Ein Samstag im Advent 2023. Interview mit HAMMERHEAD am Ox-Konferenztisch in Solingen-Ohligs. Tobias und David kamen eine Stunde später als geplant. Der Bahnstreik. Weshalb die anderen drei – Ron, Oliver, Daniel – von HAMMERHEAD in Berlin und anderswo hängengeblieben sind und nur per Schaltkonferenz dabei sind. Der Anlass: das erste HAMMERHEAD-Album seit einem Vierteljahrhundert. Live sind sie seit Jahren (wieder) präsent und immer noch eine Macht, und sie haben einen Ruf, der ihnen vorauseilt: die krasseste, krawalligste und kompromisslose deutsche Hardcore-Punk-Band. Manches stimmt, manches ist Legende.
Und da man sich seit Jahren bei diversen Gelegenheiten begegnet, ist auch in Vergessenheit geraten, warum da einst rumgefehdet wurde zwischen Band und Ox. 2024 ist vieles anders, das Szeneumfeld hat sich geändert, die Lebensumstände und auch das Bandgefüge. Headbert ist raus, für ihn kam David von KMPFSPRT – der eine schreibt fürs Ox, der andere tat das mal. Erschienen ist „Nachdenken über Deutschland“ auf Holy Goat Records, jenem Kölner DIY-Label, auf dem auch KONTROLLE sind und hinter dem Ralf steckt, der seit vielen Jahren Tourfahrer und Mercher von beiden Bands ist. In diesem langen Interview und diversen Texten mit Menschen aus dem Umfeld versuchen wir ein schärferes Bild der Band zu zeichnen, die den einen völlig egal ist und die die anderen für eine der Bedeutendsten hierzulande halten.
Eure erste Single hat den Titel „Autofahrerhose“. Passt zu Solingen, da sitzt die Firma Walbusch, die waren mal legendär für diese Elastikbundhosen, die der Herr Vertreter so gerne trug und mit denen man nach der Einkehr im Landgasthof auch trotz einer großen Portion Schweinebraten und Knödel noch entspannt hinterm Steuer Platz nehmen konnte.
Tobias: Mein halbes Leben lang lag immer der Tagespresse die „Prisma“ bei, so eine Zeitung voller Lebenshilfetipps, mit dem Fernsehprogramm und Werbung für Bruchbänder, für Flusskreuzfahrten und Versandhändler für Autofahrerhosen und irgendwelche Mittel gegen Sodbrennen. Es richtet sich an den verfetteten, mittelalten bis alten deutschen Herren. Und damals dachte ich mir, was ist denn das für eine Scheiße? Ich dachte, das seien Hosen, die man im Bund in der Weite verstellen kann, mit so einer Klemme, dass man das auslassen kann, wenn die Wampe beim Sitzen spannt. Aber die Firma Walbusch macht doch auch Hemden, oder?
Ja, Hemden mit einem nicht einengenden Spezialkragen, so dass man nicht die Knöpfe aufmachen muss.
David: Der Unterschied zur gewöhnlichen Jogginghose besteht also bei der Autofahrerhose eigentlich nur darin, dass sie vorgaukelt, keine Jogginghose zu sein.
Tobias: Es ist eine Stoffhose. Die ist nicht nur elastisch, sondern du kannst sie weiten, aber auch wieder enger machen, damit die Wampe dann drüber hängt.
Interessant, dass du den Begriff Stoffhose verwendest. Weil es ja nicht so ist, dass Jeans nicht auch aus Stoff wären ... „Wir gehen in die Kirche, Tobias, zieh dir mal bitte die ordentliche Stoffhose an!“
Tobias: Die kratzt aber ...
Was merken wir daran?
Tobias: Wir sind vermutlich um 1970 geboren. Man sagt ja auch immer zu den jungen Mädchen: „Nimm den Soliden mit der Stoffhose und nicht den Wilden mit der Jeans.“ Meine Oma hat das gesagt, aber die ist schon längst tot. Die war sehr alt.
Der Song wurde also die erste Single. Was hatte ihn dafür qualifiziert?
David: Ich glaube, dass der ganz gut zusammenfasst, was auf dem Album zu hören ist. Der hat von allem ein bisschen was, der ist am repräsentativsten für das ganze Album. Den Text hat auch nicht jeder von uns erwartet. Und ich finde vor allem crazy, dass der Song Stand heute noch immer bei Spotify ist, obwohl er eigentlich ein klarer Aufruf zur Gewalt ist gegen Autofahrer-Funktionäre.
„Bringt mir den Kopf von Alexander Dobrindt / Vom Scheuer Andi / Und die Köpfe vom Wissmann / Und vom Wissing und / Stellt Mehdorn an die Wand / Tätervolkswagen / Terrororganisation ADAC“, heißt es da ...
David: Ich dachte, irgendein Spotify-Algorithmus erkennt das und man kann gar nicht erst hochladen. Das war einer der ersten Songs, die ich mir angehört habe, als ich in die Band eingestiegen bin. Der war schon da, bevor ich kam. Daniel hatte mir fünf oder sechs rohe Proberaumaufnahmen von neuen Songs geschickt. Die habe ich gehört und gedacht, das geht genau in die Richtung, die ich als Fan gewollt hätte, die sich mit der „Opa ist in Ordnung“-7“ abzeichnete. Das sind für mich rein musikalisch die besten HAMMERHEAD-Stücke. Da dachte ich mir, da habe ich Bock mitzuspielen. Als der Song dann fertig war, war das ein „No Brainer“, dass der die erste Single wird. Und zum Ende hin hat der sogar noch einen melodischen Part – und das nach dreißig Jahren HAMMERHEAD.
Tobias, der Text musste von dir wohl ein paar mal upgedated werden, was die Namen der Verkehrsminister betrifft, oder?
Tobias: Ja. Der Song war als Fragment schon lange da, aber er hatte nie einen Text, und ich hatte mal angefangen, einen Text über alle deutschen Verkehrsminister zu schreiben, angefangen vom deutschen Reichsverkehrsminister 1918 bis heute. Ich war da auch schon recht weit gekommen, aber die hatten alle so krude Namen gehabt, da reimte sich nichts drauf und die waren auch schwer auszusprechen. Da hätte ich die Skills von einem Rapper haben müssen, also kam nun das dabei raus. Letztendlich ging es mir darum, meinen Hass auf den individuellen Autoverkehr auszudrücken. Was mir, glaube ich, auch ganz gut gelungen ist.
Du bist, das ist mir aus anderen Gesprächen bekannt, begeisterter Bahnfahrer.
Tobias: Begeistert nicht. Ich fahre Bahn, mache so auch Urlaubsreisen. Und, die Ironie an der Geschichte, ich bin natürlich auch Spediteur, also beruflich nutze ich Fahrzeuge. Und es wäre natürlich viel besser, wenn nur ich Auto fahren würde und die anderen nicht.
Das ist natürlich sehr egoistisch: Freie Fahrt für freie Unternehmer!
Tobias: Ja, ich weiß. Die Frage muss ja gestellt werden: Warum fährt jedes Arschloch mit dem Auto rum? Die Leute sollen mit der Straßenbahn fahren, in der Stadt. Die haben ja nicht immer irgendwas zu transportieren. Mittags um elf fahren immer nur Rentner mit ihren riesigen Autos durch die Stadt. Wo wollen die denn hin? Die sollen Taxi fahren, die haben doch genug Geld!
David: Und abends über die Kölner Ringe fahren nur irgendwelche Leute mit geliehenen Nobelautos und prollen und posen rum.
Man könnte angesichts dieses Textes den Ausdruck „linksgrün versifft“ auf euch anwenden. Dieser Text ist ja ADFC-Propaganda pur und der Zukunft zugewandt, was den motorisierten Personenindividualverkehr betrifft.
Tobias: Ich finde Bahnfahren super. Beim Fahrradfahren kommt es natürlich immer aufs Wetter an, aber es gibt keinen Grund, mit dem Auto in die Stadt zu fahren. Punkt. Das sollten die Leute sein lassen.
Und wie kommt ihr zu Konzerten?
Tobias: Haha, das ist ja was ganz anderes!
David: In den Neunzigern bin ich echt noch mit der Bahn zu Konzerten gefahren, wir hatten gar kein Equipment, wir hatten ja noch nicht mal eigene Amps. Deswegen fuhren wir mit dem Wochenendticket. Das hat auch irgendwie funktioniert.
Tobias: Das würde heute nicht mehr funktionieren. Es gibt heute mehr Autos denn je in Deutschland. Ich glaube, in Deutschland sind 50 Millionen Autos zugelassen bei 83 Millionen Menschen. Ich habe manchmal das Gefühl, die Leute haben zwei Autos, eins zum Parken und eins zum Fahren, und abends stellen sie das zum Fahren auch noch mal irgendwo hin. Meinetwegen sollte der Sprit zehn Euro kosten.
Und du würdest das dann als Unternehmer deinen Kunden einfach weiterreichen.
Tobias: Klar. Meine Kosten, das ist ja wie ein Korken, der schwimmt obenauf. Nein, dass sich jedes Arschloch irgendwie alles liefern lässt, das ist totale Scheiße. Aber darüber muss ich mich jetzt hier nicht aufregen, das tun andere ja schon.
