Im Juli 2015 haben THE WEAKERTHANS ihre Fans kalt erwischt, als sie sich heimlich, still und leise aufgelöst haben. Es gab kein offizielles Statement, nur eine kurze Bestätigung von Drummer Jason Tait auf Twitter. Seitdem ist es ziemlich ruhig um die Jungs aus dem kanadischen Winnipeg geworden. Jetzt hat Frontmann John K. Samson, der früher auch Bassist bei der Punkband PROPAGANDHI war, sein neues Soloalbum „Winter Wheat“ veröffentlicht. Für ihn ist es schon das zweite. Für die Fans ist es das erste Material seit der Trennung und es hört sich verdammt nach seiner alten Band an.
Mein erster Eindruck war: Oh wie schön, ein neues WEAKERTHANS-Album!
Es hat sich auch wie eine Rückkehr zu den WEAKERTHANS angefühlt. Mein erstes Album „Provincial“ war noch wie ein Ausweichmanöver von meinem üblichen Songwriting. Es basierte auf Suchen und Finden. Es ging um sehr spezielle Orte und Geschichten. Diese Platte hat viel mehr Themen auf Lager.
Wie kam es, dass mit Jason Tait und Greg Smith zwei Mitglieder der WEAKERTHANS am Album beteiligt waren? Das ist fast wie eine Dreiviertel-Reunion.
Das kam irgendwie von ganz allein. Mit Jason habe ich 1997 die WEAKERTHANS gegründet. Am Anfang waren wir nur zu zweit. Und das war schon eine wichtige kreative Zeit für mich. Also wollte ich auf jeden Fall wieder eine Platte mit ihm machen und glücklicherweise hat er in seiner Garage in Winnipeg ein eigenes Studio. Er kam also mit der Idee dort aufzunehmen. Und wenn es nicht funktionieren sollte, könnten wir ja was anderes ausprobieren, sagte er. Also haben wir im Januar angefangen und ich denke, es ist ganz gut geworden. Wir haben den Entstehungsprozess sehr genossen, alles lief ganz langsam und bewusst. Und einige Songs haben einfach nach Greg am Bass verlangt. Also ist er in sechs oder sieben Stücken zu hören. Außerdem war meine Frau Christine gemeinsam mit Jason als Co-Produzentin beteiligt.
Hast du dadurch Lust bekommen, mit den WEAKERTHANS weiterzumachen?
Eigentlich nicht. Ich spiele die WEAKERTHANS-Songs jetzt schon eine ganze Weile bei meinen Solo-Konzerten. Für mich war es also nicht wie eine Unterbrechung, die WEAKERTHANS nicht mehr zu haben. Aber ich werde mit Jason, Greg und Christine einige Konzerte geben und wir werden sicher auch Songs von den WEAKERTHANS spielen. Diese Stücke sind einfach ein Teil von mir und meiner Arbeit. Dadurch haben die Fans immer noch die Möglichkeit, diese Songs live zu hören.
Mich hat die Auflösung der WEAKERTHANS vor etwas mehr als einem Jahr sehr überrascht. Wie kam es dazu?
Für mich war es eine langsame, aber stetige Entwicklung. Ich war ehrlich gesagt überrascht, dass es andere Leute überrascht hat. Wir hatten schon seit 2007 keine neue Platte mehr gemacht und waren alle schon lange alle mit anderen Dingen beschäftigt. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätten wir überhaupt keinen Kommentar dazu abgegeben. Für mich war es eine ganz natürliche Sache und hat sich einfach richtig angefühlt. Ich wollte etwas Kleineres machen. Musik, die kleiner klingt. Ich wollte Konzerte mit direktem Kontakt zum Publikum. Für mich ist es immer noch die beste Entscheidung.
Warum hast du das neue Album „Winter Wheat“ getauft? Was verbindest du mit Winterweizen?
Es ist ein Getreide, das vor allem hier in Manitoba angebaut wird. Sie haben sogar eine spezielle Form von Winterweizen gezüchtet, damit er hier überleben kann, denn die Winter sind ziemlich rauh. Ich mochte einfach die Idee einer Pflanze, die ausgesät wird, im Winter schläft und dann im Frühjahr anfängt zu wachsen. Ich finde, das ist eine wunderschöne Metapher für viele Dinge. Auf dem Album geht es vor allem um Erholung, Genesung und Überleben. Deshalb hat dieses Bild sehr gut gepasst.
Ist das auch eine Metapher für deine eigene Situation nach der Auflösung der WEAKERTHANS?
Ja, irgendwie schon. Ich habe deshalb auch eine Verbindung zum ersten WEAKERTHANS-Album „Fallow“ hergestellt. „Fallow“ bedeutet ja Brachfläche. Es ist also eine Art Rückkehr auf das gleiche Feld, um dort etwas Neues zu pflanzen.
