JOEY RAMONE

"Es geht auch ohne uns weiter, denn Punk ist eine Sache der Einstellung: sich von anderen abzugrenzen und zu sagen, ich bin ich und ich will nicht so sein wie du. Darum geht es im Punk, und nicht darum auf einen fahrenden Zug aufzuspringen und den Clown zu spielen." Joey Ramone, 1996

Am 19. Mai 2001 fand im New Yorker Hammerstein Ballroom eine rauschende Party statt. Gefeiert wurde Joey Ramones 50. Geburtstag. Unter den Feiernden waren BLONDIE, CHEAP TRICK, Lemmy von MOTÖRHEAD und viele weitere Freunde der RAMONES. Joey selbst konnte aus bekannten Gründen nicht dabei sein.

27 Jahre zuvor hatte Joey unter seinem bürgerlichen Namen Jeff Hyman die RAMONES gegründet. Zunächst versuchte er sich als Schlagzeuger. Da er aber mit dem immer schneller werdenden Tempo der Band nicht mithalten konnte, beschloss man, ihn ans Mikro zu stellen. Der Rest ist Geschichte.

In einer einzigartigen Explosion inspirierten Joey & Co damals Bands wie die SEX PISTOLS und THE CLASH, um dann gemeinsam verstaubte Konventionen jeglicher Art förmlich wegzufegen. Alles schien damals möglich. Während sich viele der Weggefährten im Laufe der Jahre verabschiedeten, hielten die RAMONES 22 Jahre durch, veröffentlichten 21 Alben und spielten mehr als 2200 Konzerte.

Auch nach dem Ende der RAMONES 1996 blieb Joey der New Yorker Musikszene treu und veranstaltete regelmäßig sogenannte "Joey Ramone & Friends"-Abende, auf denen er jungen Bands ein Forum gab und natürlich auch selbst zum Mikro griff. Dass sämtliche Shows nicht nur im legendären CBGB ausverkauft waren, versteht sich von selbst. Weihnachten 2000 fand dann im Continental Club seine letzte Party statt. Wenige Tage später stürzte Joey im New Yorker Schnee und brach sich die Hüfte. Zwar konnten die Ärzte diese in einer mehrstündigen Operation wiederherstellen, allerdings war Joeys Körper durch die OP und seinen insgesamt sechs Jahre währenden Kampf gegen den Krebs so geschwächt, dass er schließlich den Kampf verlor. Sein Tod löste weltweit Bestürzung und Trauer aus. In Joeys geliebter Lower East Side wurde ihm vor dem CBGB spontan ein Schrein eingerichtet. Ihm zu Ehren wird die New Yorker Stadtverwaltung dort demnächst eine Straße in "Joey Ramone Way" umbenennen.

Fast scheint es, als seien die RAMONES heute populärer denn je. In Kürze werden sie in die Rock´n´Roll Hall of Fame aufgenommen, Bands wie U2 huldigen ihnen mit Coverversionen, ihre Alben tauchen in sämtlichen Bestenlisten aus Anlass von 25 Jahren Punkrock auf und selbst die eher konservative New York Times wählte ihr Debütalbum "The Ramones" zu einer der wichtigsten Platten des 20. Jahrhunderts. Es bleibt zu hoffen, dass Joeys posthum veröffentlichtes Solowerk ihm endlich das beschert, was ihm zeitlebens mit den RAMONES verwehrt blieb: einen Hit. Denn obwohl die RAMONES bis heute Tausende von Bands beeinflusst haben, schafften es ihre Scheiben nie bis in die Top 40 der Billboard Charts. Joeys neue Songs wie Louis Armstrongs "Wonderful World" oder seine Ode an die Anchorwoman des Senders CNBC Maria Bartiromo haben sicherlich das Zeug, das so wichtige Radio Airplay zu erhalten, das den RAMONES seinerzeit bei Songs wie "Sheena is a Punk Rocker" versagt blieb. Produziert von RAMONES-Intimus Daniel Rey, der auch schon bei "Adios Amigos!" an den Reglern saß, kommen die unglaublich frisch und dynamisch klingenden Songs etwas rockiger als bei den RAMONES daher und zeigen Joey stimmlich noch einmal in Hochform. Beim Hören des Albums wünscht man sich förmlich, Joey würde in den nächsten Tagen mit junger Begleitband in die Stadt kommen, das Publikum mit "It´s good to be back Germany" begrüßen, um dann Songs wie "Mr. Punchy" und "Like A Drug I Never Did Before" in die Menge zu schleudern. Seien wir ehrlich: Wir würden ihn dafür lieben.

"Don´t You Worry ‘Bout Me" ist das Vermächtnis eines großen, aber bescheidenen Musikers, dessen Songs mit und ohne THE RAMONES schon heute eins sind: unsterblich. Vor der Veröffentlichung von "Don´t Worry ‘Bout Me" hatte ich Gelegenheit, mit Daniel Rey zu sprechen, Joeys langjährigem Freund und Produzenten.

