Den meisten dürfte Davy als Frontmann von JOB FOR A COWBOY bekannt sein, jener 2003 gegründeten Schülerband, die zu einem der international gefragtesten Death-Metal-Acts avancierte. Dass die Band trotz mehrerer Umbesetzungen nie Gefahr lief, ihre Identität zu verlieren, ist wohl Jonnys Bühnenpräsenz, vor allem aber seiner fantastischen Stimme geschuldet. Von dieser zeigte sich der Multi-Instrumentalist Navene Koperweis (unter anderem ANIMALS AS LEADERS, THE FACELESS) so stark beeindruckt, dass er Davy 2009 für sein experimentelles Soloprojekt FLESHWROUGHT verpflichtete und mit „Dementia/Dyslexia“ 2010 eines meiner Lieblingsalben schuf.
Jonny, für einen Metalhead bekennst du dich auffallend häufig zum Punkrock. Was sind deine musikalischen Wurzeln?
Ich bin in Arizona aufgewachsen. Dort gab es keine nennenswerte Metal-Szene. Demnach konnten wir gar nicht anders, als mit Hardcore- und Punk-Bands zu spielen. Wir waren immer der bunte Hund bei diesen Gigs, die von waschechten Hardcore-Crews organisiert wurden und daher nicht selten brutal ausfielen – was uns zuweilen richtig Angst machte. Das Positive daran: Wir fielen echt auf, und die Leute wurden zunehmend auf uns aufmerksam. Im Übrigen hat meine Mom viel Metal gehört, das musste ja auf mich abfärben. Meine Helden von damals waren MEGADETH, PANTERA und QUEENSRŸCHE, gleichzeitig stand ich auf BAD BRAINS und BLACK FLAG.
Immer wenn du dich auf dem aktuellen JFAC-Album „Demonocracy“ mit politischen Inhalten beschäftigst, sind diese Themen mit unheilvollen Bildern gespickt. Es gibt – ganz metaltypisch – biblische Plagen, Götter, Dämonen etc., die jedoch für bestimmte soziale Entitäten und Machtstrukturen stehen. Zusätzlich sprichst du Dinge wie die Rüstungsindustrie oder das US-amerikanische Parteiensystem auch mal sehr direkt an. Woher kommt diese Mischung?
Ja, meine Texte tendieren zum Morbiden. Trotzdem behandele ich darin Politik, Machtkämpfe und Korruption. Für mich ist Politik eine der beängstigendsten Sachen auf der Welt. Ich habe es nie für nötig erachtet, mich allein auf Genreklischees wie Blut, Tod, Dämonen und Blasphemie zu versteifen, denn die wirklichen Schrecken werden uns tagtäglich vor Augen geführt. Sieh dich nur um, schalt die Glotze ein! Folglich kann ich mit Bands wie NAPALM DEATH, AT THE GATES oder MISERY INDEX, deren Themen vom Punk her kommen, am meisten anfangen. Inmitten einer gesellschaftlich abgerichteten Herde von Menschen, die sich ihrer politischen Ansichten und Gefolgschaften zunehmend unbewusst sind, empfinde ich es sogar als meine Verantwortung, die Dinge beim Namen zu nennen.
Zum Beispiel im Song „Tarnished gluttony“, wo du dir die Auswirkungen der Wirtschaftskrise in deinem Heimatland zur Brust nimmst. Bereitet dir die Situation anderer Länder ebenfalls Sorgen, etwa der drohende Staatsbankrott Griechenlands und die dortige Massenarmut?
Die Lage überrascht mich zumindest nicht. Man kann nur hoffen, dass es nicht bald zum totalen ökonomischen Kollaps kommt – obwohl das auch die Chance für einen Neuanfang sein könnte. Zu beurteilen, wie es den Menschen tatsächlich geht, ist spekulativ, solange man selbst nicht in einem der Krisenländer lebt. Dennoch möchte ich wetten, dass 75% aller Amerikaner keinen blassen Schimmer von den Ereignissen in Europa haben. Das ist äußerst frustrierend, zumal die Leute dem Glauben frönen, die Regierung habe alles unter Kontrolle und werde die Dinge schon richten.
