Wir schreiben den ersten Februar, heute starten JIMMY EAT WORLD aus ihre Deutschlandtour im Zuge der Veröffentlichung ihres Albums "Clarity". Es ist 19:00Uhr und in etwa drei Stunden wird die Band aus Mesa, Arizona die Bühne des, bis jetzt, noch nicht ausverkauften Bürgerhaus Stollwerk in Köln betreten. Doch zunächst mache ich es mir mit Bassist Rick Burch und Gitarrist und zweiter Stimme Tom Linton im Nightliner der Band bequem. Jim selbst kann nicht am Interview teilnehmen, er muß seine Gitarre stimmen und seine Gesangsanlage checken. Nun gut, dann halt ohne den Meister. Schlagzeuger Zach Lind werkelt während des Interviews übrigens hinten im Bus an einem voraussichtlich bald bevorstehenden Livealbum. Als ich mir die stattliche Tourbehausung anschaue, versichern mir Rick und Tom, dass die EMI gut für sie sorgt, es trotzdem etwas ungewohnt sei, derart luxuriös chauffiert zu werden. Da ich trotz der späten Stunde nicht der der letzte Interviewer des heutigen Tages bin, gesteht man mir etwa eine halbe Stunde zu. Deshalb steigen wir gleich ein.
Ich denke, es benötigt eine Menge Mut ein Album mit einem derart ruhigen Song wie "Table for glasses" zu beginnen und eine Menge weiterer Songs in dieser Tradition folgen zu lassen. Hattet ihr nicht Angst eure Fans zu verschrecken, gerade diejenigen, die eure rockigere Seite mögen?
Rick: Das hat uns ehrlich gesagt nicht sonderlich gekümmert.
Tom: Ja, das war uns egal. Es war fast unbeabsichtigt und sollte überraschen, das Album nicht gleich durchschaubar wirken lassen. Im Endeffekt war es, glaube ich, einfach eine gute Idee, ein guter Anfang für ein Album.
Was war für euch eine größere Herausvorderung: in Filigranarbeit an einer der baladesken Hymnen zu arbeiten, oder einen mitreißenden Rocksong zu produzieren?
Beide: The slower one is harder!
Tom: Aber es macht auch mehr Spaß an einem langsameren Song zu arbeiten. Man kann experimentieren, zahlreiche Elemente wie Violinen oder Glöckchen hinzufügen. Bei einem Rocksong bist du viel eingeschränkter, du hast nur die straighten Gitarren.
Live kommen aber sicher eher die Rocksongs zum Zuge...
Rick: Ja klar, wir bräuchten für die ruhigen Songs fünf zusätzliche Musiker.
Tom: Na ja, das Publikum steht da auch nicht so drauf. Wenn es zu ruhig wird hört man die Leute, wie sie sich unterhalten.
Habt ihr je damit gerechnet, dass ihr einen derartig großen Erfolg mit "Clarity" haben würdet?
Rick: Nein, es war eine sehr angenehme Überraschung.
Tom: Wir haben bisher etwa 50-000 Alben verkauft. Für uns ist das kaum zu fassen, das ist echt Wahnsinn, aber für Capitol nichts besonderes. Nun, wir sind halt ziemlich glücklich, so wie es läuft.
Warum ist gerade eure Single "Lucky Denver Mint" so populär geworden? Zu diesem Song kann man aufgrund seines Beats nicht mal tanzen.
Tom: Das hat wahrscheinlich zum größten Teil damit zu tun, weil wir mit mit diesem Song auf dem Drew Barrymore-Soundtrack zu "Never been kissed" waren. Wir haben auch einen Freund in Kalifornien. Der arbeitet bei KROQ, einem großen Rockradiosender und er mochte diesen Song und fing an ihn immer und immer wieder zu spielen. Scheinbar wurde er ganz gut von den Kids aufgenommen.
Steht ihr eigentlich unter Erfolgsdruck? "Clarity" ist ja bei Fans und Kritikern derart beliebt, dass es schwierig sein dürfte, dieses Meisterwerk zu übertrumpfen.
Tom: Nein, da ist kein Druck, wahrscheinlich sogar noch weniger als bei "Clarity". In den Staaten sind wir sowieso nicht mehr auf einem Majorlabel. Vor kurzem sind wir für das neue Album ins Studio gegangen und wir waren völlig relaxt. Mark Trombino, der uns mal wieder zur Seite steht, war auch ganz beruhigt, weil nicht andauernd jemand vom Label vorbeikam und rumnervte, wie weit wir denn seien, wie lange man noch warten müsse und wann alles spätestens im Kasten sein müsse.
