Hey, kennt ihr den schon? "What's the difference between a hippie and an onion? You don't cry so much when you cut a hippie." Dieser charmante Scherz stammt aus dem Film THE SORE LOSERS, dem dritten Epos des in Memphis ansässigen Neo-Sexploitation-LoFi-Filmemachers und bekennenden Hippie-Hassers John Michael McCarthy (Jahrgang '62). Der hauptsächlich mit einigen Kreditkarten finanzierte, in 47 Tagen abgedrehte und auf 16mm gedrehte, dann aber auf Video zusammengeschnittene Streifen (es existiert also keine Filmkopie des Endprodukts) kostete imposante $75.000 - vor allem einige gelungene Computereffekte dürften da zu Buche geschlagen sein - und ist definitiv die coolste Independent-Produktion, die mir seit langer Zeit untergekommen ist.
Den Inhalt von THE SORE LOSERS kann man eigentlich ganz gut auf die Formel "HotRod Juvenile Deliquents and Amazons from Outer Space have come to Memphis to kill Hippies, but a cosmic problem occurs when they kill too many" bzw. "They wanted meat so they ate the Flower Children" reduzieren, würde dabei aber McCarthys autobiographischer Note und seinem Faible für "Elvis numerology" nicht wirklich gerecht. Beides zeichnete schon seine beiden vorherigen Filme DAMSELVIS und TEENAGE TUPELO aus. Während der auf Video gedrehte DAMSELVIS noch eine etwas konfuse Hommage an 50er und 60er Trashfilme über irgendwelche Elvis-Inkarnationen ist, stellt TEENAGE TUPELO (ein auf herrlich grobkörnigem Super 8 in schwarzweiss gedrehtes "Semi-Auto-Bio-Sexploitation-Comedy-Drama-Musical") ein extrem persönliches Spiel von McCarthy mit seiner Biographie und dem Elvis-Mythos dar, da er darin unterstellt, daß Elvis - zumindest rein theoretisch - sein Vater sein könnte.
Das ausführlich zu erklären, wäre jetzt etwas zu kompliziert, auf jeden Fall wird darin seine leibliche Mutter (dargestellt von der großartigen D'lana Tunnell, die übrigens auch schon Richard Kern in seinem Photoband "New York Girls" ablichtete) von einer Elvis-artigen Type namens Johnny Tu-Note geschwängert und anschliessend sitzengelassen. Mit Hilfe einer militanten Drei-Frauen-Gruppe namens Thee Madd Madd Manhaters rächt sie sich an Johnny Tu-Note und bekommt letztendlich gegen den Widerstand ihrer Eltern doch noch ihr Kind - und eine Atombombe kommt auch noch zum Einsatz. Das Ganze sieht aus, als ob David Lynch, Russ Meyer und John Waters zusammen einen Film gedreht hätten, weshalb TEENAGE TUPELO 1996 eines der "top selling videos" der amerikanischen Trash-Spezialisten Something Weird wurde.
Seine ersten Gehversuche im Filmbusiness machte McCarthy aber bei drei wenig erwähnenswerten (man könnte auch "beschissenen" sagen) Videoproduktionen des Herrn Hugh Gallagher als Associate Producer, wie z.B. GORE WHORE, wo sein späterer Kameramann Darin Ipema und D'lana Tunnell auch schon beteiligt waren - der einzige Grund, warum sich eine Auseinandersetzung mit diesem Schrott überhaupt lohnt. Eigentlich kommt McCarthy aber aus dem Comic-Bereich und zeichnete nach einem '87 erfolgreich abgeschlossenen Kunststudium sieben Jahre lang Comics, die vom renommierten Comic-Verlag Fantagraphics veröffentlicht wurden. Das Cover der FIREWORKS-Platte auf Crypt geht ebenfalls auf sein Konto.