Im Grunde ist „Autofahrerhose“ ein sehr reflektierter Text. Wäre euch so was vor dreißig Jahren auch „passiert“? Er ist im Grunde sehr konstruktiv und offenbart eine positive Gesellschaftsutopie. Ich habe HAMMERHEAD bislang als eher nihilistisch wahrgenommen.
David: Ich habe die Band ja lange von außen wahrgenommen und das kann ich genau so bestätigen. Eines meiner ersten Konzerte, als ich 15 war, waren HAMMERHEAD in Bonn im Bla. Ich fühlte mich gleichermaßen schockiert wie auch angesprochen von dem, was da passiert ist. Das war schon ganz anders als die Bands, die ich sonst gesehen habe, die alle sehr nett wirkten. HAMMERHEAD waren irgendwie scary und bedrohlich und das fand ich geil. Als besonders konstruktiv und lösungsorientiert habe ich die Band von außen nicht empfunden, haha.
Tobias: Punkrock hat den Vorteil, negativen und auch positiven Gefühlen Ausdruck verleihen zu können. Wer Punkrock-Texte als Handlungsanweisung begreift, der muss ja wirklich nahe an der geistigen Behinderung sein.
„Ein Drittel Heizöl, zwei Drittel Benzin ...“
Tobias: BUTTOCKS sangen mal: „Hängt die Bullen auf und röstet ihre Schwänze“. Ja, viel Erfolg! Und wenn man das jetzt auch noch zu Ende überlegt: „Hängt die Polizistinnen auf und dünstet ihre Vulven.“ Also ich meine, das ist doch alles scheiße. Es geht darum, einem Gefühl Ausdruck zu verleihen, und da ist Punkrock genau das richtige, um schlechten oder negativen Gefühlen Ausdruck zu geben. Und das haben wir, glaube ich, ganz gut hingekriegt. Darum geht es schließlich im Punkrock.
Warum?
Tobias: Darum, in der Regel negativen Gefühlen Ausdruck zu verleihen.
Ron: Ich war immer unzufrieden und wütend! In der Binnenwahrnehmung war es, glaube ich, nie so, dass wir besonders nihilistisch waren, wenn ich mal so zurückdenke. Also ich habe mich nie so wahrgenommen. Als Punkband ist es doch eher so, dass man diese Zuspitzung nutzt und nicht notwendigerweise eine Botschaft hat, wie die Welt besser sein könnte. TOXOPLASMA haben das in einem Text mal gut formuliert: „Ich weiß nicht genau, was ich besser machen soll / Doch von dem, was ist, hab ich die Schnauze voll“.
Tobias: Das bringt es auf den Punkt: Gut gelaunter Hass.
Der Satz ist von DETLEF. Gibt es Bands, die ihr über die Jahre immer total abgefeiert habt?
Tobias: POISON IDEA! MOTÖRHEAD, SONICS. Ich liebe LEATHERFACE, kann „Mush“ aber nicht mehr hören. Davon krieg ich Depressionen.
David: LIFETIME, GORILLA BISCUITS, WEEZER ...
Oliver: Ich möchte mich von den Aussagen meines Vorredners distanzieren. Ich finde das alles scheiße. Ich höre HipHop den ganzen Tag. FANTA 4 und Der Wolf.
David: LEATHERFACE sind eine Band, auf die wir uns alle einigen können. Bis auf Oliver.
Oliver: Einigen können wir uns auf POISON IDEA. Irgendwas mit melodischem Gesang fällt ja von vornherein aus. Und was mit virtuosen Gitarren auch.
Tobias: Nee, also Pig Champion ist ja mit seinen Wurstfingern über das Griffbrett gerast wie ein Pavarotti! Und Jerry A kann sogar singen.
Ron: Wenn man uns einmal gehört und erlebt hat, dann merkt man, dass POISON IDEA für uns ein Bezugshorizont waren. Wenn man sich allerdings die Autobiografie von Jerry A durchliest, wird einem klar, dass das schon ein ganz anderer persönlicher Hintergrund ist. Von der Herangehensweise her war das aber schon so, dass ich mir dachte, so etwas wie POISON IDEA würde ich auch gerne machen. In Deutschland ist man ja nicht so krass unterwegs gewesen wie Leute, die in den frühen Achtzigern und späten Siebzigern in den USA Punkrocker waren. Zumindest nicht, wenn man hier in der zweiten Hälfte der Achtziger und den frühen Neunzigern sozialisiert wurde.
Der Hintergrund meiner Frage ist, dass man eurer Band in Deutschland längst den Status einer Kultband zuspricht.
Tobias: Wir haben damals als Band mit einem Subgenre von Hardcore angefangen und uns dann daraus weiterentwickelt. Der Trick ist, als Band einfach immer weiterzumachen.
David: Wie viele Bands gibt es, die es mehr als dreißig Jahre gibt? Nicht so viele.
Tobias: Man muss einfach nur lange genug stehen bleiben, der Trend kommt irgendwann wieder an einem vorbei. Und wir haben durchaus gelegentlich eine flamboyante Live-Performance hingelegt, im Gegensatz zu manchen anderen Bands, vor allen Dingen aus Deutschland, die ja live kaum anzugucken sind. Man fragt sich, warum manche Bands überhaupt auftreten, wenn sie offenkundig keinen Bock haben aufzutreten.
Ron: Ich denke, es spielt auf jeden Fall eine Rolle, dass es uns so lange gibt. Dazu kommt, dass wir uns immer solchen komischen Marktmechanismen entzogen haben. Wir haben manche Dinge eben nicht gemacht, die andere Bands gerne mal gemacht haben.
David: HAMMERHEAD waren schlau und haben einfach nach dem „Weißen Album“ kein weiteres mehr gemacht und verhindert, ein irrelevantes Spätwerk zu fabrizieren. Das war ein smarter Move.
Ron: Das war alles Kalkül.
David: Wenn man sich die späten Platten von SSD, DYS oder UNIFORM CHOICE anhört, dann war das eine gute Entscheidung. Auf einmal wurden die Haare lang und so komischer Eighties-Rock gespielt, aber ohne das zu können. Das fand ich es ganz smart von HAMMERHEAD zu sagen, wir machen erst wieder eine Platte, wenn wir wieder was Geiles zusammenhaben. Und so haben sie zwanzig Jahre geschwiegen.
Tatsächlich sind bis 25 Jahre vergangen seit dem letzten Album, sogar 26, wenn es raus ist.
David: Die „Farbe/Color“-10“ kam aber 2000.
Tobias: Eben, es war kein Album. Und die würde ich gerne totschweigen, weil ...
David:: Da ist aber „Hochhaus“ drauf, und ich habe schon Leute gesehen mit „Hochhaus“-Tätowierungen. Also war nicht alles schlecht.
Ron: Und das prophetische „Zum Glück SPD“.
Warum diese lange Pause? Faktisch hat die Band ja immer irgendwie existiert und Konzerte gespielt. Trotzdem kam keine neue Platte. Weil mit den alten Platten alles gesagt war? Weil man Angst hatte, dass man mit dem Neuen nur hinter das alte zurückfallen kann?
Tobias: Wir haben Platten früher so gemacht, dass wir uns im Proberaum getroffen und dann gejammt haben, und irgendwie kamen Songs dabei raus. Wenn wir das aber mit dem Tempo weitergemacht hätten, wäre die nächste Platte 2045 erschienen. Norbert ist ausgestiegen, David kam dazu. David hat Songs geschrieben, hat die uns präsentiert: „Oh, die sind ja gut!“ Wir haben die im Proberaum ein bisschen umgestrickt und hatten auf einmal neue Songs. Bei uns anderen ist niemand ein Songschreiber. Eigentlich finde ich es am coolsten, sich wie zum Handballtraining einmal die Woche zu treffen und dann irgendwie rumzumachen. Aber das funktioniert nicht mehr, wenn man 600 Kilometer auseinander wohnt und über fünfzig ist. David hat also Songs geschrieben und wir fanden die fast alle gut. Drei, vier Songs gab es als Fragmente vorher, den Großteil hat David geschrieben und wir haben das dann zusammen angepasst.
David: Wir sind im Proberaum mit der ganzen Band über alle Songs drüber gegangen, das war auf jeden Fall Teamwork. Ich schreibe halt gerne Songs, das ist mein Hobby, ich habe sonst nichts zu tun zu Hause. Und da war das cool, bei HAMMERHEAD einsteigen zu können, denn es passiert ja nicht alle Tage, dass man in eine Band einsteigt, von der man selber Fan ist und vor allem schon mit 15, 16 Fan war. Zu einer Zeit also, die sehr wichtig ist, was die musikalische Sozialisation angeht, wo die Richtung geprägt wird, wohin man sich entwickelt als Mensch. Und ich hab eben „Sterbt alle!“ in meine Schulhefte gekritzelt und meine Lehrer haben sich vermutlich gefragt, was aus dem Kerl werden soll.
Interessante Geschichte, die ich mal so zusammenfasse: Da ist einer Fan einer Band, steigt dann Jahrzehnte später in diese Band ein, hat eine Vision, eine Idee in seinem Kopf, die klingt, wie diese Band für ihn immer geklungen hat, und schreibt dann für diese Band Songs ...
