GREG GRAFFIN

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Smartpunk strikes again

Zwar wiesen mich Mitmenschen und Mitfans von BAD RELIGION immer wieder darauf hin, dass BAD RELIGION-Sänger Greg Graffin bereits im Jahre 1997 als AMERICAN LESION ein im Alleingang aufgenommenes Album eingespielt hatte. So wirklich interessierte mich das bis vor kurzem jedoch nicht, da mein Hauptaugenmerk bezüglich Greg Graffin stets auf BAD RELIGION lag. Denn diese Band gehört in meinen Augen zu den wichtigsten Punkrock-Bands ever. Die präzise Wortgewandtheit der von Graffin geschriebenen Texte sowie den energisch-melodischen Punkrock, der viele BAD RELIGION-Alben prägt, finde ich begeisternd. Und Songs wie "Operation rescue" oder "No control", um nur zwei Beispiele zu nennen, werden mich noch lange begleiten.


Nun wurde ich im Frühling darauf aufmerksam, dass Greg Graffin, diesmal gemeinsam mit seinem BAD RELIGION-Songwriting-Partner Brett Gurewitz, drei Mitgliedern der WEAKERTHANS und einer Hand voll Gästen ein zweites Soloalbum aufgenommen hatte, "Cold As The Clay". Zwar kann ich mich für akustische Musik, etwas Country und etwas Folk, bereits seit geraumer Zeit begeistern, die elf von Graffin aufgenommenen Songs erweitern meinen Horizont jedoch erheblich und sensibilisieren, denke ich, auch weitere Hörer für eine Vielzahl traditioneller Musikstile. Dieses Album auf Country und/oder Folk zu reduzieren, wäre aber falsch, denn ihm wohnen sehr viele Aspekte inne, die es außergewöhnlich machen. Eine leichte Melancholie, die aber Hoffnungsschimmer zulässt, eine sehr gute Instrumentierung und letztlich eine gewisse Ruhe sind es, die mir an "Cold As The Clay" sehr gut gefallen. Trotzdem muss man dieses Album selber hören, um die Tiefe, die Graffin auf diesem Album schuf, nachzuvollziehen. Wenige Tage nach dem BAD RELIGION-Auftritt auf dem belgischen Groezrock-Festival ergab sich die Gelegenheit, ihn zu sprechen.


Greg, in den Linernotes zu "Cold As The Clay" ist ein Statement von dir abgedruckt, das besagt, dass Brett Gurewitz als Produzent des Albums von Beginn an eine klare Vision davon hatte, wie das Album klingen sollte. Würdest du daher sagen, dass es nicht nur dein, sondern euer Album ist?

Ja, "Cold As The Clay" ist unser Album, das wir gemeinsam konzipiert und erarbeitet haben. Dies ist auch der Grund, warum ich denke, dass BAD RELIGION-Fans das Album mögen werden. Schließlich kooperieren wir in dieser Band seit 26 Jahren, und "Cold As The Clay" ist, wenn du so willst, ein weiterer Zweig unseres gemeinsamen Schaffens, der aber nicht unter dem Namen BAD RELIGION läuft. Ich würde sogar sagen, dass ich dieses Album ohne ihn nicht gemacht hätte. Sieh mal, es ist so, dass mich Folk- und Countrymusik schon mein ganzes Leben begleitet und ich neben meiner Gesangstätigkeit für BAD RELIGION stets diese Musik privat und für mich gespielt habe. Es brauchte aber erst einen Brett Gurewitz, der mir beim Spielen der Musik zufällig zuhörte und sagte: "Hey, lass uns gemeinsam ein Album dieser Art aufnehmen."

Wie kam es dazu, dass Stephen Caroll, Greg Smith und Jason Tait, die alle WEAKERTHANS-Mitglieder sind, als Begleitband für die Aufnahmen zu "Cold As The Clay" ausgesucht wurden?