Dieses Gespür für Bilder kam ihm vor allem bei THE SORE LOSERS zugute, der tatsächlich wie eine durchgeknallte Underground-Comic-Adaption wirkt, ein Charakteristikum, das komischerweise den meisten wirklichen Realfilmumsetzungen von Comic-Stoffen fehlt. Es ist aber nicht nur das Comic-Element, das SORE LOSERS auszeichnet, sondern auch McCarthys Vorliebe für Garage Punk und seine starker Bezug zu dieser Szene. Von ihm stammen z.B. zwei GUITAR WOLF- und ein OBLIVIANS-Video.
So spielt Jack Oblivian (von den leider inzwischen aufgelösten OBLIVIANS) Blackie, einen Comic-begeisterten Killer, der exakt 42 Jahre nachdem Elvis das erste Mal bei Dewey Phillips Radiosendung "Red, Hot & Blue" zu hören war (so lange hat Elvis übrigens auch gelebt), zurück auf die Erde kommt, um endlich seine Mission zu vollenden, nämlich zwölf Beatniks zu erledigen. Unterstützung erhält er dabei von Mike (Mike Maker von den MAKERS) und der resoluten Kerine Elkins. Da sie aber dummerweise zu viele Leute umlegen, sind ihnen die Schlitz-Bier saufenden Men In Black (unsere allerliebsten Nippon-Trash-Rocker GUITAR WOLF) auf den Fersen. Ausserdem taucht noch Exploitation-Veteran David F. Friedman als Gott (!?) und die zum Zombie mutierte (Film-)Mutter von Kerine auf. Das kann ja eigentlich nur zum Untergang der westlichen Welt führen.
Natürlich bleibt es nicht nur bei Auftritten einiger Garage Punk-Epigonen, sondern auch der exzellente, bei Sympathy For The Record Industry veröffentlichte Soundtrack mit 26 Stücken liest sich wie ein "Who is who" der momentanen Garage-Punk-Szene (bei TEENAGE TUPELO war es nur die Surf-Combo IMPALA). Vertreten sind dort u.a. THE MAKERS, Mick Collins (GORIES), '68 COMEBACK, THE ROYAL PENDLETONS, Jack Oblivian, Greg Oblivian, POLI SCI CLONE, THE DRAGS und GUITAR WOLF. Ähnlich schwergewichtig klingt auch das Aufgebot für McCarthys vollendetes neues Werk SHINE ON SWEET STARLET, wo sich u.a. einige Darstellerinnen aus SORE LOSERS 60 Minuten lang zur Musik der oben erwähnten Bands ihrer Kleidung entledigen - oder so ähnlich. Den Soundtrack dazu gibt's ebenfalls bei Sympathy.
Zwei weitere Projekte sind bereits in Vorbereitung, wenn denn die Finanzierung hinhaut. In CADAVERA, basierend auf einem alten Comic von McCarthy, soll es um eine Frau (D'lana Tunnell) gehen, die aus den Körpern alter Filmstars wie Sharon Tate, Marylin Monroe und Jayne Mansfield zusammengesetzt ist. Auf der Besetzungsliste stehen als Wunschkandidaten Lux Interior und Poison Ivy von den CRAMPS, und Nekro-Nazis und HotRod-UFOs sollen darin auch vorkommen. Das andere Projekt nennt sich IGGY/ZIGGY, basierend auf Kubricks 2001: darin kommt David Bowie als Ziggy Stardust vom Mars auf die Erde und lässt sich von einem primitiven Iggy Pop zeigen, was denn Rock'n'roll eigentlich ist - keine Ahnung, was die besagten Herren davon halten. Also quasi Spaceman vs. Caveman, und das Ganze soll auch noch in Berlin spielen. Gründe genug also, um in Memphis, Tennessee mal das Telefon klingeln zu lassen, wo einem ein gutgelaunter John Michael McCarthy erst mal ein enthusiastisches "Hail to Grandpa!" entgegenschleudert.