David: Es ist nur so, dass es keinen Plan dafür gab. Ich habe ja nicht Norbert bedroht, damit er aussteigt. Nein, Tobias kam im Namen der Band auf mich zu und hat gefragt, ob ich mitmachen will. Da habe ich mir natürlich überlegt: Was passiert dann? Wir haben also geprobt und die alten Songs gespielt und ich wollte halt neue Songs machen. Wenn man die Möglichkeit hat, mit einer Band zu spielen, von der man Fan ist und die das Songwriting so angeht, dass man sich trifft und rumjammt, dann gibt es eben die Möglichkeit, sich einzubringen. Wie gesagt, ich schreibe gerne Songs, und wenn die der Band gefallen, wenn man hier und da noch was dran macht, dann entstehen schneller neue Sachen. Ron spielt Bass, Daniel spielt seine Gitarrenmelodien dazu, Oliver knüppelt durch und Tobias singt und schreibt die Texte. So haben wir zusammen was geschaffen, das irgendwie geil ist. Für mich war das mit dem neuen Album so ein bisschen wie bei den neuen „Star Wars“-Filmen. Es gab diese schlechten „Star Wars“-Filme in den Nuller Jahren, und dann kam jemand Neues, der Fan ist, und hat das übernommen und es wurde gut. Der hatte überlegt, was er als Fan selber gerne sehen will. Das war ungefähr meine Herangehensweise. Ich fragte mich, was will ich selber hören von HAMMERHEAD. Wobei es stimmt, was Ron gesagt hat, dass vieles vorher schon fertig war, zum Beispiel „Autofahrerhose“.
Tobias: „Kinderstrafe“ wurde auch schon vorher gespielt.
Ron: Wir waren nie besonders schnell beim Songwriting. Wir haben immer schon alle unterschiedliche Musik gehört und vielleicht eine Idee gehabt, wie HAMMERHEAD klingen sollen, uns aber teilweise auch nicht einigen können. Dann kommt hinzu, dass wir wegen der räumlichen Distanzen jahrelang nicht geprobt haben, oder nur für Shows. Dann ist so ein Songwritingprozess echt schwierig, das funktioniert so nicht. Wir haben uns dann überlegt, wie wir uns selbst motivieren können, noch mal was zu veröffentlichen, und sei es nur eine 7“. Einfach nur irgendwas, damit wir irgendwie die Band für uns selbst am Leben halten. Da war Norbert noch dabei.
Oliver: Einfach um ein Alibi zu haben, live zu spielen. Der neueste Hit ist 13 Jahre alt ...
Ron: Es war dann aber so, dass wir jede Menge Songs geschrieben haben, die nicht dem entsprochen haben, was wir uns vorgestellt haben. Auf dem Album sind fünf, sechs Stücke, die schon vorher zumindest teilweise entstanden waren. Die haben es irgendwie durch unser aller Qualitätskontrolle geschafft. Wir schmorten in unserem eigenen Saft, und da war es gut, dass jemand Neues kommt. Das war ein richtiger Push. Auch wenn ich es schade finde, dass Norbert ausgestiegen ist, war es wichtig, dass jemand neu in die Band kommt und Impulse gibt. Ich denke, das wird jede Band bestätigen, die so lange existiert, dass ein Besetzungswechsel durchaus sinnvoll sein kann Es gibt wenige Bands, die so lange kreativ funktionieren.
Tobias: Wenn die alle im selben Ort wohnen und jede Woche proben, dann kann das funktionieren. Aber das ist bei uns nicht der Fall, und dann funktioniert es auch nicht.
Oliver: Eigentlich dachte ich ja, dass nur der Tod uns scheiden könnte, aber jetzt hat es sich so ergeben und es ist ein frischer Wind in der Band.
Ron: Durch die Songs, die David beigesteuert hat, hatten wir total schnell eine Platte fertig, und das hätten wir ohne ihn nicht geschafft.
David: Es spricht für die Jungs, dass sie mich haben machen lassen.
Tobias: Uns blieb nichts anderes übrig, hahaha! Ich glaube, wir haben nicht so die Riesen-Egos und sagen: Nein, der Song muss von mir stammen! Wir haben den Ansatz, dass wir eine Punkband sind und alles in einen Topf kommt. Dann wird das durchgequirlt und unten kommt ein super Song raus.
David: So sehe ich das aber auch. Letzten Endes haben wir die zusammen geschrieben.
Tobias: Musikalisch habe ich am wenigsten dazu beigetragen, außer den Gesang.
David: Wir haben uns alle eingebracht, und Oliver, der Schlagzeug spielt, hat auch mal zu mir gesagt, geh doch mal mit der Gitarre auf den dritten Bund statt auf den siebten oder so. Das war bei „Spaß und Politik“.
Was macht diese Band aus? Was ist der Kern dieser Band?
Oliver: Früher hat es uns ausgemacht, dass wir keine Hinterher-Trinker waren.
David: Es gibt ja tatsächlich Bands, die sagen, du darfst maximal zwei Bier trinken, bevor es auf die Bühne geht. Das habe ich nie verstanden.
Tobias: Du musst maximal zwanzig trinken, bevor es auf die Bühne geht.
Oliver: Das Konzept ist mir nicht unbekannt.
HAMMERHEAD werden also definiert durch den Alkoholkonsum vor dem Auftritt.
Tobias: Jaaa ... neee. Es gibt ja auch Leute, die gar nichts trinken.
Daniel: Es gibt ja heutzutage sogar Leute, die Mikrofasertücher dabei haben, um direkt nach dem Spielen ihre Gitarre abzuwischen.
David: Also ich klein war und Leute über HAMMERHEAD geredet haben in Bonn, da hieß es tatsächlich mal, dass die Wasser aus Bierflaschen trinken. Weil sie eigentlich straight edge seien, aber nicht so aussehen wollen. Deswegen trinken sie Wasser aus Bierflaschen.
Tobias: Das hat Oliver einmal gemacht, in Obersteinebach.
Oliver: Ich wollte beim Schlagzeugspielen Wasser trinken, es gab kein Behältnis, also hab ich mir welches in Bierflaschen gefüllt. Das ist die ganze Geschichte.
Legenden und ihre Zerstörung. Also, was macht HAMMERHEAD aus?
Tobias: Gute Musik und Spaß inne Backen! Wie die FLIPPERS.
Oliver: Und über allem schwebt ein „Is mir doch egal!“.
David: Ich finde diese Kompromisslosigkeit geil. Gerade in einer Zeit, wo Punkrock immer safer wird und immer langweiliger und immer mehr wie Sozialarbeitermusik rüberkommt. Wo Bands anfangen, Regeln aufzustellen für ihr Publikum und so weiter. Da bin ich sehr dankbar, dass es noch eine Band wie HAMMERHEAD gibt, die darauf scheißt und einfach macht, was sie macht.
Tobias: Aber es ist auch nicht so, dass es uns scheiß egal ist, was da passiert. Wenn bei einem Konzert Leute sich die Fresse einschlagen, dann würde ich schon dazwischengehen. Und ich habe auch keine Lust, dass irgendwelche Fettsäcke dünne, kleine Menschen plattwalzen. Das wollte ich nur mal gesagt haben. Also es ist nicht so, dass uns alles scheißegal ist. Wir haben gewisse Werte, und alles andere ist scheißegal.
Wo ist der Unterschied zwischen eurem Gemaule und dem von Wolfgang Wendland? Was provoziert, was ist woke, was anti-woke und spießig ... und wo steht Punk? Was darf Punk eigentlich noch sagen?
Tobias: Also Wolfgang Wendland tat früher dumm und war klug, und heute tut er klug und ist dumm! Wolfgang Wendland ist ein total erzkonservativer dummer Spießer, der sich an Dingen abarbeitet, die ihr nicht versteht. Vermutlich hat er Angst um seine RWE-Aktien.Vermutlich geht es ihm darum, dass er da groß investiert hat für seine Altersvorsorge. Dass du uns mit Wolfgang Wendland in einen Topf schmeißt, finde ich schon fast ehrenrührig.
Wenn ich das mal erläutern darf: HAMMERHEAD habe ich immer als Band eingeschätzt, die in ihrer Kompromisslosigkeit einen Schritt weiter gegangen sind als andere. Denen ist irgendwie alles egal, aber dann auch wieder nicht. So hatte ich die KASSIERER früher auch eingeschätzt, wobei ich bei denen die drei anderen Personen außen vor lasse, weil das sehr nette und kluge Menschen sind. Auf diesem Level also finde ich beide Bands durchaus vergleichbar.
Tobias: Die KASSIERER machen Kunst, wir nicht. Wir sind in dem, was wir tun, authentisch. KASSIERER haben für meine Begriffe ein Konzept, das haben wir nicht. KASSIERER sind sehr, sehr gute Musiker, das sind wir in Teilen nicht. Und wir arbeiten uns nicht an dem Begriff woke oder nicht woke ab. Das haben wir nicht getan, das tun wir nicht. Früher, vor zwanzig Jahren, sagte man dazu noch „p.c.“ [„politically correct“, Anm. der Red.]. Völliger Blödsinn! Also nein, das hat für uns nie eine Rolle gespielt und wird auch nie eine Rolle spielen. Und wenn man jetzt Ärger bekommt, wenn man auf der Bühne das T-Shirt auszieht, dann würden wir uns vielleicht intern im Bandbus darüber aufregen, und das war’s. Aber da würden wir kein Fass aufmachen deshalb – wie Wolfgang Wendland.
