Eine Band, die auf so vielen Hochzeiten tanzt wie diese Kalifornier, findet man selten. Spielerisch wird Metal mit Techno gemixt, und neben den Musikfans auch die Anime- und Gaming-Szene aktiv bedient. Ich wette, in dieser Ausgabe des Fuze hat keine andere Band oder Künstler:in so viel Musik für Videospiele beigesteuert, wie HEALTH aus Los Angeles.
Ursprünglich in der Noise- und Industrial-Szene der Westküste groß geworden, war der Schritt in Richtung Videospiel-Soundtrack ein bedeutender für die Bandgeschichte. Wie passiert so was? „Tatsächlich war das eher Zufall“, erzählt Gitarrist und Sänger Jake Duzsik. „Wir waren sonst nur in der Downtown-L..A-Underground-Noise-Szene unterwegs und als wir eines Tages in einer Lagerhalle in New York spielten, kamen so Typen von Rockstar Games auf uns zu und wollten uns zum Essen einladen. Wir dachten, sie möchten einen Song für ‚Grand Theft Auto V‘, da gibt’s ja super viel Musik von verschiedenen Künstler:innen. Es stellte sich heraus, dass sie Musik für das Spiel ‚Max Payne 3‘ wollten, das gerade in der Entwicklung war. Wir schickten ihnen Demos und am Ende haben wir über ein Jahr am kompletten Score gearbeitet.“ Die Gaming-Szene ist in den letzten Jahrzehnten extrem gewachsen, spätestens während der Corona-Ausgangssperren hatte vermutlich jeder mal eine Nintendo Switch in der Hand. Gleichzeitig gibt es auch dort verschiedene Fan-Lager, toxische Kulturen, tausend verschiedene Geschmäcker, genauso wie in der Musik- oder in der Filmindustrie. Wie findet man sich als Punkband in diesem Universum zurecht, oder bestehen HEALTH aus Gamern, denen ihr inneres Kind zujubelt? Ein Blick auf das Instagram-Profil, das voll ist mit Anime- und Gaming-Memes, legt das zumindest nahe. „Unser Bassist John Famiglietti ist definitiv ein Gamer. Außerdem sind er und ich sehr filmorientiert und den Score für insbesondere moderne Games zu schreiben, ist nicht sehr viel anders, als das für einen Film zu machen. Man erschafft eine Atmosphäre und beeinflusst die Erfahrung der Gamer – oder Zuschauer. Wir waren eine Band mit Punk-Ethos, die auf einmal Musik für ein gigantisches Unternehmen gemacht hat, das Spiele vertreibt, die Millionen von Gamer spielen. In der Indie- und Punk-Szene wurde uns Sellout vorgeworfen und viele unserer musikalischen Kolleg:innen waren skeptisch, während wir von Gaming-Seiten und -Magazinen gecovert wurden, fast aus dem Nichts waren wir in der Szene zementiert. Die Leute in der Musikabteilung bei Rockstar-Games sind einfach gute Freunde geworden. Ab da war unsere Hörerschaft sehr viel von Gamer:innen geprägt, die intensive, harte und aggressive Musik mögen. Mittlerweile gibt’s aber viele Überlappungen, einfach weil auch viel mehr Leute spielen und Animes schauen, haha.“ HEALTH haben einen Song zu dem erfolgreichen Anime „Cyberpunk: Edgerunners“ beigesteuert, der seit letztem Jahr auf Netflix läuft und zum Anime des Jahres 2022 gekürt wurde. Was hat es alles mit den Anime-Memes zu HEALTH auf sich, die sich bei Grafiken von Kult-Animes wie „Neon Genesis Evangelion“ und „Berserk“ bedienen? John führt die Insta-Seite und erklärt, dass das alles von Fans erstellt und auf dem bandeigenen Discord hochgeladen wird, und er sich die Besten rauspickt. „Ich bin wie ein Meme-DJ, haha! Memes sind ja auch das Einzige, was auf Social Media funktioniert. Wir werden wesentlich mehr angezeigt, als wenn wir ‚nur‘ Bandinfos oder Fotos posten.“ Der lebende Beweis also für die Schnittmenge von Anime-, Gaming- und HEALTH-Fans.