Was hat es eigentlich mit "Hail to Grandpa" auf sich, das bei dir in allen möglichen Zusammenhängen auftaucht?
Das sprengt sämtliche Emotionen, basierend auf Tausenden von Jahren unserer Menschheitsgeschichte, mußt du wissen. Es ist mächtiger als du und ich, mächtiger als wir beide zusammen, und ist aus urzeitlichem Schleim entstanden. Verstehst du?
Ich bin nicht sicher, aber ich habe jetzt zumindest eine Ahnung, warum dich mal jemand als exzentrisch bezeichnet hat.
Scheiß drauf! Denen zeige ich noch, was exzentrisch bedeutet, haha. Dafür ist Amerika doch bekannt - exzentrische Filmemacher hervorzubringen.
Welche denn?
David F. Friedman, John Waters, Russ Meyer, Doris Wishman - Namen, die wahrscheinlich die meisten Leute kennen.
Und von diesen Leuten bist du beeinflußt?
Ja, Exploitation, Sex und Gewalt interessieren mich stark, aber mein Zugang dazu ist wesentlich persönlicher durch die Gegend aus der ich stamme, also Memphis. Das hat bis auf John Waters in Baltimore bisher in dieser Form noch niemand gemacht, auch wenn er sich davon mittlerweile entfernt hat und viele seiner Stars wie z.B. Divine tot sind. Nun muß er auf richtige Stars zurückgreifen. Ich weiß nicht, wie meine Situation aussehen würde, wenn ich so weit gekommen wäre. Die meisten meiner Ideen basieren aber eigentlich auf einer ursprünglichen Elvis-Metaphorik.
Was Elvis angeht, herrscht bei dir ja eine richtige Besessenheit vor. Muß man dazu in Memphis geboren sein?
Dieses Elvis-Dingens ist sogar beinahe religiös. Naja, John Waters mußte in Baltimore geboren sein, um solche Filme zu machen. Ich glaube, anders kann das gar nicht funktionieren.
Daß Elvis dein Vater sein könnte wirkt dennoch nicht besonders plausibel.
Metaphorisch gesehen ist Elvis mein Vater. Schließlich ist alles möglich. Ich bin 1962 in Tupelo geboren und wurde danach zu Adoptiveltern gegeben. Elvis wurde auch in Tupelo geboren. 1962 kam er gerade aus Deutschland zurück, vielleicht war er einsam und hat eine neue Freundin gesucht. Genau davon handelt TEENAGE TUPELO, nur daß meine Elvis-Figur Johnny Tu-Note heißt. Ich sage ja auch nur, daß es theoretisch möglich sein könnte. Wen das letztendlich wirklich interessiert, ist natürlich eine ganz andere Sache, haha.
Glaubst du denn, daß diese autobiographischen Momente auch tatsächlich so beim Zuschauer ankommen?
Wenn nicht, macht der Film auch als Semi-Auto-Bio-Sexploitation-Comedy-Drama-Musical viel Spaß, ohne daß man etwas über meine Vergangenheit wissen müßte. Aber du siehst meine Geburt auf der Leinwand, die Geburt des Regisseurs. Das ist die Verbindung, und D'lana ist meine Mutter. Ich habe das Publikum mal vor einer Vorstellung gefragt, ob sie Nacktphotos meiner Mutter sehen wollen, und die Antwort fiel ziemlich einstimmig aus.
Die Idee D'lana zur Mutter zu haben gefällt mir aber auch recht gut.
Haha! Meine leibliche Mutter sah D'lana mal im Fernsehen, weil eine Nachrichtensendung in Tupelo, wo sie immer noch lebt, ein Interview mit mir ausgestrahlt hat. Ich habe meine leibliche Mutter zwar nie getroffen, aber durch meinen Bruder erfuhr ich, daß sie D'lana sah, wie sie meine Mutter im Film spielte, was wohl ziemlich ein ziemlich seltsames Erlebnis für sie gewesen sein muß.