HAMMERHEAD haben aber dieses räudige Image. Das ist Musik, die man imaginiert, wenn man überlegt, was beim letzten verbliebenen Bahnhofspunker aus dem Kasettenrekorder dröhnt. Aber sobald man dann einen Schritt weitergeht, stellt man ja fest, dass die zwar dieses Image haben, aber auf der textlichen Ebene schon immer weitaus reflektierter und smarter waren, als es so einer oberflächlichen Außenwahrnehmung entspricht.
Oliver: Also ich habe schon vor 35 Jahren mit meiner Freundin Petrasilie gegendert.
Ron: Ich glaube, so missverstanden sind wir schon lange nicht mehr. Also dass wir für stumpfe Asis gehalten werden würden. Das mag ganz früher mal so gewesen sein, als wir uns gerade von irgendwelchen Straight-Edge-Geschichten entfernt haben. So wie ich das wahrnehme, können uns die meisten Leute, die HAMMERHEAD gut finden, durchaus richtig einschätzen. Und Bahnhofspunker hören uns sowieso nicht.
Tobias: Ich glaube, das ist wie „Stille Post“. Was mir schon Leute erzählt haben, was wir alles gemacht haben oder hätten, also da wären wir alle in Sicherungsverwahrung oder in der Forensik. Dass wir Nazis zusammengeschlagen hätten ...
David: Habt ihr doch.
Tobias: Aber nicht in dem Ausmaß, wie das da behauptet wurde. Dass wir irgendwas in die Luft gesprengt hätten, ein Auto geklaut ...
Oliver: Ihr habt doch in Leipzig die Bullen mit ’ner Rakete beschossen ...
Tobias: Ja, das stimmt, aber das war nicht im HAMMERHEAD-Kontext. Das zeigt so ein bisschen, wie langweilig die deutsche Punk-Szene war und ist. Also dass wir mit unserem Pennälerscheiß, den wir da gemacht haben, solche Wellen haben schlagen können. Wenn man sich anschaut, was die älteren Punks aus Bonn und Köln früher gebracht haben, das war eine ganz andere Liga. Die hätten uns gefrühstückt, diese Typen damals.
Ron: Ich denke, dass diese Wahrnehmung entstanden ist, weil das eine mega brave Szene war, in der wir uns Ende der Achtziger, Anfang der Neunziger bewegt haben. Das waren alles langweilige Leute, und wenn man sich dann ein bisschen anders verhalten hat, ist man direkt total krass aufgefallen. Klar sind da Sachen passiert, weil irgendwer Spaß an bestimmten Dingen hatte, aber so krass wie die frühe Punk-Generation waren wir nicht, glaube ich. Die Hälfte von diesen Leuten ist ja auf der Strecke geblieben, und das nicht ohne Grund. Das ist bei uns nicht der Fall.
Tobias: Wir hatten damals öfter so eine Neuwieder Entourage dabei, die Spaß an Randale hatte. Da gab es schon oft mal Schlägereien. Aber 1982 in Freiburg bei G.B.H und INFA-RIOT, da hat es nur geknallt. Wenn das heute passieren würde, wäre das ein Riesenskandal. Ich kann mich auch nur an eine Schlägerei zwischen Punks erinnern, das war in Osnabrück. Das weiß ich noch, denn da habe ich meinen Nietengürtel verloren.
Ron: Ich hatte eine entzündete Faust, weil ich die jemand in die Zähne gehämmert habe. Und irgendwer hatte die Idee, meine Wunde auszusaugen.
Tobias: Ja, sehr gute Idee mit fremdem Speichel an eine Wunde ...
David: Henry Rollins hat genau deswegen fast eine Hand verloren.
Tobias: Wenn du jemand eine reinhaust und dich so verletzt und gehst ins Krankenhaus, legen dir die Pfote direkt in Betaisodona. Das ist schlimmer, als wenn dich ein Hund beißt.
Provokation war schon immer eine Sache, die in der Punk-Szene eine wichtige Rolle spielt. Andererseits ist das Nachdenken über das eigene Tun eine Errungenschaft, die erst später kam. „Wenn kaputt, dann wir Spaß“ als Idee kann weit tragen, aber der Spaß am Zerschmettern von Bierflaschen in der Fußgängerzone lässt irgendwann nach, und dann wird eher über Sinn und Nutzen von Pfandflaschen diskutiert. Gab es bei euch so einen „tipping point“, an dem die Reflexion die Oberhand gewann?
Tobias: Ich weiß gar nicht, ob das überhaupt passiert ist. Vielleicht muss man einfach sich selber vertrauen und die innere Stärke haben zu erkennen, dass das, was man tut, nicht grundsätzlich total grässlich ist. Dass dann, wenn man selber Spaß hat, das nicht in einer Vergewaltigung oder in einem Massenmord endet. Ich finde den Ansatz, dass man sich reflektieren muss, ein bisschen seltsam. Vielleicht muss man gar nicht permanent reflektieren, sondern sich selber vertrauen, dass man am Ende nicht total asozial ist, sondern weiß, was sich gehört.
Oliver: Dass man ein schlechtes Gewissen kriegt, wenn man eine Pfandflasche in die Biotonne wirft, ist okay.
Tobias: Diesen Punkt, den du ansprichst, gab es, glaube ich, bei uns nicht. Wir haben unsere Adoleszenz wohl wirklich „to the max“ ausgelebt, vielleicht bis Mitte, Ende dreißig. Denn vielleicht ist es dann auch irgendwann mal gut.
Was für ein Jahrgang bist du, Tobias?
Tobias: 1970. Vielleicht war diese unglaubliche Wut dann auch irgendwann mal weg. „Stay Where The Pepper Grows“ ist ja schon extrem wütend.
Ron: Das ist eine persönliche Sache, wahrscheinlich war ich dann später nicht mehr so sauer. Ich finde es aber trotzdem immer noch wichtig, das Punk sauer ist. Und wenn jüngere Leute, die Punk sein wollen, nicht sauer sind oder ihre Wut nicht äußern über ihre aktuellen Hassobjekte, dann finde ich das langweilig. Ich muss diese Wut ja nicht teilen und kann vielleicht eine total andere Meinung haben, aber ohne diese Wut ist mir die Szene echt zu langweilig.
Oliver: Was soll denn einen Jugendlichen heutzutage in den Punk treiben? Daran ist doch nichts reizvoll für einen 16-Jährigen.
Ron: Für mich wäre Punk heute unattraktiv.
Oliver: Es gibt ja nichts Neues. Und die jungen Punker hören die ganze alte Sauce rauf und runter. Die vier, fünf neuen Bands, die es in Köln und Umgebung gibt, die interessieren ja eh nicht.
TEAM SCHEISSE sind Punkrock, höre ich.
Tobias: Also da würde ich lieber zur Jugendfeuerwehr gehen. Da sind auch Regeln, aber die Regeln sind sinnvoll und man löscht Feuer. Bei TEAM SCHEISSE löscht man ja noch nicht mal den Durst. Das ist ja ultra ätzend, total unattraktiv. Und das wissen Ron und Oliver: Als wir jünger waren, gab es so komische Prolls, die irgendwie links waren, auf jeden Fall gegen Nazis, mit Che Guevara-Tattoo auf dem Unterarm und immer am Kiffen. Das waren handfeste Prolls, aber die waren so aus Zeitgeist links. Dann gab noch so richtige Spießer und vielleicht noch ein paar alte Nazis. Das gibt’s ja heute nicht mehr, also Nazis schon, aber keine alten, sondern neue. Und wenn dein Lehrer schon mit dem Skateboard in die Schule kommt, Vans trägt und ein ADOLESCENTS-T-Shirt, ja was willst du da machen? Am Ende erzählt er noch, dass er letztens mal bei einem HAMMERHEAD-Konzert war. Also ich verstehe auch nicht, warum Punks unbedingt Lehrer und Sozialpädagogen werden müssen. Beides ist nah am Justizvollzugsbeamten. Also ich will nicht einen Beruf haben, wo ich anderen Leuten sagen muss, was sie zu tun haben. Jetzt wird man natürlich sagen, hey, du bist Unternehmer, aber die Leute sind ja nicht an mich gekettet, die können ja gehen. Also so SozPäd-Bullen brauche ich nicht.
Ich hatte hier noch die Frage: Ist Punk tot? Überall Sozialpädagogen, Typen wie Wendland und auf Konzerten nur alte Leute. Und bei Spotify ist Punk sowieso Randgruppenmusik, alle hören Rap.
David: Wer so was behauptet, da frage ich mich, auf welche Konzerte derjenige geht.