Danny, lass uns zunächst über das Soloalbum reden. Wann wurde es aufgenommen und war Joeys Krankheit ein Problem?

Wir begannen damit vor rund fünf Jahren, also nach dem Ende der RAMONES. Joey hatte schon lange geplant, ein Solowerk zu veröffentlichen. Der erste Teil der Aufnahmen verlief völlig problemlos, die letzten fünf, sechs Songs nahmen etwas mehr Zeit in Anspruch. Joey nahm Medikamente und wollte nur ins Studio gehen, wenn er sich gut fühlte.

Mit wem wurde das Album eingespielt?

Ich spielte Gitarre, Andy Shernoff von den DICTATORS Bass und Marky Ramone auf ungefähr der Hälfte der Songs Schlagzeug. Der andere Part wurde von Frank Zenero eingespielt, der eine Zeitlang bei den DICTATORS und CRACKER Drummer war. Bei einem Song stand uns die Rhythmussektion der MISFITS zur Verfügung, und bei "Mr. Punchy" hatten Helen Love und Captain Sensible von THE DAMNED einen Gastauftritt.

Ist die nun vorliegende CD das endgültige Ergebnis oder hättet ihr noch etwas geändert, wenn mehr Zeit zur Verfügung gestanden hätte?


Wir hätten vielleicht noch mehr Songs aufgenommen, die Joey zuvor geschrieben hatte. Ansonsten waren wir mit den Aufnahmen fertig. Joey war mit dem Ergebnis sehr zufrieden. Geändert hätten wir deshalb wohl nichts mehr. Allerdings wünschte ich mir, Joey wäre hier und würde die Platte genauso mögen wie ich.

Wie hast du die RAMONES kennengelernt?

Das war im Sommer 1976. Die RAMONES spielten ihr erste Show in New Jersey, wo ich damals lebte. Das Konzert veränderte mein Leben. Durch einen Freund vom "Punk Magazine" lernten wir uns kennen und wurden Freunde.

Was für ein Typ war Joey?

Joey war sehr optimistisch und sah immer das Beste in den Leuten. Er hatte einen sehr trockenen Humor und war nicht der Gesprächigste. Aber wenn er etwas sagte, traf es immer den Nagel auf den Kopf. Joey war ein sehr lustiger Typ.

Was bedeutete ihm Musik?

Musik war sein ein und alles. Er wuchs mit Bands wie THE WHO, THE KINKS, THE BEATLES und T.REX auf, die ihn durch seine Jugend begleiteten. Danach war Musik für ihn eine Art Schutzengel, der ihn durch sein Leben führte, wobei es für ihn niemals ein Job war. Ihm ging es immer um die Sache an sich.

Eines der Lieder auf dem letzten RAMONES-Album heißt "Life´s a Gas", also zu deutsch etwa "Das Leben ist prima". War das Joeys Lebensmotto?

In gewisser Weise schon. Das Leben kann einem manchmal übel mitspielen, ist aber alles in allem schön. Joey wollte mit dem Song zum Ausdruck bringen, dass man nicht resignieren soll, sondern positiv in die Zukunft blicken, ganz egal, was das Schicksal für einen bereit hält.

War Joeys Krebsdiagnose der eigentliche Grund für das Ende der RAMONES oder war dies ohnehin geplant?

Die RAMONES wollten auf dem Höhepunkt aufhören, solange sie noch gut waren und nicht als ein Haufen alter Säcke enden. Johnny sah ein, zwei Jahre vorher die ROLLING STONES und fand sie einfach nur peinlich. Alte Männer, die über die Bühne tanzten. Rock´n´Roll sollte nur von jungen Leuten gespielt werden. Die RAMONES hatten vom Touren genug, nachdem sie mehr oder weniger 24 Jahre ununterbrochen unterwegs waren. Es war einfach ein guter Zeitpunkt, um in Würde zu gehen.

Die RAMONES hatten in ihrer Karriere nie ein Hit-Album oder eine Single in den Top 40 der US-Charts. War das für Joey sehr enttäuschend?

Ja, das war so vor zehn, fünfzehn Jahren, als BLONDIE Millionen von Alben verkauften und die SEX PISTOLS als die angeblichen Erfinder des Punks durch die Presse geisterten. Das hat ihn sehr geärgert. Dann aber hat er gemerkt, dass es nicht um Verkaufszahlen und ähnliches geht, sondern um die Karriere an sich, und die RAMONES hatten eine sehr lange und erfolgreiche Karriere.

Du erwähnst gerade BLONDIE, die vor drei Jahren mit "No Exit" einen Megaseller hatten. Meinst du, Joeys Solowerk kann vielleicht ähnliches erreichen?