Du hast deine leibliche Mutter nie getroffen?!
Richtig! Das ging schon deshalb nicht, weil ihre Familie nie etwas von meiner Existenz erfahren hat, bis auf meinen Bruder. Den habe ich zufällig mal ´87 getroffen und entdeckt, daß er mein Bruder ist. So habe ich durch ihn Details aus meinem Leben erfahren und er über mich. All das hat dazu geführt, daß ich '94 TEENAGE TUPELO gemacht habe.
Das klingt verdammt nach einem guten Fernsehdrama für's Vorabendprogramm.
Ja, eine richtige amerikanische Tragödie! Wir brauchen mehr Tragödien wie diese, haha.
Okay, lassen wir mal die Tragödien hinter uns und reden wir über deinen künstlerischen Background. Du hast ja nicht direkt als Filmemacher angefangen.
Ich war von 1984 bis 1987 auf der Kunsthochschule in Memphis, wo sie versucht haben mir auszureden Comiczeichner zu werden. Aber ich habe trotzdem meinen Abschluss gemacht. Ich kam dann 1991 für ein weiteres Examen zurück, wo aber so viel Schwachsinn vorfiel, daß ich es schließlich aufgab. Deshalb lautet meine Botschaft, zur Hölle mit Filmhochschulen und ähnlichem, die braucht niemand. Du solltest wissen, welche Geschichten du erzählen willst, daraus Filme machen und immer besser werden, bis du wirklich die Geschichten erzählen kannst, die dir vorschweben. Benutzt euer Geld lieber für die Filme, und nicht, um die Pension der Lehrer zu finanzieren. Du gehst ja auch nicht auf dem College in Punkrock-Klassen, um zu lernen, was Punkrock ist - du machst es einfach. Genauso funktioniert es mit Exploitation-Filmen.
Zuerst warst du aber einige Jahre ausschließlich Comiczeichner.
Stimmt, aber das bin ich im Prinzip immer noch, das ist meine wirkliche Leidenschaft. Aber Comics sind inzwischen tot. Undergroundcomics befinden sich in einer seltsamen Situation, sie verkaufen sich nicht mehr besonders seitdem der Markt nicht mehr von Hippies dominiert wird. Also konnte ich damit kaum Geld verdienen, obwohl es meine gesamte Zeit in Anspruch nahm. Das gilt leider auch für Plattencover, da die Bands, für die ich etwas machen will, kein Geld haben, mich dafür zu bezahlen - ich mache es aus Liebe zur Sache. Jetzt nehmen Filme mein ganzes Geld und meine ganze Zeit in Anspruch. Aber letztendlich bekomme ich dadurch mehr Aufmerksamkeit, als es bei meinen Comics der Fall war.
Komisch, ich dachte eigentlich Fantagraphics wären recht erfolgreich in Amerika und die Comicszene insgesamt ziemlich aufregend.
Sicherlich hat die amerikanische Comicszene ihre Momente, aber mir reichte deren Unterstützung einfach nicht. Ich habe irgendwann mal einen Brief von irgendeinem Typen bekommen, der mir schrieb: deine Comics sind großartig, du bist Gott für mich. Das war leider der einzige Brief. Die Comicszene ist ziemlich schizophren. Ich habe die Comics in erster Linie immer für mich gemacht, und das ist bis heute so geblieben. Ich bin jetzt zum Comic zurückgekehrt, aber diesmal im Mainstream-Bereich. Denn DC bringt jetzt eine neue Serie heraus, die auf einem alten Comic basiert, "Tales From The Unexpected", und ich werde sieben Seiten dafür machen. Wobei DC, meiner Meinung nach, noch wesentlich integrer ist als z.B. Marvel. Denn die Idee hinter "Tales From The Unexpected" ist mit unabhängigen Zeichnern und unterschiedlichsten Stilen zu arbeiten, Marvel würde so was nie machen.