Ron: Punk war schon immer Randgruppenmusik. Es ist doch kein Kriterium, ob Punk lebendig oder tot ist, oder dass es nur wenige Leute sind. Wie sich eine Szene entwickelt, das sagt was darüber aus, wie lebendig sie ist. Wenn tot gleich langweilig bedeutet, dann ist Punk tot. Wenn es danach geht, dass es schon noch Leute gibt, die konstruktiv irgendwas machen, dann lebt Punk, aber mein Ding ist es dann halt nicht notwendigerweise. Ich habe eben meine eigenen Vorstellung davon, was Punk ist. Es war aber ja noch nie so, dass zu dem Thema alle gleich gedacht haben.
Oliver: Für uns haben HAMMERHEAD immer gut dargestellt, was Punk sein soll. Das war unser Konsens.
Das Schöne ist doch, dass wir in so einer Art Punk-Legoland leben in unserer Szene, wo alle sich aus diesen Bausteinen genau das zusammenbauen können, was sie unter Punk verstehen. Was die anderen sagen, was Punk nicht darf, kann man mit „Leck mich am Arsch!“ abtun.
Ron: Genau.
Oliver: Aber die Bausteine musst du ja wortlos zusammensetzen. Ich kann meiner Mutter nicht in zwei, drei Sätzen erklären, was das alles soll. Das ist ein riesig komplexes Ding. Ein allumfassendes „Fickt euch!“.
David: Da sagt der, man kann es nicht erklären, und erklärt es dann mit zwei Worten ...
„Ein allumfassendes ‚Fickt euch!‘“ wäre auch ein schöner Albumtitel gewesen.
Tobias: Also ich finde „Nachdenken über Deutschland“ viel besser.
Klingt wie der Titel eines Buchs bei einem renommierten deutschen Verlag von irgendjemanden, der mal irgendwas mit Philosophie oder Politikwissenschaft studiert hat.
Tobias: Aber nicht von Precht!
David: Genau das hätte ich jetzt gleich gesagt.
Tobias: Ich finde den Titel so richtig schön arschlochhaft-prätentiös. Da denkt man an so ein Arschloch in einer Strickjacke, der ausschweifend was erzählt und wo man denkt: „Halt die Fresse, du Wichser!“
Aber ... ganz egal, wie ironisch-distanziert ihr das meint, ihr habt jetzt dieses „Deutschland“ da stehen. Für manche ist das ja schon ein toxischer Begriff.
David: Passend dazu gibt es das Vinyl in Schwarz, Rot und Gold.
Tobias: Wer schon den Begriff Deutschland als toxisch empfindet, aber in Deutschland lebt, hat sie doch nicht mehr alle. What?!
David: Alle Länder sind gleich scheiße.
Ron: Tobias, du musst herausstellen, dass es dir um die Verwendung des Begriffs und nicht um das Wort geht. Sonst versteht das keiner. Sonst klingt das wie „Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen“.
Tobias: Ja. Ich meine also, es nicht aushalten zu können, dass irgendwo „Deutschland“ steht, aber in Deutschland zu leben, das ist total albern.
Ron: Wer sich darüber aufregt, dass im Albumtitel „Deutschland“ auftaucht, der hat sie nicht mehr alle.
Oliver: Der könnte ja mal ein bisschen nachdenken über Deutschland.
Letztlich ist vieles, was ihr auf der Platte sagt und kommentiert, ein „Nachdenken über Deutschland“. Vielleicht stellen ja in zwanzig, dreißig, fünfzig Jahren Musikhistoriker, die sich mit diesem Album beschäftigen, fest, dass es tatsächlich ein Nachdenken über Deutschland war, was ihr mit diesem Album veranstaltet habt.
David: Ich finde, Nachdenken über Deutschland ist, dass wir auf diesem Tisch hier diese Untersetzer unter unseren Bierflaschen haben.
Ja. Weil das sonst Flecken auf dem geölten Tisch gibt.
Tobias: Das finde ich auch in Ordnung, wenn man keine Flecken am Tisch haben will. Es ist auch vollkommen in Ordnung, wenn man es gerne schön hat. Ich finde, das Verständnis, dass viele Leute von Spießigkeit haben, repräsentiert überhaupt nicht Spießigkeit. Natürlich denken wir über Deutschland nach. Und natürlich sind die Texte, eine Reflexion über das, was ist.
David: Oh, das könnte auch von Schopenhauer gewesen sein.
Tobias: Es ist ein Kommentar zu dem, was ist. Das ist ein Zitat von Moses. Also der Moses aus Homburg. Nicht der Bibelheini.
Sprechen wir doch darüber, wie ihr den Leuten, die euch vielleicht für die üblichen Sommerfestivals buchen wollen, den Text von „Im Sommer“ erklären wollt.
Ron: Überhaupt nicht. Steht ja alles im Text. Wer in einer Band spielt und das nicht so sieht ... hat ein Problem.
Tobias: Oder er lügt.
Im Grunde steht in diesem Text, dass diese ganze Sommerfestivals gequirlte Scheiße. sind. Warum tut sich das irgendjemand an?
Tobias: Da steht ja nicht, dass es gequirlte Scheiße ist. Ich bin sehr stolz auf die Zeile „Sättigungsbeilagen-Kartoffelband“. Will heißen: da spielen halt diese deutschen Bands mit, die sind die Sättigungsbeilage, aber alle warten auf „Gotta gotta go“, auf AGNOSTIC FRONT, auf SICK OF IT ALL.
„Im Sommer, am Arsch der Welt, da wird das Geld verdient“. Und: „Fachkraft Punkkaufmann / Bucht Bands auf Montage“.
Tobias: Ich habe mit diversen Fachkräften gesprochen. Und „Bands auf Montage“, ja klar, die schlafen in Monteurzimmern, wie wir auch, wenn wir irgendwo spielen. Auf solchen Festivals zu spielen, das ist halt so, als wärst du auf Montage. Für US-Bands ist das noch viel mehr so. Für die ist das Touren, glaube ich, kein Spaß, sondern richtig Arbeit – wie auf Montage! Da wird weder vor noch nach der Show gesoffen, sondern da geht es schön direkt ins Bett. Vor allem mit einem kleinen Schnupfen. Kann ich verstehen, wenn ich keine Krankenversicherung hätte, da würde ich auch schauen, wo ich bleibe.
Gutes Thema. Wenn man sich mal überlegt, was für Gagen gezahlt werden und was für eine Band, die fast das ganze Jahr auf Tour ist, übrig bleiben muss, damit im Zweifelsfall auch noch eine Familie finanziert werden kann, dann merkt man schnell, was für Summen fließen müssen, damit bei vier Leuten in einer Band für jeden 40.000 der 50.000 Dollar im Jahr zum Leben zusammenkommen. Da ist es was anderes, wenn man eine Amateurband ist – Amateur im Sinne von Liebhaber dessen, was man da tut, ohne finanzielles Interesse.
Tobias: Ja, wir bei HAMMERHEAD sind in der schönen Situation, nichts zu müssen. Wir können einfach nur. Nichts müssen müssen, das ist der größte Luxus.
Ron: Ich finde es immer ein bisschen schwierig, wenn man dieses Ding, das man deshalb macht, weil es einem was bedeutet, kommerzialisiert und sein Leben davon abhängig macht. Egal, ob das nun eine Band oder sonst was ist. Mit der Kommerzialisierung einhergeht ja notwendigerweise, dass man viele Leute erreicht, die man ursprünglich nicht erreichen wollte, und dann gibt es manche Entwicklung, die nicht so geil ist.
Oliver: Wir können immer sagen: Nö, machen wir nicht.
Ihr erwähntet vorhin eure „Farbe/Color“-Platte von 2000. Die kam damals auf Huck’s Plattenkiste, dem Label von Nagel von MUFF POTTER. Ihr und MUFF POTTER, das sind zwei Bands, deren Wege sich mal gekreuzt haben, aber das, was heute von diesen beiden Bands auf die Bühne gebracht wird, ist fast schon gegensätzlich. MUFF POTTER sind heute irgendwie eine ganz andere Band, während HAMMERHEAD sich fast schon trotzköpfig selbst treu geblieben sind und sich kaum weiterentwickelt haben.
Oliver: Man kann dem Nagel nix vorwerfen. Was der jetzt macht, ist ja besser, als wenn der jetzt Gerüstbau machen müsste. Der hat das Glück, dass er gefällige Mädchenmusik macht. Damit ist man auch schneller mal dabei als mit unserem Gerumpel.
Tobias: Das ist eine Sache der Entscheidung. Ich würde niemals im Mittelbau der Musikindustrie sein wollen. Ich würde entweder direkt auf Elton John-Niveau einsteigen wollen oder eben auf HAMMERHEAD-Niveau, aber nicht dazwischen. Da habe ich keinen Bock drauf. Die Vorstellung, ich müsste, um meinen Lebensunterhalt davon zu bestreiten, auf jedem Scheißfestival spielen und auch noch darum rangeln, ob man zwei oder drei Slots vor SICK OF IT ALL spielt. Und hört dann, dass diese andere Band doch nach deiner spielt ... Oh Gott, nein! Da würde ich lieber zur Müllabfuhr gehen.
Oliver: Wenn du das alles aber mitnehmen willst mit deiner Band ...?
Tobias: Nein, nein, nein, nein, nein! Jede Arbeit ist besser, als im Kohlenkeller der Musikindustrie zu sein.
