JACK POTT

Foto© by Liam Noack

Zu laut und zu links für Bad Schwartau

Wer aus Bad Schwartau kommt, kennt sich vielleicht mit Konfitüre aus. Aber mit Musik? Eher nicht. Sollte man meinen. Denn da gibt es JACK POTT. Eine Band aus dieser kleinen Stadt im Norden. Sie macht Punk. Und sie hat jetzt ihr Debütalbum veröffentlicht, das den wunderbaren Titel „Bomben über Disneyland“ trägt. Warum der eher mit Teenage Angst als Kritik an Putin und Co. zu tun hat, erklärt uns Gitarrist Justin Barthel.

Justin, ich sehe bei dir im Hintergrund ein TOCOTRONIC-Poster an der Wand hängen. Deren aktuelles Album „Nie wieder Krieg“ ist großartig geworden und lief bei mir zuletzt auf Dauerschleife.

Absolut nachvollziehbar. Es ist für mich das beste Album, das sie je aufgenommen haben. Oder zumindest das beste seit „KOOK“.

Das kann man durchaus so sagen. Zumindest hat es einen sehr griffigen, signifikanten Namen. So wie – und hier schließt sich der Kreis – euer Debütalbum. Das heißt „Bomben über Disneyland“. Wie seid ihr auf diesen Titel gekommen?
Wir hatten eine WhatsApp-Gruppe, in der wir einen Namen gesucht haben. Da hatten wir an die fünfzig Vorschläge gesammelt. Darunter auch der größte Mist wie etwa „Besser als wie Klangschalen“ oder „Homöoparty“. Und irgendwann schrieb einer dann „Bomben über Disneyland“ rein. Das klang cool. Und wir haben damit schnell die Brücke zu den Songs der Platte gefunden. Denn es geht ja letztlich um Adoleszenzgeschichten. Darum, erwachsen zu werden, in die Arbeitswelt reinzukommen, Beziehungen einzugehen. Diese metaphorische Bombe, die zu dieser Zeit des Erwachsenwerdens in die disneylandartige Teenagerwelt einschlägt – das ist schon passend.

Es klingt auf jeden Fall besser als ein Titel, in dem das Wort „Klangschalen“ vorkommt. Ich habe Klangschalen mal beim Yoga erlebt – und war vom einen auf den anderen Moment vollkommen raus aus der Entspannung. Es war nicht zum Aushalten. Hast du irgendeine Beziehung zu Klangschalen?
Ja, haha. Ich bin – als Student auf Lehramt an weiterführenden Schulen – derzeit Vertretungslehrer an einer Grundschule in Rostock. Und da sind Klangschalen mein erstes Instrument. Die benutze ich im Unterricht. Das ist ein fieser Ton. Da hören alle drauf, haha.

Dann sei dir das gegönnt. Was an „Bomben über Disneyland“ auffällt: Dieser Titel weckt für mich weniger Assoziationen zu Adoleszenz und Teenage Angst. Sondern eher politische Gedanken der Art: Draußen in der Welt wird gerade mal wieder an allen Ecken und Enden unsere Disneyland-Komfortzone angegriffen und wir blicken der harten Realität des menschlichen Versagens ins Auge. Ist euch dieser schmale Grat der Deutungen bewusst?
Auf jeden Fall. Bei unseren Texten kann man ohnehin immer sehr viel nach eigener Denkart auslegen. Und genauso kann man eben auch diese Disneyland-Metapher nicht nur auf persönliche Dinge wie die Bedrohung dieser kindlichen oder jugendlichen Traumwelt beziehen, sondern auch auf politische Umstände. Da hast du recht. Das schwingt mit.

Disney als Konzern ist nun meines Wissens nach ziemlich rigoros, wenn es um die Verwendung ihres Markennamen oder dergleichen geht. Neben Disneyland als Bestandteil des Titels habt ihr auch einer der auf dem Plattencover gezeigten Bomben Mickey-Mouse-Ohren angehängt. Spielt ihr hier juristisch mit dem Feuer?
Ich sag mal so: Dafür müsste man uns erst mal kennen bei Disney. Und bis es soweit ist, dass uns jemand dort kennt, haben wir auch noch andere Alben rausgebracht und vielleicht ein anderes Standing, haha. Natürlich haben wir diskutiert, ob wir das mit den Ohren wirklich machen sollten. Aber dann haben wir uns gedacht: Wenn Disney wirklich kommen und sich beschweren sollte, dann könnten wir das medial wunderbar ausschlachten, haha.

Ihr kommt ja aus der eher beschaulichen Marmeladenstadt Bad Schwartau.
Genau. Mittlerweile leben wir zwar unter der Woche wegen des Studiums in anderen Städten, in Rostock, Kiel, Lübeck. Aber Bad Schwartau ist unsere Homebase. Ich bin auch noch jedes Wochenende dort und treffe meine alten Freunde.

Gibt es da eine wie auch immer geartete Musik- oder Bandszene?
Nein. In Bad Schwartau waren wir sogar lange Zeit nicht nur die einzige Punkband, sondern die einzige Band überhaupt. Mittlerweile hat unser Bassist aber noch eine andere Combo: PASTOR GERALD. Und wir sind somit nicht mehr alleine. Ansonsten aber ist in Bad Schwartau immer noch eher tote Hose angesagt, was Musik angeht. Zumindest wenn man mal von den Top-40-Coverbands absieht, die es in der Gegend gibt und die bei Volksfesten und dergleichen spielen.