In Comics geht es immer um das Visuelle und nicht um die Sprache, wie das bei vielen Undergroundcomics der Fall ist. Ähnlich ist es beim Film, schließlich war er in den ersten zwanzig Jahren nach seiner Entwicklung stumm. Viele der Ideen in SORE LOSERS oder TEENAGE TUPELO, die die Aufmerksamkeit erregen, sind visueller Natur. Die Leute schauen sich Comics an, um zu erfahren wie man zeichnet, nicht wie man liest. D´lana hat in SORE LOSERS eine Stelle, wo sie sagt: Ich kann nicht lesen, aber ich schaue mir gern die Bilder an. Was meine Theorie über Comics widerspiegelt. Wenn du lesen willst, schnapp dir ein Buch.
Ich hatte bei SORE LOSERS manchmal wirklich den Eindruck, nicht einen Film zu sehen, sondern einen Comic vor mir zu haben. War das so von dir beabsichtigt?
Ja, denn Comics sind ausschließlich für jugendliche Straftäter, Tankwarte und Kinder, haha. So funktioniert auch SORE LOSERS, es ist ein lebendiger Comic. Ich habe wirklich nach Leuten für den Film gesucht, die wie Comic-Figuren aussehen. Jack Oblivian, Mike Maker, Kerine Elkins und natürlich D'lana Tunnell - das sind alles ungewöhnliche Persönlichkeiten. Ich bin sehr glücklich, diese Leute getroffen zu haben. Hoffentlich kann ich auch weiter verrückte Filme machen, die eigentlich Comics sind.
Und, ist Memphis voll von solchen Leuten?
Nein, ich habe die meisten erst hierhin verfrachten müssen, haha. Für meinen neuesten Film, SUPERSTARLET A.D. - eine Endzeitvision über Mädchenbanden, die Höhlenmenschen mit Maschinengewehren jagen -, den ich in sechs Wochen zu drehen beginnen werde, gibt es in Memphis natürlich nicht genug Starlets. Also mußte ich eine Tanztruppe namens THE VELVET HAMMER aus L.A., besorgen, und noch weitere Starlets aus Portland, Austin, San Francisco und Philadelphia.
Du teilst das Schicksal vieler Independent-Regisseure: chronischer Geldmangel. Ist es in einem Riesenland wie den USA denn nicht möglich Investoren für deine Filme zu bekommen?
Es ist nicht unmöglich, aber du mußt Leute finden, die Exploitationfilme verstehen. Grundsätzlich muß ich meine Filme einer neuen Generation von Leuten schmackhaft machen, die sich nicht mehr an die Drive-Ins erinnern. Und eigentlich ist das genau die richtige Umgebung für meine Filme und deren Stil. Das komische ist, daß Generationen von Amerikanern Drive-Ins besuchten und sich solche Filme anschauten, aber wo sind diese Leute geblieben? Heute wollen die Leute lieber Pornos sehen, und damit kann man richtiges Geld machen. Sie sind erstaunt, wenn sie mitbekommen, daß noch jemand burleske Nacktfilme macht. Die Starlets in meinen Filmen haben ihre eigenen burlesken Go-go-Shows und sind vernarrt in die jüngere Vergangenheit. Wenn ich Leute finden könnte, die das verstehen und unterstützen, könnte ich das Geld für meine Filme bekommen.
Zumindest schien dein GUITAR WOLF-Video zu "All through the night buttobase!!" ein dickes Budget gehabt zu haben.
Ja, Sony steckte $20.000 Dollar in das Video. Das letzte, was ich gehört habe, war, daß es sogar auf Platz 4 der japanischen MTV-Charts war.
Wie hast du eigentlich GUITAR WOLF in deinen Film bekommen?
Das war kein Problem, da sie ihre erste Platte in Memphis aufgenommen haben und für sie Memphis beinahe eine zweite Heimat ist - sie lieben es hier zu sein.