Rick: Wir nehmen uns im Moment einfach die Zeit, die wir brauchen.
Tom: Das neue Album wird noch besser, auch wenn das wahrscheinlich jede Band erzählt. Wir sind bisher sehr zufrieden.
Rick: Den Sound und das Songwriting haben wir verbessert, es wird alles wegblasen!
Auf welchen Song auf "Clarity" seid ihr eigentlich am stolzesten? Ihr habt an ihm gebastelt, ihn dann das erste Mal gespielt und dachtet: das ist er, das ist der beste Song bisher!
Tom: Oh, das ist eine schwierige Frage. Die solltest du Jim stellen. Ich glaube, das können wir nicht beantworten...(dann platzt es heraus) "Sky Harbour"!
Rick: Daran habe ich auch gerade gedacht.
Tom (verträumt): "ch denke, der Song ist schon irgendwie einzigartig.
Könnt ihr schon etwas genaueres zu eurem nächsten Album sagen?
Tom: Ich glaube, es wird poppiger. Da werden eindeutig mehr Popsongs drauf sein. Natürlich verzichten wir nicht auf den Experimentalcharakter von "Clarity"...
Rick: ...aber der tritt etwas in den Hintergrund. Es wird mehr straight forward werden. Die kurzen Song werden definierter.
Wie steht es mit ruhigen Stücken?
Rick: Dieses Mal nehmen wir nicht ganz so viele ruhige Songs auf. Ich denke, wir werden uns um ein gesundes Gleichgewicht bemühen.
Tom: Das Problem bei vielen Alben ist oft der Mangel an Abwechslung. Viele Songs ähneln sich zu stark. Auf dem neuen Album soll jeder Song anders klingen.
Rick: Jeder Song bekommt seine eigene Persönlichkeit.
Warum hört man eigentlich nichts über euer Debüt-Album?
Tom: Ich hasste es. Obwohl, nach den Jahren, aus der Distanz betrachtet war es schon okay. Es war nicht besonders abwechslungsreich, fast nur schnelle Songs und wurde Anfang 1995 veröffentlicht.
Wie steht es mit dem Gerücht, dass ihr ihr als METALLICA-Coverband begonnen habt?
Tom: Na ja, Jim spielte vor langer, langer Zeit in einer METALLICA-Coverband.
Rick: Es war damals das erste Mal, dass Jim und Tom Gitarren hatten. Und die beiden haben dann METALLICA-Riffs geklaut.
Tom: Jim hat damals sogar noch Bass gespielt. Irgendwann fanden wir dann einen Bassisten und Jim wechselte an die Gitarre. Wir veranstalteten dann so eine Art "Guitar Wars" oder "Hot-Lick Wars".
Kommen wir auf eure Singleskollektion zu sprechen. Ich war zugegebenermaßen etwas enttäuscht, weil die Songs nicht mit denen eurer letzten beiden Alben standhalten können. Lediglich vielleicht "Opener", der ursprünglich vom ersten Emo-Diaries-Sampler stammt.
Rick: Ja, das stimmt schon. Wir wollten einfach den seltenen und vergriffenen Kram bündeln. "Opener" ist einer von zwei Songs, die wir damals probeweise mit Mark Trombino, der ja auch Schlagzeuger bei DRIVE LIKE JEHU ist, aufnahmen, weil wir vor "Static Prevails" auf der Suche nach dem richtigen Mann waren. Na ja, von da an gehörte Mark zum Team. Auf der Collection fehlen aber leider zwei Songs. "Better than oh", den der Typ, der die Songs zusammengestellt hat vergaß und der Song "New Religion", den wir für ein DURAN DURAN-Tribute aufnahmen. Der Tribute-Sampler sollte eigentlich auf einem Majorlabel erscheinen, deshalb trauten wir uns nicht zu fragen. Hinterher stellte sich heraus, dass wir ihn doch hätten haben können. Ziemlich frustrierend.
Welche Bands und Musiker haben euch zum größten Teil beeinflußt? Oder würdet ihr sagen, dass ihr von niemandem beeinflußt worden seid?
Tom: Ich denke jede Band ist irgendwie von irgendjemandem beeinflußt.
Rick: Da gibt es aber keine Band, die wir hernehmen und sagen: "Hey, wir wollen so klingen wie die!". Aber wir hören alle sehr viel unterschiedliche Musik.
Was habt ihr denn gehört, als ihr jünger wart, und was hört ihr im Moment am liebsten?
