Zur richtigen Zeit am richtigen Ort, und das direkt zweimal. Das erste Mal sah und hörte ich von HEADWATER (siehe Review in diesem Heft), als sie in Vancouver beim linken Under The Volcano-Festival spielten. Auf der Bühne standen junge, begnadete Folk-Musiker, die einen der begeisterndsten Live-Auftritte hinlegten, den ich je gesehen hatte, und die einmal mehr bewiesen, wie mitreißend diese Musikrichtung sein kann. Zwei Monate später ging ich die Straße runter, auf der ich vor einer Bar eine Tafel mit der Aufschrift „Headwater – Tractor-Jazz, 8-12 pm“ stehen sah. Am Ende waren es dann doch nur dreieinhalb Stunden, dafür hatte ich danach ein Interview mit Co-Sänger und Songwriter Jonas Shandel in seiner Wohnung in North Vancouver vereinbart.
Die euch eigene Bezeichnung für euren Stil, Tractor-Jazz, habt ihr abgelegt.
Ja, leider kennen wir eine Menge Jazzmusiker, und unser Stand-up-Bassist Patrick selbst kommt aus der Jazzszene. Die Bezeichnung hat ihn wahnsinnig gemacht. Wir nennen es jetzt Acoustic Roots Music, mit der Bezeichnung kommen wir eigentlich ganz gut klar.
Country Music hingegen ist für viele eher ein schockierender Musikstil.
Wir haben auf ein paar Country-Festivals gespielt, und wir mögen sie überhaupt nicht. Die Atmosphäre ist sehr künstlich, genauso wie der ganze Lifestyle. Wir konzentrieren uns jetzt ausschließlich auf Folk-Festivals. In den letzten Jahren sind eine Menge Bands in Richtung Roots Music gegangen, es ist eine sehr breite Musikrichtung, die einem viel Platz zur Entfaltung bietet.
Gibt es in Vancouver eine gute Folk-Szene? Normalerweise kommen einem da ja andere Städte wie natürlich Toronto, aber auch Winnipeg in den Sinn.
Es ist keine atemberaubende Szene, aber sie ist sehr solide und gesund. Es gibt eine Menge guter Musiker hier in der Stadt. Der einzige negative Aspekt ist der Mangel an Veranstaltungsorten für unseren Musikstil. Deshalb machen wir häufig alles selbst, indem wir irgendwo einen Raum mieten und unser eigenes, günstiges Bier verkaufen.
Euer neues Album, „Lay You Down“ wird offiziell erst im kommenden Frühjahr veröffentlicht, aber ihr habt es schon bei Auftritten im vergangenen Sommer verkauft.
Ja, wir hatten ziemlich hastig 1.000 Exemplare für unsere letzte Tour produziert, die sind mittlerweile alle weg. Aber wir haben uns überlegt, einige Dinge, auch das Design, zu überarbeiten und das Album dann richtig im kommenden Jahr zu veröffentlichen – zunächst in Vancouver, dann nehmen wir es mit auf Westküstentour in die USA. Es ist wieder ein D.I.Y.-Album und erscheint auf unserem eigenen Label Nowhere Town.
Habt ihr einmal versucht, eure Alben auf einem anderen Label zu veröffentlichen?
Nein, irgendwie kommen wir nicht dazu. Wir sind immer noch in der Selbstfindungsphase und fühlen uns noch nicht bereit, mit unserer Musik an ein Label heranzutreten. Außerdem sind wir noch nicht attraktiv genug für ein Label, das wirklich alles besser machen würde, als wir es selbst könnten. Und was anderes würden wir nicht wollen. Wir haben eine gute Aufgabenteilung innerhalb der Band, das Booking, der Kontakt zum Radio und die Website funktionieren gut. Vielleicht machen wir es irgendwann auch umgekehrt und bieten anderen lokalen Bands unsere Infrastruktur an, sobald sich in den ganzen Abläufen eine gewisse Routine eingespielt hat.