Zurück zur Musik. Das FLESHWROUGHT-Debüt „Dementia/Dyslexia“ hat mir ausgesprochen gut gefallen, alleine schon wegen der unverkennbaren Jazzrock-Einflüsse. Wie bist du an deinen Mitstreiter Navene Koperweis geraten und wie verlief die Zusammenarbeit? Wird es eine Fortsetzung geben?
Im Rahmen unserer ersten USA-Tournee vor rund sieben Jahren waren JFAC mit ANIMOSITY, Navenes damaliger Band, unterwegs. Wir wurden gute Freunde und die Idee zu diesem Nebenprojekt kam dann von ihm. Die Arbeitsweise war eine gänzlich andere als bei JOB FOR A COWBOY, wo ich viel größeren Einfluss auf die Musik habe. Navene hat alle Stücke im Alleingang komponiert; ich musste nur noch die Texte verfassen und über die Aufnahmen singen. An einem weiteren FLESHWROUGHT-Album hätte ich sicherlich Freude. Die Hälfte der Songs ist sogar schon geschrieben. Allerdings ist Navene augenblicklich voll und ganz auf sein Elektronik-Projekt konzentriert.
Er scheint mir ein ziemlicher Tüftler zu sein, und tatsächlich ist eure gemeinsame Platte äußerst virtuos ausgefallen. Bei so manchem Rockmusiker stößt das allerdings auf Widerstand. Ich finde das irritierend, denn zur Wertschätzung gut komponierter Musik bedarf es doch keiner speziellen Ausbildung.
Ich kann so eine Haltung nachvollziehen, teile sie aber nicht, weil hier in geradezu naiver Weise Entwicklungen verkannt werden. Ein Teil des Metal hat sich unzweifelhaft in eine technische Richtung bewegt. Man mag das als trendy abqualifizieren, aber letztlich tut es einem Genre gut, wenn es nicht auf der Stelle tritt. Ich selbst bin ich sehr gespannt auf alle künftigen Neuerungen, vor allem wenn man bedenkt, wie viele talentierte junge Musiker in den letzten Jahren auf den Plan getreten sind.
Apropos Talent: Du hast eine schier unglaubliche Kontrolle über deine Stimme, insbesondere beim Wechsel zwischen verschiedenen Klangfarben. Wie hast du angefangen? Gab es Vorbilder?
Wenn ich mich auf Vorbilder festlegen müsste, dann wären das spontan Barney von NAPALM DEATH und Travis von CATTLE DECAPITATION. Aber nur im Sinne eines ersten Anhaltspunktes, weil ich mich recht früh darauf konzentriert habe, die Möglichkeiten meiner eigenen Stimme weiter auszubauen. Angefangen hat das vor zehn Jahren in der Garage eines Freundes, wo ich unentwegt in ein Mikro schrie. Heute mache ich ein paar Aufwärmübungen und trinke Whiskey, haha!
Wie genau kennst du dein Instrument? Machst du dir ebenso viele Gedanken über Technik wie zum Beispiel ein Gitarrist?
Ich mache das jetzt so lange, dass ich über Gesangstechnik kaum nachdenke. Es ist an diesem Punkt wohl eher ein Reflex. Die Stimmbereiche, die ich ausnutze, erfordern es schon, dass ich Zunge und Mund sehr fein einstelle, um bestimmte Obertöne hervorzubringen. Das kann manchmal echt ermüdend sein. Im Hinterkopf behalten muss ich nur, aus dem Zwerchfell zu singen und in den unteren Rippenbereich zu atmen, damit mir mittendrin die Luft nicht ausgeht.
Was wäre dein ultimativer Tip für alle aufstrebenden Extrem-Vokalisten?
Versucht nicht, wie jemand anderes zu klingen, wenn ihr aus der Masse herausragen wollt. Habt Spaß an der Sache.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #105 Dezember 2012/Januar 2013 und Marcus Erbe