Rick: Ich höre alles, von den BEACH BOYS bis zu METALLICA.
Tom: Ich mochte DURAN DURAN.
Rick: Für eine Weile auch PROPAGANDHI und NOFX in der Highschool. Aber meine Hörgewohnheiten wandten sich dann zu den AFGHAN WHIGS und RADIOHEAD.
Tom: Ich habe in letzter Zeit viel ROLLING STONES gehört.
Rick: Ja, definitiv, die STONES und die BEATLES.
Tom: PIXIES, BLONDE REDHEAD.
Rick: FUGAZI.
Und was ist das letzte Album, das ihr euch gekauft habt?
Rick: (lacht) Ich lade mir immer alles, was ich brauche, bei Napster runter. Nun ja, vor kurzem erst habe ich mir eine RAY CHARLES-Platte namens "The great Ray Charles" besorgt. Die ist wirklich gut.
Tom: Mir wurden alle meine CDs gestohlen. Ich hatte sie in einem Case, etwa 50 meiner besten, im Auto. In der Neujahrsnacht brach jemand ein. Das war hart, festzustellen, wieder bei Null anfangen zu müssen.
Rick: Deshalb sollte man zu Hause nur leere Cases haben, Tom.
Ich habe gehört, dass ihr bzw. Jim ein Faible für skandinavischen Rock´n´Roll habt.
Rick: Ja, Jim. Der liebt Black-Metal. Haha!
Auf eurer Singlescollection hat der Typ auf dem kleinen Foto das "Ass Cobra"-Album von TURBONEGRO in der Hand.
Rick: Wie hast du das denn erkannt? Ja, ja, das ist ein großartiges Album, das wir alle mögen.
Tom: Das war eine verrückte Nacht, als das Foto entstand.
Rick: Das wurde auf unserer letzten Deutschlandtour im Van aufgenommen. Da sind wir von der Show zum Hotel gefahren. Die Nacht war sehr lang und wir alle total betrunken. Jim fing an Fotos zu machen und unser Bookingagent, der Typ auf dem Foto, fing an superlaut "Denim Demon" zu singen.
Kommen wir zur nächsten Frage. Wie lebt ihr mit der Bezeichnung "Emo"? Wie würdet ihr diese definieren und glaubt ihr, dass JIMMY EAT WORLD in diese Genre passen?
Tom: Hast du einen Stift? (ich reiche ihm einen) Das ist das, was ich davon halte: (schreibt) dEMOn.
Rick: Wie bist du denn darauf gekommen?
Tom: Keine Ahnung.
Rick: Emo ist einfach eine Bezeichnung, die die Kids verwendet haben.
Tom: Es ist schon seltsam, was Leute sich für Begriffe einfallen lassen, um Musik zu kategorisieren. Das ist das selbe Phänomen wie mit NIRVANA und Grunge. Na ja, mir ist es egal, die Leute sollen unsere Musik kategorisieren wie sie wollen, das interessiert mich nicht sonderlich.
Rick: Wenn die Kids einen Begriff brauchen um diese Art von Musik von anderem abzugrenzen, dann werden sie halt kreativ.
Was haltet ihr von anderen Bands, die man in diese Schublade steckt?
Tom: Meinst du BURNING AIRLINES und JETS TO BRAZIL, JAWBOX und JAWBREAKER?
Zum Beispiel.
Rick: Ich denke, es ist nicht gerade übel mit diesen Bands in eine Schublade gesteckt zu werden.
Tom: Ich wäre niemals auf diese Idee gekommen.
Hier in Deutschland sind Rockkonzerte eine Art Männerdomäne. Warum glaubt ihr, kommen soviele Mädchen zu euren Konzerten und, entschuldigt den Ausdruck, Emo-Konzerten generell?
Rick: Weil Tom so süß ist!
Tom: Ich glaube, ich mach mich nackend!
Rick: Im Ernst, das ist ein Phänomen, dass wir uns beim besten Willen nicht erklären können. Es ist toll, aber ein Rätsel.
Macht ihr vielleicht Mädchenmusik?
Tom: Nein, Musik für jedermann.
Rick: Aber aus irgend einem Grund mögen sie gerade auch Mädchen. Es ist sogar schon vorgekommen haben, dass mit irgendwelche Typen erzählt haben, dass sie froh seien, dass wir in ihrer Stadt Station machen, weil wir wohl eine Menge Mädchen anlocken. Vielleicht sollten wir eine Volksbefragung machen, um hinter das Geheimnis zu kommen.
Tom und Rick, ich danke euch beiden vielmals für dieses Interview.
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