Mein Favorit auf dem neuen Album ist „Vampire Alberta blues“. Dieser und weitere Songs von „Winter Wheat“ sind von Neil Youngs 1974er Album „On The Beach“ inspiriert. Hast du zu diesem Album eine spezielle Verbindung?
Ich liebe diese Platte wirklich und habe sie wie eine Vorlage für „Winter Wheat“ verwendet. Der erste Song „Select all delete“ bezieht sich zum Beispiel direkt auf den Neil Young-Song „Walk on“. „Vampire Alberta blues“ steht in Verbindung zu „Vampire blues“. Ich finde, die Songs von Neil Young altern gut, sie sind immer noch sehr relevant. Diese Songs wurden vor über vierzig Jahren geschrieben. Die Arbeit von Neil Young fasziniert mich einfach, dabei sind wir uns gar nicht so ähnlich im Songwriting. Er arbeitet viel abstrakter. Es gibt eine Story, aber er spricht nicht direkt darüber. Er gewährt dem Zuhörer Raum, seine eigene Story zu entdecken. Und das wollte ich auch einfach ausprobieren.
Kennst du Neil Young persönlich? Er hat ja auch mal in Winnipeg gewohnt.
Ich habe ihn nie getroffen. Er ist in der gleichen Gegend aufgewachsen und zur gleichen High School gegangen wie ich. Nur eben ein paar Jahrzehnte früher. Deshalb fühle ich mich ihm natürlich irgendwie verbunden.
Du hast auch einen Song über einen russischen Spion gemacht. In „Fellow traveller“ geht es um Anthony Blunt.
Blunt war Professor in Cambridge und es stellte sich heraus, dass er einer der „Cambridge Five“ war, eine Gruppe von Spionen, die im Zweiten Weltkrieg bis in die Fünfziger Jahre hinein die damalige Sowjetunion mit Informationen versorgten. Ich war von dieser Figur wirklich fasziniert und wollte über ihn schreiben. Es war der Song, der die meiste Arbeit, aber auch den meisten Spaß gemacht hat. Blunt war Kunsthistoriker und hat für den britischen Geheimdienst gearbeitet. Er war sehr einflussreich, gehörte zum Beraterstab der Queen und war tief eingebettet in die britische Gesellschaft. Deshalb konnte er den Russen eine Menge wichtiger Informationen verraten. Und er war Teil eines Spionagerings, der sich an der Universität von Cambridge gebildet hatte. Außerdem war er schwul, zu einer Zeit, als das in England noch ein Verbrechen war. Für mich ist er eine wahnsinnig interessante Figur der Zeitgeschichte.
Du hast auch einen Song über deine Heimatstadt Winnipeg geschrieben.
Genau, der heißt „Oldest oak at Brookside“. Brookside ist der älteste und größte Friedhof hier in Winnipeg. Dort gibt es eine Menge Eichenbäume und ich habe über Eichen gelesen, dass sie über 300 Jahre alt werden können. Also verwende ich das Bild der ältesten Eiche auf diesem Friedhof, um ein großes Bild von dem Ort zu zeichnen, wo ich herstamme. Ich habe schon sehr oft über das moderne Winnipeg geschrieben und ich wollte mich auch einmal als kleinen Teil einer riesengroßen Geschichte betrachten. Eine Geschichte, die schon lange vor mir begonnen hat und noch lange nach mir weitergehen wird. Ich wollte mich in diese Zeit einordnen und dankbar sein für die Zeit, in der ich hier sein durfte.
Wie ist die Musikszene von Winnipeg verglichen mit anderen kanadischen Metropolen wie Toronto oder Montreal?
Die Szene hier ist großartig momentan. Es gibt eine unglaubliche Anzahl an jungen Bands gerade, die sehr gute Arbeit machen. Es gibt auch einen typischen Winnipeg-Sound, ich kann ihn nur nicht besonders gut beschreiben. Es klingt, als ob Leute in ihrem Keller Krach machen. Ich erkenne diesen Sound sofort, aber kann ihn nicht in Worte fassen. Hör dir mal MULLIGRUB an, das ist eine Band, die gerade den typischen Winnipeg-Sound spielt. Die gefallen mir sehr gut.
Hast du jemals darüber nachgedacht, wieder Punkrock zu machen? Bei PROPAGANDHI hast du ja auch früher Bass gespielt.
Ich denke, ich habe mich nie wohl damit gefühlt, laut zu sein. Leise Musik ist irgendwie besser für mich. Vielleicht war es das schon immer. Ich bewege mich gerade wieder darauf zu, wie alles angefangen hat: mit einer Akustikgitarre.
Gibt es eine Chance, dass die WEAKERTHANS irgendwann mal wieder zusammenfinden könnten? Euer letztes Album hieß ja immerhin „Reunion Tour“.
Wahrscheinlich eher nicht. Aber ich würde nie nie sagen. Es könnte durchaus passieren. Ich glaube zwar nicht, dass es bald der Fall sein wird, aber wir sind alle Freunde geblieben. Also ist es immer noch möglich in der Zukunft.
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