung mit Schamanismus verbunden. Und Rock´n´Roll ist der neue Schamanismus, weshalb ich auch Morrison so mag – weil er ein Schamane war. Die Verbindung zwischen dem alten und dem neuen Schamanismus ist der Rock´n´Roll, beides hat mit Poesie, Handel und Reisen zu tun. Das Problem mit neuer Religion ist in der Regel, dass diese eine Kirche benötigt. Früher benötigte der Schamane nur einen Fluss, einen Wasserfall oder einen großen Baum als lokale Punkte, wo man zusammenkommen konnte. Darum geht es auch beim Rock´n´Roll und bei meiner Musik – einen speziellen Moment zu kreieren.

Wenn man sich deine musikalischen Einflüsse wie Roky Erickson oder Jim Morrison anschaut, könnte man meinen, dass du überwiegend in der Vergangenheit lebst. Gibt es auch aktuelle Einflüsse?

Ich habe zwar ca. seit 12 Jahren keine DOORS-Platte mehr gehört, aber ich denke nach wie vor, dass Morrison ein Genie war. Er war ein einzigartiger Poet und Schamane. Er hat etwas in den Rock´n´Roll eingebracht, was vorher nicht da war, ganz im Gegensatz zu den meisten anderen Westcoast-Bands. Momentan höre ich viel japanische Musik, sehr seltsame Sachen . Ich mag, wie die Japaner mit Klischees umgehen. Ausserdem mag ich einige moderne Metal-Bands wie SUNN, das ist sehr düsterer Metal ohne Schlagzeug. Ich habe vor sechs Monaten selber ein Album gemacht, das sich "Ambient Metal" nennt. Mein Album ist nicht besonders düster, es klingt mehr nach einer Meditations-Musik. Aber SUNN lassen mein Album wie einen Top Ten-Hit klingen. Ich mag auch ACID MOTHERS TEMPLE sehr, das ist richtig gute Meditations-Musik, aber es ist immer noch Rock´n´Roll. Generell suche ich immer nach Sachen, die auf ihre Art einen guten Job machen.

Wie wichtig war in diesem Zusammenhang denn die Krautrock-Sache für dich?

Die Krautrock-Sache war deswegen wichtig für mich, weil ich das Gefühl hatte, dass sehr viele Leute richtig grossartige Musik verpasst haben. Das Buch kam in Deutschland und England auch sehr gut an. Ich hatte das Gefühl, dass das mal gesagt werden musste, denn jeder spricht zwar über MC5 und die STOOGES, die natürlich auch gut sind, aber viele der deutschen Bands waren wesentlich besser.

Dein Buch stiess aber auch auf Kritik, Klaus Dinger hatte sich letztens noch anlässlich der NEU!-Re-Releases eher negativ darüber geäussert.

Dinger hatte mir sogar mal persönlich geschrieben und mir mitgeteilt, dass er mein Buch hasst. Also schrieb ich ihm zurück und zog ihn damit auf, dass er ja sowieso nur der Schlagzeuger der Band gewesen sei, was ihn wohl ziemlich geärgert hat, haha. Aber ich liebe die NEU!-Alben, keine Frage. Manchmal ist es gar nicht so schlecht, wenn sich Idole als Arschlöcher entpuppen.

Ich habe kürzlich im Fernsehen die Wiederholung eines Auftritts von dir bei Formel Eins gesehen, wo du "World Shut Your Mouth" zum besten gegeben hast, was inzwischen unheimlich "cheesy" wirkt, obwohl der Songs natürlich grosartig ist.

Du hast völlig recht, "cheesy" ist wahrscheinlich genau die richtige Bezeichnung dafür. Teil meines öffentlichen Auftretens zu dieser Zeit war immer von einer starken Effekthascherei geprägt, wo wir wieder bei den Klischees wären. Und "World Shut Your Mouth" war vielleicht mehr Joan Jett, als einem ernsthaften Rocksong gut tut. Grundsätzlich interessiert mich dieser Teil meiner Karriere aber nicht mehr so richtig, auch wenn ich damals kommerziell sicher erfolgreicher war.

Dazu passt wohl auch die Antwort "Would you ever return to having your mother wipe your asshole?", die du einem Fan im Internet auf die Frage "Would you ever do another TEARDROP EXPLODES gig?" gegeben hast.

Das war doch eine gute Antwort, findest du nicht? Denn diese Zeit empfinde ich rückblickend als wirklich enttäuschend. Sicherlich, jeder macht Fehler, meine waren dummerweise aber öffentlicher Natur. Da kann man wohl nichts machen, wahrscheinlich bin ich immer noch dasselbe Arschloch...

Bevor du mit "Peggy Suicide" ein neues Kapitel deiner Karriere gestartet hast, gab es noch diese komische "My Nation Underground"-Platte. Wie denkst du heute darüber?

Ein schreckliches Album. Ich war zu dieser Zeit völlig ausgepowert und habe einfach keine guten Songs zustande gebracht. Selbst "Charlotte Anne", der wahrscheinlich beste Song der Platte, empfinde ich heute eher als peinlich. "Peggy..." ist natürlich ein sehr gutes Album, ich habe da zum ersten Mal Songs geschrieben, die "real" waren, vorher war alles nur "fake". Ich hatte damals einfach keine Ahnung.