Ihre Teilnahme an dem Album war Teil von Bretts Produktionsvision des Albums. Er hatte sie gerade bei Epitaph beziehungsweise Anti unter Vertrag genommen und empfand, dass sie aufgrund ihres Musikstils perfekt als uns unterstützende Musiker zu diesem Album passen würden. Da mir ihre Musik sehr gut gefällt, gab ich sofort grünes Licht dafür, woraufhin Brett sie fragte und sie zusagten. In meinen Augen haben sie einen unwahrscheinlich großen Beitrag zu diesem Album geleistet und ich bin sehr froh, dass sie in die Arbeit einbezogen wurden.

Ihr habt eine Reihe traditioneller Songs neu vertont und sie neben Stücke gestellt, die von dir geschrieben wurden. Nach welchen Kriterien hast du oder habt ihr die traditionellen Stücke für das Album ausgewählt?

Im Grunde haben wir die Stücke danach ausgesucht, ob sie gut klingen, wenn ich sie spiele, und ob ich mich dabei wohl fühle, sie zu spielen. Des Weiteren wollten wir unbedingt Songs aussuchen, die von Sorgen, Mühsal und schweren Lebensmomenten handeln, weil dies Themen sind, die wir aufgreifen, wenn wir BAD RELIGION-Songs schreiben. Wir wollten damit auf eine Parallele hinweisen, die inhaltlich zwischen der Songwriting-Tradition des 18. und 19. Jahrhunderts und der Songwriting-Tradition von BAD RELIGION besteht.

Denkst du, dass eure Fans die von dir angesprochene Parallele erkennen?

Dies liegt zwar im Rahmen des Möglichen, aber ich erwarte es nicht. Dazu muss man sagen, dass so gut wie jedes Album, nahezu jeder Song, der veröffentlicht wird, meiner Meinung nach nur in einem gewissen Kontext zu verstehen ist. Ich habe Musik meist erst dann verstanden, wenn ich Hintergründe eines Songs oder der Person, die ihn schrieb, recherchierte. Dadurch, dass ich gerade aussagte, dass diese Parallele besteht, versuchte ich, den Kontext zu skizzieren, indem ich Hintergrundinformationen gab, wie eben die zur Auswahl der Traditionals. So versuche ich, den Fans Hinweise zu geben, die ihnen helfen, die Parallelen zu entdecken und somit die Song verstehen.

Dennoch ist es doch nicht entscheidend, den Hörern einen Kontext zu geben. Viele Songs auf "Cold As The Clay" empfinde ich als berührende Stücke, was bedeutet, dass ich zu ihnen einen Bezug herstellen kann, ohne dass ich den Kontext eines Songs kenne.

Du hast Recht, aber es besteht ja auch ein Unterschied dazwischen, ob man einen Song versteht, oder ob er dich berührt. Um durch einen Song zunächst eine Emotion beim Zuhörer hervor zu rufen, brauchst du ihm natürlich keinen Kontext zu liefern. Denn wenn Menschen Musik hören, können sie sich entweder zur Musik hingezogen oder von der Musik abgestoßen fühlen. So baut sich zunächst, vorausgesetzt die Musik zieht dich an, eine Beziehung zwischen dir und der Musik auf. Diesen Beziehungsaufbau zwischen Hörer und einem Song zu erreichen, ist die große emotionale Kraft der Musik und mein Ziel als Songwriter. Und dieser Beziehungsaufbau vollzieht sich zunächst, ohne dass jemand den Kontext, in den ein Song vom Schreiber eingebettet wurde, kennt. Kontext braucht man, um über Songs diskutieren zu können, jedoch nicht, um Emotionen gegenüber einem Stück aufzubauen.

Ich wuchs mit der Musik vieler typisch kalifornischer Punkbands auf, einige von ihnen benutzten das Banjo als Instrument, um Songs "witzig" klingen zu lassen. Auf "Cold As The Clay" ist es aber gerade der Banjo-Einsatz, der manchen Songs eine sehr nachdenkliche und melancholische Atmosphäre gibt.