Nicht nur in diesen unterschiedlichen Medien gibt es Schnittmengen, sondern auch in den Genres, die HEALTH vermischen und bedienen, um ihren ganz eigenen, speziellen Sound zu kreieren. Jake erklärt: „Ich denke, wir sind am ehesten eine Neo-Industrial Band. Wir wollen nicht klingen wie MINISTRY, obwohl wir sie lieben. Wir haben immer viel ausprobiert, mal diesen Sound, mal jene Art von Produktion, und langsam gemerkt, was für uns funktioniert. Und die Musik, die dabei rauskommt, die machen wir sowieso – und anscheinend gefällt das den Leuten, die auch sonst härtere Musik hören! Es ist Fluch und Segen, kein tatsächliches Genre zu haben, denn wenn du etwas Bestimmtes spielst, verstehen alle sofort, was du tust, und Fans des Genres lernen dich schneller kennen oder auch lieben. Gleichzeitig waren wir nie Teil irgendeines Trends und mussten uns nie neu erfinden, weil wir uns unabhängig davon selbst gefunden haben. Früher haben wir gesagt, wir machen Heavy Rock, hahaha.“ – „Klingt wie SCORPIONS“, wirft John ein. „Genau“, fährt Jake fort. „Wir haben auch mal gesagt wir machen Noiserock, denn wir kommen aus der Noise-Szene. Aber die ‚richtigen‘ Noiseheads meinten, wir seien keine Noise-Band. Man kann doch Gitarren und Drums bei uns raushören! Also was sind wir?“ Da stellt sich die Frage, inwiefern eine Kategorisierung noch wichtig ist. Es ist 2023, jeder hat Zugriff auf alles – und zwar mit nur einem Klick. Inspiration aus allen Ecken, aus den großen Stadien, aus den kleinen Lagerhallen, aus Wohnungen und selbstgebauten Studios, aufgenommen mit günstigen Kameras und in unsere Handfläche gespielt. „Mit John habe ich letztens erst darüber gesprochen. Stell dir vor, es ist 1986: Es kommen ständig unglaubliche Alben raus, die eigentlich ziemlich viel miteinander zu tun haben. ‚Master Of Puppets‘ wird veröffentlicht, aber du bist THE CURE-Fan. Geht nicht. Du bist Punk- oder Goth- oder Metal-Kid, und das ist deine Szene und die anderen Szenen werden gehasst. Und heute, obwohl wir uns politisch und individuell-persönlich durchaus diversen Lagern zugehörig fühlen, ist Musik sehr offen. Insbesondere in den härteren Genres gab es wahrscheinlich noch nie so viel Offenheit gegenüber Neuem und der Kombination von Styles.“ In den letzten Jahren fiel mir häufig auf, dass Leute, die früher auf jeder Hardcore-Show waren und auf jedem Impericon-Festival, mittlerweile eher beim nächsten illegalen Rave zu finden sind. Techno wird immer populärer und zum Mainstream und scheint auch viele abzuholen, die früher ihren Kick im Pit gesucht haben. John: „Das haben wir auch beobachtet. Viele unserer Bekannten, die in der Szene bleiben und ausgehen, Spaß haben wollen, landen früher oder später beim Techno.“ Jake stimmt zu: „Ganz viele unserer Freund:innen waren in Avantgarde-Noise-Projekten und wollten mehr und Partys, also fangen sie an, als DJ aufzulegen. Dann spielen sie House, dann kaufen sie Equipment, dann machen sie härtere Beats, dann spielen sie Techno. Es scheint ganz von alleine zu passieren.“ Ist eine Band wie HEALTH dann eine, auf die sich diese Leute einigen können? „Vielleicht ja, weil wir die harte Musik auf bestimmte Weise in unsere Musik integrieren. John und ich kommen aus dem Punkrock: BLACK FLAG, DEAD KENNEDYS, MISFITS. Je älter ich wurde, desto mehr haben sich meine Vorlieben Richtung Metal verschoben und auch relativ früh schon zu Industrial. Und wenn wir in unserer Musik heute harte Gitarren verwenden, dann klingen sie nicht wie moderner Metal- oder Deathcore, sondern wie Achtziger-Thrash-Gitarren, aber innerhalb unserer elektronischen Sound-Palette. Damit holen wir vermutlich viele Leute ab, die früher Metal-Fans waren, und die mit modernerem Metal nicht up to date geblieben sind.“
Um viele Genres zu mixen, muss man viele Genres kennen. Und die Künstler:innen, die sie ausmachen. HEALTH zeichnen sich neben anderem auch dadurch aus, dass außergewöhnlich viele Features und Kollaborationen auf ihren LPs zu finden sind. In den letzten drei Jahren veröffentlichten sie „Disco 4 :: Part I“ und „Disco 4 :: Part II“, die Songs mit anderen Künstler:innen und Bands aus unterschiedlichen Genres beinhalten. Darunter Größen wie LAMB OF GOD, NINE INCH NAILS, Noise- und Black-Metal-Bands wie THE BODY und FULL OF HELL bis hin zu Ghostemane und 100 GECS. Steht da noch irgendjemand auf der Bucket List? „Ich denke, wir haben den Olymp mit NIN schon erreicht, haha. Aber klar, es gibt immer coole Leute, mit denen man arbeiten will“, sagt Jake. „Dass das überhaupt schon so oft geklappt hat, ist ein Wunder. Meistens schreiben wir die Leute an, und dann sagen sie, sie haben Bock und wir sind jedes Mal aufs Neue überrascht.“ Auf dem neuen Album „Rat Wars“ finden sich hauptsächlich Songs „nur“ von HEALTH selbst. Also eine Fortsetzung nach „Volume 4 :: Slaves Of Fear“ von 2019 – wobei „Volume 4“ nicht als Zahlenfolge gedacht war, sondern eine Hommage an Jakes Lieblingsalbum von BLACK SABBATH. „Wir haben immer nur gescherzt, dass unser viertes Album dann auch ‚Vol. 4‘ heißen wird, ohne je ernsthaft zu planen, so lange zu bestehen. Als es soweit war, fanden wir es cool, noch den Zusatz ‚Slaves Of Fear‘ dazu zu nehmen, wie bei einem Filmuntertitel.“ Die Nähe zum Score ist stets gegeben. „Rat Wars“ präsentiert sich nun sehr persönlich und ist in einer turbulenten Phase von Jakes Leben entstanden. „Die Pandemie war vorbei, und das war natürlich eine uncoole Zeit, aber die Phase danach war für mich auch sehr hart. Ich bin insgesamt ein ziemlich trauriger Mensch und mal ist es besser und mal schlimmer. Daher war die Arbeit an diesem Album für mich wie eine Katharsis und es hat mir auf eine gewisse Art richtig Spaß gemacht, weil es mich vorangebracht hat.“ John setzt nach: „Generell ist die Arbeit an Alben mit vielen anderen Künstler:innen etwas leichter, weil man viel von der künstlerischen Verantwortung abgibt. Wir maßen uns nicht an, die Parts der anderen zu zerdenken, zu überlegen, wie sie besser klingen würden oder Ähnliches. Bei sich selbst macht man das natürlich endlos, haha. Deshalb sind Alben wie ‚Rat Wars‘ anstrengender – am Ende ist man aber stolz auf das, was man gemacht hat.“
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