David: Ich bin mir sicher, das würden andere Leute anders sehen.
Tobias: Die sehen das aber falsch.
Das ist genau der Vorteil davon, dass du vor über zwanzig Jahren mal eine Entscheidung getroffen hast. Nämlich dich beruflich in einem soliden Umfeld selbständig zu machen, in einer Branche, die auch nicht durch KI abgelöst werden kann. Du bist Umzugsunternehmer, andere wollten lieber bei der Kunst bleiben.
Tobias: Wenn du jedes Jahr ein Album machen musst, wo ist da die Kunst? Wenn du auf die Bühne musst, obwohl du überhaupt keinen Bock hast? Und wenn du jedes fucking Festival mitnehmen musst und dich alles ankotzt? Wo ist denn da die Kunst? Das ist fucking Dienstleistung. Das ist ein Geschäft, was ja auch vollkommen in Ordnung ist. Kunst machen andere. Peter Gabriel macht Kunst, vielleicht, aber der hat es finanziell nicht mehr nötig. Vielleicht können DIE ÄRZTE auch machen, was sie wollen, aber diese Bands eine Liga drunter, die müssen gucken, dass der Rubel rollt. Dann heißt es, sie müssen ein Album machen, und dann kommen da halt nur mediokre Scheißsongs drauf, die keiner so richtig geil findet. Aber ja, mit einem guten Video wird es schon laufen. Also ... nä!
Ron: Es ist eine individuelle Entscheidung. Wenn man das so will, dann okay.
Tobias: Aber eben war das Wort Kunst gefallen, und das hat dann nichts mit Kunst zu tun, sondern du bist einfach Musikdienstleister.
Ron: Musik war schon immer auch eine Dienstleistung, schau dir die klassischen Komponisten an.
Tobias: Ja, aber das würde ich mit unserer Musik jetzt nicht vergleichen wollen.
Bei Bonn denke ich an Beethoven, also Tobias van Beethoven.
Tobias: Der hat am selben Tag Geburtstag wie ich. Der ist genau 200 Jahre älter als ich. Nur der ist tot, ich nicht.
Ihr habt ein sehr schönes Lied namens „Verschiedene Musiken“ auf dem neuen Album. Da werden verschiedene Genres aufgezählt. Wo steht ihr musikalisch, abgesehen von POISON IDEA?
David: Seit dreißig Jahren ist die Frage, ob das Hardcore-Punk ist oder punkiger Hardcore. Ich finde das ganz geil, das nach wie vor nicht zu beantworten.
Tobias: Wir oszillieren zwischen zwischen diesen beiden Polen.
David: Ich kann da ganz ernsthaft nicht darauf antworten. Hardcore von Punk zu unterscheiden, macht generell schon keinen Sinn. Dass Punk und Hardcore sich bis zu den frühen Neunzigern so auseinandergelebt hatten, das ist absurd. Dass also auf der einen Seite YOUTH OF TODAY standen und auf der anderen POISON IDEA, da gab es fast keine Gemeinsamkeiten mehr.
Tobias: Das geht mittlerweile viel weiter auseinander. Diese komischen Kickbox-Hardcore-Bands aus dem Ruhrgebiet etwa, das ist ja nur noch Rhythmus, bei dem man überhaupt nicht mit muss. Also ja, ja, ich weiß gar nicht, was das sein soll.
Und ihr rumpelt einfach weiter auf dem Weg dahin, wo ihr schon immer gerumpelt seid?
Tobias: Rumpeln ist so bisschen abwertend, finde ich. Wir humpeln und rumpeln unserer Wege, in Richtung ...
David: ... Altenheim.
David, im Frühjahr erscheint auch das neue Album deiner anderen Band KMPFSPRT. Gibt es da vielleicht so ein Quäntchen mehr Nachdenken darüber, wo man mit dem neuen Album hinwill?
David: Nein, das unterstellst du uns nur. Wir haben noch nie darüber geredet, wo wir hinwollen. So ein Gespräch hat in 14 Jahren KMPFSPRT nicht ein Mal stattgefunden. Wir machen wirklich nur, was wir wollen. Wir gehen in den Proberaum und schreiben die Songs, die wir selber gerne hören würden. Das war bei der ersten Probe so, und das ist noch immer so. Wir brauchten mit Ende vierzig gar nicht mehr anfangen mit Kalkül. Wo sollen wir denn hin, wer will das denn hören? 47 Jahre alte Männer, die „aus Kalkül“ Musik für 16-jährige Musikhörer schreiben? Das würde ja gar nicht funktionieren.
Es gibt auf jeden Fall eine ganz wichtige Regel, wenn es um das Spielen von eigenständiger Musik geht, und die lautet, ich zitiere aus „Die Leute und ich“: „Singe nicht wie Jens Rachut.“
Oliver: Außer du bist Jens Rachut.
Tobias: Das war in den Zweitausendern wirklich eine Pest. Und es ist immer noch eine Pest, dass Leute diesen Sprechgesang nachahmen und glauben, sie hätten irgendwas gefunden, was sie singen lässt, obwohl sie nicht singen können. Ich kann auch nicht singen, aber dann macht es halt irgendwie anders und mach nicht den nach. Das ist wirklich zum Kotzen affig!
Dafür würde ich keinen Euro ausgeben ...
Tobias: Ich würde auch keinen Euro dafür ausgeben, und da würde ich auch Deutschland, den scheiß Turbostaat, wirklich ablehnen. MANN KACKT SICH IN DIE HOSE und wie sie alle heißen, das ist zum Kotzen! Habt ihr keine eigenen Ideen? Die Welt ist bunt und groß, denk dir doch was anderes aus, mach doch einfach mal was Eigenes.
Oliver: Und keine kulturelle Aneignung bei Rachut.
Tobias: Es ist wirklich zum Speien, dass das immer so formelhaft ist. Vielen Punkbands fällt wirklich nichts Eigenes ein. Die machen immer nur Dienst nach Vorschrift. Oder dieser Neo-Deutschpunk, der so ironisch ist ... da könnte ich reinschlagen. Deutschpunk war ja früher eine ganz geile Sache. Mega angepisst, mega wütend, aber auch depressiv, hasserfüllt! Es gab da mal STOSSTRUPP, die kennt kein Mensch mehr, aber wenn du die hörst, da denkst du, puh, denen geht’s nicht gut. Das ist geil, und auch die ersten Platten von OHL sind geil! Ich weiß, wie der heute drauf ist, aber das Zeug von damals ist echt gut. Und heute dieses ironisch Gebrochene, dreimal um die Ecke, aber dann doch total zahnlos ... neeee ... Hör dir mal die frühen Sachen auf Rock-O-Rama an, bevor der Nazischeiß kam, das ist natürlich alles beschissen aufgenommen, aber du spürst echt eine geile Energie. Die haben zusammen den Gesang und die Instrumente aufgenommen, an einem Tag im Studio. Das ist Punkrock! Irgendwelche Typen, die keinen Bock auf ihre Lehre haben, die sagen, mir reicht es jetzt, ihr Wichser, ich mache jetzt einen Song, der heißt „Ich sauf mich tot“. Das hat der natürlich nicht gemacht, der lebt noch, aber dafür ist Punkrock da. Das Schöne ist, dass Punkrock sehr inklusiv ist, da ist auch Platz für Musikbehinderte wie mich, die sich so irgendwie ausdrücken können. Überall anders muss man virtuos sein, als Sänger, als Gitarrist, als Schlagzeuger... rrrrrinnnn! Mit Punk war das zu Ende: Zunge in den Mundwinkel, Finger auf die Gitarre, und dann Heidewitzka, Herr Kapitän! So sind wirklich Meisterwerke entstanden, die wir alle bis heute lieben.
David: Kein 16-Jähriger steht mit seinen Freunden im Proberaum und schreibt Songs, weil er denkt, dass er damit groß rauskommt, und berühmt und reich werden wird. Zumindest war das mal so. Inzwischen kannst du das aber wirklich bisweilen denken, wenn ich mir anschaue, was auf den großen Festivalbühnen steht.
Ich finde bei euch Texte, die über die Szene reflektieren, und das ist beinahe aus der Mode gekommen. Leute schreiben heute oft Texte, die unentschlüsselbar sind, die sich um die eigene Befindlichkeit drehen. Ihr seid nun mal Teil einer gewissen Szene, und nichts darüber zu sagen, würde bedeuten, dass sie einem egal ist. Sie ist euch also wichtig. Warum?
Tobias: Seit fast 35 Jahren bewegen wir uns in gewissen Kreisen. Wir sind da sozialisiert worden, sind da groß geworden, und ein Stück weit erwachsen geworden. Für uns ist das eigentlich die Normalität, obwohl wir, glaube ich, nicht mehr in Juzis gehen.
Oliver: Obwohl wir mit Leuten zu tun haben, die früher im Juzi waren – ich bin mit einer davon verheiratet ... Und warum sollte ich mir heute noch eine andere Szene suchen? Death Metal ist nicht mein Ding.