Würdest du eigentlich sagen, daß deine Haltung als Filmemacher etwas mit Camp zu tun hat, ein Begriff der vor allem mit John Waters in Zusammenhang gebracht wird?
Sicher, wobei viel in diesem Bereich eher auf Unfällen und niedrigen Budgets basiert. Wenn ich einen Camp-Film machen würde, wäre das auf jeden Fall beabsichtigt. Es wäre schrecklich, wenn es nach Camp aussähe, obwohl es ursprünglich ernst gemeint war und sich dadurch herausstellen würde, wie dumm der gesamte Film ist.
Und was ist mit konkret beabsichtigten Tabubrüchen wie im Transgression-Kino eines Richard Kern, schließlich kommt in deinen Filmen viel Gewalt und Sex vor?
Es ist nichts, worin ich gut wäre und womit ich mich wirklich ausdrücken könnte, also warum sollte ich so etwas mögen? Es hat wegen seiner Obskurität einen Platz in der Underground-Geschichte, aber ich will nicht obskur sein. Meine Sachen sollen die Leute entweder lieben oder hassen. Die meisten Transgression-Sachen sind so angelegt, daß sie man hassen muß.
Gut, dann laß uns mal den Begriff Exploitation näher beleuchten. Die meisten Leute denken dabei automatisch an nackte Frauen, die bei dir zwar reichlich auftauchen, aber dabei komischerweise gar nicht so richtig "ausgebeutet" werden.
Hey, du läßt ja meine ganze Tarnung auffliegen, haha. Aber du hast recht, ich bin wohl einer der wenigen Regisseure in Amerika, der Filme über starke Frauen macht. Ich glaube auch tatsächlich, daß Frauen Männern deutlich überlegen sind. Und diese Überlegenheit resultiert aus ihrer Sexualität. Dazu brauchst du aber nicht unbedingt eine Sexszene oder eine gewaltätige Szene zu drehen - wie in Exploitationfilmen normalerweise üblich. Denn es gibt vielfältige Möglichkeiten, das zu veranschaulichen. Ich mag die Vorstellung, in meinen Filmen auch psychologische Bereiche anzuschneiden - Pop-Psychologie.
Der Freud des Exploitationfilms sozusagen... Den Begriff "Überfemmes" finde ich in diesem Zusammenhang auch nicht schlecht.
Ich wußte, ihr Deutschen würdet das besonders mögen, haha. Ich muß gestehen, daß Leni Riefenstahl eine meiner Lieblings-Filmemacherinnen ist. Ich betrachte sie auch als Exploitation-Regisseurin, schließlich hat sie die Massen im Namen Hitlers ausgebeutet. Die Kraft ihrer Bilder ist so überwältigend und von einer simplen Schönheit.
Hat nicht mal irgend jemand gesagt, die Nazis hätten die besten Uniformen gehabt?
Ja, ich glaube, das war David Bowie - oder Iggy Pop. Deshalb sieht z.B. auch Darth Vader so klasse aus, schließlich trägt er im Prinzip nur einen Nazi-Helm mit einer Gasmaske aus dem 1. Weltkrieg. Auch die ganze SM-Szene ist von ihrer Ästhetik her irgendwie faschistisch. Es gibt deshalb einen Charakter in SUPERSTARLET A.D. namens Kathy X, eine Domina, die völlig in schwarzes Plastik eingepackt ist, bis auf ihre Brüste. Ich hatte dem Designer vorher extra gesagt, es solle möglichst faschistisch aussehen, damit sie mit ihrer Ausstrahlung auch wirklich dominierend wirkt. Im Prinzip ist auch Punkrock, was äußerliche Aspekte betrifft, faschistisch, während Hippie-Rock anarchistisch ist. Und Anarchie und Faschismus sind entgegengesetzte Haltungen auf derselben Skala. Hippies sollten Punks hassen, und Punks Hippies. Punkbands stellten für das Radio immer eine Bedrohung dar, und wenn ich einen Weg finden könnte, mit meinen Filmen etwas ähnliches zu erreichen, wäre das großartig.