Matt Bryant und du, ihr seid für den Großteil des Songwritings verantwortlich – welche Unterschiede, würdest du sagen, gibt es zwischen euch beiden in dieser Hinsicht?
Wir schreiben die Lieder getrennt voneinander, kritisieren uns gegenseitig und arrangieren sie dann mit der Band. Allerdings hat die Band in letzter Zeit einen größeren Stellenwert beim Songwriting eingenommen. Matt und ich haben auf jeden Fall verschiedene Stile: Matt ist sehr lyrisch, wohingegen ich mich häufig einfach treiben lasse. Und meine Lieder sind generell melancholisch, ich kann keine fröhlichen Lieder schreiben.
Viele Lieder sind eher dunkel, haben den Tod und das Verschwinden zum Inhalt – das kann, wenn man die Musik hört und dann bewusst auf den Text achtet, mitunter überraschen.
Es ist schwierig zu erklären, woher das kommt. Wir schreiben die meisten Lieder im Herbst und im Winter, wenn es früher dunkel wird und es ununterbrochen regnet. Ich glaube, keiner von uns hat jemals einen Song im Sommer geschrieben. In dieser Hinsicht ist Vancouver wirklich eine sehr inspirierende Stadt, denn wenn man soviel Zeit im Haus verbringt und nach draußen schaut, dann sprudeln die Ideen. Ich habe in den letzten Wochen wieder viel Zeit mit Songwriting verbracht. Manchmal hat man über den Sommer hin ein schlechtes Gewissen, weil man nichts für die Band gemacht und einfach das Wetter genossen hat, aber man kann sich drauf verlassen: sobald der Regen kommt, kommen auch die Ideen.
Im Internet kursieren Handy-Videos von euren Auftritten auf den British Columbia Ferries zwischen Vancouver und Victoria.
Das hat angefangen, als wir Konzerte in Victoria gespielt haben. Ein paar andere Musiker hatten mir erzählt, dass sie auf der Fähre gespielt und ein paar Dollar in ihren Hut geworfen bekommen haben. Dann haben wir angefangen, das auch zu tun. Zunächst haben wir uns ganz schüchtern in die hinterste Ecke der Fähre verzogen und fast schon heimlich Musik gemacht, aber wir haben uns immer weiter ins Herz der Fähre vorgearbeitet, und eines Tages haben wir das volle Programm durchgezogen: in der Mitte der Schiffe sind mehrere hundert Sitze, wie in einem Auditorium, und die Fähre war brechend voll mit Wochenendausflüglern. Da haben wir angefangen, unsere Instrumente zu stimmen und sind dann in einen Song eingestiegen. Alle waren sofort still, und nach diesem ersten Lied sind die Leute regelrecht ausgerastet. Eine Frau rief, ob wir CDs dabei hätten, natürlich hatten wir das. Am Ende hatten wir über 75 CDs verkauft – danach haben wir uns gefragt, warum wir uns Sorgen um das Organisieren von Konzerten machen, wenn wir dort alles haben, was wir brauchen: Location und Publikum. Seitdem machen wir das regelmäßig an den Wochenenden.
Ihr seid auch bei einigen politischen Veranstaltungen aufgetreten, zum Beispiel beim Under The Volcano-Festival und bei einer Make Poverty History-Veranstaltung.
Ja, wir haben auch bei einer Stop War-Veranstaltung gespielt, hier in Vancouver in der Art Gallery vor bestimmt 1.000 Leuten. Die mochten uns, und so haben sie uns zu ein paar ihrer Events eingeladen. Am wichtigsten waren uns aber das Fundraising für John Graham. Er ist ein Kanadier, der in den USA wegen Mordes an seiner Frau verhaftet wurde. Das alles ist ein rassistisch motivierter und konstruierter Fall, und wir haben ein Benefizkonzert für seine Anwaltskosten gespielt. Hier in Vancouver engagieren sich einige Leute für den Fall.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #81 Dezember 2008/Januar 2009 und Myron Tsakas
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #81 Dezember 2008/Januar 2009 und Myron Tsakas
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #84 Juni/Juli 2009 und Myron Tsakas