Wird es wenigstens zur Veröffentlichung eures Debütalbums ein Konzert in der Heimatstadt geben?
Ich weiß nicht ... Unser Verhältnis zu Bad Schwartau ist ein wenig angespannt. Der Grund: Wir haben im vergangenen Jahr beim Stadtfest gespielt. Samstags, 15 Uhr. In der Kurparkmuschel. Es waren vor allem ältere Leute da. Der Sound war grottig. Dann kamen unsere Fans an, so dreißig bis vierzig Leute. Viele total besoffen. Die Hälfte flog gleich wieder raus. Und viele Rentner haben sich später beim Ordnungsamt darüber beschwert, dass wir erstens zu laut und zweitens zu links für solch eine Veranstaltung seien. Insofern ist unser Standing dort nicht so gut, haha.

Dann lass uns mal ein paar eurer Songs beleuchten. „Urlaub auf dem Balkon“ zum Beispiel. Darin geht es um Fernweh und den Umstand, dass man dieses Fernweh nicht heilen kann.
Das Stück ist entstanden, als ich damals, beim ersten Lockdown, mit unserem Schlagzeuger Leo in einer WG in Rostock lebte. Damals durften wir noch nicht mal mehr raus an den Ostseestrand. Also war die Wohnung für uns der Dreh- und Angelpunkt und wir haben uns gesagt: Bleiben wir eben hier und machen es uns hier gemütlich. Machen wir halt hier Urlaub.

„Bomben über Disneyland“ ist nun zwar absolut kein Corona-Album. Aber dieser Song trägt der harten Pandemiezeit Rechnung. Sind die anderen Stücke auch in den vergangenen zwei Jahren entstanden?
Ja. Wir wollten ein Corona-Album auch unbedingt vermeiden – bis auf diese eine Ausnahme jedenfalls. Denn wir haben uns gedacht: Wir hatten es gerade die ganze Zeit, dieses Thema. Die Leute hören überall „Corona“. Da sollen sie mal etwas anderes vorgesetzt bekommen. Songs eben, die sich um andere Themen drehen.

Was hat es mit dem Lied „Das ist alles so Indie“ auf sich?
Wir waren mal zu fünft in der Band. Ich brachte einen Song mit zur Probe, der sehr poppig war. Und unser damaliger Gitarrist meinte dann: „Ey, Jungs, das ist alles so Indie“ – und hat uns mit diesen Worten verlassen. Genau so war es, haha. In „Das ist alles so Indie“ geht es also darum, dass eine Band unbedingt einen Welthit schreiben will und alles dafür tut – auch wenn sie musikalisch die größte Grütze absondert. Und dass es dann trotzdem noch nicht fürs Radio reicht.

Wie ist das bei euch? Jagt ihr dem Traum von den Charts insgeheim trotzdem hinterher?
Nein. Die Songs müssen einfach Spaß machen. Punkt. Es geht nicht darum, eine Hymne zu schreiben. Ja: Wir hatten mal eine Phase, in der wir das irgendwie versucht haben. Aber da kamen wir auf keinen grünen Zweig und brachten gar nichts mehr zustande.

Und dann singt ihr noch vom „Fehler im System“ und motzt über Social Media.
Ja, man könnte im ersten Teil des Songs denken, dass wir überhaupt gegen alles sind, was die heutige Jugend so macht. Gegen den Modekram. Und vor allem gegen Social Media. Aber am Ende wird das ja aufgelöst: Wir machen es genauso wie alle anderen auch.

Wie alt seid ihr, wenn ich fragen darf?
Wir sind alle so um die zwanzig.

Nun, dann seid ihr ja auch die Generation, die mit Social Media aufgewachsen ist. Die Nutzung der sozialen Medien sollte für euch letztlich selbstverständlich sein.
Absolut. Aber wir reflektieren das sehr stark. Wir machen uns Gedanken, wenn wir Social Media nutzen. Wir machen das nicht blind.

Ein weiterer Song heißt „Du machst den Punk kaputt“. Ein gerne diskutiertes Thema in der Szene. Was macht den Punk nun deiner Meinung nach kaputt?
Ich würde sagen: Der Punk macht sich selbst kaputt. Wir machen das mit der Band jetzt ja schon eine ganze Weile. Und es kamen schon viele ältere Punkbands auf uns zu, die in den Achtzigern und Neunzigern etwas gerissen hatten. Und die erklärten uns, wie wir uns zu verhalten hätten und was wir tun müssten, um nicht aus der Reihe zu tanzen. Also: Dass man arbeitslos sein muss. Dass man die Polizei hassen muss. Solche Dinge. Und das ist falsch. Es ist falsch, dass uns diese letztlich konservativen Bands Vorschriften machen wollen – gerade weil wir noch sehr jung sind.

Nehmt ihr euch so etwas zu Herzen?
Mittlerweile nicht mehr. Mittlerweile haben wie so viel dummen Kram gehört ... Nein. Ich finde es sogar gut, wenn man aneckt und provoziert. Auch in der Szene.