David: Es ist schon wichtig, Teil einer Szene zu sein. Das ist wie eine Familie, die du dir aussuchst. Die Familie, in die du reingeboren wirst, kannst du dir nicht aussuchen. Aber die Punk-Szene, mit 15, 16, wenn du nicht weißt, wohin im Leben und wer du bist, das gibt dir einen gewissen Halt.
Tobias: Und wir sind halt Punks. Das ist leider so.
David: ... und das wird vermutlich auch nicht mehr weggehen.
Tobias: Das ist wie eine chronische Erkrankung, das wird immer schlimmer. Morbus Punk.
David: Nicht Teil einer Szene sein zu wollen, ist Quatsch. Du hast ja gar nicht die Wahl. Du bist Teil der Szene, wenn du auf der Bühne stehst und deine Songs spielst. Und warum auch nicht? Das ist besser als was man sonst noch so machen könnte.
Tobias: Wo sollen wir sonst dazugehören?
Oliver: Man kann ja parallel noch zu einer anderen Szene gehören, die der Saunafreunde oder was weiß ich was. Das schließt sich ja nicht aus.
Habt ihr eigentlich einen guten Anwalt? Möglicherweise könnte Herr Götz Kubitschek vom sogenannten „Institut für Staatspolitik“ nach dem Hören eurer Platte oder zumindest dem Lesen der Texte das Bedürfnis verspüren, Kontakt zu einem Anwalt aufzunehmen, um dafür zu sorgen, dass dieser Text – „Der Schlossbesitzer“ – nicht mehr in der Öffentlichkeit ist.
Tobias: Darauf freue ich mich.
David: FEINE SAHNE FISCHFILET wären nie so groß geworden, wenn sie nicht im Verfassungsschutzbericht aufgetaucht wären. Deswegen hoffen wir, dass all das passiert.
Tobias: Das hört sich an, als wäre das ein Plan gewesen. War es natürlich nicht! Zu dem Text gibt es eine Vorgeschichte. Es gibt einen Stefan Heyer, der hat früher mal das Beyond-Fanzine gemacht. Und der hat sich damals mal über EXTREME NOISE TERROR ausgelassen. Das seien wohl Punker, die halb besoffen vorm Fernseher sitzen, irgendwas über Maggie Thatcher sehen und dann einen Text dazu schreiben. Und genau so war es bei mir mit Götz Kubitschek. Da wurde dieser xxxx Xxxx [Aus rechtlichen Gründen verzichten wir an dieser Stelle auf den Abdruck der Originalformulierung. Die Red. ] gefeaturet mit seinem komischen Verlag mit dem hochtrabenden Namen Antaios. Der gerierte sich als Großbürger, und nun ... ich bin durchaus vertraut mit dem Habitus von Großbürgern, aber das ist total aufgesetzte Scheiße. Der siezt seine Frau, weil er das großbürgerlich findet.
Ron: Das ist so albern, so ein Vollpfosten ...
Tobias: Der geriert sich, als wäre er Abkömmling von ostelbischen Latifundien-Besitzern. Ist er nicht, er ist einfach nur ein Kleinbürger, der achtzig Zigaretten oder so am Tag raucht und *** [Aus rechtlichen Gründen verzichten wir an dieser Stelle auf den Abdruck der Originalformulierung. Die Red. ] trinkt. Ich ich hasse den, und der wurde auch schon im Fernsehen in Kultursendungen gefeaturet und ich frage, warum machen die das?
Wie muss ich mir deinen Textschreibemodus vorstellen? Sitzt du bei dir in der Spedition im Büro in so einem alten abgeranzten Chefsessel hinter deinem Röhrenmonitor? Und während deine Leute Zeug durch die Gegend wuchten, haust du deine Wut in die Tasten?
Tobias: Also wir haben auf der Arbeit nur Apple-Rechner. Und ich habe nur die neuesten Bürostühle, weil wir auch viele Entrümpelung machen und ich mir da die schönen Bürostühle mitnehme. Also ergonomisch ist alles total super. Texte schreibe ich zu Hause auf der Bettkante sitzend. Ich habe so eine Diktierfunktion auf dem Handy, und wenn mir was Gutes einfällt, dann spreche ich das ein. Dann schaue ich mal, wie man das irgendwie zusammenstückeln kann. Ich gehe mit gewissen Ideen durchaus länger schwanger, und dann muss ich das zu Papier bringen. Zum Beispiel „Im Sommer“, das hat mich irgendwie genervt, diese Festivalscheiße, und das musste raus. Als sich dann das Album abzeichnete, musste ich mich anstrengen, also habe ich mich hingesetzt an einem Samstag und gesagt, jetzt schreibst du Texte, hier am Esstisch.
Oliver: Qualität kommt von Qual.
Tobias: Ja, ich habe mich gequält. Es war ja für unsere Verhältnisse durchaus ein bisschen Hopplahopp mit dem Album.
David: Wir brauchen 16 Texte und bitte alle gut. Das war die Ansage.
Tobias: Im Vergleich zu den anderen deutschen Bands sind die geil. Das ist aber ja auch wie ein Boxkampf mit Behinderten.
Ihr habt das Album in der Tonmeisterei aufgenommen. Nicht mit dem Herrn Ebelhäuser.
Ron: Es ist einfach sehr nett in der Tonmeisterei. Das ist ein altes Haus und man kann da übernachten. Fünf Tage waren wir da aufeinandergeworfen und man macht sein Ding. Ich glaube, bei Ebelhäuser würde es nicht so gesehen, wie wir das sehen, wie unsere Band klingen soll. Role und Henner haben meiner Meinung nach ein besseres Verständnis davon, wie HAMMERHEAD klingen. Womit ich Kurt Ebelhäuser aber keinesfalls dissen will.
Was haben Role und Henner verstanden, was den Sound eurer Band betrifft?
Ron: Henner, der die Aufnahmen gemacht hat, hat verstanden, dass HAMMERHEAD rauh klingen sollen und nicht glatt. Nicht nett, sondern böse. Die Ebelhäusers – David, bitte korrigiere mich, sollte ich falsch liegen – legen es schon auf einen eher gefälligeren Sound an, was ja auch okay ist, wenn man das so haben will. Aber das wollen wir ja nicht.
Tobias: Kurt ist eben tatsächlich als Produzent tätig, greift also auch ins Songwriting ein, und ich weiß nicht, ob wir Bock auf so eine Arbeitsweise gehabt hätten.
David: Das sind wirklich zwei verschiedene Dinge. Wir wurden mit HAMMERHEAD ja nicht produziert, wir wurden aufgenommen. Es gab niemanden, der mit uns über die Songs gegangen ist, der gesagt hat, überleg doch mal, den Part doppelt so lang zu spielen, oder nimm doch mal ein C statt ein G. Das ist gar nicht passiert. Wir wurden aufgenommen, wir wurden „engineered“. Wenn du bei Ebelhäuser aufnimmst, holst du dir jemanden mit ins Boot, der mit dir diesen Songwritingprozess macht. Das haben wir mit HAMMERHEAD nicht gemacht.
Ron: Warum auch? Die Zielstellung der Arbeit mit einem Produzenten ist ja, dass der etwas produziert, was besonders klingt im Sinne von, dass es wirksam ist, wenn Leute, die Platte kaufen sollen. Aber so gehen wir ja nicht ran an unseren Kram. Uns geht es darum, dass es uns gefällt und möglichst auf die Fresse ist.
Oliver: Der Mann im Studio ist bei uns so was wie die Mikrowelle, die die ganze Scheiße nur warm macht.
Ron: Das ist eine punkigere Herangehensweise an die Aufnahmen.
Oliver: Ich würde es auch gar nicht ertragen, wenn mir jemand im Studio ständig sagen würde, das müsst ihr so machen oder so.
Ron: Wir haben uns diesmal aber dazu durchgedrungen, erstmals nicht live aufzunehmen, denn bisher wurden alle Platten live im Studio aufgenommen, mehr oder weniger. Wir haben immer gesagt, das muss rotzig sein, und ich glaube, das haben wir auch diesmal wieder hingekriegt. Dafür brauchen wir aber niemanden, der sich ausgefeilte Gedanken macht, wie unsere Songs zu klingen haben.
David: Das ist ohne Klick eingespielt, für 2023-Verhältnisse ist das also live aufgenommen.
Gab es irgendwann einen Phantomschmerz, wo ihr euch fragtet: „Wo ist Norbert?“?
Tobias: Das kann ich klar beantworten: Das gab es nicht.
Oliver: Der ist in Wuppertal, das wissen wir ja.
Ron: Es ist bedauerlich, dass Norbert ausgestiegen ist, aber er hatte seine Gründe und ich kann die teilweise gut nachvollziehen.
Tobias: Norbert hat schon seinen Anteil am Songwriting gehabt, aber der Trennungsschmerz war bei bei mir vergessen, als wir im Studio waren. Es war zwischendurch mal ein bisschen bitter, aber das ist auch okay, denn es war eben eine Trennung. Wir waren dreißig Jahre zusammen in einer Band, das ist nicht so easy. Aber dann war es irgendwann auch mal gut.
David: Norbert hatte mich angeschrieben und gesagt, lass uns mal treffen, lass uns mal die Songs zusammen spielen. Wir haben die Songs zusammen durchgespielt und er hat mir gezeigt, wie er die spielt. Das hätte er nicht machen müssen, aber er hat es getan, weil er ein cooler Dude ist. Es gab also eine richtige Staffelübergabe.