Ich bin momentan gar nicht sicher, was ein Hippie überhaupt ist.
Na ja, jemand der Krieg, die Todesstrafe oder ein Bad zu nehmen ablehnt, haha.
Hmm, du glaubst also an die Todesstrafe. Was bestärkt dich in dieser Überzeugung?
Normalerweise ist der Mord an jemandem ein schockierendes Ereignis, da der Täter genau weiß, daß er dafür auf dem elektrischen Stuhl landet. Aber durch Manson ist Mord irgendwie akzeptabel geworden. Manson war der erste Rockstar unter den Mördern - und hinterher hat er dafür die BEATLES verantwortlich gemacht. Seitdem bringen sich die Leute gegenseitig um, ohne daß sich jemand großartig darum kümmert. Wenn ich ein Mörder wäre, würde mich das ziemlich nerven. Da bringt man eine ganze Familie um, und bekommt nicht mal die Todesstrafe. Was stimmt bloß mit der Gesellschaft nicht? Das hat alles mit einer moralischen Trägheit zu tun, was auch einer der politischen Punkte in SORE LOSERS ist. Die Ironie dabei ist, daß die Generation von Elvis diese repressive Form von Schuld aufgebracht hat, und die Hippies haben es später zerredet. Jetzt haben wir einen Hippie als Präsidenten. All das haben die DEAD KENNEDYS vorausgesagt.
Na ja, George Bush war aber auch nicht so eine dolle Alternative.
Er wirkte aber nach außen hin wesentlich moralischer. Außerdem kann man Konservative leichter hassen als Liberale, weil sie Ansichten vertreten, die von den meisten jungen Leuten in diesem Land nicht unbedingt geteilt werden. Aber wenn du in einem Land lebst, in dem du zusammen mit deinen Eltern kiffen darfst, ist es schwierig, gegen überhaupt etwas zu rebellieren. Ich würde mir ein Land wünschen, in dem es einfacher als hier ist, sich abzugrenzen. Nichts schockiert die Leute noch wirklich, jeder scheint völlig abgestumpft zu sein. Wenn so etwas passiert, ist das ziemlich gefährlich für jegliche Art von Kunst, da sie dadurch droht aus dem Gleichgewicht zu geraten. In meinen Filmen geht es deshalb um Romantik, nicht Dekadenz, es gibt darin noch Gut und Böse, aber für die Gesellschaft der 90er existiert scheinbar nur noch ein großer grauer Bereich. Mach dafür verantwortlich, wen du willst, ich mache die Hippies dafür verantwortlich.
Zumindest Mike Diana scheint mit seinen Comics einige Leute doch ziemlich aufgeregt zu haben.
Aber schau dir an, wie weit er gehen mußte, um die Leute zu schockieren. Von einem moralischen Standpunkt aus betrachtet sind seine Arbeiten sicherlich verabscheuungswürdig, aber es sollte erlaubt sein, so etwas zu produzieren, schließlich leben wir in einem freien Land. Du mußt schon ziemlich brutal vorgehen, um Leute zu provozieren, aber du tust es ohne wirkliche Botschaft und ästhetischen Wert. Ich versuche archetypische Helden zurückzubringen, nur auf den neuesten Stand gebracht und vielleicht etwas stärker dem eigenen Lustprinzip folgend. Letztendlich repräsentieren sie etwas, an das an eine bestimmte Generation von Amerikanern glauben kann. Aber eigentlich bin ich Gore, Scream Queens, Serienkiller, Transgression usw. insgesamt ziemlich leid. Was ich wirklich will, ist einen billigen Monsterfilm drehen. Ein Typ in einem Gummi-Monsterkostüm - das würde den USA ihre Integrität wiedergeben.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #31 II 1998 und Thomas Kerpen