Sicher. Joey hat noch nie so fantastisch gesungen. Die Zeichen der Zeit stimmen einfach, denn Punkrock ist mittlerweile ein akzeptiertes Genre, auch im Mainstream. Und Joey ist der Godfather of Punkrock. Warum also nicht?

Man könnte fast meinen, die RAMONES sind heute angesagter als jemals zuvor. Was ist dein Eindruck?

Die Leute merken endlich, wer die Originale und wer die Imitatoren sind. Die Musik der RAMONES ist zeitlos. Junge Kids, die noch nicht einmal geboren waren, als die RAMONES damals anfingen, entdecken heute die RAMONES. Elvis verkauft mittlerweile mehr Platten als zu Lebzeiten, die BEATLES ebenso. Musik ist halt keine Modeerscheinung. Das wird vielen langsam klar.

Wo siehst du musikalisch den größten Unterschied zwischen den Werken der RAMONES und Joeys neuer Scheibe?

Ich glaube, der Unterschied ist gar nicht so groß. Joey konnte sich mit der Platte mehr Zeit als sonst lassen und mit verschieden Sachen experimentieren, einem Piano z.B. und mehr Background Vocals. Er wollte schon, dass sich sein Album von den RAMONES unterscheidet. Letztendlich ist der Unterschied aber eher marginal.

Was kannst du uns über seinen Kampf mit dem Krebs und seine letzten Tage erzählen?

Er war unglaublich tapfer und sprach nie vom Sterben. Bis zum Ende blieb er ein Kämpfer. Sein ganzes Leben war voller Kämpfe. Die meisten davon gewann er, und er wollte auch diesen gewinnen. Die Ärzte gaben ihm höchstens zwei Jahre, er hielt aber fünf Jahre durch. Ich besuchte ihn jeden Tag im Krankenhaus, nur an seinem Todestag nicht. Ich hatte mich schon am Tag zuvor von ihm verabschiedet, denn es ging ihm sehr, sehr schlecht.

Trotz Joeys Todes fand an seinem 50. Geburtstag eine große Party im Hammerstein Ballroom statt. Das war wohl in seinem Sinn, oder?

Mit Sicherheit. Joey hatte an seinen Geburtstagen immer große Partys veranstaltet, mit vielen Bands und so. Noch im Krankenhaus sprachen wir über diesen besonderen Geburtstag. Leider hat er ihn nicht mehr erlebt. Nach seinem Tod entschlossen sich seine Familie und seine Freunde, ihm zu Ehren die beste und größte Party zu schmeißen. BLONDIE und CHEAP TRICK traten auf, sein Bruder und ich spielten ein paar Songs, THE DAMNED ebenso, Leute wie Lemmy, die Jungs von METALLICA und natürlich alle anderen RAMONES sprachen oder wurden mit Videobotschaften zugeschaltet. Es war ein unglaublicher Abend mit einer ganz besonderen Atmosphäre. Die ganze Bedeutung Joeys für New York City kam an diesem Abend zum Tragen.

Ist mit seinem Tod eine große Lücke in der New Yorker-Szene entstanden?

Unbedingt. Joey war sozusagen der inoffizielle Bürgermeister der Rockszene hier in New York. Seine Partys waren legendär. Dort traten immer die heißesten Bands der Stadt auf. Jetzt sehe ich niemanden, der in seine Fußstapfen treten könnte. Allerdings werden wir an seinem Geburtstag wieder eine große Party veranstalten, die möglicherweise jedes Jahr stattfinden wird.

Was weißt du über Johnny Ramones Pläne für ein Tribute-Album?


Es sind gleich mehrere Tribute-Alben in der Mache. Johnny arbeitet in L.A. an einem von ihnen. Wer darauf mitmacht, ist noch nicht ganz klar. Wahrscheinlich Leute wie Eddie Vedder und die CHILI PEPPERS. Die RAMONES haben so viele Bands beeinflusst, dass sich jetzt viele davon melden und ihre Songs covern wollen.

Du hast 25 Jahre lang mit den RAMONES zusammengearbeitet. Jetzt, wo Joeys letzte Platte veröffentlicht ist, bedeutet das auch für dich so etwas wie das Ende einer Ära?

Ja, absolut. Joey und ich haben uns jeden Tag gesehen. Wir hatten sogar bereits Pläne für eine Tour. Nicht nur beruflich, vor allem persönlich ist das für mich das Ende einer fantastischen Zeit, und ich bin sehr, sehr traurig, wenn ich an ihn denke. Dann wiederum denke ich, dass Joey weiterlebt. Manchmal habe ich das Gefühl, er wäre noch da, gerade jetzt, wo seine Platte erscheint.

Danny, vielen Dank für das Interview.