Tobias: Wir sind nicht im Streit und im Hass geschieden, sondern das war alles okay. Ich rechne es Norbert sehr hoch an, dass er David eingeladen hat, um ihm die Songs zu zeigen.
So eine Band ist ja auch immer ein Gewächs der Region, aus der sie kommt. Bad Honnef, Köln, Bonn, Neuwied – diese Orte tauchen bei euch auf. Und auch David, „der Neue“, kommt aus Bonn. War das wichtig, jemanden zu haben, der aus der Ecke kommt und dem man nicht so viel erklären muss?
Tobias: Es ist schön, jemanden zu haben, der auch aus dem Rheinland ist. Ich glaube, im Rheinland ist man schon ein bisschen ... anders. Ein bisschen gemütlicher. Mit jemandem aus, äh, Braunschweig hätte das ja auch schon rein logistisch gar nicht funktioniert.
Oliver: War es nicht auch so, dass wir jemanden gesucht haben, der okayer ist, als er Gitarre spielen kann? Wir stellten dann bei David eben fest: Praktisch, der spielt auch Gitarre. Wir haben keinen Gitarristen gesucht, sondern die Frage gestellt: Wer, den wir kennen, spielt auch Gitarre?
David: Ich glaube, die wussten gar nicht, dass ich mit 15 auf HAMMERHEAD-Konzerten war.
Ihr seid zumindest teilweise in dem Alter, dass ihr Anfang der Achtziger bei den großen Friedensdemos im Bonner Hofgarten mitlaufen konntet oder hättet mitlaufen können. Da denke ich an die Friedensbewegung jener Jahre, die fragte das auch, und „Wozu sind Kriege da?“ ist jetzt der Titel eines Songs auf eurem neuen Album.
Tobias: Diese Frage wird in dem Text eigentlich ganz gut beantwortet: Um Interessen durchzusetzen, dazu sind Kriege da. Seit fünfzig Jahren ist man in Deutschland der Meinung, dass die Welt so tickt, dass man alles verhandeln kann. Aber das sehen viele Leute anders, und die verhandeln nicht, sondern die setzen Dinge durch. Und das steht in diesem Text. „Ich will, dass es so ist, also tu ich das.“ Und deshalb gibt es Kriege. Diese Frage, dieser Songtitel ist ja von Udo Lindenberg – eine wirklich tragische Gestalt. Ja, wozu sind Kriege da? Na, um Dinge durchzusetzen, ich sage es jetzt zum dritten Mal! Wieso man sich diese Frage stellen kann, verstehe ich nicht.
In den Achtzigern gab es ja mal dieses Musikgenre „Peace Punk“ ... Wo steht 2024 die Punk-Szene in Deutschland, wo steht die Punk-Szene international, wenn es um das Thema geht, wie friedlich und friedensbewegt sind wir?
Tobias: Ich habe einen Aufruf an alle Punks: Die sollen Bullen werden, zur Armee gehen und Schöffen werden. Weil wenn die das nicht übernehmen, werden und tun das nur die Nazis und dann gute Nacht, Marie. Ich hätte auch keinen Bock, Bulle zu sein, und ich hatte auch keinen Bock, zur Bundeswehr zu gehen oder Soldat zu werden, und ich habe auch keinen Bock, Schöffe zu sein. Aber alle, die irgendwie progressiv denken, sollten das tun, weil wir sonst irgendwann ein Riesenproblem haben werden. Sonst gehen nur die AfD-Hurensöhne zur Bundeswehr und Polizei und werden Schöffen!
Nun erfreuen sich aber eher Songtexte wie „Niemand muss Bulle werden“ großer Beliebtheit.
Tobias: Pffff ... ja gut, aber solange es Staaten gibt, gibt es auch Bullen. Noch mal: Ich will kein Bulle sein, und ich will auch kein SozPäd-Bulle sein, ich will niemandem sagen, was er zu tun und zu lassen hat, und ich will auch nicht armen Willis das Parfüm wieder wegnehmen, das sie bei Douglas geklaut haben.
Ron: Besser wäre es jedenfalls, wenn es mehr progressive Bullen und Juristen gäbe.
Tobias: Früher gab’s zumindest mehr sozialdemokratische Bullen.
David: Es gibt genug Beispiele von Bullenanwärtern, die sich gegen Nazis ausgesprochen haben und deshalb von Kollegen und Vorgesetzten gemobbt wurden. Deine Idee ist an sich gut, Tobias.
Tobias: Ja, aber selber machen wollen würde ich es ja auch nicht.
Dein Auto hat also nicht die Zahlenkombi 1312 als Teil des Kennzeichens?
Tobias: Ich hatte in meinem Leben wirklich sehr viel unangenehme Situationen mit der Polizei, aber ich bin ja kein Idiot. Solange die Welt in Staaten organisiert ist, wird es auch Polizei geben.
Danke, Jungs, unser „Nachdenken über Deutschland“ findet hier nach zwei Stunden sein Ende und wir trinken jetzt noch ein Bier.
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Diskografie
„Breakin Through“ (Demo-MC, 1989) • „Resist“ (7“, Bodonski, 1991) • HAMMERHEAD/NOT THE SAME-Split (7“, 1991) • „Apocalypse Is Near!“ (7“, Amok, 1992) • „Stay Where The Pepper Grows“ (LP, X-Mist, 1993) • „Das weisse Album“ (LP, Headbert, 1998) • „Farbe Color“ (10“, Huck’s Plattenkiste/Faulstufe, 2001) • „Bahn Frei! Für Liste 1 Sozialdemokraten“ (7“-EP, Faulstufe, 2001) • „Cut The Melon“ (LP/CD, Per Koro, 2008) • „Opa war in Ordnung“ (7“-EP, HeartFirst, 2016) • „Nachdenken über Deutschland“ (LP/CD/MC, Holy Goat, 2024)
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Timeline
1989
HAMMERHEAD werden 1989 in Bad Honnef in der Nähe von Bonn gegründet. Mit dabei: Tobias Scheiße (Gesang), Danilatore Minuti (Gitarre), Headbert (Gitarre), Ranen (Bass), Osche (Schlagzeug). Ihr erstes Demo „Breakin Through“ wird im selben Jahr als Musikkassette veröffentlicht.
1990
Erstes Konzert in Originalbesetzung in Kiel.
1991
HAMMERHEAD bringen zusammen mit NOT THE SAME eine Split-7“ heraus. Auf Bodonski Records kommt die „Resist“-7“, die sechs Songs enthält.
1992
Europatour mit der New Yorker Band BAD TRIP. Umstritten waren die Auftrittsverbote in einem Teil der deutschen Konzertorte, die auf der angeblichen politischen Unkorrektheit der Band und der Angst der Veranstalter vor Ausschreitungen beruhten.
1993
Die erste LP „Stay Where The Pepper Grows“ wird veröffentlicht, mit der sich die Band aggressivem Hardcore mit nihilistischen deutschen Texten zuwendet. Außerdem setzt die Band verstärkt auf Provokation. Für das Cover der LP wird ein Foto der Geiselnahme von Gladbeck 1988 verwendet, auf dem Degowski im Auto die Waffe an den Hals von Bischoff hält, zudem ist auf der Rückseite mittels Fotomontage Geiselnehmer Rösner als Gitarrist zu sehen.
1994
Der Ruf der Band eilt ihr voraus und resultiert in TV-Auftritten von Sänger Tobias bei MTV und in der Talkshow „Arabella“.
1998
Das „Weiße Album“ erscheint auf dem bandeigenen Label Headbert.
1999
1999 feiern HAMMERHEAD und ihre Fans das zehnjährige Bandjubiläum im Bonner Bla.
2001
Tobias Scheiße wird Geschäftsführer seines eigenen Umzugsunternehmens in Bonn. Er übernahm das Unternehmen, in dem er zuvor als Angestellter tätig war, nachdem er in einer Quizsendung des Fernsehsenders Sat.1 einen Geldpreis in Höhe von 22.000 D-Mark gewonnen hatte.
2004
Die Band geht auf Abschiedstournee. Titel: „Die Altern in Unwürde-Farewell-Tour von HAMMERHEAD“.
2006
Headbert produziert eine autobiographische Filmdokumentation mit dem Titel „Sterbt alle!“. Mit diesem Film touren die Bandmitglieder durch Kinos in ganz Deutschland. Aktuell ist der Film bei YouTube zu finden.
2008
Ende des Jahres findet die Band für ein Konzert in Hamburg wieder zusammen und veröffentlicht aus diesem Anlass auf Per Koro Records „Cut The Melon“, eine Zusammenstellung vergriffener Stücke.
2016
Die EP „Opa war in Ordnung“ auf HeartFirst ist die, wie sich später herausstellen sollte, letzte Veröffentlichung der alten Besetzung.
2021
Gitarrist Headbert verlässt die Band und wird durch David „Dave“ Schumann von KMPFSPRT abgelöst.
2024
Das neue Album „Autofahrerhose“ des neuen Line-Ups erscheint auf Holy Goat Records.
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