David Bragger, ein guter Freund, hat das Banjo für das Album eingespielt und brachte das Argument an, auf das du gerade hingewiesen hast: Das Banjo kann sehr leicht missbraucht werden, eben dann, wenn man es so spielt, dass es Songs einen lächerlich-ironischen Klang gibt. Der Missbrauch liegt hierbei darin, dass der Stil, in dem man das Banjo spielen muss, damit es lustig klingt, dem Stil zuwider läuft, in dem man das Banjo eigentlich spielen sollte. Das Instrument wurde vor Jahrhunderten aus Afrika nach Amerika gebracht und die traditionelle Weise, das Instrument zu spielen, nennt sich "Clawhammer". Bei dieser Spielweise benutzt man Daumen und Zeigefinger, um auf das Trommelfell des Instrumentes zu schlagen und so einen Klang zu erzeugen, der stark rhythmisch akzentuiert ist. Genau so spielt David Bragger das Banjo. Ich denke, dass deine Wahrnehmung des Banjoeinsatzes auf dem Album daher kommt, dass viele der traditionellen Songs auf dem Album vorsehen, dass das Banjo in Clawhammer-Spielweise gespielt wird. Folglich würde es keinen Sinn machen, das Banjo anders zu spielen oder es gar wegzulassen, weil es ein wichtiges musikalisches Element der Songs ist. So entsteht der Eindruck, dass das Banjo anders klingt, eben nicht witzig, und dem Klang der Stücke eine besondere Stimmung gibt.

Du hast ja auch noch eine Karriere außerhalb der Musik, hast unlängst deinen Doktortitel in Paläontologie verliehen bekommen. Deine Dissertation behandelt die Fragestellung, inwiefern sich Evolutionsbiologie und Religion, der Schöpfungsglaube vereinen lassen.
Was hat dich motiviert, das zu untersuchen?


Meine Intuition war seit jeher, dass sich diese beiden Lehren nicht vereinen lassen. Durch meine Dissertation strebte ich an, meine Ahnung zu stärken. Ich ging so vor, dass ich etablierte Evolutionsbiologen dahingehend befragte, ob sie Religion für vereinbar mit der von ihnen vertreten Lehre hielten. Heraus kam, dass die zwei Lehren von ihnen als zwar grundsätzlich vereinbar angesehen wurden, dass diese Vereinbarkeit der Lehren aber verlangt, dass die basalen und entscheidenden Annahmen von Religion ausgeschlossen werden. Daraus kann man den Schluss ziehen, dass Evolutionsbiologie und Religion faktisch nicht vereinbar sind. Interessant ist hierbei meiner Meinung nach auch, dass viele Amerikaner sagen, sie seien Christen, aber nicht die wichtigsten Grundpfeiler der Religion kennen, der sie sich so einfach zuordnen. Außerdem denken viele gar nicht über die grundlegenden Widersprüche von Religion nach. Das Paradebeispiel ist doch die Idee, dass Gott dein Schicksal im Voraus bestimmt. Dennoch obliegt jedem eine freie Entscheidung zu tun und zu lassen, was man will. Das ist unlogisch und wissenschaftlich unbefriedigend.

Was macht deine Dissertation aus wissenschaftlicher Perspektive besonders?

Rund die Hälfte der Dissertation besteht aus Interviews mit den wichtigsten Biologen des 20. Jahrhunderts, die der erwähnten Befragung dienten. In keinem anderen Schriftstück sind die Worte dieser wichtigen Wissenschaftler gleichzeitig eingearbeitet.

Und wirst du weiter wissenschaftlich arbeiten?

Ja, derzeit arbeite ich an einem zweiten Buch, das "Population Wars" heißen wird, bis zu dessen Veröffentlichung es aber noch lange hin ist. Es geht um Biologie und wird für Kontroversen sorgen. Es wird den Biologen widersprechen, da es aussagt, dass Menschen an und für sich bloß komplizierte Roboter sind. Außerdem lehnt das Buch die Idee des freien Willens ab, was Angehörige anderer Disziplinen und Biologen verärgern wird, da selbst viele Biologen noch an das Konzept des freien Willens glauben. Ferner wird das Buch die Rolle von natürlicher Selektion aufweichen und dem Vorgang keine so wichtige Rolle zusprechen, wie dies heute getan wird.